Читать книгу Letztes Glück - Renate Maria Schöttner - Страница 5
Schlank, zierlich, brünett oder die Liebe zur Lyrik
ОглавлениеDas war bereits die fünfte Annonce, die ich mir aufmerksam durchgelesen hatte. Und wieder stand das Gleiche darin. Natürlich nicht exakt das Gleiche, aber es kam auf das Gleiche heraus. Hübsch waren sie, die meisten sogar eine wirkliche Schönheit mit wunderschönen Haaren, ausgestattet mit großer Oberweite, saubere, ordentliche Hausfrauen, die zudem vorzüglich kochen konnten und nur dazu geboren wurden, einen Mann zu verwöhnen und ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Warum nur war ich nicht einer dieser Männer, die noch nie einen Putzlappen in der Hand hatten, Wasch- und Spülmaschine ausschließlich für das weibliche Geschlecht entwickelte Geräte hielten und denen die Zubereitung einer Tütensuppe den Schweiß auf die Stirn trieb. Für diese praktischen Dinge brauchte ich weiß Gott keine Frau. Dass diese liebreizenden Wesen mir dann noch jeden Tag Berge von Essen auftischten und beleidigt den Mund verzogen, wenn ich nur einen einzigen Bissen auf dem Teller liegen ließ, mochte ich mir erst gar nicht vorstellen. Und auch nicht, wie sie mich mit ihren wunderschönen Haaren umgarnten und ihre Brüste an mich drückten, um mich zu belohnen, wenn ich doch artig aufgegessen hatte. Dann blieb ich doch lieber allein, ohne vertraute Gespräche, ohne gemeinsame Unternehmungen, ohne Zärtlichkeiten, ohne Liebe.
Ich legte die Zeitung beiseite. Vielleicht sollte ich es im Internet versuchen und mich einer Partnervermittlung anvertrauen, man musste schließlich mit der Zeit gehen. Mein Freund Rainer aus dem Schachclub kannte jemanden, dessen Schwager, das heißt Ex-Schwager, durch eine Partnerbörse eine Frau kennengelernt hatte. Er könne das nur empfehlen, solche Frauen findest du nicht um die Ecke, hatte dieser mit breiter Brust verkündet.
Name: Winterstedt, Vorname: Waldemar.
Alter: achtundsechzig.
Der Anfang war gemacht.
»Mit Ende sechzig jemanden zu finden, das wird schwer, da weiß man ganz genau, was man will und was nicht.«
Dieser Gedanke kam jedes Mal auf, wenn ich mich mit dem Thema Partnersuche beschäftigte.
»Aber bei der Scheidungsrate – heutzutage ist doch jede oder jeder Dritte, ich eingeschlossen, geschieden –, auch nicht unmöglich«, machte ich mir Mut.
Dass der größere Teil davon aber wesentlich jünger als achtundsechzig war, durfte ich ehrlicherweise nicht außer Acht lassen.
Weiter!
Beruf: Beamter.
»Immerhin, gehobener Dienst«, dachte ich und ergänzte: Im Ruhestand.
Hobbies: Schach, Wandern, Schifahren.
Sollte ich wirklich Schach als mein Hobby angeben, kam das gut an bei den Frauen? Wohl eine eher unspektakuläre Freizeitbeschäftigung, aber eine gebildete Frau – und das war wonach ich suchte –, würde diese gewiss richtig einzuordnen wissen. Dennoch beschloss ich, es an die letzte Stelle zu setzen, nach Wandern und Schifahren. Ebenfalls keine aufregenden Zeitvertreibe, aber mit Fallschirmspringen oder Hochseesegeln konnte ich nicht aufwarten. Beinahe hätte ich die Literatur vergessen. Lyrik ist meine geheime Leidenschaft. Sollte sie geheim bleiben? Welcher Mann, der ein echter Kerl ist, beschäftigt sich mit Gedichten! Aber wollte ich ein echter Kerl sein?
»Ach was!«, dachte ich. »Was ist das für einer, ein echter Kerl? Einer der eine Frau mit seiner Harley abholt oder mit dem Pferd vorbeikommt und mit ihr durch die Stadt reitet, und der jeden mit einem Faustschlag zu Boden streckt, der es wagt, ihr auch nur einen Millimeter zu nahe zu kommen?«
Ich änderte die Reihenfolge: Lyrik, Schach, Wandern, Schifahren.
»So ist es richtig«, sagte ich mir. »Den schönen Künsten zugewandte Herren stehen bei gebildeten Damen sicher ganz oben auf der Auswahlliste.«
Jetzt ging es ans Eingemachte.
»Würden sie vorziehen, den Abend mit ihrer Partnerin zu Hause zu verbringen oder mit ihr auszugehen?«
»Was für eine Frage! Sowas kann man nicht eindeutig beantworten. Kommt auf die Stimmung an.«
»Möchten sie ihren gemeinsamen Urlaub aktiv oder passiv verbringen?«
»Unsinn! Ich will weder den ganzen Tag herumrennen, noch von früh bis spät, im Liegestuhl liegend, eine Schachpartie nach der anderen mit meinem Schachcomputer spielen, während meine Partnerin mit dem gutaussehenden Mann, der sich sowieso schon viel zu oft und ganz zufällig an unserem Frühstückstisch breitgemacht hat, Tennis spielt.«
»Noch so eine Frage und ich ziehe es vor, den Rest meiner Tage allein zu bleiben!«
»Könnten sie ihrer Partnerin einen Seitensprung verzeihen?«
Das ging dann doch zu weit. Ich war nahe daran, das Partnervermittlungsportal zu verlassen. Aber war es nicht besser, von vornherein klare Verhältnisse zu schaffen?
Was das betrifft, war meine Toleranz bei null. Wie war ich tolerant meiner Ex-Frau gegenüber, einmal, zweimal, und dann hat sie mich doch verlassen.
Ich beantwortete diese Frage mit einem eindeutigen Nein. Ohne Wenn und Aber – nein.
»Wenn du die Richtige finden willst, musst du so ehrlich wie möglich sein«, sagte ich mir und schrieb hin, was der Wahrheit entsprach, auch als nach dem äußeren Erscheinungsbild meiner Herzdame in spe gefragt wurde.
Schlank sollte sie sein, zierlich, mit brünetten Haaren. Hier konnte und wollte ich ebenfalls keinen Kompromiss eingehen. Wahrscheinlich würde das meine Chancen erheblich schmälern, aber ich mochte nun mal keine molligen, großgewachsenen, blonden Frauen.
»Entweder es gibt da draußen oder besser gesagt da drin eine, die zu dir passt oder eben nicht. Du bist zwar ein alleinstehender, aber kein einsamer, von Sehnsuchtsanfällen heimgesuchter, jede Nacht in sein Kissen weinender Mann, der ohne weibliches Pendant einem unerträglichen, sinnlosen Dasein entgegengeht. Du hast deine Freunde, deinen Schachclub, deinen Sport, du kannst dich stundenlang in deine Gedichtbände vergraben. Wenn nichts dabei rauskommt, wirst du ganz bestimmt nicht in Agonie verfallen«, resümierte ich und schloss das Portal der Partnervermittlung.
Ich hatte das Foto vergessen und lockte mich erneut ein.
»Eigentlich noch ganz passabel«, urteilte ich, als ich das Bild betrachtete, das mich in heller Freizeithose und dunkelblauem Leinensakko, lässig an einen Baum gelehnt, zeigte und sah mich, entgegen meiner eben noch aufgekeimten Zweifel, schon in Begleitung einer hübschen Brünetten.
Eine Woche lang tat sich nichts. Vielleicht hätte ich den Kreis der bindungswilligen schlanken, zierlichen Brünetten um schlanke, zierliche Hellhaarige und schlanke, zierliche Schwarzhaarige erweitern sollen. Von meiner Gelassenheit, mit der ich das Ganze anging, war nicht mehr viel übriggeblieben.
»Die Sache mit dem Seitensprung ist es, das ist der Grund, warum sich keine mit dir einlassen will«, stellte ich mit Ernüchterung fest. »Nicht eine einzige Antwort wirst du erhalten, wahrscheinlich halten sie dich für einen unnachgiebigen, selbstgerechten Vertreter deiner Gattung, der bei der ersten Meinungsverschiedenheit die Beziehung wieder beendet.«
Die Vorschläge der Partnervermittlung, die ich am zehnten Tag – es war der Abend, an dem ich mich mit meinen Schachfreunden im Club verabredet hatte – vorfand, zerstreuten meine Zweifel mit einem Schlag. Ich rief Rainer an und erfand eine glaubhafte Ausrede für mein Nichterscheinen. Er und die anderen wussten nichts von meinen Aktivitäten im Internet, dazu hatte ich erst einmal geschwiegen. Wenn es soweit wäre, würden sie es sowieso als Erste erfahren.
Drei Damen wurden mir angeboten, die eine Kontaktaufnahme wünschten. Wem sollte ich zuerst antworten? Der leidenschaftlichen Schachspielerin, die jedoch nichts mit Lyrik anzufangen wusste, der Frau, die sympathisch und außerordentlich hübsch vom Bild lächelte, aber gemütliche Stunden am Kamin Wandern und Schifahren vorzog oder derjenigen, die ihre Begeisterung für Lyrik zum Ausdruck brachte, aber dem Schachspiel eher neutral gegenüberstand. Schlank, zierlich und brünett waren sie alle und das Wunschalter, das ich mit sechzig bis sechsundsechzig angegeben hatte, passte ebenfalls.
»Schach spielst du ohnehin im Club, und wer weiß, vielleicht kannst du ihr Interesse dafür noch wecken«, überlegte ich.
Ich entschied mich für die Dame, die Lyrik liebte.
Noch am selben Abend erhielt ich eine Rückmeldung auf meine Mail, die ich an sie geschickt hatte. Darin sprach ich unsere gemeinsame Leidenschaft an, teilte ihr mit, dass ich mich außerordentlich glücklich schätze, sie, eine Frau mit Sinn für Poesie, kennenlernen zu dürfen, und machte ihr ein vorsichtiges, kleines Kompliment, indem ich ihre Frisur erwähnte, die ihr brünettes Haar wunderbar zur Geltung bringe. Ihre Antwort fiel aus, wie ich es mir erhofft hatte: Sie freue sich ebenfalls auf ein gegenseitiges Kennenlernen bei einem Glas Wein in der Weinstube, die ich als Ort des ersten Treffens vorgeschlagen hatte. Um sie nicht zu verfehlen, werde sie einen kleinen Hund mit gräulich gelocktem Fell bei sich haben.
»Wieso Hund?« fragte ich mich. »Schlank, zierlich, brünett, apartes Gesicht, ich erkenne sie auf jeden Fall wieder.«
Außerdem werde sie einen Gedichtband in der Hand halten, für alle Fälle.
»Ich freue mich auf sie«, schrieb sie abschließend und fügte diese Zeilen an das Ende des Textes:
O glücklich, wer ein Herz gefunden,
Das nur in Liebe denkt und sinnt,
Und mit der Liebe treu verbunden
Sein schönres Leben erst beginnt!
»Dass ich so einer Frau begegne, kann kein Zufall sein«, dachte ich. Hoffmann von Fallersleben! Sie antwortet mit Fallersleben.
Der Ex-Schwager des Freundes von Rainer hatte recht. Wie hatte der gesagt? So eine findest du nicht um die Ecke.
Wo liebend sich zwei Herzen einen,
Nur Eins zu sein in Freud' und Leid,
ergänzte ich.
Die nächsten Strophen fielen mir leider nicht mehr ein.
»Wir werden es gemeinsam aufsagen«, sagte ich mir.
»Gemeinsam«, das Wort kam mir nur allzu leicht über die Lippen.
Zwei Tage später – ich war aufgeregt wie ein Junge, der zum ersten Mal mit einem Mädchen ausgeht –, stand ich prüfend vor dem Spiegel. Ich hatte mir ein paar Spritzer vom teuren Eau de Toilette, das ich sonst so gut wie nie benutzte, gegönnt, die Augenbrauen glattgestrichen und die Haare länger geföhnt als sonst. Perfekt!
»Wer da nicht zugreift, ist selbst schuld!«, sagte ich mir und musste laut lachen, als alle Versuche, einen nonchalanten Gesichtsausdruck nach dem anderen vor dem Spiegel einzuüben, misslangen. Ich knöpfte mein Hemd zu und band die Krawatte um, die ich mir bereitgelegt hatte. Gut geföhnt und gut riechend, in heller Freizeithose, dunkelblauem Leinensakko und hellblauem Hemd – beinahe dasselbe Outfit, das ich auf dem Foto trug – betrachtete ich mich erneut im Spiegel und war zufrieden mit dem, was ich sah.
»Die Krawatte passt nicht, zu streng«, urteilte ich und band sie wieder ab.
Ich versuchte noch einmal so lässig wie möglich zu schauen und musste wieder lachen.
Ich betrat die Weinstube und ließ meinen Blick unauffällig durch das Lokal schweifen. Die meisten Tische waren besetzt. Ich ging gern hierher. Irgendein Gast war immer anzutreffen, dem der Wein in Gesellschaft besser mundete als allein. Aber heute musste ich nicht Ausschau halten nach einem möglichen Gesprächspartner. Ich war verabredet.
»Das ist sie!«, dachte ich erleichtert, als ich eine Frau mit brünetten Haaren am letzten Tisch hinten rechts entdeckte. Aber ganz sicher war ich mir nicht. Ich mochte das schummerige Licht, das der Weinstube eine heimelige Atmosphäre verlieh, aber heute wäre mir eine grelle Neonbeleuchtung lieber gewesen. Der Mann, der eben in das Lokal gekommen war und schnurstracks auf den Tisch zuging und die Frau umarmte, nahm mir die Entscheidung ab, ob ich zu ihr hingehen sollte oder nicht.
»Und wenn es doch die da ist«, sagte ich mir und lächelte der Dame zu, die zu mir hersah.
Aber sie hatte weder einen kleinen Hund mit gräulich gelocktem Fell bei sich, noch ein Buch in der Hand.
»Womöglich irrst du dich und es kommt gleich einer, der auch sie umarmt. Wahrscheinlich wird die Richtige jeden Augenblick durch diese Tür treten und freudestrahlend auf dich zukommen.«
Ich setzte mich an einen der wenigen freien Tische, so dass ich die Tür im Auge behalten konnte, und beschloss, mir einen Schoppen Silvaner zu bestellen.
»Entschuldigung, sind sie der Herr, der mit einer brünetten Dame verabredet ist?« fragte mich jemand.
»Sind sie das? Ich freue mich, dass sie gekommen sind«, sagte ich zu der charmanten Frau und starrte auf ihre hellblonden Haare.
»Nein, nein, ich wollte sie nicht in Verlegenheit bringen, aber ich bin nicht diese Dame. Ich bin die neue Besitzerin dieses Lokals. Die Frau, die sie hier treffen wollten, hat mir ein Foto von ihnen gezeigt, damit ich weiß, wen ich ansprechen soll«, entgegnete sie.
»Ich verstehe nicht«, sagte ich einigermaßen irritiert, »was hat das mit ihnen zu tun?«
»Mit mir hat das eigentlich nichts zu tun. Diese Frau bat mich lediglich, ihnen mitzuteilen, dass sie es sich anders überlegt hat und ihnen dieses Buch und diese Nachricht zu übergeben.«
Hoffmann von Fallersleben, Gedichte, las ich auf dem Einband.
Ich faltete das Blatt Papier auseinander und las: »Tut mir leid, dass sie umsonst gekommen sind. Der Gedichtband ist für sie, ich kann sowieso nichts damit anfangen.«
»Ich hoffe, keine schlimme Nachricht«, sagte die Besitzerin der Weinstube.
»Keine Sorge«, entgegnete ich und versuchte meine Enttäuschung zu verbergen. »Es hätte schlimmer kommen können.«
»Sind sie ein Freund der Lyrik?« fragte sie mich.
»Wenn ich ehrlich sein soll«, entgegnete ich etwas verlegen, »ich liebe Lyrik.«
»Dann sind wir schon zu zweit«, meinte sie und lächelte mir zu. »Ich veranstalte Freitag in einer Woche in meinem Lokal einen Lyrikabend. Wenn er bei den Gästen gut ankommt, will ich das öfters machen. Wollen sie nicht kommen? Ich würde mich sehr freuen!«
Und ob ich wollte.
»Überlegen sie sich das gut«, scherzte ich, »wahrscheinlich werden sie mich dann nicht mehr los.«
»Vielleicht will ich sie nicht mehr loswerden«, sagte sie und lachte, »einen Lyrikliebhaber wie sie.«
»Von wegen, so eine Frau findet man nicht um die Ecke«, dachte ich. »Liebenswert, klug, gebildet, groß, hellblond, und die weiblichen Rundungen stehen ihr ebenfalls vorzüglich.«