Читать книгу Hauptsache verliebt? - Reinhold Ruthe - Страница 6
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Verliebtheit – wie sieht die Wirklichkeit aus?
Dieses Buch ist kein Dolchstoß für alle glücklich Verliebten. Es will die schönste Sache der Welt nicht in Stücke zerreißen. Dieses Buch ist all denen gewidmet,
– die sich als Verliebte verstehen,
– die Verliebtheit als paradiesisch schön erleben,
– die blind vor Glück viele notwendige Sachfragen übersehen,
– die durch spätere Liebesenttäuschungen sich und die Welt nicht mehr verstehen,
– die wütend über sich und den Partner Beziehungen abbrechen,
– die sich in sexuelle Abenteuer stürzen, weil ihre Innenwelt Kopf steht.
Ich hoffe, durch diese Denkanstöße Verletzungsrisiken zu verringern, und wünsche mir, dass Verliebte sachlich, kritisch und nachdenklich sich und ihre Beziehungen hinterfragen.
Sex & Hopp
Das ist die freche Überschrift in einem Magazin über Liebe im Internet. Das Magazin „Stern“ beschäftigt sich mit diesem Thema und schreibt:
„Millionen Deutsche suchen im Internet die große Liebe. Doch das UNENDLICHE ANGEBOT an potenziellen Partnern lässt längere Beziehungen oft gar nicht entstehen, Gefühle werden zum Hindernis (…). Es scheint absurd: Die Liebe ist freier denn je, aber so schwer wie nie. Verbindlichkeit und Unverbindlichkeit sind statistisch nicht zu messen, aber es gibt Indikationen, wie die Zahl der jährlichen Scheidungen: Sie stieg zwischen 1960 und 2010 von 73.000 auf 187.000, die Zahl der Singlehaushalte liegt heute bei rund 40 Prozent. Keineswegs nur Witwen und Witwer: Von den 20–35-Jährigen leben vier Millionen allein, jeder Vierte, vor 20 Jahren war es jeder Sechste.“1
Folgendes stellen die Autoren noch fest:
– In Deutschland gibt es 2500 Singlebörsen.
– Mehr als sieben Millionen Menschen sind in Online-Kontaktportalen registriert.
– 3,5 Millionen Deutsche leben mit jemandem zusammen, den sie im Netz kennengelernt haben.
– Viele junge Menschen sind beziehungsunfähig.
– Viele moralische Gesetze werden nicht mehr beachtet.
– Viele unkomplizierte One-Night-Stands zerstören feste Beziehungen.
– Viele haben übersteigerte Erwartungen, sie sehnen sich nach dem Traummann oder der Traumfrau.
– „Das Internet ist ohne Zweifel ein wirksamer Paarungsbeschleuniger.“
– „Partnersuchende sind Kunde und Ware zugleich, sie lechzen nach dem Optimalen.“
– „Wie bei Finanzmärkten zeitigt der Liebesmarkt, je größer und freier er wird – neben Hoffnung und Erfüllung – eher unromantische Phänomene: Angst und Gier.“
Das sind keine erfreulichen und Mut machenden Feststellungen. Sie machen den liebesuchenden Menschen den Mund nicht wässrig. Zu schwarz gemalt? Ich habe nur eine unverdächtige Zeitschrift zitiert. Es werden viele Probleme genannt, die wir im Folgenden genauer untersuchen wollen.
Internetdating und Bindungslosigkeit
Zweifellos gibt es Menschen, die heute glücklich sind, weil sie ihren Partner im Internet gefunden haben. Aber im Online-Dating stehen Hunderttausende zur Wahl. Ein Mausklick genügt, und ein neuer Bewerber oder eine neue Bewerberin steht zur Verfügung. Der „Onlinemarkt“ macht es möglich. Die „Ware“ ist jung und unverbraucht. Wer nicht passt, wird ausgesondert, wird fallen gelassen, wird abgehakt.
Die israelische Soziologin, Dr. Eva Illous, die sich intensiv mit Partnerschaftssuche im Internet auseinandergesetzt hat, schreibt ernüchtert:
„Ich beobachte zunehmend einen Trend zur Bindungslosigkeit und gebe dem Internet eine Mitschuld daran. Heute ist es total legitim, Partner erst einmal auszutesten und anschließend abzuservieren. Die Auswahl scheint ja riesig. Die romantische Idee einer Partnerschaft fürs Leben, der traditionellen Ehe, verliert in der Kultur des World Wide Web anscheinend zunehmend an Bedeutung.“2
Vorwiegend geht es im Internet um Sex, Egoismus und Ich-Sucht, ohne emotionales Engagement und Verantwortung. Mit wahrer Liebe hat das tatsächlich meist wenig zu tun.
Sind die Erwartungen zu hoch?
Es sieht so aus. Wenn Hunderttausende zur Auswahl stehen, wer will sich dann mit dem Erstbesten der Erstbesten zufrieden geben?
Selbstverständlich bieten die Partnerbörsen Tests an. Die Suchenden streichen an, was sie mögen, was sie bevorzugen, was sie ablehnen, was sie können und nicht können. Je größer die Auswahl, desto höher die Ansprüche. Je reicher die Angebote, desto übertriebener die Auswahlkriterien. Die einen sind zu weit weg, die anderen haben Bedürfnisse, die nicht in ihr Konzept passen. Die einen lieben klassische Musik und suchen einen gleich gesinnten Partner. Die andern haben einen Kanarienvogel und wollen auf keinen Fall auf ihn verzichten. Die einen sind katholisch und suchen einen Partner, der auch katholisch ist. Selbst wenn von hundert Punkten 95 stimmen, findet sich bestimmt ein Partner, der die letzten fünf Prozent auch noch erfüllt.
Was ist daran problematisch? Diese Gruppe wird es im Leben schwer haben. Diese Menschen laufen von einer Enttäuschung in die Nächste hinein. Denn immer wieder findet sich ein Haar in der Suppe. Wenn keins drin sein sollte, schütteln sie so lange ihr Haupt, bis ein Haar reinfällt. Diesen Anspruchsvollen ist schwer zu helfen. Es gibt einen Seelsorger, der von einem solchen Unglücklichen konsultiert wurde und diesem geantwortet hat: „Ich rate Ihnen, heiraten Sie einen Engel!“
Die andere Gruppe, die vor allem aus Männern besteht, sucht nicht in erster Linie die Partnerin, die Lebensgefährtin, sondern ein Abenteuer, ein sexuelles Highlight. Kurz und knapp formuliert der „Stern“ das so: „Anderthalb Monate Mailverkehr, dann Geschlechtsverkehr.“
Er küsste sie an jeder roten Ampel, so landeten sie im Bett. Er hatte Tränen in den Augen, als er sich am nächsten Morgen nach Frankfurt auf den Weg machte. Er verschwand für immer. Die Tränen in ihren Augen sollten nicht so schnell verschwinden.
Die Partnerbörsen arbeiten aber doch mit ernsthaften Tests
Psychologen und Fachleute haben diese Tests und Matchingverfahren entworfen. Sie sind ernst gemeint und gut gemacht – und reichen doch niemals aus. Warum ist das so?
In der Beratungspraxis erlebe ich Partner, die bei einer Online-Partnerbörse einen Übereinstimmungswert von über 60 Prozent hatten. Dann spricht man von einer „guten Passung“. Sie sind sich in vielem ähnlich, haben gleiche Interessen, gleiche Vorlieben, gleiche Urlaubsziele, ähnliche Wertüberzeugungen, ähnliche Verhaltens- und Einstellungsmuster. Ein gutes Match zwischen ihnen muss klappen. Aber es klappt nicht.
Die Wirklichkeit sieht anders aus als auf dem „geduldigen Papier“. In der Praxis erlebe ich, wie sie aneinandergeraten, und zwar
– auf dem Gebiet der Nähe und Distanz,
– auf dem Gebiet der Dominanz und Anpassung,
– auf dem Gebiet der finanziellen Großzügigkeit und Sparsamkeit,
– auf dem Gebiet der Nervosität und Ausgeglichenheit,
– auf dem Gebiet des Schwermuts und der Fröhlichkeit,
– auf dem Gebiet der Gewissenhaftigkeit und Unordnung
und, und, und.
Die israelische Soziologin hält von solchen Tests und Matchingverfahren „ziemlich wenig. Ich glaube nicht daran, dass wir über ein Set von stabilen Persönlichkeitszügen verfügen. Die beste Art, jemanden einschätzen zu können, ist, ihn in verschiedenen Situationen zu beobachten.“3
Wer verliebt ist, macht Zugeständnisse, die er später nicht einhalten kann und will. Wer jemanden wirklich kennenlernen will, ist bei der Selbsteinschätzung großzügig, verzichtet auf kritische Selbstbeurteilungen. Erst das Zusammenleben bringt unsere Eigenarten, unsere Gewohnheiten und unsere Persönlichkeits- und Lebensstile ans Licht.
Wer zum Partner – als Christ – Ja sagt, der weiß,
– dass wir selbst unzählige Haken und Ösen haben,
– dass auch der andere mit Stärken und Mängeln behaftet ist,
– dass beide nicht aufgeben, wenn sie sich voreinander und vor dem lebendigen Gott die Treue geschworen haben.
Eine kleine Zwischenbilanz:
Verliebtheit ist etwas Wunderbares, doch mit wahrer Liebe hat sie wenig zu tun. Verliebte sind weitgehend blind. Wahrhaft Liebende sind klarsichtig. Warum ist das so? Echte Liebe kennt den Alltag, die Schwierigkeiten, die charakterlichen Unterschiede, die unterschiedlichen Bedürfnisse, die unterschiedlichen Gewohnheiten, die Mängel der Persönlichkeit und all die vielen psychischen Eigenarten des anderen.
– Die Liebe kennt Anomalien der Persönlichkeit.
– Die Liebe ist bereit für Krankheiten, die plötzlich auftreten.
– Die Liebe kennt sogenannte Schicksalsschläge.
– Die Liebe kennt Belastungen, die von draußen kommen,
– Die Liebe kennt körperliche und seelische Veränderungen.
– Die Liebe sagt trotzdem zum anderen Ja.
– Aber immer der Reihe nach – keine Überforderung!
Verliebtheit ist und bleibt etwas Schönes und Beglückendes, doch es muss jedem daran gelegen sein, dass die Fallgruben, die Störfelder, die Unklarheiten sowie die Stolpersteine gesehen und ernst genommen, beurteilt und bearbeitet werden. Dann kann die Verliebtheit der Beginn einer tragfähigen und reifen Liebe werden. Ich möchte ein wenig dazu beitragen, dass Missverständnisse in Sachen Verliebtheit verringert werden, dass die rosarote Brille eine andere Farbe erhält und dass rationales Handeln das irrationale Tun vertreibt.