Читать книгу Hölle vs Himmel - reiner nawrot - Страница 4
ОглавлениеAuch durch noch so lautes Brüllen und Fluchen lassen sich bekanntlich verschwundene Gegenstände nicht wieder herbeischaffen. Vielleicht hatte Billbos Chef davon noch nie etwas gehört, denn er reagierte genau auf diese Art und Weise als er erfuhr dass der Bohrer einfach so mir nix dir nix, und allen anderen erst recht nix, verschwunden war und niemand wusste, wie, wohin und warum. Die Arbeiter hatten nur mit Händen in den Taschen dagestanden und mit den Schultern gezuckt. Ihre Aufgabe war es ja nur, mit dem Bohrer zu a r b e i t e n. Wenn aber kein Bohrer da war, gab’s auch nichts zu arbeiten. So einfach war die Sache für sie. Billbo dagegen hatte den Joker gezogen. Weil er nun mal für die technische Ausrüstung zuständig war, die ja jetzt zum größten Teil nicht mehr anwesend war, musste er sich zuerst das wütende Gebrüll und dann die Drohung seines Chefs anhören, dass der Bohrer unverzüglich, egal wie, wieder zu bohren habe, ansonsten den Zuständigen ein fürchterliches Unglück ereilen würde.
Hatte Billbo zuerst noch gehofft, dass der Verschwundene vielleicht doch wieder noch irgendwie auftauchte, wurde ihm langsam klar, dass sich diese Erwartung nicht erfüllen würde. Was blieb also zu tun? Den Bohrer suchen, aber wo? Da es an Deck und in der Luft ziemlich überschaubar war, bot sich als naheliegendste Möglichkeit tatsächlich nur noch an, unter ihnen im Meer nachzusehen. Was sich darin alles verstecken ließ, hatten vor ihm schon ganz andere entdeckt. Allerdings war das auch der unangenehmste und feuchteste Ort um nach verschwundenen Sachen zu suchen. Dachte er jedoch an seinen wütenden Chef, wurde ihm sofort klar, dass er keine andere Wahl hatte.
In der Gerätekammer zwängte er sich in einen Taucheranzug. Pressluftflaschen und Ausrüstung waren stets einsatzbereit um in Notfällen auch unter Wasser nötige Reparatur- oder Rettungsarbeiten ausführen zu können. Mitleidig grinsend guckten ihm die Arbeiter nach, als er unbeholfen wie ein Astronaut mit den unhandlichen Schwimmflossen, die etwa der Schuhgröße zweiundneunzig entsprachen, zurückkam und über die Plattform tapste. Die Flaschen auf seinem Rücken drückten schwer und zogen ihn fast hinten über. Unter Wasser würde sich das ja ändern, tröstete er sich. Aber auch da sollte er noch eine Überraschung erleben.
Am Rand der Plattform führte eine Leiter zum Wasser hinunter. Weil ihm der Sprung von oben zu gewagt erschien, entschied er sich für den langsamen Abstieg. Vielleicht lag es am eingeschränkten Sichtfeld, vielleicht war er auch nur einen Augenblick unaufmerksam. Auf alle Fälle hatte er gerade mal die dritte Sprosse erreicht, als er nicht mit dem vollen Fuß aufsetzte, eine der Flossen umknickte und ihn abrutschen ließ. Weil das so überraschend kam, gelang es ihm auch nicht mehr sich richtig festzuhalten. Mit den Händen umklammerte er zwar noch den Handlauf beider Seiten, sauste dann aber so, aufrecht stehend und Sprosse für Sprosse mit den Gummiflossen abklatschend, mit einem "Flapp flapp flapp flapp" eilig dem Wasser entgegen. Seinen langgezogenen Schrei deuteten die Arbeiter oben als vermeintliches Triumphgeheul darüber, den Bohrer schon entdeckt zu haben. Alle stürzten zum Rand der Plattform um ihm nachzusehen. Aber nur die ersten bekamen noch mit, wie Kopf und in die Höhe gerissene Arme im schäumenden Meer verschwanden.
Billbo hatte natürlich gehofft, dass die rasante Fahrt spätestens durch das Wasser abgebremst und sich verringern würde, wurde aber gleich enttäuscht. Mit fast dem gleichen Schwung ging es nämlich unter Wasser weiter in die Tiefe. Vorbei an zwei erschreckt ausweichenden U-Booten ohne Hoheitsabzeichen und einem staunenden Makrelenschwarm setzte er seine wilde Fahrt zum Meeresboden fort. Die Luftflaschen fühlten sich dabei auch nicht wie erhofft leichter an, sondern drückten vielmehr ähnlich schwer auf seinen Rücken wie vorher. In der Eile hatte Billbo nämlich zur erstbesten Taucherausrüstung gegriffen ohne zu bemerken, dass die Quassel Dollfuur gehörte, einem der auf der Plattform arbeitenden Männer. Weil der jedoch nicht schwimmen konnte, sich aber trotzdem schon immer gern im Wasser aufhielt war er automatisch zum Unterwassersport gekommen. Inzwischen war er ein begeisterter Speed-Taucher, der in ständig neuen Anläufen versuchte, den Geschwindigkeitsrekord im Hundertmeter-Tieftauchen zu brechen. Obwohl der immer noch von einem zwei Tonnen schweren Granitblock aus Italien mit handgestoppten sechskommasiebenunddreißig Sekunden gehalten wurde, gab Quassel nicht auf. Dank seiner Spezial-Ausrüstung, die komplett, einschließlich der beiden Luftflaschen, Taucherbrille und Hosenträger aus Blei bestand, war er mit Achtkommaelf schon ziemlich nahe dran.
Das alles wusste Billbo aber nicht und konnte sich deshalb auch keinen Reim auf die flotte Schussfahrt machen. Zum geordneten Nachdenken hatte er sowieso keine Zeit, zu viele Gedanken sausten ihm durch den Kopf. Wie sollte er jemals wieder zur Bohrplattform zurückfinden? Wie lange würde der Sauerstoff in den Flaschen reichen? Und wenn er den Bohrer finden würde, wie sollte er ihn allein bergen?
Bevor aber die Verzweiflung total von ihm Besitz ergriff, endete sein schwungvoller Sinkflug und Billbo landete unsanft in einer Korallenbank auf dem Meeresgrund. Etliche Arme des verzweigten Gewächses hatte er dabei abgebrochen und zertrümmert, damit aber auch gleichzeitig seinen Aufprall gemindert. Wäre es um ihn herum nicht so dunkel gewesen, hätte er sogar noch gesehen wie eine ärgerliche und nur leicht verletzte Muräne, die er mit seiner Landung obdachlos gemacht hatte, sich langsam davon trollte. Wie in Zeitlupe erhob er sich aus der geschredderten Korallenbank und fand sich vom aufgewühlten Schlick in düstere Finsternis gehüllt.
Mit den unterschiedlichsten Dunkelheitsabstufungen kannte er sich zwar aus, aber diese feuchte Dunkelheit war ihm nicht geheuer. Allein seine Stirnlampe schickte einen schmalen Lichtstrahl hinaus in die Fremde, der aber kaum ausreichte den Boden auszuleuchten wenn er den Kopf senkte und wohl auch nur eine begrenzte Lebensdauer hatte. Umso interessierter fand er das schwache Leuchten, dass er in einiger Entfernung zu sehen glaubte. Mehrmals zwinkerte er mit den Augen um eine mögliche Täuschung auszuschließen und wischte vorsichtshalber auch noch mal über das Glas der Taucherbrille, aber das diffuse gelbliche Licht blieb wo es war. Billbo ging in die Hocke, spannte seine Muskeln und stieß sich kraftvoll in Richtung des Lichtes ab. Der erwartete weite Satz den man im Wasser hätte erwarten können blieb aber komplett aus und das lag nicht nur an der schweren Ausrüstung, die ihn gleich wieder auf den Boden zog. Vielmehr prallte er mit dem Kopf voran unsanft gegen etwas fürchterlich Hartes und landete erneut auf dem Boden, fast auf der Stelle von der er abgesprungen war.
Wegen dem Sauerstoffventil im Mund konnte er nur leise in sich hineinstöhnen als er mit den Händen nach dem Übeltäter tastete. Anscheinend stand er direkt vor einer der stählernen Stützen mit der die Bohrinsel auf dem Meeresgrund verankert war und hatte diese bei seinem Hechtsprung zielsicher angesprungen. Abgesehen von einer Beule die sich oberhalb seiner Stirn bildete, einem kleinen Sprung im Glas der Taucherbrille und mittlerem Hirnsausen schien der Unfall aber glimpflich abgegangen zu sein. An der gerade angesprungenen Stütze zog er sich hoch auf die Beine und machte sich nach einer Verschnaufpause vorsichtig tappend zu Fuß auf den Weg zum immer noch schimmernden Licht. Je dichter er aber kam um so weniger traute er seinen Augen, denn als er das Ziel erreicht hatte, steckte vor ihm im Meeresboden ein Blitz.
So wie es aussah musste der hier schon vor langer Zeit eingeschlagen und steckengeblieben sein. Mehr als zehn Meter ragte er wohl in die Höhe. Stellenweise war er schon von Algen überwuchert und hatte dadurch viel von seiner Helligkeit eingebüßt. Trotzdem schaffte er es immer noch das Umfeld in etwa drei bis vier Metern gut auszuleuchten. Zum ersten mal sah Billbo solch ein Naturphänomen aus der Nähe. Zögerlich näherte er sich und berührte den Blitz. Noch nie vorher hatte er Licht angefasst und war ganz überrascht wie gut sich das anfühlte.
Im Gegensatz zum Zeitpunkt des Einschlags hatte der Blitz aber auch fast vollständig seine Hitze verloren und Billbo spürte nur noch eine mäßige Wärme sodass er mit seinen Fingern immer wieder staunend darüberstrich. Da man sich im Licht des Blitzes gut orientieren konnte, knipste er seine Stirnlampe aus um den Akku für später zu schonen. Vielleicht ließ sich ja der Blitz zum Leuchten nutzen.
Einen der vielen seitlich vom Hauptblitz abstehenden kleineren Zacken griff sich Billbo, wackelte, bog und zog daran. Tatsächlich wurde der immer weicher und ließ sich anschließend sogar ohne große Mühe abbrechen. Er knickte auch alle weiteren Nebenblitze die er erreichen konnte ab und steckte sie sich hinter den Tauchergürtel als Reserve. Mit einem weiteren Zacken, hoch erhoben in der Hand, konnte er nun wie mit einer Fackel bei der Suche nach dem Bohrer wenigstens vernünftig seinen weiteren Weg ausleuchten. Zuerst wollte er aber dorthin zurück wo er gelandet war, denn viel weiter entfernt konnte der Bohrer doch eigentlich auch nicht sein wenn der wirklich im Meer versunken sein sollte. Starke Strömungen gab es hier jedenfalls nicht. Bei seinen weiteren Schritten voran fühlte er sich jetzt schon sicherer, weil er nun sehen konnte was vor ihm lag und er keine Angst mehr zu haben brauchte in irgendwelche Fallen zu tappen oder erneut gegen die Inselstützen zu laufen, dachte er jedenfalls.
Die erste Stütze tauchte nämlich schon wieder im Lichtschein auf und seine Beule pochte gleich ein bisschen mehr als das Blitzlicht auf den rostroten Schutzanstrich fiel. Nur vom Bohrer selbst war nichts zu sehen, was Billbo schon wieder an der Im-Meer-versunken-Theorie zweifeln ließ. Nur wenige Meter vor ihm änderte sich jetzt die Farbe des Meeresbodens und ließ ihn stutzen. Vorsichtig geworden, wollte er das näher untersuchen. Als er stehenblieb und die Zackenfackel höher reckte, fiel das Licht auf einen großen dunklen Fleck, wobei sich nur ganz langsam in seinem Hirn die Erkenntnis formte, dass der Fleck das Bohrloch war. Noch nachträglich stellten sich seine Nackenhaare auf, soweit das der Taucheranzug jedenfalls zuließ. Das hätte wohl sein Ende bedeutet, wenn er statt gegen die Stütze zu laufen in das Bohrloch gestolpert wäre. Aber wie es nun aussah blieb ihm nichts anderes übrig, als in dem Loch nach dem Bohrer zu suchen. In gebührendem Abstand stapfte er erst einmal drum herum, wobei er sich immer mal wieder zu den Seiten umsah. Vom Bohrer war aber auch weiterhin nichts zu sehen. Sollte der wirklich tief im Bohrloch stecken geblieben sein?
Billbo reckte seinen Leuchtzacken so hoch es ging, aber der Lichtschein schaffte es nicht das Dunkel im Loch zu durchdringen. Also musste er noch näher heran. Gleichzeitig fiel ihm aber auch ein, dass zur Taucher-Ausrüstung immer ein Sicherungsseil gehörte, das eigentlich am Gürtel unter den Bleigewichten befestigt war. Tatsächlich wurde er da fündig, allerdings hatte das nur eine Länge von etwa einem Meter. Was sollte man denn damit anfangen? Enttäuscht ließ er sich das kurze Seil durch die Finger gleiten, bis er einen merkwürdigen Knopf daran entdeckte. Über dessen Funktion staunte er nun aber nicht schlecht. Weil Quassel Dollfuur viel im Wasser unterwegs war, vertraute der natürlich nur dem besten Material und verfügte auch stets über die neuesten Neuigkeiten die es auf dem Markt gab. So verwandelte sich die Sicherungsleine jetzt auf Knopfruck nämlich zu einem ausziehbaren Teleskopseil. Das eine Seilende war am Tauchergürtel befestigt, das andere schlang er um die Stütze neben ihm.
So gesichert näherte sich Billbo dem Rand des Bohrlochs. Wenn das Seil arretierte, drückte er den Knopf und konnte so wieder einen weiteren Meter gehen. Unmittelbar vor dem Loch angekommen, sah er, wie vom Rand immer wieder kleinere Stücke des Meeresbodens ausbrachen und in der Tiefe verschwanden. Zwar schauderte es ihm bei diesem Anblick, aber angeseilt fühlte er sich doch genügend abgesichert. Leicht nach hinten geneigt legte er sich ins Seil und näherte sich rückwärts dem Loch, das wohl im Durchmesser etwas größer als ein Straßengully sein mochte. Stück für Stück wollte er sich so wie ein Bergsteiger abseilen und hoffte den Bohrer bald sehen zu können, wenn der denn tatsächlich darin stecken sollte. In den folgenden Minuten drückte er ohne besondere Angst ein ums andere mal den Knopf und gelangte so Meter für Meter ganz sachte immer tiefer in das Bohrloch hinab. Seine im Gürtel steckenden Zackenblitze leuchteten dabei die enge Umgebung gut aus und Billbo war ganz zuversichtlich, den Bohrer bald zu entdecken.
Was er aber nicht wusste war, dass Quassel zwar das neueste Hightech-Seil besaß, dieses aber technisch noch nicht ganz ausgereift war. In diesem Falle stellte sich der klitzekleine Mangel so dar, dass sich das oben festgebundene Seilende automatisch löste, ganz egal wie fest es verknotet war, wenn die Maximallänge des ausziehbaren Seils erreicht war, der Nutzer aber weiter den Knopf betätigte. Das war zwar purer Unsinn, vermittelte dem Nutzer aber eine Zeitlang den beruhigenden Eindruck, er könne mit seinem totschicken Seil unendliche Weiten erreichen. Quassel selber hatte das Seil natürlich noch gar nicht genutzt und deshalb …
Gut und gerne zehn Meter tief hatte sich Billbo schon abgeseilt und drückte erneut den Knopf, als …
Hossa, fast wie vorhin bei der rasanten Fahrt zum Meeresboden, nahm plötzlich die Abwärtsgeschwindigkeit rapide zu. Billbo fühlte sich aber trotzdem weiterhin auf der sicheren Seite weil er das Seil ja fest in Händen hielt. Selbst als ihm das lockere Seilende von oben über die Schulter fiel, schöpfte er noch immer keinen Verdacht. Indem er das Seil noch fester umklammerte dachte er an die alte Bergsteiger-Regel: Seil in der Hand, Gefahr gebannt.
Allein die Tatsache, dass die Sauerstoff-Flaschen jetzt immer öfter an der Wandung anschlugen und ihn dabei ruckartig abbremsten bereitete ihm Sorgen. Wenn er sich hier in dieser Tiefe verhakeln würde, wäre es aus mit ihm und er käme weder vor noch zurück. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er den Knopf gar nicht mehr drücken brauchte und trotzdem immer tiefer ins Loch hinab geriet. Mit dem Zurück könnte es deshalb vielleicht problematisch werden. Ohne seinen verkrampften Griff zu lockern betrachtete er sich besorgt das Seil das anstatt nach oben in die Dunkelheit zu führen, nur noch lose über seiner Schulter baumelte. Könnte man sich so wieder nach oben ziehen? Per Hebelkraft oder so …? In der Schule war er zwar nicht der Klassenprimus gewesen, hängen geblieben war aber doch, dass der Hebel wenigstens an einem Ende e i n e n festen Punkt haben musste. Ob es jetzt wohl reichte, wenn er das Ende in seinen Händen als den benötigten festen Punkt benannte? Bevor er aber zu einem Ergebnis kam, schrillten in seinem Kopf schon die Alarmglocken und alle Zellen wurden aufgefordert, an einer gleich beginnenden Panik teilzunehmen. Klare Gedankengänge ließ sein Hirn nun nicht mehr zu und schaltete auf Katastrophen-Modus. Billbo wusste daher auch nicht gleich, was es zu bedeuten hatte als plötzlich ein heftiger Ruck die Talfahrt abrupt stoppte. Unter den rudernden Beinen spürte er noch keinen festen Boden, also konnte er auch noch nicht auf dem Grund des Bohrlochs angekommen sein. Es dauerte eine ganze Weile bis er begriff, dass sich die Luftflaschen auf seinem Rücken wohl irgendwo an der Wandung verhakt hatten und ihn nun wie einen kostümierten Jesus-Darsteller an die Wand genagelt festhielten. Still hing er da und versuchte mit den freien Restkapazitäten seines Hirns eine Lösung zu finden als er vor sich an der gegenüberliegenden Wand eine Bewegung wahrnahm. Keine fünfzig Zentimeter vor ihm lugte aus einem Hohlraum in der Wand ein Wurm heraus. So starr wie der ihn ansah, hätte man meinen können, er wäre Mitglied einer Glaubensgemeinschaft, dem gerade der gekreuzigte Heiland erschienen sei. Von Billbos Luftschlauch stiegen drei dicke Bläschen auf und flüchteten erschreckt in die Höhe. Darüber wiederum schien der Wurm zu erschrecken und zog sich windend in seinen finsteren Gang zurück.
Das ist es, ging es Billbo durch den Kopf: Winden, ich muss mich aus den Trägern der Pressluftflaschen herauswinden. Und mit ähnlichen Bewegungen mit denen sich gerade der Wurm verabschiedet hatte, versuchte er nun selber aus den Trägern zu schlüpfen. Durch die Enge des Bohrlochs in dem er sich befand war das aber eine ziemlich qualvolle Angelegenheit. Nur mühselig kam er voran. Einen Arm hatte er schon hervorgezogen als das Flaschenpaket ruckte und etwas nach unten sackte. Billbo versuchte eine halbe Drehung und zog auch den zweiten Arm heraus. Im gleichen Moment lösten sich die Flaschen aber auch von der Wand und setzten ihren Weg in die Tiefe fort.
Hui, dachte sich der Atemschlauch, da muss ich hinterher. Und schon ruckte es mächtig an Billbos Kopf. Trotz der Enge machte er eine gehockte Rolle rückwärts. Zwar nicht freiwillig, aber die schweren davoneilenden Flaschen ließen ihm keine Wahl und rissen ihn kopfüber weiter mit in die Tiefe.
Zwar hatte er sich noch reflexartig im Mundstück verbissen, hielt das aber nicht lange durch. Sein plombierter Eckzahn begann derart zu schmerzen, dass er sich genötigt sah, den Mund zu öffnen und das Mundstück loszulassen. Im Nu verlangsamte sich seine Sinkgeschwindigkeit, die Zahnschmerzen ließen nach, aber sein Hirn gab dafür eine neue Alarmmeldung heraus: Achtung Achtung …Wassereinbruch im Oberdeck!
Ach richtig, dachte Billbo, ich hätte den Mund zulassen sollen. Im fahlen Licht seiner Zackenblitze waren die Flaschen unter ihm schon weit enteilt und nicht mehr zu sehen. Allein die von unten aufsteigenden, ihn wild umtanzenden Luftbläschen zeigten an, dass sich irgendwo dort unten die dringend benötigte Atemluft befand. Soweit er seine Augen aber auch aufriss, unter ihm und um ihn herum befand sich nur sprudelndes Wasser. In dieses Durcheinander hinein meldete sich auch noch seine Lunge: Hee, uns geht die Luft aus …ich sehe mich in wenigen Sekunden gezwungen die Atmung einzustellen. Dann mach ich aber auch nicht mehr mit, kam nörgelnd die prompte Botschaft des Herzens. Na holla, dann haben wir aber wohl bald ein Problem, meldete sich das Hirn, das sonst ja eigentlich als oberste Vernunftbehörde bekannt war.
„Ach was …“, sagte Billbo und machte den Mund dazu wieder auf, wobei seine Worte gurgelnd und glucksend vom Meerwasser begrüßt wurden.
Ich habe euch jedenfalls gewarnt, hörte er seine Lunge noch einmal schimpfen, was aber vom S-O-S-Ruf des Herzens ziemlich übertönt wurde. Billbo selbst wurde immer ruhiger und hatte plötzlich weder Angst noch Eile. Er war sich ganz sicher, am unteren Ende des Bohrlochs seine Luftflaschen wiederzufinden. Ob er die aber überhaupt noch brauchte? So frei und unbeschwert wie im Moment hatte er sich noch nie gefühlt. Auch das Bohrloch war jetzt gar nicht mehr so eng. Selbst die Arme konnte er nun weit ausbreiten ohne irgendwo anzustoßen. Komischerweise drangen sie einfach in die Wand ein. Lachend drehte er übermütig Piouretten und ließ sich zufrieden weiter und weiter hinabgleiten. Fast hatte er den Eindruck, Bewegung und Geschwindigkeit durch seine Gedanken beeinflussen zu können.
Um sich herum alles vergessend hätte er wohl so endlos weiter treiben können, wenn nicht im Schein des Zackenlichts die verlorenen Luftflaschen aufgetaucht wären. Einfach so lagen sie da und blubberten nur noch spärlich vor sich hin, was wohl heißen sollte, dass der Sauerstoffvorrat sich dem Ende zuneigte. Auf alle Fälle aber hatte Billbo offensichtlich die tiefste Stelle des Bohrlochs erreicht. Komischerweise schwebte er jedoch an den Flaschen vorbei und tauchte in eine schwammig-patschige Masse ein. Aber auch die hielt seine Reise nicht auf. Mit gleichem Tempo verschwand er darin und landete, halb plumpsend halb schwebend, Augenblicke später in einem großen Saal. Wasser, das seinen Sturz hätte abfedern können gab es hier plötzlich nicht mehr. Allerdings behütete ihn sein neuer Zustand vor Verletzungen.
Als wäre nichts geschehen, erhob er sich und schob sich verwundert darüber wo er hier wohl gelandet war, die Taucherbrille auf die Stirn. Als er sich umdrehte, erschrak er heftig. Vor ihm standen zwei Gestalten in schwarzem Fell mit rotfunkelnden Augen und starrten ihn an.
*