Читать книгу Hölle vs Himmel - reiner nawrot - Страница 5

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Mehrere Uniformierte bewachten die Tür des Konferenzsaals. Die zwei sich gegenüberstehenden Tischreihen im schmucklosen Saal dahinter waren für die beiden Verhandlungsdelegationen vorbereitet und einige wenige Teilnehmer der weißen Delegation hatten daran schon Platz genommen. Sie blätterten in ihren Unterlagen wobei sie aber einen ziemlich nervösen Eindruck machten. Immerhin sollte die heutige Verhandlung zu einem endgültigen Ergebnis führen. Zumindest hatte die schwarze Seite darauf bestanden, endlich zu einem Abschluss zu kommen. Für die Weißen stand viel auf dem Spiel weil sie die jährliche Entschädigungssumme, die von den Schwarzen verlangt wurde, kaum noch aufbringen konnten. Und nun forderte die schwarze Seite sogar noch eine drastische Erhöhung. Wenn nicht, dann …

Was das bedeuten könnte, mochte sich von den Weißen noch niemand vorstellen. Es würde womöglich ihr Ende besiegeln.

Fast gleichzeitig betraten Gottlieb und Gottfried, die linker und rechter Stellvertreter von Allmächtiger dem Chef der Weißen waren, den Saal. Mit dicken Aktentaschen beladen suchten sie ihren Platz am Verhandlungstisch auf. Während ihre Delegation damit vollzählig war, fehlten auf der anderen Seite noch viele. Gottlieb rückte seinen Stuhl zurecht und verschaffte sich einen ersten Überblick, dann beugte er sich zu Gottfried. „Ob tatsächlich alle wichtigen Schwarzen kommen?“

Gottfried verzog nur vielsagend den Mund.

„Wenn es heute abschließende Ergebnisse geben soll, müssten sich ja wohl kompetente Verhandlungspartner blicken lassen.“

Die offene Frage beantwortete sich im nächsten Augenblick aber schon von allein. Nur angeführt vom mittleren Management kamen die restlichen Delegationsmitglieder der Schwarzen fast tänzelnd im Gänsemarsch hereinspaziert, wobei sie angeberisch, wohl nur um zu zeigen dass sie der Zauberei mächtig waren, ihre Akten und Unterlagen vor sich herschweben ließen. Ihre grinsenden Gesichter zeigten deutlich an, wie sie sich in dieser Auseinandersetzung einschätzten, nämlich als die eindeutig Stärkeren. Leise tuschelnd und kichernd nahmen sie Platz um gleich darauf mit teils spöttischen, teils interessierten Blicken ihre Gegenüber zu mustern.

Es kam ja auch nicht so oft vor dass sich beide Seiten so nahe waren. Die Weißen dagegen erwiderten die Blicke nur flüchtig und signalisierten schon durch ihre Körpersprache: Tut uns nichts, und wenn doch, dann wenigstens nicht soviel.

Nachdem sich die Türen geschlossen hatten, erhob sich bei den Schwarzen ohne Umschweife Ichsachmaa, in dessen Fell sich schon etwas Grau zeigte. Er war der Älteste und damit auch der ranghöchste seiner Delegation. Mit knappen Worten begrüßte er die Anwesenden, um nach einem kurzen Abriss des bisherigen Verhandlungsstandes mit einer für die Weißen gefühlten Provokation zu enden.

„Auf alle Fälle sind wir die ewigen Kartoffeln Leid …endgültig. Und deshalb muss sich etwas ändern.“

Bestürzte Blicke der Weißen trafen sich ziemlich in der Mitte des Saals mit den recht übermütigen Blicken der anderen Seite. Schon seit Jahrhunderten bestand doch der Deal darin, den Schwarzen für ihr Schweigen Kartoffeln zu liefern. Und jetzt so was? Leichte Unruhe machte sich bei den Weißen breit, bis Gottfried das Wort ergriff.

„Aber ihr wart doch bisher immer so zufrieden damit …sie sind handlich …machen satt und überhaupt... mal was anderes als immer nur Kohlen.“

Ichsachmaa schüttelte unwirsch den Kopf.

„Bisher …bisher …die Zeiten ändern sich auch mal. Die Menschheit verfügt über soviel neue Dinge, da sollten w i r es nicht nur bei Kartoffeln belassen.“

Gottfried räusperte sich.

„Und an was habt ihr gedacht?“

Auf der schwarzen Seite stieg die Stimmung weil ihre Erwartungen sich auf den Weg machten in Erfüllung zu gehen.

Ichsachmaa verzog schmunzelnd den Mund.

„Nun ja …man hört immer wieder von Champagner und solchen Sachen …Kaviar, Hummer, Austern und so …“

Den Weißen verschlug es kollektiv die Sprache. Irritiert wechselten sie fragende Blicke, tuschelten untereinander und sahen immer mal wieder verstohlen zu dem Redner. Gehört hatten sie von solchen Dingen auch schon, wussten aber nichts Genaues darüber, nur dass sich gelangweilte dekadente Menschen gern mit diesen Dingen umgaben. Sollten man sich diese Provokation nun also gefallen lassen? Was waren denn das für Sprünge, von Kartoffeln zu Austern und Champagner?

„Aber Champagner …ist doch irgendwie …ähhh …größer und auch viel mehr wert als Kartoffeln.“

Ichsachmaa zuckte nur wortlos mit den Schultern ohne sein selbstgefälliges Grinsen abzustellen und deutete damit an, auf eine aussagekräftigere Antwort zu warten. Gottfried schluckte.

„Ihr habt doch aber damals selbst gesagt, dass gerade die F o r m der Kartoffel bestens dazu geeignet wäre …“, dabei bildete er mit Daumen und Zeigefinger einen nicht ganz runden Kreis, „…sie vor den Arbeitern eures Volkes zu Seelen von verstorbenen Menschen zu verklären.“

Das Grinsen des schwarzen Redners wurde noch breiter.

„Sie haben uns das ja auch geglaubt. Warum sollten Seelen denn aber nicht unterschiedlich geformt sein und auch mal die Größe von Champagner erreichen. Woher sollten denn die Arbeiter überhaupt wissen wie die Seelen aussehen?“

Gottfried und Gottlieb sahen sich an und berieten in einer kurzen, hektischen Flüsterrunde, während sie in ihrem „Buch der unbekannten Dinge“ nachschlugen. Jetzt erfuhren sie auch etwas mehr über Champagner und die Form seiner Verpackung. Mit neuen Argumenten bewaffnet versuchte Gottfried anschließend die Unverschämtheiten doch noch abzuwehren.

„Champagner gibt es aber nur in diesen harten Dingern …die F l a s c h e n heißen, und die kann man nicht so gut ins Fegefeuer werfen. Die dürfen auch nicht erhitzt, sondern müssen gekühlt werden. Was wollt ihr denn dann euren Arbeitern sagen?“

„Dann sollen sie sie eben in den Kühlschrank stellen, warmer Champagner soll ja sowieso nicht schmecken habe ich gehört. Und ewige Eiseskälte hört sich doch ähnlich schlimm an wie Fegefeuer. W i e und w a s wir unseren Arbeitern erzählen, darum macht ihr euch man keine Sorgen.“

Gottfried und Gottlieb berieten sich erneut im Flüsterton. Ihre Strategie kam ins Schlingern und sämtliche vorbereiteten Argumente waren plötzlich wie Seifenblasen zerplatzt. Auch von den restlichen Delegationsmitgliedern, die jetzt ihre Köpfe dazusteckten, kamen keine zündenden Ideen. Und so wie man bei einem angeschlagenen Boxer nachsetzt um ihm den endgültigen Knockout zu versetzen, meldete sich Ichsachmaa gleich wieder zu Wort.

„Eigentlich müsste euch das doch entgegen kommen. Ihr habt doch selber schon gejammert dass ihr nicht mehr soviel Kartoffeln besorgen könnt.“

Gottfried zog ein entschuldigendes Gesicht.

„Na ja die eine oder andere Missernte mehr kann man den Menschen schon vorgaukeln, aber ob und wo man bei ihnen Champagnerflaschen in d e n Mengen abzweigen kann …hmm …das weiß ich nicht.“

Ichsachmaa, der diese edlen Dinge ja nur vom Hörensagen kannte, guckte ehrlich verdutzt bevor er antwortete.

„Sind denn bei Champagnerflaschen keine Missernten möglich?“

Nun sahen sich die Weißen untereinander belustigt an und kicherten über die scheinbar etwas unterbelichteten Provinzler auf der anderen Seite des Tisches. Obwohl sie ja gerade selber erst aus dem <Buch der unbekannten Dinge> erfahren hatten, dass es sich bei Champagner um eine Flüssigkeit handelte, die in Flaschen aufbewahrt wurde.

Argwöhnisch registrierte Ichsachmaa diese Reaktion. Ausgelacht zu werden war für ihn schlimmer als über ein frisch gestrichenes Kruzifix zu stolpern. Auf seiner Stirn bildeten sich drei Zornesfalten, die den Weißen aber verborgen blieben. Vergnüglich lachten die immer noch ausgelassen, wobei sie sich vorstellten, wie Menschen auf Leitern stehend die Champagnerflaschen vom Baum pflückten, oder per Spaten aus der Erde wühlten. So hatten sie sich ja schon lange nicht mehr amüsiert.

Über das nicht enden wollende Gelächter wurde Ichsachmaa aber immer ungehaltener und bockig versuchte er eine andere Strategie.

„Ach …sollten wir vielleicht doch den Menschen einen Tipp geben, dass ihre Seelen gar nicht ins Fegefeuer kommen …und ihnen auch verraten, wohin ihre Kartoffeln verschwinden …und dass i h r es mit der Wahrheit nicht immer so ganz genau nehmt?“

Schlagartig war das Gelächter verstummt, und Ichsachmaa schrieb sich im Stillen auf seinem imaginären Kriegs-Konto einen weiteren Punkt gut. Gottfried wischte sich verlegen die letzte Lachträne aus dem Auge und wurde wieder Ernst.

„Natürlich sind wir an einer Einigung interessiert …nur eben diese Mengen?“

Ichsachmaa wurde wieder gelassener als er sah dass er genau an der richtigen Stelle angesetzt und nun einen Fuß in der Tür hatte.

„Wir können ja erst mal klein anfangen. Sagen wir mal …zu jedem Sack Kartoffeln gibt’s eine Kiste Champagner.“

Die Weißen bekamen große Augen und die Schwarzen neben Ichsachmaa rieben sich erwartungsvoll die haarigen Hände. Zwischen ihrem glucksenden Gekicher waren immer wieder Wortfetzen zu hören.

„Genau, zum nachspülen …das fetzt …endlich wird’s mal lustig …“

Gottfried, der die auf Antwort wartenden Blicke von Ichsachmaa auf sich gerichtet sah, knabberte auf seiner Unterlippe bevor er langsam mit dem Kopf schüttelte.

„Das schaffen wir nicht …das ist zuviel.“

„Z w e i Säcke und eine Kiste …“, kam Ichsachmaas verbessertes Angebot wie aus der Pistole geschossen.

Gottfried, der als Gewerkschafts-Mitglied in anderen Sphären lange der Tarikkommission angehört hatte, kannte dies Prozedere aus vielen Verhandlungen nur zu gut. Er beugte sich zur Seite und beriet sich einen Moment flüsternd mit Gottlieb bevor er wieder zu Ichsachmaa sah. „Wir beantragen eine Beratungspause.“

Zufrieden über die verunsicherten Weißen nickte Ichsachmaa generös. Auch die anderen Schwarzen sahen die Verhandlung auf einem guten Weg. Während die weiße Delegation auszog um in einem der kleineren abhörsicheren Nebenräume über das Angebot zu beraten, wurde auf der anderen Seite eine Zigarettenpause ausgerufen. Die Stimmung bei den Schwarzen war gut, bestand doch die Aussicht, dass das Leben bald viel bunter würde. Kartoffeln waren ja nicht schlecht, aber irgendwann wurden eben auch die leckersten Aufläufe, mit Käse überbackenen Gratins, Folienkartoffeln oder sonst irgendwie kreativ angerichteten Kartoffelgerichte langweilig. Und da die Weißen ja offensichtlich seeehr an der weiteren Verschwiegenheit der Schwarzen interessiert waren, mussten sie eben auch umfassendere Zugeständnisse machen, ganz einfach. Und warum sollte es dann nicht möglich sein, sich zu beiderseitiger Zufriedenheit zu einigen.

Bei den Weißen sah es dagegen eher düster aus. Einige waren dafür, diesen zwar unverschämten Forderungen trotzdem nachzugeben um wieder Ruhe einkehren zu lassen. Andere dagegen forderten, die Verhandlungen abzubrechen und es einfach drauf ankommen zu lassen um die schwarzen Erpresser ein für allemal loszuwerden. Auch auf die Gefahr hin, dass der Menschheit dann bekannt würde, dass statt der Seelen nur ihre Kartoffeln ins Fegefeuer wanderten.

„Aber wenn keine Strafen mehr drohen wird auch niemand mehr zu uns beten. Unsere jetzt schon immer kleiner werdende Schar der Anhänger wird weiter schrumpfen bis wir alle in Vergessenheit geraten. Niemand wird uns mehr brauchen …“

Der Schriftführer der Weißen hatte das mit besorgter Stimme vorgetragen. Bevor aber jemand antworten konnte, hob Gottfried die Hand und mahnte zur Stille. In seinem Kopf meldete sich die Stimme von Allmächtiger.

Alle Götter haben ja die Möglichkeit untereinander auch über sehr weite Entfernungen per DLMVHZH (Direkte lautlose Mitteilung von Hirn zu Hirn) zu kommunizieren. Diese Methode hatte mehrere Vorteile. Zum einen benötigte man keine Geräte, dessen Akkus in entscheidenden Momenten sowieso immer leer waren, und zum anderen brauchte niemand Angst vor ungebetenen Mithörern zu haben, da diese Übertragungstechnik mit Flüsterfaktor zwölf arbeitete. Wurde jedoch gewünscht, andere mithören zu lassen, konnte bei Empfang auch die Lautstärke geregelt werden. In diesem Fall funktionierten dann die Ohrmuscheln des Empfängers ähnlich wie der Schalltrichter beim Megaphon. Diese Funktion wählte Gottfried nun um alle Beteiligten an der Nachricht teilhaben zu lassen. Weil aber aus seinen Ohren auch Haare wuchsen, klangen Allmächtigers Worte wie durch dichtes Unterholz kletternde Mäuse, raschelnd und besorgt.

„Ich habe die Verhandlung mit angehört …nehmt die Bedingungen an, uns bleibt keine andere Wahl. Beendet das unwürdige Geschacher.“

Ein Knacken folgte, dann waren nur noch leise Schritte zu hören, die wohl von Gottfrieds Gedanken kamen, die im Gehirn wandernd auf- und abgingen. Eilig schaltete er den Außenempfang ab um sich bei seiner Verwirrung nicht zuhören zu lassen, sah dann aber gehorsam in die Runde.

„Ihr habt es gehört …es gibt nichts mehr zu beraten.“

Betroffenes Schweigen wurde von resigniertem Nicken begleitet. Zögerlich packten sie ihre Unterlagen zusammen und gingen mit dem bitteren Gefühl einer Niederlage in den Verhandlungssaal zurück. Gottfried versuchte zwar noch durch taktisches Geplänkel Zeit zu gewinnen und alles so erscheinen zu lassen, als würde man hart weiterverhandeln wollen, stimmte dann aber letztendlich den Forderungen zu.

Am Ende sah der neue Vertrag vor, dass erst einmal zehn Kisten Champagner geliefert und zur Probe verkostet werden sollten. Bei Gefallen würden anschließend im Jahr zweitausend Kisten fällig, wobei sich die Menge der Kartoffeln aber um fünf Prozent verringern würde. Vom darauffolgenden Jahr an kämen dann noch probeweise für ein Vierteljahr hundert Austern pro Monat dazu, die bei guter Verträglichkeit automatisch zum festen Vertragsbestandteil werden sollten.

Während die Schwarzen auf einer kurzen Dauer des Vertrages bestanden, um dann bald wieder neue, noch höhere Forderungen stellen zu können, gelang es den Weißen aber die Laufzeit, und damit die Dauer des weiteren Schweigens, auf erst einmal beruhigende neunundneunzig Jahre festzuschreiben.

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Hölle vs Himmel

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