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Die widerhallenden Berge

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Schon als Kinder empfanden wir es als faszinierend, in die Felswände hineinzurufen und auf das Echo zu warten. Und auch heute noch ist für den Bergwanderer der Widerhall wie ein majestätischer musikalischer Gruß der Höhen, wenn ein Donner oder ein Steinschlag, eine Staublawine oder der Ruf eines Menschen von Wandflucht zu Wandflucht rollt, über die Kare quert und sich im Talkessel vervielfacht. Wir sind ja die Welt des Widerhalls nicht gewöhnt.

Unsere zivilisierte Welt ist weitgehend echolos. Echos erzeugt man höchstens künstlich in den Tonstudios der Rundfunkstationen. Aber unsere Straßenschluchten und Häuserblocks haben fast kein Echo. In diesen Bereichen wird alles vom undefinierbaren, sich überschlagenden Lärm verschluckt. Zwischen Einkaufszentren und Hochhäusern, Parkplätzen und Fabrikshallen gibt es keinen Ton, dem man nachhorchen und nachlauschen könnte.

Es ist aber nicht nur unsere äußere Welt stumpf und resonanzarm geworden, es gilt das auch in gewisser Hinsicht für die Landschaft unserer Seele. Bei dem Lebensstil, dem wir unterworfen sind, kann vieles nicht mehr ausschwingen, nachhallen, wiederkommen. Die Erlebnisse werden von den sich überstürzenden Eindrücken geschluckt und verdrängt. Vieles muss an der Oberfläche der Seele abgleiten – zum Eindringen bleibt gar keine Zeit. Und die Erlebnispsychologie weiß schon lang, dass tiefes Erleben den Faktor T, Tempus, Zeit, braucht. Wir multiplizieren zwar unsere Erlebnisse, weil Technik und Wohlstand uns die Multiplikation gestatten oder aufzwingen. Aber die Überfülle der Reize und Sensationen verhindert die Tiefe des Eindrucks, macht das Echo-Erlebnis in der Seele unmöglich. Es hat eben keiner noch am Wasserfall seine Feldflasche gefüllt, sondern nur am kleineren, sanfter rieselnden Quell. Und so kann es sein, dass gerade jene Epoche der Menschheit, in der man sich am meisten Genüsse, Sensationen und Erlebnismöglichkeiten schuf, wahrscheinlich die meisten erlebnisimpotenten Menschen hervorgebracht hat. Wir leiden nicht nur an der Umweltzerstörung, sondern noch tiefgründiger an der Innenweltverarmung.

Die Berge sind eine Schule gesunden Erlebens. Sie schenken Erfahrungen mit Widerhall, Eindrücke, die nicht vorbeihuschen in rasenden Bildfolgen, sondern in ruhigen Rhythmen auf uns zukommen wie sich weitende Blicke, aufsteigende Sonnen und verdämmernde Abende, stundenlange Spannung und Erwartung und eine ruhig auskostende Freude.

Und diese Erlebnisse beginnen in der Seele auszuschwingen wie ein großes Echo. Mancher Bergwanderer weiß, dass solches Echo über Jahre hallen kann bis hinein in die Erinnerungen, die das Alter erfreuen.

Botschaft der Berge

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