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Die schweigenden Berge

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Es ist eine der liebenswertesten Eigenschaften meiner Heimatstadt, dass sie viele, schnelle Fluchtwege in die Stille hat. Wenn ich für ein paar Stunden dem Lärm entrinne und von irgendeinem Zacken der Nordkette ins Häusermeer von Innsbruck hinunterschaue, dann kommt mir zum Bewusstsein, wie laut die Welt ist, die wir uns gebaut haben. Alles ist laut: Motoren, Maschinen, Sirenen, Autobahnen, Flugzeuge. Wir strapazieren dauernd unsere Organe und Sinne, die ja eigentlich für verhaltenere Töne gebaut wären. Wir machen das Dasein zur Diskothek. Unser Feldzeichen ist der Verstärker. Dabei betrifft das Lautsein nicht nur die Welt des Akustischen. Auch Farben können laut sein, Scheinwerfer, Neonröhren, Schlagzeilen, ja sogar der vermarktete Sex unserer Tage ist zu laut.

Selbst wenn man zweitausend Meter darüber ist, dröhnt dumpf der Lärm der Stadt herauf. Aber wenn ich dann nur ein paar Meter auf die Nordseite hinüberwechsle und in die Ketten und Kare, die Wannen und Wände des Karwendels horche, weht mich die Stille an. Geräusche werden zur seltenen Kostbarkeit: ein rollender Stein, den eine querende Gämse losgetreten hat, der Schrei einer Dohle, das Bähen eines Bergschafes am Steilhang.

Man könnte sich vorstellen, dass diese gewaltige, stille Welt für manche Menschen heute im ersten Augenblick belastend ist. Wir sind zu sehr die Flucht in den Lärm gewohnt, damit wir nicht zu uns kommen und ja nichts aufbrechen kann, was da verdrängt und ungelöst sich tief in der Seele duckt. Aber dieses majestätische Schweigen ist doch die erste Therapie, die die Berge für uns gehetzte, verwirrte, abgelenkte und oberflächliche Menschen bereit halten. Wer die Botschaft der Berge hören will, muss sich auf diese Therapie einlassen.

Wahrscheinlich ist das erzieherische Tun der Menschheit noch nie so wortreich gewesen wie heute. Aber alle unsere Reflexionen und Verbalisierungskünste, unser Reden und Schreiben, Vervielfältigen und Ausstrahlen über die Medien – der ganze lärmende Aufwand kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das eigentliche Ziel aller Pädagogik sehr oft nicht getroffen wird: das Herz. Große Erzieher können sehr stille Menschen sein.

Die Berge sind schweigende Lehrer. Sie diskutieren, argumentieren und überreden nicht. Sie drängen sich nicht mit penetranter Rhetorik in unser Bewusstsein. Sie wahren – auch heute noch – weite Räume der Stille. Ich habe schon sehr fröhliche, junge Menschen erlebt, die beim Mondnacht-Aufstieg über einen weiten Gletscher so still geworden sind, wie man vielleicht verstummt, wenn man von einer lauten Straße her plötzlich in die Gewölbe eines alten Kreuzgangs tritt. Und darum ist die erste Botschaft der Berge ihre Stille. Der Teppich des Schweigens muss ausgerollt werden, damit die Ehrfurcht Einzug halten kann.

Botschaft der Berge

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