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2. Jeff Robinsons Erzählung

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Wir beschlossen, nicht auf der kleinen Lichtung zu bleiben, sondern das Wasser aufzusuchen, das ja schon der junge Weiße zu finden beabsichtigt hatte. Erst einmal holte Winnetou unsere beiden Rappen zu uns, dann übernahm der Apatsche die Führung. Es war immer wieder erstaunlich: Mein Blutsbruder ging nie fehl. Mit traumwandlerischer Sicherheit fand er den munter sprudelnden Bachlauf, obwohl er, wie ich, noch nie in dieser Gegend gewesen war.

Wir ließen die Tiere tüchtig saufen, legten uns dann selbst an den Uferrand und tranken, bis wir uns genug erfrischt fühlten, leerten den Rest warmen Wassers aus unseren Feldflaschen und füllten sie mit dem frischen, kühlen Nass.

Nun konnten wir uns mit dem Befreiten erst einmal ausgiebig bekannt machen. Immer wieder setzte der junge Mann zu überschwänglichen Dankesreden an, die ich genauso oft – vom Thema ablenkend – unterbrach. Mich interessierte mehr, was ihn ohne jede Begleitung in die Wildnis getrieben hatte.

Eines hatte er ja schon in den Banden an der Pinyan-Kiefer den Kiowas offenbart, nämlich, dass er auf der Jagd nach dem Mörder seines Bruders war.

„Wollt Ihr uns nicht erzählen, wieso Ihr hier mutterseelenallein im Jagdgebiet der Komantschen und Kiowas unterwegs seid?“

„Ach, das ist doch ausschließlich eine persönliche – äh – sprich meine eigene Angelegenheit.“

„Wer weiß, vielleicht kann das ja auch noch unsere Angelegenheit werden.“

„Was habt Ihr schon mit mir und meinem Schicksal zu schaffen.“

„Mit Eurer Befreiung aus den Fängen der Kiowas hat es zumindest schon einmal angefangen.“

„Das ist wohl wahr!“

„Ansonsten wissen wir nur, dass Ihr den Mörder Eures Bruders verfolgt.“

„So ist es! Das habt Ihr also gehört, als Ihr die Kiowas belauscht habt.“

„Ja, aber mehr wissen wir nicht. Wollt Ihr uns nicht erzählen, wie es zu dem Mord und Eurer Verfolgung kam?“

„Eigentlich bin ich nicht schwatzhaft und versuche, immer allein mit aller Unbill des Lebens zurechtzukommen, aber Euer geradezu legendärer Ruf eilt Euch natürlich voraus. Selbst ich habe schon viel Gutes von Euch gehört, und dass Ihr beide immer auf der Seite von Recht und Gerechtigkeit steht; so kann es ja wohl zumindest nicht schaden, wenn ich Euch die Geschichte kurz erzähle.“

Winnetou holte einige gebratene Fleischstreifen aus seinem Proviantbeutel, die wir kalt verzehren konnten, während wir uns mit dem jungen Mann unterhielten.

„Unsere Namen kennt Ihr ja bereits, aber wie dürfen wir Euch ansprechen?“

„Oh, verzeiht, was für eine Unterlassungssünde. Natürlich sollt ihr meinen Namen erfahren. Ich bin auf den Namen Jeff getauft, mein Familienname ist Robinson.“

„Ihr betont das so seltsam, nennt Ihr Euch anders?“

„Nein, nein, meine Freunde rufen mich alle schlicht und einfach Jeff. Also tut das bitte auch.“

Wir setzten uns derweil auf ein grasiges Stück, nur wenige Schritte vom Bachlauf entfernt. Dann aßen wir unsere Bratenstücke.

Nachdem Jeff sein Stück geradezu gierig verschlungen hatte, fragte ich:

„Wollt Ihr noch mehr Fleisch?“

„Nein, nein, vielen Dank, ich bin satt. Ich weiß, es ist eine Unart von mir, ich bin geradezu ein Schnellesser, schon meine Mutter hat mich immer ermahnt, mein Essen nicht so herunterzuschlingen, aber ich kann mir das einfach nicht abgewöhnen. Doch nun also zu meiner Geschichte. Habt Ihr denn auch Zeit dafür?“

„Alle Zeit der Welt!“

„Dann sei es! Meine Eltern kamen vor fast fünfundzwanzig Jahren aus Gaillimh in der Provinz Connacht …“

„Oh, Eure Familie stammt also aus Irland!“

„Ihr kennt Euch aber gut in der Weltgeschichte aus, Mr. Shatterhand.“

„Ich bin schon viel herumgekommen. Aber Gaillimh wird doch heute bestimmt anders genannt, oder?“

„Ihr sagt es; im Englischen heißt unsere Geburtsstadt nun Galway. Meine Eltern hatten in der alten Heimat viel darüber gehört und gelesen, was vor allem die Deutschen in Texas neu aufgebaut haben, und wollten mit uns unbedingt eine der neuen Siedlungen deutscher Emigranten in Amerika aufsuchen, um dort ein besseres Leben zu beginnen, als es die alte Heimat ihnen ermöglichte. So landeten wir tatsächlich mit vielen deutschen Aussiedlerfamilien nach langen Monaten in Austin. Mein Vater konnte dort ein wenig Land pachten und dieses bebauen. Es reichte zwar gerade nur so zum Leben, aber doch ging es uns immer noch tausendmal besser als in Irland, wo wir oftmals nicht einmal etwas zu essen gehabt hatten. Manchmal freuten wir uns in Gaillimh schon über einen Haufen Kartoffelschalen, aus denen die Mutter eine Suppe kochte. Doch das Glück währte keine fünf Jahre, da verstarb unser Vater urplötzlich. Wir wissen bis heute nicht, woran er gestorben ist, auch die Ärzte waren ratlos. Nun war die Not mehr als groß, denn wie sollte meine Mutter mit zwei zehnjährigen Knaben das Land allein bestellen? Das konnte nicht gutgehen. Aber sie hatte Glück – naja, wenn man es denn wirklich als Glück bezeichnen kann. Sie lernte jedenfalls eines Sonntags nach dem Kirchgang einen Mann aus San Antonio kennen. Später haben wir herausbekommen, dass er die Kirche nur aufgesucht hat, um irgendwie an eine Frau heranzukommen, mit Glauben und Kirche hatte der gar nichts am Hut.“

„Und warum suchte er da in Austin und nicht einfach in San Antonio?“

„Gute Frage, Mr. Shatterhand, die Aufklärung darüber erhielten wir auch erst viel später. In Austin war der Mann so unbeliebt, dass ihm alle Menschen möglichst aus dem Wege gingen. Viele haben die Straßenseite gewechselt, wenn sie ihn nur aus der Ferne kommen sahen. Nur sein Geschäft, ein großes Fuhrunternehmen, das florierte und hatte ihn in San Antonio zu einem reichen Mann gemacht, aber sonst soll er das reinste Scheusal gewesen sein. Für meine Mutter war sein Werben um sie anfangs wie eine Erlösung, wusste sie doch mit der Farm, mit all der schweren Arbeit so gut wie alleingelassen, nicht mehr ein noch aus. Schon drei Wochen nach dem ersten Kennenlernen heiratete Mama diesen Edward P. Jenkins, und wir zogen zu ihm nach San Antonio.“

„Hat Eure ausführliche Lebensgeschichte auch mit den späteren Ereignissen, sprich der Ermordung Eures Bruders zu tun?“

„Für das Gesamtverständnis, glaube ich, schon.“

„Entschuldigt, dann erzählt bitte weiter.“

„Das Leben unter einem Dach mit diesem Choleriker und Despoten, wie sich schnell herausstellte, war eine einzige Qual. Pausenlos rutschte ihm die Hand aus, und er behandelte Mutter und uns eher wie Lakaien oder sogar Sklaven, nicht aber wie ebenbürtige Familienmitglieder. Doch mit unserer Mutter konnten wir darüber kein vernünftiges Wort wechseln, sie war diesem schmerbäuchigen Edward P. Jenkins richtiggehend hörig. Immer wieder beknieten wir sie, als wir älter wurden, es woanders neu zu versuchen, aber auf dem Ohr war und blieb unsere Mutter taub. So haben mein Bruder Ryan und ich dann eines schönen Tages selbst das Weite gesucht. Die letzten Jahre ‚trauter Familienzugehörigkeit‘ durften wir für unseren Stiefvater in seiner Firma schuften, bis die Finger bluteten, ohne dafür bezahlt zu werden. Für ihn war das eine Selbstverständlichkeit, schließlich stellten wir unsere Füße ja unter seinen Tisch.“

„Und wo hat es Euch von San Antonio aus hingetrieben?“

„Nicht allzu weit weg, nur nach Laredo. Wir wollten natürlich in der Nähe unserer Mutter bleiben, um den Kontakt mit ihr zu halten und da zu sein, sollte sie es sich eines schönen Tages doch anders überlegen und diesen ekelhaften Kerl verlassen wollen, was wir uns doch so sehr wünschten.“

„Habt Ihr zwei Ausreißer denn in Laredo eine Arbeit gefunden?“

„Ja, ein Rancher hat uns als Vaqueros8 angestellt, weil wir so famos reiten konnten, das hatten wir noch auf Vaters Farm als kleine Knaben von der Pike auf gelernt.“

„Und hat Eure Mutter ihren neuen Gatten später denn verlassen?“

„Nein, musste sie dann auch nicht mehr, denn im Februar dieses Jahres starb Edward P. Jenkins. Der Arzt stellte Leberversagen fest. Unser Stiefvater hat sich mit Whiskey und Brandy wortwörtlich totgesoffen.“

„Seid ihr dann zu Eurer Mutter nach San Antonio zurückgekehrt?“

„Natürlich, allein schon, um unsere Mutter zu unterstützen, denn schließlich stand sie doch jetzt zum zweiten Mal mit allem allein da, nur waren wir diesmal keine kleinen Kinder mehr.“

„Da Euer Stiefvater reich war, musste sich nun doch eigentlich alles in Wohlgefallen auflösen, oder?“

„Das wäre zu schön gewesen, um wahr zu sein, aber es kam leider anders. Edward P. Jenkins hatte sich noch eine Kleinigkeit für sein Testament ausgedacht. Nur, wer seinen klobigen, goldenen Siegelring mit den Initialen E. P. J. präsentierte, der sollte der rechtmäßige Erbe seines Vermögens sein.“

„Und was war daran das Problem? Hattet Ihr Euren Stiefvater etwa mit dem Siegelring am Finger beerdigt?“

„Nein, den hatte meine Mutter noch vor dem Abtransport der Leiche von seinem fetten Ringfinger gestreift. Aus Jux hat mein Bruder Ryan ihn dann aber übergestreift und noch gescherzt, wir sollten ihn nun mit Edward P. ansprechen.“

„Dann konnte er den ja bei der Testamentseröffnung dem Lawyer9 vorlegen.“

„Dazu ist es leider nicht mehr gekommen.“

„Warum nicht?“

„Ryan ist zwei Tage vor der Testamentseröffnung in einem der vielen Saloons San Antonios Karten spielen gegangen.“

„Tat er das öfter?“

„Ja, das war eine seiner Schwächen, aber eigentlich war er immer vorsichtig und hat nie viel Geld verloren. Er war also nicht spielsüchtig, wenn Ihr darauf hinauswollt.“

„Kannte er die Kontrahenten am Tisch?“

„Bis auf einen ja, der kam nicht aus San Antonio, sondern war nur auf der Durchreise. Das Kartenglück war Ryan an dem Abend nicht hold, und eher, als ihm lieb gewesen sein kann, war sein mitgeführtes Bargeld alle.“

„Ich ahne schon, was kommt. Er hat danach den goldenen Siegelring gesetzt, um weiterspielen zu können.“

„Genauso ist es, leider. Und dann kam es auf einmal zum Eklat. Ryan hatte einen Drilling, bestehend aus drei Zehnern. Der Fremde, so will ich ihn erst einmal benennen, präsentierte dann einen Flush, also fünf Karten gleicher Farbe. Aber welche Überraschung: Sein Flush war ein Pik Flush, in dem sich die Pik-Zehn befand, die mein Bruder schon in seinem Drilling zuvor präsentiert hatte. Da jede Karte nur einmal im Stock vorhanden ist, hatte also einer der beiden Spieler eindeutig betrogen.“

„Da gibt es keine zwei Meinungen!“

„Der Fremde sprang auf, schrie meinen Bruder laut mit ‚elender Betrüger‘ an. Ryan schwor Stein und Bein, dass er nicht geschummelt hätte, die falsche Karte also von dem Fremden herrühren musste.“

„Und was taten oder sagten die anderen zwei Mitspieler?“

„Die waren nur entsetzt und haben sich gar nicht dazu geäußert. Dann wurde der Fremde handgreiflich, raffte dabei aber zuvor alles Geld und auch den goldenen Siegelring vom Tisch, was Ryan nicht zugeben wollte. Da zückte der Falschspieler auf einmal ein kleines Klappmesser, ließ es aufspringen und stach es meinem Bruder in den Hals. Alles im Saloon achtete nur noch auf Ryan, so konnte der Fremde in diesen Wirren einfach flüchten. Niemand hielt ihn auf. Meinen Bruder konnte man aber nicht mehr retten. Wenige Minuten später war er tot, noch bevor überhaupt ein Arzt zur Stelle war und irgendwie helfend eingreifen konnte.“

„Das tut mir leid!“

„Ein einziger tödlicher Stich, wie der Stich eines Skorpions, hat ihn umgebracht.“

„Und wie seid Ihr über den Mord an Eurem Bruder informiert worden?“

„Der Sheriff kam vielleicht zwei Stunden später zu unserem Haus, um uns die schreckliche Nachricht zu überbringen. Gemeinsam fanden wir dann heraus, in welchem Lodging-House1 der Stadt der Fremde sich einquartiert hatte. Er selbst war aber längst über alle Berge, ohne vorher die Rechnung zu bezahlen.“

„Habt Ihr wenigstens seinen Namen herausgefunden?“

„Wenn das denn der richtige ist, Mr. Shatterhand; er nannte sich Liam Norris, so hat er sich zumindest ins Gästebuch der Pension eingetragen.“

„Und wieso seid Ihr dann in diese einsame Gegend hier geritten, um ihn zu verfolgen? Habt Ihr irgendwo noch eine konkrete Spur von ihm entdecken können?“

„In seinem Zimmer lag bei seinen zurückgelassenen Kleidungsstücken nebst vieler anderer Utensilien eine Quittung, ausgestellt in Fort Worth für die Neubesohlung seiner Stiefel.“

„Stand auch der Name Norris auf der Quittung?“

„Ja, entweder ist das also tatsächlich sein richtiger Name oder er benutzt ihn zumindest mit steter Regelmäßigkeit.“

„Und nun versucht Ihr auf eigene Faust diesen Liam Norris zu finden?“

„Ja, meine Mutter kommt nur mit diesem verwünschten Siegelring zu ihrem Erbe, und einen anderen Anhaltspunkt als Fort Worth habe ich doch nicht; wobei ich nur hoffen kann, dass sich dieser Liam Norris nicht lediglich unterwegs irgendwo während eines längeren Aufenthalts die Stiefel neu hat besohlen lassen, sondern tatsächlich in Fort Worth ansässig ist. Sonst bin ich mit meinem Latein am Ende.“

„Wisst Ihr denn wenigstens, wie der Kerl aussieht?“

„O ja, wartet einen Augenblick.“ Er kramte in seinen Taschen herum und entfaltete dann ein Blatt Papier, das schon recht zerknittert war. „Hier, dieser Steckbrief ist in San Antonio am Tag nach dem Mord anhand von Angaben der Mitspieler und der anderen Saloon-Gäste von dem Halunken angefertigt worden.“

Die Zeichnung war zumindest von einem Könner geschaffen worden. Wenn die Angaben und Aussagen der Zeugen stimmten, dann konnte man mit diesem Steckbrief wirklich etwas anfangen.

Skorpion und Klapperschlange

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