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Kapitel 4
Оглавление“Noch einmal zurück zu den Gaumenfreuden der Freiheit, Tony - Seit geraumer Zeit geht man ja davon aus, dass - anders als etwa im Lichtspieltheater oder vor der Glotze - der Betrachter eines realen Schauspiels nicht nur passiver Teil desselben, sondern ebenso dessen Spielmacher ist.”
“Was mittelbar zu der Frage führen könnte, ist das Freiheit oder Fügung?”
“Im Zweifel wohl beides.”
“Andrerseits sollte aber auch nicht unerwähnt bleiben, dass, seit es die visuellen Medien gibt, die Grenzen zwischen Leben&Tod verschwimmen.”
“Magst du das erklären.”
“Nun, man sieht Personen in Talkshows, Interviews, Dokumentationen, manche leben noch, manche sind bereits tot - es macht aber oft gar keinen Unterschied, vielmehr erscheint es einem so, als wären letztere nie gestorben.”
“Und dann ist da noch die Holografie.”
“Maskiert und unmaskiert.”
“Wo bleibt bei all dem das Leibhaftige? Im nichtöffentlichen Raum?”
“Fragen wir doch mal seinen Hauptvertreter.”
“Der bekanntermaßen sehr öffentlichkeitsscheu ist…übrigens, war das im Grunde nicht immer schon der Fall?”
“Was jetzt?”
“Das Binnenverhältnis zwischen dem Faktischen und dem Nichtfaktischen. Man könnte auch sagen: der Wettstreit.”
“Die Frage geht mir jetzt doch ein wenig zu weit, mein Lieber.”
“Na schön. Briefmarke drauf und ab ins anonyme Postfach…”
“Was meinst du, Lux, wollen wir nicht das Lokal wechseln? Ich habe mittlerweile wieder eine steil ansteigende Hungerkurve”
“Du denkst an ein richtiges Speiselokal?”
“Ja. Ich werde Maria, die Zweite, rufen. Übrigens, ich zahle, du bist eingeladen.”
Die Freunde brechen kurze Zeit später auf, nicht ohne sich, nach Übergabe eines stattlichen Trinkgeldes aus der Hand Tonys, sowie mit der nachdrücklich vorgetragenen Versicherung, bald schon wiederkommen zu wollen, von ihrer dienstbaren Fee Maria untertänigst verabschiedet zu haben. Das Restaurant, das sie in der Folge ansteuern, liegt auf der anderen Straßenseite - ein Italiener. Er kenne, sagt Tony, den Laden flüchtig.
“Du sprachst in einem Nebensatz davon, du hättest zwei geschiedene Ehen hinter dir, Tony. Was waren die Gründe?”
“Ehebruch… Sag jetzt nicht, das hättest du dir denken können.”
“Tu ich nicht, nein…Ehebruch, ein seltsames Wort, wie ich finde. Was soll das aussagen? Wer oder was wird da eigentlich gebrochen?”
“Gebrochen wird, schätze ich, anders als beispielsweise im Steinbruch, der Treueschwur.”
“Und jetzt lebst du…?”
“In wilder Ehe. Unverbrieft, wie es so schön heißt. Aber wir sind verlobt… Übrigens, denkst du auch, was ich gerade denke?”
“Wir sollten den Tisch wechseln.”
“Genau… das zweite Mal an diesem historischen Datum. Und dieses Mal ist es nicht allein die Lautstärke, die nervt, oder?”
“Nein.”
“Es sind die Artgenossen dort drüben. Ein Beispiel ungebremsten Redezwangs.”
“Und schau sie dir an, unsere Nachbarn. Sind allesamt deutlich jünger als wir.”
“Sie haben die, wie sagt man - Zukunft noch vor sich.”
“Sie hätten die Möglichkeit, das Ruder herum zur reißen.”
“Hätten sie, ja, und wo?”
“Da, wo es nötig ist.”
“Glaubst du, dass sie es tun werden?”
“Das mit dem Glauben ist so eine Sache.”
“Obwohl, das, was wir glauben, uns vermutlich mehr bestimmt als das, was wir wissen.”
“Das glaubten schon die alten Griechen.”
“Bist du sicher, dass es die alten Griechen waren?”
“Es könnten auch die alten Gutäer gewesen sein.”
“Man müsste die entsprechenden Quellen einsehen können.”
“Und das entsprechende Kartenmaterial.”
“Fragen wir doch mal, was letzteres angeht, die Nachlassverwalter von Piri Reis.”
Tony hebt in einer bekräftigenden Geste, von der nicht deutlich wird, worauf sie verweisen soll, die rechte Hand, die, dem Alter trotzend, über eine sehr straffe und sehnige und leicht behaarte Beschaffenheit verfügt; an zwei Fingern derselben versprüht, inmitten des Lichthofs oberhalb der blütenweißen Stoffdecke ihres Tisches, ein smartes Brillantenduo, in Nachbarschaft eines vergleichsweise unscheinbaren Verlobungsrings, sein alarmfrei funkelndes Blaulicht. Die Freunde verschaffen sich in der Folge bei dem für ihren Platz zuständigen Kellner Gehör und lassen sich umsetzen.
“Weißt du, wen ich gerade schmerzlich vermisse? Meinen Spazierstock. Hätte ich ihn jetzt bei der Hand, wäre ich geneigt, ihn als Waffe einzusetzen, als Waffe gegen ungebeten erodierendes Seifenblasen-Geplapper.”
“Sprichst du von uns?”
“Scherzbold. Ich meine natürlich unsere geschwätzigen lauten Nachbarn.”
“Wozu benötigst du einen Spazierstock? Du wirkst doch noch recht beweglich.”
“Ich habe ihn in der Hauptsache, aber nicht nur, wegen meiner Rückenschmerzen. Manchmal kann ich nicht ohne ihn sein. Und ich schätze seine Zuverlässigkeit, seine Loyalität. Außerdem machen wir beide zusammen eine ziemlich gute Figur. Ich habe ihn vor Jahren von einer Indien-Reise mitgebracht. Es ist ein Flanierstock aus Malaccarohr, sein Knauf eine Silberklaue, welche eine Weltkugel hält.”
“Du kannst ihn mir bei Gelegenheit gern einmal vorführen.”
“Werde daran denken…Ich geh mal kurz austreten.”
“Du musst oft zum Klo, nicht wahr?”
“Alte Blase. Schwache Blase…und dann auch noch keine Seife.”
“Wie? Keine Seife?”
“Man hat, wie ich feststellen musste, nicht für genügend Seife gesorgt, in diesem Laden.”
“Ah ja.”
“Es gab übrigens mal eine Zeit, da wusch ich mir 8x am Tag die Hände…Wie oft tust du es, Lux?”
“Seit ein Engel an meiner Tür klopfte, um zu betteln und ich ihm ein Almosen gab, woraufhin er die meinen heilig sprach, nie.”
“Glückwunsch, Herzbube… also dann, bis gleich.”
Als Tony von den Toiletten zurückkehrt, schaut Lux ihm blinzelnd entgegen. Und er glaubt zu bemerken, dass der Freund sich leicht gebeugt hält. Doch vielleicht, denkt er, täusche ich mich da. Tony war immer ein hervorragender Sportler, schon in der Schule gehörte er in der Leichtathletik wie auch im Fußball zu den Besten seiner Altersgruppe. Und er hat, wie er zwischendrin im Gespräch bemerkte, viel Tennis, viel Golf gespielt. Er besitzt sogar einen Segelschein. In den letzten Jahren habe er sich allerdings, sagt er, vom Sport mehr und mehr zurückgezogen. Grund sei die verdammte columna vertebralis.
Als Tony von den Toiletten zurückkehrt, summt er leise vor sich hin. Und im Näherkommen, erkennt Lux die Melodie. Ein Ulk-Song (performed by Eddi Arent). Sie haben ihn in der Jugend oft gemeinsam im Wechselgesang geträllert:
“Ich bin der Chef vom Detektivbüro 00,
Obwohl ich lieber bei der Post Beamter wär.
Ich löse jeden Fall, ganz ohne jeden Knall,
Denn ich bin Chef vom Detektivbüro 00…”
Als Tony von den Toiletten zurückkehrt, grinst er wie ein mittleres Azorenhoch. Es ist seltsam. Man ist zusammen. Man albert herum. Es ist wie früher. Es ist, als habe das Erwachsenwerden nur auf der Wetterkarte stattgefunden, Es ist, als sei die Zeit stehen geblieben. Jeder kennt das vermutlich.
”Weißt du,Tony, früher wollte ich Schauspieler werden. Soll ich dir verraten, warum?”
“Du musst nicht, wenn du nicht willst.”
“Ich wollte es, weil man sich selber dann aus der Distanz betrachten kann, und das auf eine Weise, als wäre man eine andere Person.”
“Das ist, seit es die Digitaltechnik gibt, ja nahezu ein Kinderspiel, mithin für jeden erreichbar.”
“Mag sein… aber doch nur bis zu einem gewissen Punkt.”
“Punkt, Punkt, Komma, Strich, fertig ist das Mondgesicht… Und ich hatte mir in früher Jugend gewünscht, Chef eines Marionettentheaters zu werden.”
“Der Mensch ist nur da ganz Mensch…”
“…wo er spielt. Jener Satz, den wir Älteren von der Schulbank kennen und neben promovierten Germanisten auch jedes Kleistothecium, das schon einmal an einer Schillerlocke gerochen hat.”
“Dabei gilt es in Rechnung zu stellen, dass Spiel nicht bedeutet, es herrsche Wahlfreiheit.”
“Keineswegs. Im übrigen…wir sind bekanntlich Geschöpfe mit eingebauter Fehlerquote.”
“Ja. Und man stelle sich nur einmal vor, man würde alles richtig machen. Wie monochrom und monoton die Reise des Lebens dann wohl verliefe. Und das nicht allein für einen selbst, sondern gleichermaßen für Mitreisende wie den Ehepartner, den Taufpaten oder den Hausmeister.”
Lux putzt an seinen Brillengläsern herum. Es ist nicht das erste Mal an diesem Abend. Und ihm geht durch den Kopf, er wollte dieser Tage eigentlich seinen Keller entrümpeln. Der Gedanke schwillt. Der Gedanke ebbt. Wie das so ist mit geistigen Flußläufen.
“Mein Freund, du hast vorhin eine Kostprobe deiner seelischen Untiefen gegeben. Nun will auch ich etwas erzählen, etwas, worüber ich noch zu niemanden gesprochen habe. Es weist gewisse Parallelen auf zu dem, was von dir zu hören war. Es liegt bereits eine Weile zurück, ungefähr sieben Jahre. Ich kannte meine Eva noch nicht, mit anderen Worten, ich war allein auf diesem Planeten unterwegs, ein seltener Begleitumstand in der bisherigen Verlaufskurve meiner Vita. Was damals geschah, geschah quasi über Nacht. Es begann damit, dass ich wie gewohnt morgens meine Mailbox öffnete und feststellte, sie war leer. Ich hatte sonst immer Post, täglich. Und bisweilen fanden sich Mitteilungen von Frauen darunter, Grußbotschaften etwa, amouröse Fotos, Liebesbezeigungen. Natürlich gab es auch Rechnungen, Berufliches, Werbung…Anfangs irritierte es mich nicht sonderlich, dass die Mailbox leer war. Es kamen jedoch im Verlauf der nächsten Zeit andere Dinge hinzu. Das Telefon klingelte nicht mehr. Niemand rief mich an. Und meine Versuche, Freunde, Bekannte zu erreichen, scheiterten. Ich sprach Nachrichten auf Band. Ich verschickte Anfragen. Kein Echo. Ich fühlte mich mehr und mehr wie ausgesperrt. Das Ganze war mir ein Rätsel. Ich hatte keine Erklärung. Ich sah mich jäh von einem pechschwarzen Nichts umfangen, wie ein Astronaut, der aus seinem Raumschiff geschleudert worden ist und in die Unendlichkeit des Raumes abtreibt. Es war ein schrecklicher Zustand. Ich fühlte mich einsam, verlassen. Ich bekam Panik. Hatte man mich vergessen? Hielt man mich für tot? Hatten dunkle kafkaeske Mächte eine Kontaktsperre über mich verhängt?”
“Klingt nach einer Verschwörung.”
“Es war keine Verschwörung. Es war, wie sich später herausstellte, eine Verkettung saudummer Zufälle. Aber der Schreck, den mir das Ganze einjagte, blieb, hielt sich über Monate lebendig. Ich sah mit einem Mal, wie hauchfaserdünn das ist, was wir als Normalität ansehen. Dazu bedarf es nicht eines Unfalls mit traumatischen Folgen, keiner existentiellen Krise. Es genügt schon, dass man über einen gewissen Zeitraum in eine Art stillgelegten Gulli fällt und darüberhinaus nicht mehr zu unterscheiden weiß, was Täuschung ist und was nicht.”
“Selbstzweifel plagten dich aber keine?”
“Selbstzweifel?”
“Mir wäre es so ergangen.”
“Es war eher ein Zustand dumpfer Verstörung, in dem ich mich befand, gepaart mit der Furcht, die Haltestelle, an der die Busse der Außenwelt hielten, könnte stillgelegt worden sein.”
“Vielleicht wäre zeitweilig ein kritischer Blick ins eigene Innere zweckdienlich gewesen.”
“Ins eigene Innere? Nun, das ist ein anderes Thema. Und für mich verhält es sich damit ähnlich wie mit dem, was man unter inneren Werten versteht; es ist etwas, für das ich mich, außer in medizinischer Hinsicht, nie wirklich interessiert habe. Innere Werte - Was heißt das? Blutwerte, Leberwerte? Meine Aufmerksamkeit war stets primär auf die äußere Erscheinung ausgerichtet, auf den Phänotypus, wenn du so willst. Das, was ich sah, hörte, schmeckte, roch, war das Futter für meine Sinne, für meine Einbildungskraft. Es war die Voraussetzung dafür, dass ich willens war zu erkunden, was sich hinter dem Vorhang befand. Ich gebe zu, das mag begrenzt klingen, aber so war es, und so ist es es noch.”
“Tony, der Sinnenmensch.”
“Sind wir das nicht letztlich alle, jeder auf seine Art.”
“Darüber ließe sich trefflich streiten.”
“Ich will gar nicht streiten. Mir genügt meine Wahrnehmung der Dinge.”
“Was, wie du selber ausgeführt hast, mitunter zu Täuschung und Selbsttäuschung führen kann.”
“Das, mein Lieber, scheint mir eine Mitgift der Schöpfung für unsere menschliche Spezies zu sein, eine Ingewahrsamnahme des Geistes, von der sich niemand freikaufen kann.”
Tony hält inne, indessen Lux sich fragt, den Blick intravenös ins Unberechenbare gerichtet, ob es wohl eine Kunstpause ist?
“Verstehst du, was ich mit letzterem habe ausdrücken wollen?”
“Denke, schon.”
“Aber du teilst es nicht?”
“Nicht so ganz.”
“Du hast Bedenken?”
“Ich bin kein Bedenkenträger.”
“Gut, mein Lieber. Weißt du was? Ich spendiere eine Runde. Sag mir, was du gern hättest?”
“Aber du hast schon die Rechnung im Café bezahlt, Tony.”
“Ja, und?”
“Okay. Ich nehme noch einen Rum und ein Dessert. In beidseitigem Einvernehmen.”
“Geschieht das aus Kalkül?”
“Es verdankt sich, glaube ich, eher der Schnabeltasse meiner Gewohnheiten.”
“Ja, wir sind - aus dem Dunkel der Zeit tretend - doch auf vielfache Weise Gewohnheitswesen.”
“Stammesgeschichtlich betrachtet.”
“Wusstest du übrigens, dass eine bestimmte noch lebende Fischart, nämlich die Quastenflosser, familientechnisch auf ein Gattungsalter von mehr als 400 Millionen Jahre zurückblicken kann?”
“Ich bin kein Amphibienexperte und im speziellen kein Freund von Schuppen oder Fischaugen.”
“Du sollst sie ja nicht essen.”
“Ich dachte das jetzt globaler, oder anders ausgedrückt…klassenübergreifend.”
“Aber du denkst es vielleicht nicht weit genug bzw. nicht zuende.”
“Muss ich das? Außerdem…wer könnte solches schon von sich behaupten, an dieser noch je an anderer Stelle?”
“Ich kann dir darin durchaus zustimmen…und zitathalber ergänzen: das Band zwischen dem Ich und den Dingen besteht nicht mehr…”
“Wer hat das gleich noch gesagt?”
“Dein Freund Samuel Beckett…Was können wir also tun?”
“Vielleicht den Versuch machen, symphonischer zu denken.”
“Auch nicht gerade ein Krippenspiel.”
“Sagtest du gerade Krippenspiel?”
“Ich meinte natürlich Kinderspiel.”
“Ich habe mich übrigens entschieden, statt Rum doch lieber Wein zu trinken. Die Bestellung ist ja noch nicht unterwegs.”
“Einverstanden.Rot oder Weiß? Flasche oder Glas?”
“Das überlasse ich dir. Du bist der Zahlmeister.”
“Fabelhaft. Schauen wir doch mal in die Karte… Wonach gehst du, mein Freund, wenn du einen Wein auswählst?”
“Hm, ich gehe meistens danach, ob mir das Etikett gefällt.”
“Das hätte ich jetzt von dir zwar nicht erwartet. Aber es bringt uns einander wieder näher.”
“Haben wir uns denn voneinander entfernt?”
“Zeitweise erschien es mir so. Aber vergessen wir es einfach… schau nur, unser erlauchter und erleuchteter Jungeleuteklub rüstet zum Aufbruch.”
“Damit werden uns ja auch die fernöstlichen Göttinnen der Morgenröte verloren gehen.”
“Du meinst, die beiden arabischen Schönheiten, die kürzlich zu der Männerrunde gestoßen sind? Sie haben sich gerade erhoben… aber sieh doch, eine von ihnen lächelt zu uns herüber.”
“Bist du sicher, dass sie uns meint?”
“Nun gut, es könnte eine Sinnestäuschung sein.”
“Ich hatte ja stets schon den Verdacht, dass das, was wir das Reale nennen, in Wahrheit zu nicht unerheblichen Teilen auf einer Luftspiegelung beruht.”
“Ganz soweit würde ich jetzt nicht gehen, mein Freund..”
“Nimm es als Scherz, halberwegs.”
“Okay. Was nun den hier vorliegenden Fall anbelangt… ich bilde mir wenigstens ein, das es so ist, wie es erscheint… Was wäre der Mensch schließlich ohne seine Einbildungskraft?”
“Das Wort hat es dir offensichtlich angetan.”
“Ich kann es gar nicht oft genug hören.. Eine ihrer Nichten, nicht wahr, ist die Illusion. Und keine ist, wie mir scheint, geistreicher&numinoser…meine Tochter Maria natürlich ausgenommen.”
“Die Truppe um unsere Fernost-Aurora herum, erinnert mich übrigens an eine Leibgarde, die im Eifer ihres Tuns vergessen hat, was ihre originäre Aufgabe ist, nämlich wachsam zu sein.”
“Und mich erinnern sie an Ortsverbände aus meiner westlichen Nachbarschaft, die ihre Termine mit aufs Klo und ihre Uhren mit in ihre Träume nehmen. Getriebene, möchte man sagen.”
“Und was treibt sie?”
“Vermutlich ein Treibgas, das sich nur in dünnen Luftschichten zuhause fühlt.”
“Ich meine, was treibt sie an?”
“Wenn man das wüsste. Nun, ich für meine Person will es im Grunde gar nicht wissen. Und sie selber, so vermute ich, wissen es auch nicht, sondern glauben lediglich, sie wüssten es.”
“Mit anderen Worten - wir haben es hier mit Scheinwissen zu tun.”
“Als Wissen getarntes Unwissen, ja; etwas, das sich wie Mehltau auf Denken&Handeln legt.”
“Wissen wir es denn besser?”
“Ich weiß nicht. Jedenfalls weiß ich aber, dass ich nicht mit denen dort tauschen möchte… nein, warte, ich möchte doch mit ihnen tauschen, vorübergehend, du weißt schon, wegen…”
“Jetzt sind sie weg.”
“Stell dir für eine ultrakurze Sekunde vor, Lux, wir beide wären zeitresistent und am Ende nur noch zu zweit… auf diesem Planeten. Ein tödlicher Gedanke, nicht wahr?”
“Es soll ja Menschen geben, die wollen ewig leben.”
“Bei Licht betrachtet mag das zunächst ja einmal jeder wollen. Und zwar insofern, als niemand die Vorstellung attraktiv findet, ganz und gar von der Bildfläche verschwinden zu müssen.”
“Außer er hat sich, aus Gründen gleich welcher Herkunft, freiwillig zum Abgang entschlossen.”
“Hattest du schon mal Selbsttötungsgedanken?”
“Bei Licht betrachtet, zwischen kurzen Schüben zirkulären Irreseins, immer mal wieder.”
“Jedenfalls drehen wir uns, sterblich gesehen, zum Ende hin alle deckellos im Kreise, oder?"
“Wobei der Kreis ja Einzelgänger ist und mit anderen Kreisen zwar Schnittmengen haben mag, mit ihnen jedoch, anders als etwa mit Vierecken oder Sechsecken, kein Haus, ja, nicht einmal einen Hühnerstall bauen könnte."
“Gleichwohl repräsentiert er das, was man eine vollkommene Form nennt.”
“Ist das ein Trost?”
“Fragen wir doch mal den Kellner. Der hält nämlich gerade auf uns zu.”
Der Genannte nimmt die nächste Bestellung und die Nacht weiter Fahrt auf.