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Treue ohne Skrupel
ОглавлениеFranz von Papens Lage war im Frühjahr 1938 kompliziert geworden. Er betrachtete es als nutzlos, „die Rettung meiner Geheimakten in die Schweiz abzustreiten“, und „täglich erwartete ich meine Verhaftung und eine Anklage auf Hochverrat.“45 Ihm war in guter Erinnerung, dass er am 24. April 1934 als Vizekanzler das ‚Gesetz zur Änderung des Strafrechts und des Strafverfahrens‘ mit verschärften Bestimmungen zum Hochverrat mit eingebracht hatte. Bereits die Vorbereitung zum Hochverrat erklärte das Gesetz zur Straftat. Das Verbringen von Geheimunterlagen ins Ausland konnte zweifellos als Delikt erkannt und zwar noch nicht mit Todesstrafe, wohl aber mit Gefängnis und Zuchthaus sowie Vermögensbeschlagnahme geahndet werden.
Mit dem von Papen eingebrachten Gesetz wurde der Volksgerichtshof als Sondergericht eingerichtet. Seine spezielle Aufgabe war die Aburteilung von Hoch- und Landesverrat. Organisation und Gerichtsverfahren waren auf kurze Prozesse ausgerichtet, und gegen die Entscheidung des Volksgerichtshofes war kein Rechtsmittel zulässig. Franz von Papen brauchte einen Hochverratsprozess indessen nicht zu befürchten. Hitler benötigte ihn auch noch im Jahre 1938, so wie er ihn im Jahre 1934 gebraucht hatte, um im In- und Ausland ein Mindestmaß an Solidität vorweisen und sein Regime durch Einbindung der Nationalkonservativen weiter konsolidieren zu können. Die Auftragsmorde an Edgar Jung, Herbert von Bose und Wilhelm von Ketteler, welche Papen später als Racheakt der Gestapo gegen ihn und seine Politik beurteilte, sollten dem Vasallen seine Grenzen aufzeigen. Anders als manche Weggefährten und Mitstreiter sah Papen sich angesichts der ‚speziellen‘ Behandlung durch die Schergen des ‚Führers‘ aber nicht aufgefordert, Hitler seine weitere Unterstützung zu entziehen.
Fritz Günther von Tschirschky dagegen, Papens Kulturreferent im Vizekanzleramt und persönlicher Sekretär in Wien, hatte Anfang des Jahres 1935 keine Wahl, ob er das NS-Regime weiter unterstützen sollte oder nicht. Es ging um sein nacktes Überleben. In der ‚Nacht der langen Messer‘ war er am 30. Juni 1934 von der Gestapo verhaftet und in deren Hauptquartier in der Prinz-Albrecht-Straße verschleppt worden. Dort erlebte er die Ermordung des NSDAP-Reichsorganisationsleiters Gregor Strasser und traf letztmals mit Edgar Jung zusammen. Einige Tage musste er danach im Konzentrationslager Lichtenburg verbringen, bevor er auf Papens Intervention wieder freikam. Mitte August 1934 traf er zusammen mit Papen in Wien ein, musste aber von diesem schon Mitte Dezember nach dessen Treffen mit Hitler auf dem Berghof erfahren, dass die Gestapo über belastendes Material – es ging um den Homosexuellen-Paragrafen 175 – gegen ihn verfüge. Prompt kam eine Vorladung der Gestapo zur Vernehmung in Berlin.
Papen bestand zunächst auf einer Vernehmung Tschirschkys in Wien. In einem vertraulichen Brief an Hitler forderte er Ende Januar 1935 ein ordentliches Gerichtsverfahren. Er erklärte, sein Sekretär und er selbst hätten aus glaubwürdigen Quellen erfahren, dass „die Gestapo plane, Herrn von Tschirschky unschädlich zu machen.“46 Über Außenminister von Neurath ließ Hitler dem Gesandten in Wien mitteilen, dass er Tschirschkys unversehrte Rückkehr nach Wien persönlich garantiere. Papen vertraute der Zusage Hitlers und versuchte Tschirschkys Bedenken mit allen Mitteln der Überredungskunst, aber letztlich vergebens zu zerstreuen. Auf Tschirschys eigenen Wunsch suspendierte Papen ihn am 4. Februar 1935 schließlich vom Dienst. Er emigrierte über Frankreich nach London und betätigte sich dort als Kaufmann. Seine Familie ließ er bis Kriegsende in Deutschland zurück, ohne dass diese vom NS-Regime in Sippenhaft genommen wurde. Nach dem Krieg holte Tschirschky die Familie zunächst nach London und war ab 1952 für das Auswärtige Amt tätig.
Ein weiterer vertrauter Mitarbeiter Papens, Hans Reinhard Graf von Kageneck, konnte die ‚Nacht der langen Messer‘ am 30. Juni 1934 im Vizekanzleramt unversehrt überleben. Er setzte sich kurzzeitig nach Schweden ab, bevor er auf Bitten Papens diesen nach Wien begleitete, aber auch dessen Privatbüro in Berlin betreute. Durch seine Zürich-Exkursion zusammen mit seinem Freund Wilhelm von Ketteler musste Kageneck in Berlin jederzeit mit der Gestapo rechnen. Wie schon im Sommer 1934 flüchtete er auch im März 1938 nach Schweden, kehrte aber Mitte Mai nach Berlin zurück und stellte sich der Geheimen Staatspolizei. Der Fund von Kettelers Leiche gab ihm jetzt die Sicherheit, dass die Gestapo ihn nicht mehr gegen den Freund ausspielen konnte. Nach mehreren lang andauernden Verhören wurde Kageneck verordnet, sich im Weiteren ständig in Berlin aufzuhalten. Die Gestapo genehmigte ihm indessen, zur Beerdigung Kettelers Ende Mai nach Geseke, zu dem Familienbesitz derer von Ketteler, zu reisen. Auch konnte er Papen Ende Oktober 1938 auf seine Reise nach Schweden begleiten.
Zum Jahresende 1938 schied Kageneck offiziell aus dem Reichsdienst aus. Ab 1939 und bis zum Ende des 2. Weltkrieges betätigte er sich, unterbrochen von zeitweiligem Militärdienst im Osten, landwirtschaftlich in Munzingen bei Freiburg im Breisgau auf dem Gut seiner Familie, das er um 1942 als Gutsbesitzer übernommen hatte. Bis zum Ende des ‚Dritten Reichs‘ lebten er und seine Familie ohne größere Sorgen und blieben von den Schergen des NS-Regimes weitgehend unbehelligt. Im Juni 1946 legte Kageneck dem Militärgerichtshof in Nürnberg eine eidesstattliche Erklärung vor, in der er seine Zusammenarbeit mit Franz von Papen im Vizekanzleramt, dessen anfängliche Bedenken gegen den Wiener Posten und Papens Bedingungen für dessen Annahme schilderte. Bis in die 1960er-Jahre blieb er mit Papen in Verbindung, um mit ihm unter anderem über Entstehen und Verbleib des Testaments des früheren Reichspräsidenten Hindenburg zu korrespondieren.
Sehr spektakulär war Anfang des Jahres 1937 der Rückzug von Peter Paul Freiherr von Eltz-Rübenach aus dem Amt des Post- und Verkehrsministers der Hitler-Regierung. Franz von Papen hatte den Freiherrn in gleicher Funktion im Jahre 1932 in sein ‚Kabinett der Barone‘ aufgenommen. Er schätzte den Monarchisten, Anhänger des Ständestaates und gläubigen Katholiken sehr und bezeichnete ihn als seinen „persönlichen Freund“ und „begeisterten Katholiken“. Nicht Papen in seinen Memoiren, sondern Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels schildert in seinem Tagebuch mit dramatischen Worten den letzten Januartag des Jahres 1937: „Ministersitzung: der Führer dankt allen tiefbewegt, nimmt die Nichtparteigenossen in die Partei auf und verleiht ihnen das Goldene Ehrenzeichen. Da geschieht das Unfassliche. Eltz lehnt die Annahme ab, tritt nicht in die Partei ein, weil wir angeblich ‚die Kirche unterdrücken‘ (…) Wir sind alle wie gelähmt. Das hatte niemand erwartet (…) Das sind die Schwarzen. Sie haben über ihrem Vaterland eben einen höheren Befehl: den der alleinseligmachenden Kirche.“47
Der maßgebliche Grund für die spektakuläre Entscheidung von Eltz-Rübenach lag in den vielfältigen Beschränkungen des NS-Regimes für die katholischen Jugendverbände und deren Auflösung im Zuge des Ende 1936 erlassenen HJ-Gesetzes, welches die deutsche Jugend zur Mitgliedschaft in der Hitler-Jugend verpflichtete. In dieser Frage hatte sein Freund Franz von Papen schon im November 1933 ein anderes Verständnis gezeigt, als er hochrangigen katholischen Gesprächspartnern vorschlug, die katholischen Jugendorganisationen ganz aufzulösen oder in NS-Organisationen mit religiöser Betreuung zu überführen. Seinerzeit konnte indessen weder der deutsche Episkopat noch der Vatikan diesem wirklichkeitsfremden Plan etwas abgewinnen.
Die konsequente Einstellung des Freiherrn von Eltz-Rübenach brachte es mit sich, dass er sein Amt sofort verlassen musste. Otto Meissner, Chef der ‚Präsidialkanzlei des Führers‘, erklärte später den Anklägern in Nürnberg, dass Eltz-Rübenach auf Antrag Görings ins KZ gekommen und ihm die Pension aberkannt worden wäre, wenn er nicht interveniert und beides verhindert hätte. Noch im Februar 1937 kehrte der Minister a.D. in seine rheinische Heimat zurück und wählte Linz am Rhein als Wohnsitz. An seiner christlichen Gesinnung hielt er ostentativ fest. Aus dem Formular zur gesetzlich vorgeschriebenen Aufnahme zweier Töchter in die Hitlerjugend strich er die Worte „entsprechend der nationalsozialistischen Weltanschauung“ mit der Begründung, „weil ich die antichristliche Tendenz dieser Weltanschauung ablehne und aus diesem Grund im Jahre 1937 von meinen Ministerämtern zurückgetreten bin.“48 Die Familie Eltz-Rübenach überstand das NS-Regime ohne nachweisbare Schikanen einer Sippenhaft.
Ein Jahr später dachte offensichtlich auch Franz von Papen nach Ende seiner Wien-Mission daran, der Hitler-Regierung seine Dienste aufzukündigen. Am 26. April 1938 ersuchte er den ‚Führer‘ schriftlich, ihm nach allem, was vorgefallen sei, die Genehmigung zum „endgültigen Abschied aus allen Stellungen“ zu erteilen.49 Am selben Tage teilte er Göring mit, dass er „endgültig aus allen Diensten“ entlassen werden wolle, und bestätigte ihm eine Woche später seine Absicht, sich „vollständig ins Privatleben zurück zu ziehen.“ Die Antwort der beiden NS-Führer ist nicht bekannt, dürfte seitens Hitlers zunächst aber ebenso hinhaltend ausgefallen sein wie beim Rücktrittsgesuch im Sommer 1934.
Hermann Göring seinerseits machte dem Jagdfreund von Papen nach dem Anschluss der ‚Ostmark‘ ein attraktives Angebot, das diesem einen Rückzug vom Rücktritt erleichtern konnte. Im Oktober 1938 erwarb Papen mit Görings Hilfe ein Waldgut in Klein Veitsch in den steierisch-niederösterreichischen Kalkalpen.50 Ein Übriges tat das Damoklesschwert des Landesverrats aufgrund der in die Schweiz verbrachten Wiener Geheimakten. Hitler konnte folglich Papens Status eines Botschafters im Wartestand aufrechterhalten. Auch wollte der ‚Führer‘ nach der erfolgreichen Österreichmission seines ehemaligen Vizekanzlers nicht auf dessen hohen Bekanntheitsgrad und sein Netzwerk verzichten. Mit dem Titel ‚Botschafter zur besonderen Verwendung‘ und einem aus dem Haushalt der Reichskanzlei finanzierten Büro in der Berliner Lennéstraße 9 stellte sich Papen dem NS-Regime und dem Vaterland weiterhin zur Verfügung. Der Vasall wartete auf einen neuen Auftrag des ‚Führers‘.