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4 Neue Amts- und Titelträger

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Auf der politischen Bühne in der Bundesrepublik ereignete sich im Jahr 1988 eine ganze Menge. Nach den Vorfällen um Uwe Barschel im Vorjahr musste in Schleswig-Holstein im Mai 1988 ein neuer Landtag gewählt werden. Mit einem Stimmenanteil von 54,8 Prozent führte Björn Engholm die SPD zu einem triumphalen Wahlsieg und wurde neuer Ministerpräsident im nördlichsten Bundesland. Einen Monat später trat Klaus von Dohnanyi (SPD) von seinem Amt als erster Bürgermeister der Hansestadt Hamburg zurück. Sein Nachfolger wurde Henning Voscherau. Im gleichen Jahr führte die SPD für ihre Partei eine Frauenquote in Bezug auf die Bekleidung von Ämtern und Mandaten ein.

Bei einer Gedenkstunde im Deutschen Bundestag anlässlich des 50. Jahrestages der Pogromnacht im Jahr 1938 hielt Bundestagspräsident Philipp Jenninger (CDU) eine äußerst umstrittene Rede. Bereits während der Ansprache verließen etliche Abgeordnete aus Protest den Plenarsaal. Einen Tag später trat Jenninger von seinem Amt zurück und Rita Süssmuth wurde als seine Nachfolgerin gewählt. Auf einem Landesparteitag der rheinland-pfälzischen CDU wurde der Landesvorsitzende Bernhard Vogel, Bruder des SPD-Vorsitzenden Hans-Jochen Vogel, gestürzt. Bei der Wahl zum Landesvorsitzenden unterlag er dem bisherigen Umweltminister Hans-Otto Wilhelm deutlich. Mit den Worten „Gott schütze Rheinland-Pfalz“ trat er daraufhin auch als Ministerpräsident des Bundeslandes zurück. Nachfolger in diesem Amt wurde Carl-Ludwig Wagner. Die FDP wählte in diesem Jahr Otto Graf Lambsdorff als Bundesvorsitzenden, der damit den umstrittenen Martin Bangemann ablöste.

Am 03. Oktober 1988 verstarb in Regensburg Bayerns Ministerpräsident Franz-Josef Strauß im Alter von 73 Jahren. Kein Politiker der Bundesrepublik prägte eine Partei in dem Maße wie Strauß die CSU, deren Vorsitzender er von 1961 bis zu seinem Tode war und kein Politiker polarisierte so extrem wie Franz-Josef Strauß, höchstens noch sein langjähriger Widersacher aus der SPD, Herbert Wehner. Man mochte den CSU-Vorsitzenden oder nicht, ein Dazwischen war ausgeschlossen. Ich war kein Fan von Strauß und dennoch muss ich sagen, dass er eine der schillernden Figuren der bundesdeutschen Politik war. Seine Aussagen waren nicht immer sachlich, hatten aber stets einen hohen Unterhaltungswert. Auch mit der Legalität, bei einigen seiner Handlungen, nahm er es nicht immer so genau, doch fest steht, dass es nur ihm zu verdanken war, dass die bayrische Union auch auf Bundesebene erheblichen Einfluss hatte und heute noch hat. Zum Staatsakt für den Verstorbenen fanden sich in München Politiker aus aller Welt ein. Auch politische Gegner räumten ein, dass sich Strauß, dessen Reden und Wortgefechte zu den Sternstunden im Bundestag gehörten, um Aufbau und Bestand der westdeutschen Demokratie verdient gemacht hatte. Theo Waigel wurde neuer Vorsitzender der CSU, die sich durch das langjährige Wirken des Franz-Josef Strauß so weit etabliert hatte, dass sie auch unter Führung Waigels und dessen späteren Nachfolgern nichts an ihrer bundesweiten Bedeutung einbüßte. Nachfolger von Strauß im Amt des Ministerpräsidenten Bayerns wurde Dr. Max Streibl.

Einige Male musste sich Werder Bremen seit dem Wiederaufstieg in die Bundesliga 1981 mit der „Vizemeisterschaft“ abfinden, häufig nur aufgrund des schlechteren Torverhältnisses. In der Saison 1987/ 88 aber übernahm Otto Rehhagels Team sofort die Tabellenführung und gab sie bis zum Saisonende nicht wieder her. Bereits am 31. Spieltag machten die Bremer nach einem 1:0-Sieg bei Eintracht Frankfurt die Meisterschaft perfekt und dies, obwohl ihr Superstürmer Rudi Völler im Sommer zum AS Rom gewechselt war. Werder hatte allerdings mit Karl-Heinz „Kalle“ Riedle, der von Blau-Weiß 90 Berlin an die Weser gekommen war, einen vollwertigen Ersatz für den Nationalstürmer gefunden. 18 Tore erzielte Riedle in dieser Meistersaison und wäre in seiner ersten Bremer Spielzeit damit fast Torschützenkönig geworden. Er war es auch, der das entscheidende Tor beim 1:0-Sieg in Frankfurt erzielte. Und dann war da ja noch Manfred „Manni“ Burgsmüller. Der Ex-Nationalspieler war schon in der Versenkung verschwunden und kickte bei Rot-Weiß Oberhausen, als Otto Rehhagel den mittlerweile 35-Jährigen 1985 an die Weser holte. Alter schützt vor Toren nicht, denn in 115 Bundesligaspielen schoss er 34 Tore. Burgsmüller galt als ausgesprochenes Schlitzohr. Dies zeigte er unter anderem im Spiel gegen den 1. FC Kaiserslautern, als er Torwart Ehrmann den Ball beim Abschlag aus der Hand spitzelte und ihn seelenruhig ins leere Tor schob. Das Prunkstück der Bremer allerdings war die Abwehr um Rune Bratseth. Torwart Oliver Reck musste ganze 22 Gegentreffer hinnehmen. Fußballer des Jahres aber wurde der junge Jürgen Klinsmann vom VfB Stuttgart, der mit 19 Treffern Torschützenkönig wurde und mit einem herrlichen Fallrückzieher gegen Bayern München das „Tor des Jahres“ erzielte. Einen Rekord der besonderen Art stellte der Schalker Klaus Fichtel auf, der zwischenzeitlich auch in Bremen gespielt hatte und maßgeblich am Wiederaufstieg der Bremer beteiligt war. Seit dem 21. Mai 1988 war er mit 43 Jahren, sechs Monaten und zwei Tagen der älteste Bundesliga-Spieler aller Zeiten. Am Ende der Saison beendete „Tanne“, wie der immer schlanke Fichtel genannt wurde, seine beachtenswerte Profikarriere. 540 Bundesligaspiele hatte er bestritten und 23 Mal war er in der deutschen Nationalmannschaft zum Einsatz gekommen. Das Ende seiner Laufbahn allerdings war doppelt bitter, denn nach einer 1:4-Niederlage gegen Meister Werder Bremen musste Schalke 04 erneut den Weg in die zweite Liga antreten.

Eintracht Frankfurt hatte in der Bundesliga eine Horror-Saison hinter sich. Vor Saisonbeginn hatte die Mannschaft von Trainer Karl-Heinz Feldkamp einen UEFA-Cup-Rang ins Visier genommen, am Ende war man froh, drei Punkte mehr auf dem Konto zu haben, als der Drittletzte SV Waldhof Mannheim. Aber die Eintracht erreichte wieder einmal das DFB-Pokalendspiel. Gegner am 28. Mai 1988 im Berliner Olympiastadion war der VfL Bochum, ein ausgesprochener Angstgegner der Frankfurter. Das Finale war arm an Höhepunkten und verlief ausgeglichen. Den Unterschied machte schließlich der technisch überragende Ungar Lajos Detari im Dress der Frankfurter Eintracht aus. Zehn Minuten vor Spielende zirkelte er einen Freistoß in den Winkel des Bochumer Tores und entschied damit das Endspiel. Torwart Uli Stein hatte ein Jahr zuvor mit dem Hamburger SV den DFB-Pokal gewonnen. Nach seinem Faustschlag gegen Bayern-Stürmer Uwe Wegmann musste er den Verein verlassen und wechselte zu Eintracht Frankfurt. Jetzt durfte er erneut den Pokal in den Händen halten.

Im Europapokal der Landesmeister konnte sich der Vorjahresfinalist Bayern München im Achtelfinale gegen den Schweizer Meister Xamax Neuchatel nur knapp mit 1:2 und 2:0 durchsetzen. Im Viertelfinale folgte dann jedoch das Aus gegen Real Madrid. Das Hinspiel konnten die Bayern zwar mit 3:2 gewinnen, aber in Madrid gab es eine 0:2-Niederlage. Das Finale fand am 25. Mai 1988 im Stuttgarter Neckar-Stadion statt. Zwischen dem PSV Eindhoven und Benfica Lissabon stand es nach Verlängerung torlos 0:0-Unentschieden. Das fällige Elfmeterschießen entschieden dann die Holländer mit 6:5 für sich. Vom Ausscheiden des Hamburger SV im Europapokal der Pokalsieger habe ich ja bereits berichtet. Besser für die deutschen Vertreter lief es im UEFA-Pokal. Im Viertelfinale konnte Bayer Leverkusen den FC Barcelona ausschalten und Werder Bremen besiegte Hellas Verona. So kam es im Halbfinale zu dem Duell zwischen den beiden Bundesliga-Clubs. Nach einem 1:0-Sieg im Hinspiel und einem 0:0-Unentschieden in Bremen hatte Bayer Leverkusen die Finalspiele gegen Espanol Barcelona erreicht. Am 18. Mai 1988 waren die Spanier eigentlich nur noch in das Leverkusener Ulrich-Haberland-Stadion gekommen, um sich den Pokal abzuholen. Die Gäste hatten das Hinspiel in Barcelona deutlich mit 3:0 gewonnen und Niemand zweifelte daran, dass die Entscheidung längst gefallen war. Dennoch war das Stadion mit 22.000 Zuschauern restlos ausverkauft. Die Fans wollten ihre Mannschaft angesichts einer großartigen Europapokal-Saison wohl noch einmal feiern. Im Spiel selbst versuchten die Leverkusener Spieler alles, um das Unmögliche doch noch möglich zu machen, doch immer wieder scheiterten sie an der dicht gestaffelten Abwehr oder am überragenden Torwart N´Kono, dem Nationaltorwart Kameruns. 58 Minuten lang hielt das Bollwerk der Katalanen, dann aber gelang dem Brasilianer Tita, der den Ball in Gerd-Müller-Manier über die Linie stocherte, die 1:0-Führung. Danach spielte sich Bayer Leverkusen in einen wahren Rausch. Fünf Minuten nach dem Führungstor erhöhte, der aus der DDR geflohene, Falko Götz auf 2:0 und der Koreaner Bum-kun-Cha erzwang mit seinem Tor die Verlängerung. Da keine weiteren Tore mehr fielen, musste ein Elfmeterschießen die Entscheidung bringen. Auch dabei schien zunächst alles für Espanol Barcelona zu sprechen, als die Spanier bereits mit 2:0 in Front lagen. Doch Glück bei einem Lattenschuss und das Können von Leverkusens Torhüter Rüdiger Vollborn, sowie die sicheren Elfmeterschützen Rolff, Waas und Täuber sorgten dafür, dass Leverkusen das Elfmeterschießen doch noch gewinnen konnte. Grenzenloser Jubel herrschte im Ulrich-Haberland-Stadion angesichts dieses nicht mehr für möglich gehaltenen Triumphes. Zum ersten Mal hatte Bayer Leverkusen einen inter-nationalen Titel gewonnen. Trainer Erich Ribbeck konnte und wollte seine Tränen nicht verbergen, als er den Pokal in die Höhe streckte.

Die Fußball-Europameisterschaft 1988 fand in der Bundesrepublik Deutschland statt, so dass die deutsche Nationalmannschaft sich nicht für das Turnier qualifizieren musste. Die Vorbereitungsspiele im Frühjahr 1988 verliefen dann recht bescheiden und trugen nicht unbedingt zum Optimismus hinsichtlich der anstehenden Europameisterschaft bei. Das Eröffnungsspiel bestritt die deutsche Mannschaft am 10. Juni im Düsseldorfer Rheinstadion gegen Italien. Die 1:0-Führung der Italiener durch Mancini in der 53. Minute konnte Andreas Brehme nur drei Minuten später mit einem direkt verwandelten Freistoß ausgleichen. Mit dem 1:1-Unentschieden konnten beide Mannschaften zufrieden sein. Beim anschließenden 2:0-Sieg gegen Dänemark in Gelsenkirchen war das deutsche Team dann drückend überlegen und ließ kaum Torchancen der Skandinavier zu. Torwart Eike Immel war 90 Minuten lang fast beschäftigungslos. Jürgen Klinsmann hatte die deutsche Mannschaft bereits nach zehn Minuten in Führung gebracht und der kleine Olaf Thon war es, der kurz vor Spielende mit einem Kopfball für die Entscheidung sorgte. Eine Superleistung zeigte Beckenbauers Team schließlich im letzten Gruppenspiel in München gegen Spanien. Die ersten 15 Minuten begannen schleppend, dann jedoch drehte die deutsche Mannschaft auf und fegte die Spanier vom Platz. Rudi Völler schoss beide Tore beim hochverdienten 2:0-Sieg. Es gab nicht einen Schwachpunkt in der Mannschaft, alle Spieler kämpften und kombinierten, so dass die Zuschauer im Stadion oder vor den Fernsehern total begeistert waren.

So kam es am 21. Juni 1988 im Halbfinale zum Aufeinandertreffen mit den Niederlanden. Die Holländer stellten bis dahin das beste Team dieses Turniers, hatten jedoch in der Vorrunde überraschend mit 0:1 gegen die UdSSR verloren und erreichten deshalb nur den zweiten Tabellenplatz in ihrer Gruppe. 61.330 Zuschauer im restlos ausverkauften Hamburger Volksparkstadion sahen ein Spiel der absoluten Spitzenklasse, in dem die deutsche Mannschaft allerdings das Manko hatte, dass Uli Borowka mit der Bewachung des holländischen Superstars Ruud Gullit überfordert war und ihn bei dessen überragenden Aktionen nie ernsthaft ausschalten konnte. In der 55. Minute jedoch ging Deutschland durch Kapitän Lothar Matthäus, der einen Foulelfmeter verwandeln konnte, mit 1:0 in Führung. Vorstopper Jürgen Kohler hatte gegen Marco van Basten seine liebe Not, konnte den niederländischen Torjäger aber mit Haken und Ösen zumeist bremsen. Zwanzig Minuten nach der deutschen Führung hatte er jedoch das Pech, dass sein Tackling gegen van Basten im Strafraum zum Elfmeter führte. Hollands schussgewaltiger Libero Ronald Koeman ließ Eike Immel im deutschen Tor beim Ausgleichstreffer keine Chance. Eine Minute vor Spielende kam Kohler bei einem Steilpass in den Strafraum einen Schritt zu spät, um van Basten am Torschuss zu hindern. Vom rechten Eck des 5-Meterraumes aus jagte der holländische Weltklassestürmer den Ball ins deutsche Tor, unhaltbar für Torhüter Immel. Dies war die Entscheidung und Deutschland hatte den Einzug ins Finale verpasst. Die deutsche Mannschaft hatte jedoch keinesfalls enttäuscht. Sie war an diesem Tag einfach nur an einer Fußballmannschaft der absoluten Weltklasse gescheitert.

Die Holländer wiederholten ihre eindrucksvolle Leistung im Finale gegen die UdSSR am 25. Juni 1988 im Münchener Olympiastadion. Mit einem unglaublichen Volleyschuss brachte Torjäger Marco van Basten seine Mannschaft in Führung und mit einem ebenfalls sehenswerten Kopfballtreffer stellte der überragende Ruud Gullit den 2:0-Endstand her. Wie bei der Weltmeisterschaft 1974 in Deutschland stellte auch bei dieser Europameisterschaft Holland das beste Team. Diesmal aber mit dem positiven Ende, dass das Finale gewonnen werden konnte und man in den Niederlanden erstmals über einen internationalen Titel der eigenen Nationalmannschaft jubeln dufte. Gegen die Sowjetunion, dem unterlegenen Finalisten der Europameisterschaft, kam es im September 1988 in Düsseldorf zu einem Freundschaftsspiel, das Deutschland aufgrund eines Eigentors des sowjetischen Abwehr-spielers Schmatowalenko mit 1:0 gewann. Die Entdeckung in diesem Spiel war der junge Dortmunder Andreas Möller in seinem ersten Länderspiel. Einen Monat später kam es in München im Rahmen der Qualifikation für die Weltmeisterschaft 1990 zum erneuten Duell mit Holland, dem jetzt amtierenden Europameister. Deutschland kam zwar über ein 0:0 nicht hinaus, zeigte in einem spannenden und sehr guten Spiel jedoch eine sehenswerte Leistung. Bemerkenswert war dabei das Auftreten des jungen Kölner Mittelfeldspielers Thomas Häßler in seinem erst zweiten Länderspiel.

In der DDR verschärfte die SED die Repressionen gegen Oppositionelle und innenpolitische Gegner. Nach Verhaftungen am Rande der „Rosa-Luxemburg-Demonstrationen“ im Januar 1988 wurden zahlreiche Regimegegner zu Gefängnisstrafen verurteilt und anschließend in den Westen abgeschoben. Die Wirtschaftslage hatte sich rapide verschlechtert, so dass die DDR kurz vor dem finanziellen Ruin stand. Dennoch war die Staats- und Parteiführung unfähig, dringend notwendige Reformen in die Wege zu leiten. Zusehends wuchs in der Bevölkerung der Unmut über Versorgungsmängel und politische Unterdrückung.

Im Frühjahr 1988 hatten meine Freundin und ich die Möglichkeit, zusammen mit einem meiner besten Freunde, Schwerin besuchen zu können. Mein Freund hatte Verwandte dort, was ihm die Möglichkeit gab, im Rahmen des „kleinen Grenzverkehrs“ die DDR aufsuchen zu dürfen und dabei auch Bekannte mitzunehmen. Vor unserer Abreise zeigte uns der Freund, was er für die Verwandtschaft alles im Kofferraum seines Wagens verstaut hatte. Kaffee, Südfrüchte und andere Konsumgüter waren zu sehen, die für die Bürger der DDR nicht käuflich zu erwerben waren. Nur Privilegierte, die aufgrund ihrer Beziehungen im Besitz von Westgeld waren, konnten solche Waren in den Intershops kaufen. Mit besonderem Interesse nahm ich einen Wandkalender mit schönen Landschaftsbildern zur Kenntnis, bei dem mein Freund die Daten abgeschnitten hatte. Er erklärte mir, dass es verboten sei, mit Zahlen oder Buchstaben bedrucktes Papier in die DDR einzuführen. „Um Gottes Willen“ dachte ich, „was muss das für ein armseliges Regime sein, dass schon bei aufgedruckten Kalenderdaten eine Gefahr wittert“. Als wir auf unserer Reise nach Schwerin bei Lauenburg auf den Grenzkontrollposten der DDR zurollten, saß ich auf dem Beifahrersitz und hörte meinen Freund murmeln: „Bloß keine Frau, bloß keine Frau“. Ich war einigermaßen irritiert, denn normalerweise hatte er keine Probleme mit Frauen. Kurze Zeit später war mir klar, was er gemeint hatte, denn wir wurden von einer Frau kontrolliert und abgefertigt – im wahrsten Sinne des Wortes. Bei ihrer Durchsuchung nahm sich die Grenzkontrolleurin aufreizend viel Zeit, schaute sich jeden Gegenstand genauestens an, bis sie meinen Freund schließlich zusammenstauchte. Er hatte vergessen, dass Monate zuvor Flüssigkeit aus der Autobatterie ausgetreten war und er deshalb ein paar Knäuel aus Zeitungspapier unter die Batterie gestopft hatte. Von der Schrift war aufgrund der Feuchtigkeit zwar nicht mehr viel zu erkennen, doch die „verbotenen Schriften“ mussten im Abfalleimer entsorgt werden. Nach der umfangreichen Kontrolle kam es in der Baracke zu dem Zwangs- Geldumtausch. Im Verhältnis 1:1 mussten wir 10 oder 20 DM, ich weiß nicht mehr genau wie viel es war, abgeben, um dafür relativ wertloses DDR-Geld zu erhalten. Als erster wurde mein Freund abgefertigt. Nachdem die Grenz-Kontrolleurin sein Geld entgegen genommen hatte, kramte sie umständlich einen Schlüssel aus ihrer Hosentasche hervor und öffnete einen Safe, um das Geld hinein zu legen. Danach wurde der Safe wieder geschlossen, der Schlüssel verschwand in der Hosentasche und sie stellte eine Quittung für den erhaltenen DM-Betrag aus. Anschließend wurde erneut der Schlüssel aus der Hosentasche geholt, um den Safe wieder zu öffnen und das entsprechende DDR-Geld heraus zu nehmen. Der Safe wurde abermals geschlossen, der Schlüssel verschwand wieder in der Hosentasche und jetzt musste mein Freund den Empfang des DDR-Geldes mit seiner Unterschrift bestätigen. Ruck, zuck ging das. Es dauerte „nicht einmal“ zehn Minuten und „schon“ war er abgefertigt. Die gleiche Prozedur wiederholte sich jetzt bei mir und meiner Freundin. Langsam kroch die Wut in mir hoch, doch ich durfte nichts sagen. Schließlich wollten wir ja in die DDR einreisen.

Erleichtert durften wir endlich unsere Reise in Richtung Schwerin fortsetzen. Mein Freund achtete permanent darauf, alle Geschwindigkeitsbegrenzungen zu beachten, während Trabbi-Fahrer sichtbares Vergnügen daran hatten, einen Wagen aus dem Westen zu überholen. In Schwerin angekommen, wurden wir von der Verwandtschaft meines Freundes herzlich begrüßt. Der Onkel des Freundes, ein Bruder seiner Mutter, lebte mit seiner Ehefrau in einem eigenen, schon etwas älteren Haus in unmittelbarer Nähe zum Schweriner See, der Cousin mit seiner Frau und der etwa zwölf Jahre alten Tochter in einer Plattenbauwohnung in Schwerins Innenstadt. Er zeigte uns die Stadt mit dem wunderschönen Schloss, das heute den Landtag Mecklenburg-Vorpommerns beherbergt, doch das Interessanteste für mich war die Begegnung mit vielen DDR-Bürgern, die uns vorgestellt wurden. Es handelte sich überwiegend um ehemalige Studienräte, Buchautoren und andere Intellektuelle, die sich kritisch zum DDR-Regime geäußert hatten, seitdem arbeitslos waren und in Hütten am Rande der Stadt vor sich hin vegetierten. Alle hatten nur einen Wunsch: Endlich den gehassten Staat verlassen und in Richtung Westen ausreisen zu dürfen. Einer von ihnen fragte mich, ob ich vorgestern die Rede von Egon Bahr gehört habe. Hatte ich natürlich nicht und ich weiß auch nicht, was der SPD-Politiker damals gesagt hatte. Nach wie vor war ich an der Entspannungspolitik interessiert und war immer noch der Meinung, dass es sich dabei um den einzig richtigen Weg zur Überwindung des Ost-West-Konflikts handelte. Doch es war bei uns im Westen zum Alltag geworden und nicht jede einzelne Rede wurde mehr so zur Kenntnis genommen, wie zu Beginn der 70er Jahre. Anders war dies bei den Menschen, die ich in Schwerin kennen gelernt habe. Sie klammerten sich an jede Rede, jeden Satz mit denen ihnen das Gefühl gegeben wurde, dass der Wunsch nach Freiheit irgendwann Realität werden könnte. Deutlich wurde dabei auch, dass sie immer noch in erster Linie den Politikern der SPD zutrauten, die aus ihrer Sicht richtige Politik im Entspannungsprozess voran zu treiben. Anders als mittlerweile bei vielen Bürgern im Westen war bei ihnen noch präsent, das es Willy Brandt und Egon Bahr waren, die den Prozess überhaupt in Gang gesetzt hatten. Auch der Cousin meines Freundes äußerte sich überwiegend kritisch zur DDR und ihrem Regime. Er machte deutlich, dass er Schwerin niemals verlassen würde aber den Wunsch habe, den Staat jederzeit vorübergehend verlassen zu dürfen, wann und wohin er möchte. In diesem Zusammenhang erzählte er, dass im DDR-Fernsehen gerade eine Sendung laufe, in der die Zuschauer eine Kreuzfahrt nach Leningrad gewinnen können. Infolgedessen machte folgender Spruch bei den Bürgern die Runde: „Lieber ein Fußweg nach Bonn, als eine Kreuzfahrt nach Leningrad“. Die Reise nach Schwerin – sie hat viel Spaß gemacht und war gleichzeitig ausgesprochen lehrreich. Ich habe erfahren, wie sehr es damals in der Bevölkerung brodelte und wie sehr ein großer Teil der Bürger den Staat und sein Regime in dieser Form ablehnte.

Nicht nur in der DDR, sondern auch in anderen Ostblockstaaten regte sich der Widerstand gegen die Staatsmacht. In Polen brachten Arbeiter ihren Protest gegen das kommunistische Regime in ausgedehnten Streikaktionen zum Ausdruck. Die Gewerkschaft Solidarnosc feierte ihre Renaissance. In Ungarn bahnten sich aufgrund der Ablösung des langjährigen Parteichefs Jánós Kadar grundlegende Änderungen im politischen System an. Reformer in der kommunistischen Partei gewannen deutlich an Einfluss und leiteten eine tiefgreifende Liberalisierung des Staates ein.

In der übrigen Welt war das Jahr 1988 geprägt von wichtigen Friedensschlüssen. Nach einem achtjährigen Krieg stellten der Iran und der Irak auf Vermittlung der Vereinten Nationen die Kampfhandlungen ein. Durch einen hohen persönlichen Einsatz war es UN-Generalsekretär Pérez de Cuéllar gelungen, einen Krieg zu beenden, der mit extremer Rücksichtslosigkeit, nicht zuletzt gegenüber der Zivilbevölkerung, geführt worden war. Schätzungen zufolge sind im Golfkrieg mehr als 800.000 Menschen ums Leben gekommen. Weltweite Empörung hatte der Einsatz von Giftgas auf Befehl des irakischen Diktators Saddam Hussein hervorgerufen. Eine fragwürdige Rolle in diesem Krieg hatte die USA eingenommen, die den Irak lange Zeit unterstützte, weil sie eine Ausbreitung des iranischen Fundamentalismus befürchtete.

In Nicaragua schlossen die linksgerichtete Regierung unter Daniel Ortega Saavedra und die von den Vereinigten Staaten massiv unterstützten Contra-Rebellen einen langfristigen Waffenstillstand. Beide Parteien waren zu weitgehenden Zugeständnissen bereit, um das vom jahrelangen Bürgerkrieg zerrüttete Land vor einer wirtschaftlichen und politischen Katastrophe zu bewahren.

Auch der Afghanistankrieg, der seit dem Einmarsch sowjetischer Truppen im Jahr 1979 das Ost-West-Verhältnis stark belastet hatte, wurde mit Unterzeichnung eines Friedens-Abkommens beendet. Es war insbesondere das Verdienst Michail Gorbatschows, dass der Militäreinsatz der Sowjetunion in dem vorderasiatischen Staat beendet worden war, der also auch in dieser Hinsicht sein Wort hielt und deutlich machte, dass er es ernst gemeint hatte mit seinem Versprechen, einen außenpolitischen Entspannungskurs gehen zu wollen. Durch den Abzug des sowjetischen Militärs war der Krieg in Afghanistan allerdings noch lange nicht zu Ende. Es war nur der Auftakt zu einem blutigen Bürgerkrieg zwischen rivalisierenden Moslemgruppen. Die außenpolitische Entspannungspolitik Gorbatschows ermöglichte jedoch Schritte, die noch kurz vorher kaum denkbar gewesen waren. Der von Gorbatschow und US-Präsident Reagan Ende des Vorjahres unterzeichnete Vertrag über den vollständigen Abbau von atomaren Mittelstreckenraketen in Europa wurde im Frühjahr 1988 von beiden Supermächten ratifiziert. Dies war ein bedeutender Schritt auf dem Weg zur Beseitigung des Ost-West-Konflikts und damit des Kalten Krieges. Ich für meinen Teil brauchte einige Zeit, um zu realisieren, was für ein Meilenstein in Richtung Frieden mit diesem Akt gelegt worden war. Zu sehr war mein bisheriges Leben geprägt von der ständigen und stets präsenten gegenseitigen Bedrohung zwischen Ost und West.

In seinem eigenen Land stand Michail Gorbatschow allerdings vor dramatisch wachsenden Problemen. Die schon seit langem schwelenden Nationalitätskonflikte in der Sowjetunion brachen im Kaukasus offen aus. Armenier und Aserbaidschaner lieferten sich um die Region Berg-Karabach blutige Kämpfe. Dies machte deutlich, dass die Risse im sowjetischen Imperium tiefer wurden. Auch bei der Durchsetzung seiner „Perestroika“- Politik stieß Gorbatschow auf immer massivere Widerstände der Altkommunisten. In dieser Phase beurteilten politische Beobachter die Erfolgsaussichten Gorbatschows äußerst skeptisch. Derweil gewann George Bush die Präsidentenwahl in den USA und löste Ronald Reagan ab.

Im August 1988 hielt ein Geiseldrama die Bundesrepublik mehrere Tage lang in Atem. Am Morgen des 16. August hatten zwei bewaffnete Männer eine Bankfiliale in der Nordrhein-westfälischen Stadt Gladbeck überfallen. Anschließend nahmen die skrupellosen Gangster mehrmals Geiseln und flüchteten mit ihnen zwei Tage lang durch Deutschland und den Niederlanden. Spektakulär war die Flucht mit einem Linienbus in dem der 15-jährige Italiener Emanuele de Giorgi von einem der Kriminellen erschossen wurde. Bei der Verfolgungsjagd durch die Niederlande kam ein Polizist ums Leben, dessen Polizeifahrzeug mit einem LKW kollidierte. Mit Waffengewalt beendete ein Sondereinsatzkommando der Polizei am 18. August die Geiselnahme. Dabei kam eine weitere Geisel, die junge Silke Bischoff, ums Leben, die ebenfalls von einem der Entführer erschossen wurde. Eine intensive öffentliche Debatte entbrannte nach Beendigung des Gladbecker Geiseldramas über Verantwortung und Grenzen des Journalismus. Die beteiligten Journalisten hatten die Entführer während ihrer Flucht interviewt und fuhren teilweise sogar im Fluchtfahrzeug mit. Durch ihre große Nähe zum Geschehen wurde die Polizeiarbeit massiv behindert. Kritik wurde aber auch gegen die Polizeiführung der beteiligten Bundesländer wegen der mangelnden Einsatz-Koordination laut. Beide Täter wurden 1991 vom Landgericht Essen zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Die zwanzig Jahre nach dem Entführungsdrama eingereichten Gnadengesuche wurden wegen der besonderen Schwere der Tat abgelehnt und blieben somit erfolglos.

Am 28. August 1988 ereignete sich auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz, die größte Katastrophe, die es in der Bundesrepublik im Rahmen einer Flugschau jemals gegeben hat. Tausende waren gekommen, um die Flugkünste der Piloten in den Düsenjägern zu bestaunen. Plötzlich kollidierten drei Jets der italienischen Kunstflugstaffel Frecce Tricolori bei der Durchführung einer Flugfigur. Eine der Maschinen stürzte daraufhin brennend in die Menschenmenge. 35 Menschen wurden dabei sofort getötet, hunderte zum Teil schwer verletzt. Etliche Personen verstarben wenig später an den Folgen ihrer Verletzungen, so dass am Ende 70 Todesopfer zu beklagen waren. Der bis dahin alljährlich stattfindende Flugtag in Ramstein wurde seit diesem tragischen Unfall nicht mehr ausgetragen.

Zu einer weiteren Tragödie am Himmel kam es am 21. Dezember 1988 über dem kleinen Ort Lockerbie in Schottland. Auf einer Flughöhe von etwa 9.400 Meter wurde eine Boeing der amerikanischen Fluggesellschaft Pan- Am durch eine Bombe mit Plastiksprengstoff zerstört. Wrackteile und verstümmelte Leichen regneten auf den kleinen Ort herunter. Alle 259 Insassen des Verkehrsflugzeugs wurden getötet und auch elf Bewohner Lockerbies, die von Wrackteilen erschlagen wurden, kamen ums Leben. Für den Terroranschlag wurde der Libysche Geheimdienst verantwortlich gemacht. Libyen hat eine Beteiligung an dem Anschlag zwar nie offiziell zugegeben, doch es gibt deutliche Hinweise dafür, dass Libyens Machthaber Muammar al Gaddafi das Attentat persönlich angeordnet hatte. Dies wird auch dadurch untermauert, dass sich der libysche Staat bereit erklärte, 2,46 Milliarden US-Dollar als Entschädigung an die Hinterbliebenen der Opfer zu zahlen.

Für großes Aufsehen in der Öffentlichkeit sorgte ein Prozess vor einem bayrischen Gericht gegen einen Arzt aus Memmingen, der im September 1988 eröffnet wurde. Der Arzt, dem illegale Abtreibungen zur Last gelegt worden war, wurde zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe und einem mehrjährigen Berufsverbot verurteilt. Der Prozess löste erneut heftige Diskussionen in der Öffentlichkeit über die Rechtmäßigkeit von Abtreibungen aus. Große Teile der Bevölkerung sahen die Gefahr einer „regelrechten Hexenjagd“ auf Befürworter einer liberalen Abtreibungspraxis. 51 Bergleute kamen am 01. Juni bei einem Grubenunglück im Nordhessischen Borken ums Leben. Sechs Kumpel konnten 65 Stunden nach dem Unglück noch gerettet werden. Sie waren durch Zufall gefunden worden. Ein Richtmikrophon von Reportern des Hessischen Rundfunks hatte dies möglich gemacht.

Das Sportereignis des Jahres 1988 waren die Olympischen Spiele in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul. Diese Sommerspiele waren etwas Besonderes, denn erstmals seit den „Boykottspielen“ von Moskau und Los Angeles traten wieder nahezu alle Nationen an. Neu war auch, dass zum ersten Mal Profisportler an den Spielen teilnehmen durften. Erfolgreichste Sportler in Seoul waren die Schwimmerin Kirstin Otto aus der DDR mit sechs Goldmedaillen, Matt Biondi aus den USA, der ebenfalls im Schwimmen sieben Medaillen gewann, davon fünf goldene, sowie die Leichtathletin Florence Griffith-Joyner, ebenfalls aus den USA, die auf den Sprintstrecken einschließlich der 4x100-Meter-Staffel dreimal Gold holte. Überschattet wurden die Spiele durch den kanadischen Sprintstar Ben Johnson. Im 100-Meter-Endlauf hatte er seinen großen Konkurrenten Carl Lewis mit einem Weltrekordlauf schlagen können. Anschließend wurde ihm jedoch nachgewiesen, dass er Dopingmittel eingenommen hatte. Der Olympiasieg wurde ihm aberkannt und ging auf Carl Lewis über. Die bundesdeutsche Olympiamannschaft konnte 40 Medaillen gewinnen, davon elf in Gold. Bemerkenswert dabei war, dass der Deutschland-Achter im Rudern nach 20 Jahren erstmals wieder die Goldmedaille gewann. Anja Fichtel wurde im Fechten ebenfalls Olympiasiegerin, genauso wie die Military-Mannschaft, sowie Nicole Uphoff in der Dressur und mit der Dressur-Mannschaft. Auch Tennis-Star Steffi Graf nahm an den Olympischen Spielen teil. Mit dem Gewinn der Goldmedaille gelang es ihr, als erste Tennisspielerin den sogenannten „Golden Slam“ zu gewinnen.

Auch mich hatte das Tennisfieber längst erfasst, zwar nicht als aktiver Spieler, aber zumindest als Zuschauer. So saß ich im Dezember 1988 vor dem Fernseher und habe voller Begeisterung das Daviscup-Finale in Göteborg verfolgt, in dem die deutsche Mannschaft gegen Schweden anzutreten hatte. Bereits die beiden Einzel am ersten Tag, in denen Carl-Uwe Steeb gegen Mats Wilander sowie Boris Becker gegen Stefan Edberg ihre Spiele gewannen, brachte eine Vorentscheidung. Tags darauf machte das Doppel Becker/ Jelen gegen Edberg/ Jarryd den Triumph perfekt. Nach 88 Jahren hatte Deutschland erstmals wieder den Daviscup gewonnen.

Erinnerungen an 60 Jahre Weltgeschichte

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