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Die berauschenden Berge

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In der Menschheit gab es immer schon eine unterschwellige, manchmal elementar hervorbrechende Sehnsucht nach dem rauschhaften Erlebnis, nach dem Hinreißenden, nach einem ekstatischen Außer-sich-Sein. Diese Sehnsucht des Menschen reicht von den Trommeln der Schamanen bis zu den tanzenden Derwischen, vom Karneval in Rio bis zum hinreißenden Konzert des großen Orchesters. Es mag nach Völkern und Kulturen etwas verschieden sein, vielleicht auch nach dem Lebensalter. Der junge Mensch ist auf eine erlebnisintensive Begegnung mit dem Dasein mehr angewiesen als der Erwachsene, der sein Leben schon stärker aus den festgefügten Bahnen der Überzeugungen, Pflichten und nüchternen Notwendigkeiten lebt.

Unsere Welt bietet neben gesunden rauschhaften Erlebnissen für den jungen Menschen eine ganze Reihe zweifelhafter Ekstasen: den Rausch der aufheulenden Motoren und die Jagd über Landstraßen; den Rausch der Lichter und Töne in irgendeinem Schuppen, in dem Gefühle hochgepumpt werden; den Rausch der heißen Rhythmen und der grellen Farbblitze, der gekeuchten und gestöhnten Texte, die niemand mehr versteht; den Rausch der Gewalt und die Faszination der Macht in irgendeiner angsteinflößenden Lederwestenschlagringbande; den Rausch der Menge im brüllenden Stadion; den Rausch des Alkohols und der Droge …

Und wenn gar nicht wenige den Versuchungen dieser trügerischen Räusche erliegen, dann verbirgt sich dahinter doch ein elementares Bedürfnis, ein verzweifeltes Sich-Aufbäumen gegen ein fadisiertes Dasein oder eine drückende Vereinsamung, eine sinnlose Leere oder einen zu erlebnisarmen Alltag. Die Berge halten edlere Räusche bereit: den Aufstieg durch den Bruch in der Sternennacht; das Farbenspiel des Morgens über den erstarrten Schaumkronen des Gletscherkamms; die mühelosen Schwünge im Frühjahrsfirn; die luftige Gratkletterei über dem Nebelmeer; die ausgelassen fröhliche Rast der Seilschaft auf dem Gipfel; das Abendlied der Gletscherbäche und Rinnsale im weiten Talschluss. Wer diese Räusche gekostet hat, braucht weder Heroin noch Marihuana.

Und eines haben die edlen Räusche den gefährlichen voraus: Diese hinterlassen einen Kater, jene aber eine strahlende Erinnerung, die nur beschwingt, aber nicht belastet – einen wunderbaren Schatz für graue Tage …

Botschaft der Berge

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