Читать книгу Bis der Nebel sich lichtet - Reinhold Vollbom - Страница 6
Nachgefragt
Оглавление»Cindy, wie viel Kaffee kommt in die Maschine?« Moritz rief die Frage halblaut in Richtung Schlafzimmer.
Von dort kam eine verschlafene mürrische Antwort. »Halb so viel wie sonst.«
»Wenn wir vorhaben, heute den Polizisten zu befragen, bleibt es nicht aus, dass du in den nächsten Minuten aufstehst, mein Schatz.«
Das zog. Moritz hörte das Bett knarren.
»Du wirst keinen Grund haben, die Fahrt abzuschreiben.« Das Müde in der Stimme entschwand schlagartig. Cindy stand putzmunter in der Schlafzimmertür.
Eine knappe Stunde später saßen sie sich am Frühstückstisch gegenüber.
»Ich staune«, fing Moritz das Gespräch an, »wie viel Leute gestern auf der Beerdigung waren. Obwohl deine Adoptiveltern keine Verwandten mehr hatten.«
»Die meisten waren Hausbewohner. Sogar die Neugierigen, die oben links wohnen und mit denen Mutter sich nie verstand, kamen. Und dann natürlich die vom Kaffeekränzchen. Was hat sie sich manchmal mit diesen schaulustigen Nachbarn herumgezankt. Und nun …«, sie zuckte mit tränenerstickter Stimme die Achseln, »… und nun ist auf einmal alles vorbei. Da liegen sich die Menschen über viele Jahre in den Haaren, holen sich durch unnötige Streitereien Magengeschwüre, – und mit einem Mal ist es so, als hätte es das nie gegeben. Wäre bestimmt sinnvoller, wenn man die kurze Zeit auf Erden, dazu nützen würde, sich gegenseitig zu helfen, zu lieben und zu respektieren.«
Moritz umarmte Cindy, um sie zu trösten. »Zu spät merken die Menschen, dass sie das letzte Stückchen des Weges ganz allein reisen. Selbst wenn du in unserer Welt, mit noch so viel Geld, Macht und Einfluss hantiert hast, in der allerletzten Stunde zählt das nicht. Dann schreitet jeder den gleichen Weg. Ob er nun stinkreich oder bettelarm ist. Für den Fall, dass es für meinen Vorgesetzten einmal soweit ist, wird sich keiner mehr für sein Parteibuch interessieren. Die Menschen haben die Pflicht, wieder zu sich selber zu finden. Den Grund unseres Daseins sehe ich nicht allein im Geldverdienen …«
Cindy löste sich aus Moritz’ Umarmung. Mit weiten offenen Augen sah sie ihn an. »Das war nett, was du da gesagt hast. Aber gilt das nur für die anderen oder auch für dich?« Ihre Worte waren mit fester Stimme gesprochen.
»Wie meinst du das?«
»Na, wenn es deine Entscheidung betrifft, als Drehbuchautor im Landhaus zu wohnen oder sich als Polizist des Geldes wegen erschießen zu lassen.«
»So schnell wird niemand erschossen.« Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. »Du hast mit Bernd ein Komplott gegen mich ausgearbeitet?«, stellte er mit kritischer Stimme fest. »Woher weißt du, dass ich mir im Grunde genommen nur deinetwegen das Landhaus ansehe?«
»Blödsinn! Erstens war es dein Wunsch, schon immer in einem eigenen Haus zu wohnen. Und zweitens, hast du vergessen, dass ich seine Sekretärin bin?« Leise fügte sie an: »Ich bearbeite nicht nur den Briefwechsel und redigiere Manuskripte. Da ist auch eine zwischenmenschliche Beziehung zu meinem Arbeitgeber, deinem Freund. Natürlich deutete Bernd mir an, dass du nur meinetwegen das Haus betrachtest. Kein Mensch wird von dir verlangen, von heute auf morgen eine Entscheidung zu treffen, die dein bisheriges Leben vollkommen umkrempeln würde. Das verstehe ich. Bernd versteht das ebenfalls. Außerdem haben wir vor uns dieses Gartenhaus erst mal anzusehen. Ich bin deshalb so begeistert, weil sich alles bezaubernd anhört. In einem eigenen netten alten Haus, weitab der Großstadt-Hektik mit einem Mann zu leben, den ich liebe.«
Sekundenlanges Schweigen.
»Ich liebe dich auch, Kleines«, flüsterte er ihr einfühlsam ins Ohr.
Fast eine Minute umarmten sie sich gegenseitig äußerst liebevoll. Cindy bekam kaum Luft. »Komm, lass uns fahren.« Sie löste sich schließlich schweratmend aus seiner Umklammerung.
Auf der Fahrt sah sie vom Beifahrersitz aus zu ihm hinüber. »Die Landkarte brauche ich diesmal nicht. Ich habe mir vorher die Strecke genau eingeprägt.«
»Wie hieß dieser … dieser …«
»Polizeibeamter Kronitz. Ich bin wahnsinnig gespannt, was der uns zu berichten hat.«
Kaum merklich schüttelte Moritz mit leicht verzogenem Mundwinkel den Kopf. »Ich befürchte, du steigerst dich da in irgendwas rein …«
»Das stimmt nicht«, unterbrach sie ihn schroff. »Aber denke doch mal an die Leiterin vom Dachsbau. Wie geheimnisvoll die sich gegeben hat.«
»Ja, weil sie sich wichtig vorkam. Übrigens, ich habe mich Dienstagabend im Dezernat erkundigt, was es mit der Akteneinsicht auf sich hat.«
»Und?«
»Dir oder einem Anwalt steht die Einsicht in die Akten zu.«
»Aber was nützt das, wenn mit einem Mal die Hälfte der Unterlagen fehlt.«
»Ich habe mit Hansen gesprochen«, fuhr Moritz fort. »Er ist ein alter Hase. Bei einer Adoption, meint er, kommt viel Papierkram zusammen. Insbesondere, wenn es einiges zu klären gibt. Beispielsweise bei Fragen zum Geburtsort. Da entsteht ein regelrechter Briefwechsel zwischen Jugendamt, Sozialamt, Betreuungsgericht. Und das Ganze auch noch mit einer ausländischen Behörde, wie in deinem Fall. Es ist durchaus möglich, meinte Hansen, dass da ein dicker Ordner zusammengetragen wird. Ohne das eine brauchbare Information darunter ist. Am besten du reduzierst die Hoffnungen auf ein Minimum, damit du hinterher nicht enttäuscht bist«, empfahl er mir.
»Abwarten«, sprach sie ein wenig säuerlich. Dabei beobachtete sie, durch das Seitenfenster, die rasch vorbeifliegende Landschaft.
»Halt!«, rief Cindy wie aus heiterem Himmel. »Hier geht’s rechts ab. Jetzt sind wir gleich da.«
Wenige Minuten später beugte sie sich nach vorn, um hierdurch die Umgebung besser wahrzunehmen. »Links, das Haus ist es.« Der Zeigefinger ihrer rechten Hand deutete auf ein älteres Einfamilienhaus, am Eingang vom Ort. »Park doch direkt vor der Garage«, forderte sie ihn auf.
Moritz kam ihrer Forderung nach. Er stellte das Fahrzeug vor dem Kfz-Einstellplatz, neben dem weißgetünchten Haus ab. An einigen kleinen Stellen der Außenwand des Hauses löste sich bereits der Putz. Die dort fehlende cremeweiße Farbe ließ das trübe Grau darunter erkennen.
Kaum das sie an der Tür geläutet hatten, öffnete ihnen ein älterer Mann in der Dienstkleidung der Polizei. »Ja, bitte?!« Seine fragenden Augen sahen die beiden vor ihm Stehenden misstrauisch an.
Moritz stellte sich sowie Cindy mit knappen Worten vor. »Wir kommen in einer Angelegenheit, die schon fünfundzwanzig Jahre zurückliegt«, leitete er das Gespräch vorsichtig ein.
»Wie viel Jahre?!« Der Polizist meinte, seinen Ohren nicht zu trauen. »Haben Sie solange nach mir gesucht?« Die Frage klang überaus spöttisch.
»Es handelt sich um ein Heimkind«, mischte sich Cindy ins Gespräch. »Genauer gesagt, um mich. Vor etwa fünfundzwanzig Jahren gaben Sie ein Kind im Kinderheim ab. Im Dachsbau. Nicht weit von hier entfernt. Erinnern Sie sich?«
Der Polizeibeamte legte die Stirn in Falten. Dann bat er beide ins Haus. »Ich besinne mich an kein kleines Mädchen, das ich in einem Kinderheim abgegeben habe«, knirschte er muffelig. »Wann war das genau, sagten Sie? – Hm. – Nein, leider. Ach halt, warten Sie mal. Richtig! Habe ich schon fast wieder vergessen. Damals, mein Gott ist das lange her, da habe ich ein kleines Mädchen in einem Waisenhaus abgeliefert. Nur wie das Kinderheim hieß, daran erinnere ich mich nicht mehr.«
Cindy beobachtete jede einzelne Regung des anderen. Sie stellte jedoch nichts Besonderes fest. Ebenso der Name Dachsbau hinterließ keinen Eindruck bei ihm.
»Was ist so bedeutungsvoll an dem Vorgang?«
»Wie ich bereits erwähnte, das Mädchen, das Sie seinerzeit dort ablieferten, war ich.«
Der Polizist sah sie lange an, bevor er mit langgedehnter Stimme fragte: »Sie?« Erst jetzt schien er die Zusammenhänge zu verstehen.
Für den Bruchteil einer Sekunde meinte Cindy, ein kurzes hektisches Blitzen in seinen Augen wahrgenommen zu haben. »Erinnern Sie sich noch?«, fragte sie aufgeregt.
Der Polizeibeamte zuckte uninteressiert mit den Achseln. »In dieser Sache gibt es nichts, was ich im Gedächtnis habe. Ein normaler, eher unbedeutender Vorfall …«
»Wie kam es dazu, mich im Kinderheim abzuliefern?«
»Der Vorgang war etwas komisch. Fand ich jedenfalls. Von der Zentrale habe ich per Funk den Auftrag bekommen, ein Kind in ein Waisenhaus zu bringen. Das Dorf, vielleicht ist es besser, Kleinstadt zu sagen, lag etwa eine halbe Fahrstunde von hier entfernt. Um kein Aufsehen zu erregen, habe ich hinter dem Mietshaus geparkt. Schließlich war ich mit dem Polizeiwagen dort.«
»Wissen Sie, wer bei der Polizei angerufen hat?« Moritz sah ihn fragend an.
»Die Mieterin selber. Trondberg, hieß sie.«
»Nach all den Jahren erinnern Sie sich noch so klar an den Namen?« Moritz staunte.
»Das Kreuzfahrtschiff von unserer letzten Urlaubsreise damals, hieß so. Im ersten Stock öffnete mir Frau Trondberg. Ich betrat ihr Wohnzimmer. Auf der Couch saß ein Mädchen mit einem Spielzeug in der Hand. Die Kleine schien sich für mich gar nicht zu interessieren. Danach bemerkte ich, wie die Wohnungsinhaberin zu zittern anfing. Vielleicht hatte sie vorher schon gezittert und ich habe es nur nicht zur Kenntnis genommen …«
»Ja, ja«, sprach Cindy, »und was geschah dann?«
»Ihre Augen sahen so leer aus. Irgendwie blass. Um im Vorfeld gleich zu klären woran ich war, habe ich mich umgesehen, ob es irgendwo alkoholische Getränke gab …«
»Sie nahmen an, dass die Frau alkoholisiert war?«, unterbrach Cindy ihn.
»Es war nicht auszuschließen. Trunkenheit war immer wieder ein Grund für Einsätze, die aber mit einer anderen Meldung im Revier eingingen. Nein, diese Frau sah nur so aus. Ihre Augen waren leer, sahen durch einen förmlich hindurch. So, als hätte sie ein Narkotikum genommen.«
»Ein Rauschmittel, Rauschgift, Kokain oder was auch immer?« Cindy sah ihn fragend an.
»Ich hatte nicht die Zeit, intensiv darüber nachzudenken. Trotz ihres mitgenommenen Zustandes gab sie mir gleich Anweisungen …«
»Anweisungen?«
»Sie sagte, dass sie vor kurzem aus Spanien zurückgekommen sei. Dort hatte sie einige Jahre gearbeitet. Dann hatte sie die Absicht, wieder in ihrer Heimat zu leben. Ihr Kind wäre tagsüber in einer Kindertagesstätte. Allerdings müsse sie sich operieren lassen. Und das schneller, als sie es vorhatte. Die Operation war für die nächsten Tage vorgesehen. Der Tag davor war für die Aufnahme im Klinikum geplant. Sie nahm Kontakt mit dem Kinderheim auf und regelte alles Notwendige. Das Jugendamt erhielt ebenfalls eine Information. Für die Zeit ihres Aufenthaltes im Krankenhaus brachte sie ihre Tochter ins Waisenhaus. Und auch noch für eine gewisse danach, bis sie wieder ganz gesund wäre. Familienangehörige, Bekannte oder Freunde hatte sie nicht, die sich um das Kind möglicherweise kümmerten. Somit hatte sie im Vorfeld alles geregelt. Plötzlich verschlechterte sich ihr Zustand dramatisch, sagte sie. Deshalb wählte sie den Notruf der Polizei.«
»Warum rief sie keinen Notarzt?«, sah Moritz ihn fragend an.
»Das habe ich sie ebenfalls gefragt«, sprach der Polizist. »Sie fürchtete, dass ihr Kind allein in der Wohnung zurückbleiben würde. Vielleicht nahm sie an, dass die Kleine sich verängstigt irgendwo im Zimmer versteckte, ohne dass dies der Notarzt oder die Rettungssanitäter bemerkten.«
»Hmm …«, drang es aus Moritz heraus.
»Dann fiel mir ein Pilotenkoffer unter dem Tisch auf. Die beiden Verschlüsse waren nach außen gebogen. Hierdurch war es möglich einzelne kleine Verpackungen zu erkennen: Medikamente. Sie bemerkte meinen Blick und erklärte, dass sie Pharma-Referentin sei. Die Worte drangen nur bruchstückhaft aus ihr heraus. Ich habe sofort einen Notarzt angefordert. Bis der Wagen da war, stammelte sie immer wieder irgendwelche Wörter oder Begriffe. Aus meiner Sicht schwer verständlich und zusammenhangslos. Sie befürchtete wahrscheinlich, dass es ihre letzte Nacht sein würde.«
»Erinnern Sie sich daran, was sie da stammelte?« Besorgt sah Cindy den Polizisten in die Augen. »Teilte sie mit, woran sie erkrankt war?«
»Über ihre Krankheit äußerte sie sich nicht. Darüber brauchte sie mich nicht unterrichten. Vielleicht hätte ich es gar nicht verstanden, wenn sie mir davon was mitteilte. Ihre Worte waren lückenhaft. Mal laut, mal leise gesprochen. In meinen Augen sprach sie nur wirr. Der Himmel habe ihr einen Engel gesendet, der sie nun holte. Jedenfalls war ich der Meinung, das verstanden zu haben. Kurz darauf kam der Notarzt und hat sie mitgenommen. Und die Kleine«, bei diesen Worten sah er vorsichtig zu Cindy hinüber, »habe ich ins Kinderheim gebracht.«
Cindys Stirn legte sich in Falten. »Meine Mutter sprach von einem Engel, den ihr der Himmel sendete? Komisch und ich träumte früher davon, dass mir Sterne auf den Kopf fielen.«
»Siehst du da einen Zusammenhang?«, fragte Moritz seine Freundin.
Sie sah ihn nur wortlos an und zuckte mit den Achseln.
Einige Sekunden herrschte absolute Ruhe im Raum. Dann sprach der Polizist weiter. »Wenn ich mich recht erinnere, ist Frau Trondberg noch in derselben Nacht gestorben.«
»Wo wurde sie begraben?«, fragte Cindy.
»Keine Ahnung. Das war für unsere Ermittlungen nicht wichtig. Wahrscheinlich, wie in solchen Fällen üblich, wurde sie anonym auf irgendeinem Friedhof beerdigt.«
»Und wurde weiter ermittelt?« Moritz’ Augenbrauen schoben sich wissbegierig nach oben.
»Na ja, es lagen nur die Aussagen der Leiterin vom Kinderheim vor, die ihr Frau Trondberg mitteilte. Das hatten wir zu überprüfen.«
»Und was wurde im Einzelnen ermittelt?«
»Frau Trondberg hatte als Geburtsort, für ihre Tochter, Spanien angegeben. Almeria, in Spanien.«
»Und?«, hakte Cindy nach.
»In dem Krankenhaus, in Almeria, gab es damals einen Brand. Ich erinnere mich noch, wie das durch die Presse geisterte. Es war nicht so dramatisch, wie es dargestellt wurde. Der Schaden vom Feuer bezog sich auf ein Nebengebäude, in dem nur Akten gelagert wurden. Damals wurde fast ausschließlich mit Papier archiviert. Unsere Ermittlungen betraf es, weil die Geburtsunterlagen, vom Kind von Frau Trondberg, betroffen waren. Die Unterlagen fielen dem Feuer zum Opfer. Somit hatten wir nur die Aussage der Leiterin vom Kinderheim. Und die hatte ihre Information von Frau Trondberg.«
Moritz hakte nach. »Und die anderen Behörden in Spanien? Vielleicht ein Kinderarzt, der das Kind behandelte?«
Der Polizist schüttelte den Kopf. »Auch die Aussage der Mutter von der Kleinen«, er warf einen kurzen Blick zu Cindy hinüber, »der Himmel habe ihr einen Engel gesendet, sprach sie sicherlich in verwirrtem Zustand. Trotzdem sind wir der Sache nachgegangen.«
»Und wie?«
»Wir haben in Spanien und im angrenzenden Ausland angefragt, ob es irgendwelche Auffälligkeiten mit Kleinkindern gab. Ausgesetzt, entführt, geraubt, verschleppt, verloren gegangen oder was auch immer. Die Antwort war gleich null. Ebenso hier bei uns: nichts. Niemand vermisste ein Kind. Gut, wirklich erwartet hatten wir das nicht. Aber wir nahmen uns vor, alles auszuschließen.«
»Was war mit meinem Vater?«
»Da haben wir nur die Informationen, die Ihre leibliche Mutter der Heimleiterin mitteilte.« Der Polizist presste die Lippen zusammen, dabei legte er den Kopf zur Seite.
Cindy verstand diese Geste. »Ich weiß, vielleicht wusste mein Vater gar nicht, dass er Mutter geschwängert hat. Ist doch so, oder?! Wahrscheinlich war das der Grund, dass sie wieder in ihre Heimat zurückwollte.«
Der Polizist räusperte sich. »Der Grund für ihre Rückkehr war möglicherweise ein anderer«, erklärte er. »Ihre leibliche Mutter war, als Handelsvertreterin, selbstständig. Ihr war es möglich, mehr oder minder, das Arbeitsgebiet aussuchen. Ausland oder Inland. Und ihre persönlichen Daten, Ehemann, Kind und was auch immer, interessierte keine der Firmen für die sie arbeitete. Wir haben damals selbstverständlich recherchiert. Bei dem Unternehmen, das den Hauptteil ihres Einkommens ausmachte. Ihre Mutter ahnte vermutlich, dass sie nicht mehr lange leben würde. Wenn schon sterben, dann in der Heimat. Als Pharma-Referentin hatte sie schließlich Zugriff auf einige Medikamente. Eben diese Arzneimittel, die sie für ihre Krankheit benötigte. Ihr Medizin-Studium hatte sie zwar nicht abgeschlossen, aber um ihre Erkrankung zu behandeln, reichten diese Kenntnisse aus.«
»Warum wurde sie dann mit mir schwanger?«
»Keine Ahnung. Vielleicht war ihr nach einem Erben. Oder sie beabsichtigte gar nicht …«
»Das klären wie beim nächsten Mal«, unterbrach Moritz schroff die Unterhaltung.
Gleich darauf sahen sich die beiden anderen schweigend an.
»Jetzt sind Sie über alles informiert«, stellte der Polizeibeamte schließlich fest. »Ich staune, an was ich mich in diesem Fall tatsächlich erinnere. Und bin überrascht, was mir eingefallen ist. Immerhin liegt das schon eine Ewigkeit zurück.« Dann sah er Cindy lächelnd an. »Vielleicht fällt Ihnen später etwas ein, was Ihre Aufmerksamkeit weckt. Keine Scheu, melden Sie sich bei mir. Für den Fall, dass eine weitere Frage auftaucht, die es zu klären gilt, bin ich für Sie da.«
»Gibt es denn etwas, was wichtig wäre, zu beantworten?«, fragte Moritz.
»Im Grunde genommen nicht. Für alle Fragen existiert eine klare oder logisch richtige Antwort.«
»Macht Sie das stutzig?«
»Ja!«, antwortete der Polizist knapp, mit einem Lächeln auf den Lippen. »Alles, was keine Zweifel aufkommen lässt, macht mich misstrauisch. Von Hause aus. Meine Frau hasst diese Einstellung. Mir hat diese Gewohnheit hingegen schon oft geholfen. – Aber leider nicht immer«, ergänzte er.
Cindy und Moritz verabschiedeten sich freundlich von dem Polizisten, sowie seiner Frau.
Beim Einsteigen in den Wagen raunte er ihr zu: »Mich würde interessieren, ob er nach unserem Gespräch immer noch so stutzig und misstrauisch ist.«
Doch Cindy reagierte nicht. Mit einem Spitzentaschentuch wischte sie sich die winzigen Tränen aus den Augenwinkeln. Das Weiß in ihren Augen hatte sich blutunterlaufen verfärbt. Moritz merkte ihr an, dass die Antworten des Polizeibeamten sie belasteten.
Auf ihrer Heimfahrt sprachen beide kein Wort.