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Descartes Denken

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Descartes Absicht war es, sämtlichen Wissenschaften ein neues, unerschütterliches Fundament zu geben. Das rasch anwachsende Wissen im 17. Jahrhundert über Medizin, Astronomie oder Optik, das durch die Entwicklung von Geräten wie dem Fernrohr oder dem Mikroskop schnell voranschritt, machte es immer schwerer, die mannigfachen Beobachtungen in das alte scholastische System des Mittelalters einzuordnen, das immer noch auf Aristoteles beruhte. Zuerst Albertus Magnus (1193–1280) und dann Thomas von Aquin (1225–1274) hatten den antiken Denker für sich entdeckt. Sie verschmolzen die Philosophie Aristoteles mit der Theologie (und auf diesem Wege mit den Machtansprüchen der Kirche). Im Ergebnis bedeutete das für viele Jahrhunderte bis zu Descartes Zeiten, dass jede wissenschaftliche Untersuchung mit den Grundüberzeugungen des Aristoteles übereinstimmen musste. Immer mehr Erkenntnisse deckten sich nicht mehr mit den scholastischen Annahmen. Was fehlte, war ein neues System, welches das alte endlich ablösen konnte. Das Wissen selbst sollte auf einer neuen Philosophie beruhen, die die Rahmenbedingungen für ein zuverlässiges Wissenschaftsgebäude liefert. Nach Möglichkeit sollte die neue Philosophie auch die Fragen, wie der Mensch erkennt und ob er das, was er erkennt, tatsächlich mit Gewissheit erkennt, aus wenigen unbezweifelbaren Prinzipien ableiten. Aber welche Prinzipien sind das, und wie kann man sie auffinden?

Die Grundannahme allein, dass man sämtliche wissenschaftlichen Kenntnisse auf die Gewissheit einiger weniger Prinzipien beruhen lassen kann (vergleichbar der Mathematik, die sich auf wenige unbezweifelbare Axiome gründet, deren Richtigkeit allen anderen mathematischen Lehrsätzen Gewissheit gibt), war ein völlig neuer Ansatz, der sich von der Scholastik scharf unterschied. Denn Descartes geht im Gegensatz zur aristotelisch-scholastischen Philosophie davon aus, dass sämtliche Teilgebiete des Wissens eine Einheit bilden, was Descartes im Bild eines Baumes ausdrückt, dessen mannigfache Äste alle zum selben Stamm führen und dieser Stamm wiederum von derselben Wurzel genährt wird. Die mittelalterliche Scholastik hatte die Unabhängigkeit der Einzeldisziplinen betont, mit dem Argument, dass es doch einen Unterschied mache, ob jemand Pflanzenkunde, Musikwissenschaft oder Mathematik betreibt. Descartes setzt das Argument dagegen, dass das menschliche Bewusstsein die Einheit des Wissens schafft. Im Bewusstsein des Menschen, in seinem Vermögen die Welt zu begreifen und vor allen Dingen, das Richtige vom Falschen unterscheiden zu können, liegt das Verbindende unüberschaubar vieler Einzelwissenschaften. Genauer ausgedrückt konstatiert Descartes, dass die Vernunft immer die gleiche und richtige Methode anwenden muss, um in egal welcher Disziplin erfolgreich zu sein. Wichtigste Aufgabe einer neuen Philosophie ist es also, die Vernunft mit den Regeln des Denkens vertraut zu machen und sie mit einer Methode zu versorgen, die sie anleitet, diese Regeln richtig anzuwenden. Falsches Denken ist regelloses Denken oder beinhaltet die Anwendung der falschen Regel zum falschen Zeitpunkt. Richtig denkt derjenige, der fähig ist, die Methode des Regelgebrauchs sachgerecht zu benutzen, der weiß, wann, wie und welche Regeln auf ein bestimmtes Problem bezogen werden müssen. Der Vernunft bleibt am Ende nichts anderes zu tun übrig, als diese Methode des richtigen Denkens auf die Einzelwissenschaften zu applizieren. Dabei gilt es zunächst zwischen den unerschütterlichen Prinzipien zu unterscheiden, die einer Wissenschaft unterlegt sind, und der Methode, mit der man innerhalb einer Wissenschaft arbeitet.

Descartes beginnt damit vier einfache Regeln aufzustellen, die er methodisch für grundlegend hält. Sie lauten: 1) Nichts als wahr zuzulassen, was nicht absolut einleuchtend ist; 2) Alle Probleme, in kleinere Teilprobleme zu zerlegen; 3) Immer gemäß einer Ordnung vorzugehen und vom Einfachen zum Schwierigen zu schreiten; 4) In der Reihenfolge des Fortschreitens nichts auszulassen.

Dies sind also die Grundprinzipien, die man immer zu beachten hat. Doch reicht es natürlich nicht aus, sie zu kennen, man muss ihre Anwendung üben, man muss sich damit vertraut machen, wann und wie die Regeln im Einzelfall angewendet werden können. Durch sie soll die Vernunft in die Lage versetzt werden, wissenschaftlich zu arbeiten. Es sind Regeln, die für alle Wissenschaftszweige gleich sind. Die Mathematik ist nach Ansicht von Descartes ein gutes Gebiet, sich an sie zu gewöhnen, genauer gesagt, ihren Gebrauch zu trainieren, auch deswegen weil sie im Vergleich zur empirischen Welt »abstrakte« und »ideale« Gegenstände beinhaltet.

Descartes Verhältnis zur Mathematik ist allerdings nicht eindeutig: Er trieb viele Jahre mathematische Studien, gab diese dann aber mit der Begründung auf, dass sie nicht die wirkliche Grundlagenwissenschaft sei, die er gesucht habe. Trotzdem orientiert er sich an der Mathematik und schätzt ihren Wert für die Vernunft. Seine Beweisführungen lehnt er an diejenigen der Mathematik an und nimmt sein Wahrheits- und Gewissheitsverständnis aus der Mathematik.

Descartes Wahrheitsbegriff ist zum Verständnis seiner Philosophie sehr wichtig. In der eben zitierten ersten Regel fordert Descartes, nichts als wahr anzuerkennen, was nicht absolut einleuchtend, bzw. evident ist. Man könnte leicht kritisieren, dass Descartes in der ersten Regel, in der er »wahr« und »evident« gleichsetzt, unscharfe Begriffe verwendet. Selbst seine weitere Präzisierung, dass evident sei, was jemand »klar und deutlich« (»clair et distinct«) wahrnimmt, trägt nicht weit. Viele Dinge, die auf den ersten Blick einleuchten, entpuppten sich beim näheren Hinsehen als falsch. Aber wenn Descartes von einer evidenten, also einleuchtenden Sache spricht, hat er dabei die Gewissheit der Mathematik im Sinn, deren Rechenergebnisse, sei es nur 2 + 3 = 5, nicht sinnvoll angezweifelt werden können und deswegen einleuchtende Wahrheiten sind. Die Mathematisierung des Wahrheitsbegriffs wurde schon von Descartes Zeitgenossen kritisiert. Der Philosoph Edward Herbart Cherbury (1583–1648) attackierte Descartes sehr heftig deswegen und verlangte eine tiefer gehende Begriffsdefinition und gründliche Klärung von Descartes, was denn die Wahrheit per se sei. Descartes konnte diesem Angriff nur entgegenhalten, dass ihm evident sei, was Wahrheit ist und sie nicht weiter als solche untersucht werden kann: Wahrheit ist Evidenz und was Wahrheit als solche ist, ist evident. Obwohl dieses Argument von Descartes den Geschmack eines Zirkelschlusses nicht ganz los wird, grenzt er sich doch damit von anderen Zeitgenossen wie beispielsweise Chandoux ab, der propagiert hatte, es gäbe in den Wissenschaften keine Wahrheiten, sondern nur Wahrscheinlichkeiten.

Um die Prinzipien einer fundamentalen Wissenschaft zu finden, muss man sich also zuerst mit dem richtigen (methodischen) Denken vertraut machen. Genauso ist es nötig, sich abzugewöhnen, falsch zu denken, das heißt die Regeln falsch anzuwenden. Doch reichen die vier fundamentalen Grundregeln nicht aus, um für die Wissenschaft tiefer gehende Begründungen zu liefern. Descartes erweitert seine bis dahin entdeckten Regeln um ein weiteres Verfahren der Vernunft: Es ist der radikale und methodisch motivierte Zweifel. Descartes schlägt vor, an allem zu zweifeln, was die kleinste Möglichkeit eines Irrtums beinhaltet. Was sich am Ende als unbezweifelbar entpuppt, ist gewiss, und was unbezweifelbar gewiss ist, muss ein begründendes Prinzip sein.

Der methodische Zweifel besteht darin, alle unsere bisherigen Überzeugungen provisorisch als falsch zu betrachten, aber auch über die Gründe nachzudenken, warum sie anzweifelbar sind. Die Vernunft muss sich ihre Neigung abgewöhnen, die Sinneseindrücke für wahr zu halten. Das Argument dafür ist einfach, aber zwingend: Mit welchen Gründen könnte man mit Sicherheit abtun, dass es sich bei den Sinneseindrücken nicht um Halluzinationen handelt; vielleicht sind sie Traumprodukte oder die kranken Vorstellungen eines Wahnsinnigen? Anhand der Sinne lassen sich keine unbezweifelbaren Gewissheiten finden; zu oft haben wir uns schon geirrt. Besonders beim Eindruck, dass sich die Sonne um die Erde dreht, zeigt sich deutlich, wie leicht uns die Sinneseindrücke hinters Licht führen können.

Descartes formuliert so: Es könnte sein, dass Gott oder ein böser Geist den Menschen in der Hand hat und ihn über alle Dinge täuscht. Wenn so ein mächtiges und bösartiges Wesen uns bewusst betrügt, gibt es denn überhaupt unbezweifelbare Gewissheiten, an die sich der Mensch halten kann? Wenn es jedoch einen Satz gäbe, der durch diesen radikalen, methodischen Zweifel nicht angreifbar ist, dann wäre dieser Satz sicherlich eines dieser mühevoll gesuchten Prinzipien der Gewissheit, aus dessen Schlussfolgerungen sich das Fundament des Wissens aufbauen ließe.

Das Ergebnis der Suche nach einem Anfang aller Gewissheit ist zu einem geflügelten Wort geworden: Cogito ergo sum, ich denke, also bin ich. Selbst wenn ein Mensch über alles getäuscht würde, könnte er nicht daran zweifeln, dass er denkt. Wer sagt »ich denke« setzt automatisch ein »Ich« voraus, das denkt; wer aber an dem Satz zweifelt, impliziert genauso ein »Ich«, das zweifelt: Ich zweifle (an mir), also bin ich. Denken und Zweifeln beinhalten beide ein nicht negierbares Ich. Der böse Geist mag versuchen, das Denken eines Ich zu verwirren, aber er räumt allein aus der Tatsache, dass er vorhat, ein »Ich« zu betrügen, ein, dass ein denkendes Ich vorhanden ist.

Es bleibt nun übrig zu verstehen, was das ist, was sich ein »Ich« nennt. Aus Descartes Wahrheitsbegriff geht hervor, dass über es nichts ausgesagt werden darf, was nicht »klar« und »deutlich« aus der Idee eines »Ich« hervorgeht. Nicht diese Bedingung erfüllen Dinge wie Name, Alter, Nationalität, Geschlecht oder Erinnerungen. Das einzige, was wirklich aus dem Ich hervorgeht, ist, dass es etwas ist, was denkt. Descartes nennt es »res cogitans«, eine denkende Sache, die für ihn gleichbedeutend mit der Seele eines Menschen ist. Diese trennt er von der »res extensa«, der »ausgedehnten Sache«, also den Körpern. Die »res cogitans« ist, wie Descartes an anderer Stelle anfügt, unteilbar, ausdehnungslos und unsterblich; die »res extensa« dagegen ist teilbar, zerstörbar und ausgedehnt. Zwar ist noch lange nicht innerhalb der Argumentation gewiss, dass es Körper gibt, aber doch, dass die Seele von den Körpern unterschieden ist. Aber es existiert noch eine dritte Gewissheit aus dem Satz »ich denke, also bin ich«, nämlich die, dass es Wahrheit gibt. Immerhin existiert ein Satz, der wahr ist. Die Wahrheit dieses Satzes wiederum wird dadurch verbürgt, dass das Ich sie »klar« und »deutlich« einsieht.

Den nächsten Schritt in der Argumentation, den Beweis des Daseins Gottes, unternimmt er ebenfalls durch die Analyse dieses Urzustandes, in dem das Ich anscheinend nur aussagen kann, dass es denkt, zweifelt und versucht, die Wahrheit zu erkennen, und aus diesen Tätigkeiten seine Existenz ableitet. Bisher konnte das Ich nicht mit Recht annehmen, dass noch ein anderes Wesen außer ihm vorhanden ist. Das Ich findet seine Selbst-Gewissheit im Akt des Zweifelns: Zu zweifeln beinhaltet eine Unsicherheit, ein Denkvorgang, der etwas Unvollkommenes hat. Ein vollkommenes Wesen hätte es sicher nicht nötig, sich durch einen Akt des Zweifels zu finden; es wäre sich seiner selbst ohne Zweifel gewiss. Aber das Ich ist sich über sich selbst nicht sicher. Die Erkenntnisse, die es hat, sind nicht alle »klar« und »deutlich«, sondern oft verworren und falsch. Auch im Erkenntnisvorgang gibt es graduelle Abstufungen der Gewissheit.

Descartes breitet nun folgende Logik aus: Bereits in diesem Urzustand des »Ich denke, also bin ich« ist die Idee von Vollkommenheit und Nichtvollkommenheit vorhanden. Das Ich ist nicht vollkommen. Es konstituiert sich im negativen Akt des Zweifels. Seine Erkenntnisse sind nicht vollkommen und nur selten klar und deutlich. Das Nichtvollkommene impliziert aber, dass es so etwas wie Vollkommenheit gibt. Mit welchem Maßstab könnte das Ich sonst beurteilen, dass es selbst nicht perfekt ist, wenn in ihm nicht bereits die Idee von Vollkommenheit liegt. Wenn der Mensch unvollkommen ist und sich dessen bewusst ist, muss es etwas Vollkommenes geben, das ihm diese Idee eingepflanzt hat. Denn aus der empirischen Welt kann ein unvollkommenes Bewusstsein nicht die Idee der Vollkommenheit bekommen haben, weil sie dort nicht zu finden ist. Aus den Mängeln des denkenden und sich anzweifelnden Ich ergibt sich nur eine »partielle« Vollkommenheit. Eine partielle Vollkommenheit ist ein Widerspruch in sich und verlangt notwendig, dass irgendwo eine »vollständige« Vollkommenheit existiert. Dies ist zweifelsohne nicht der Mensch, sondern dieses perfekte Wesen ist Gott. Es heißt also jetzt nicht nur: Ich denke, also bin ich, sondern auch: Ich zweifle, also ist Gott.

Nachdem Descartes Gott als denjenigen identifiziert, der selbst vollkommen ist und dem mangelhaften Menschen die Idee von Vollkommenheit gegeben hat, ist die Idee eines bösen Geistes, der uns beständig in die Irre führt, aufgegeben. Ein vollkommenes Wesen würde uns nicht täuschen wollen, und es hätte uns auch nicht dazu verdammt, uns beständig in den wichtigsten Dingen zu irren. Dass sich der Mensch irrt, ist aber eine Tatsache. Plötzlich, durch die Anwesenheit eines vollkommenen Gottes, stellt sich nicht mehr die Frage, ob der Mensch die Wahrheit erkennen kann, sondern vielmehr, wieso er das nicht immer tut. Denn Gott führt den Menschen bestimmt nicht hinters Licht und legt ihm Fallen aus, dass er beständig in die Dunkelheit des Nichtwissens gebracht wird. Trotzdem kann man auf diesem Einwand beharren: Müsste man nicht aus dem Faktum des Vorhandenseins von Irrtümern schließen, dass Gott nicht nur der Urheber des Wahren, sondern auch des Falschen ist?

Um dies zu klären, muss Descartes erläutern, wie Irrtümer zustande kommen. Sicher ist, dass man Gott nicht vorwerfen kann, ein nicht-vollkommenes Wesen wie den Menschen geschaffen zu haben, denn es liegt in der Natur einer geschaffenen Kreatur, dass sie endlich und nicht perfekt ist. Was man viel eher beantworten muss, ist die Frage, ob aus der Begrenzung des menschlichen Daseins, zwangsläufig Irrtümer entstehen. Descartes führt aus, dass jede Idee, deren Wahrheitsgehalt überprüft werden soll, vom Menschen als wahr oder falsch beurteilt werden kann. Dabei tun sich zwei Irrtumsquellen auf: Erstens kann der Mensch ein Urteil, das ihm nicht »klar« und »deutlich« einleuchtet, trotzdem für wahr erachten. Zweitens kann er ein Urteil, das seiner Vernunft »klar« und »deutlich« evident ist, als falsch deklarieren. Warum aber sollte der Mensch Richtiges für falsch und Falsches für richtig halten wollen? Das führt zur Grundproblematik des nach Descartes dem Menschen eingeräumten freien Willens, der es ihm erlaubt, solche Akte vorzunehmen. Wenn der Mensch sich irrt, befriedigt er dadurch vielleicht andere Interessen, die er verfolgt. Die zahlreichen Vorurteile beispielsweise, die eine Person besitzt, sind falsche Urteile, aber sie erfüllen sein Bedürfnis, andere Gruppen auszugrenzen und im Gegenzug, die soziale Gruppe, zu der er gehört, als die richtige hervorzuheben. Der sich irrende Mensch darf den Vorwurf deswegen nicht an Gott weitergeben, denn dieser hat dem Menschen einen freien Willen gegeben und damit auch die Möglichkeit, etwas zu bejahen und zu verneinen, gerade wie es dem Menschen beliebt. Es hängt nur vom Menschen ab, den Irrtum zu vermeiden.

In zwei großen Etappen ist es Descartes gelungen, sowohl das Vorhandensein eines Ich mit seiner Vernunft abhängigen Fähigkeiten des Denkens, Zweifelns und Erkennens zu beweisen, als auch die Existenz eines vollkommenen Gottes darzulegen. Was ihm noch zu tun übrig bleibt, ist, das Dasein eines »leiblichen« Körpers und der »physikalischen« Körper, also der Welt außerhalb des Bewusstseins, abzuleiten.

Aus der Tatsache, dass wir ein denkendes Ich haben, geht nicht hervor, dass wir auch einen Körper besitzen; zumindest nicht aus logischen Gründen. Gewiss könnte man vorbringen, dass Denken – gibt man ihm den Namen Bewusstsein oder nennt man es Seele – nicht ohne einen Körper stattfinden kann; wie könnte man sich das auch anders vorstellen? Dann wiederum gibt es keinen zuverlässigen Beweis, dass ein körperloses Denken nicht möglich sei, auch wenn es die Vorstellungskraft zunächst übersteigt.

Descartes wendet sich also den Sinneseindrücken zu, die in unserem Bewusstsein vorhanden sind: die Farben, die Gerüche, die Wärme und das Schweregefühl. Im Gegensatz zu den Urteilen, die die Vernunft als evident empfindet, sind die Sinneseindrücke zunächst formlose Daten, dunkel und unklar, und müssen erst vom reflektierenden Ich geordnet werden. Die Sinneseindrücke, die sich so sehr vom denkenden Ich unterscheiden, sind der Beweis, dass ein leiblicher Körper mit der Seele verbunden ist. Verschwommene, unklare Sinneseindrücke sind nicht etwas, was der Vernunft entspringen könnte. Sie müssen dem denkenden Ich durch den Körper vermittelt worden sein, der selbst wiederum als »Zwischenstation« die äußere physikalische Welt dem Ich überbringt. Wenn der Körper Sinnesdaten liefert, muss es logischerweise eine Welt geben, aus denen die Sinnesdaten stammen. Wenn es aber eine Welt gibt, die Sinnesdaten liefern kann, muss es einen Körper geben, der sie wie ein Rezeptor aufnimmt, denn ohne Körper würde das denkende Ich nichts von ihr wissen. Der Leib des Menschen ist deswegen zweierlei: ein vom Denken angetriebenes Uhrwerk, ein rein mechanisches Ding, das der Seele gehorcht, aber auch ein »Informationssammler«, der die Sinnenwelt der Vernunft überbringt. Man könnte vom Leib des Menschen als einem lebenden Roboter sprechen, mit der einzigen Aufgabe, seinem Herrn, der Seele, zu dienen. Den Sitz der Seele vermutet Descartes übrigens in der Zirbeldrüse.

Wie die Welt genau beschaffen ist, ist zu bestimmen nicht Aufgabe der cartesianischen Metaphysik, die es nur unternimmt, deren Vorhandensein zu beweisen. Das ist Aufgabe der Physik und der anderen Teilwissenschaften. Damit sein neuer Ansatz der Erforschung der Welt nicht nur ein Theoriegebäude bleibt, legt Descartes die ersten praktischen Ergebnisse der neuen Philosophie vor: Er findet das Gesetz der Lichtbrechung und bereitet so die Wellentheorie des Lichts vor, er bestätigt anhand von Untersuchungen den Kreislauf des Blutes, er teilt in der Mathematik Kurven nach den Gleichungen, aus denen sie gewonnen werden, ein, entwickelt die analytische Geometrie und vereinheitlicht das mathematische Zeichensystem (dass in Gleichungen unbekannte Größen mit den hinteren Buchstaben und bekannte mit den vorderen Buchstaben des Alphabets dargestellt werden, geht auf den Philosophen zurück). Er gibt seiner Philosophie durchaus auch praktische Argumente in die Hand: Wenn seine Vorstellung falsch wäre, warum ist sie dann so erfolgreich?

Descartes ist es mit seinem Ansatz gelungen, die aristotelisch-scholastische Metaphysik zu überwinden. Nach Aristoteles sind alle Körper Substanzen, die sich aus zwei Dingen zusammensetzen: einer Form, die die Art und Weise eines Dinges definiert und ihm seine Eigenschaften zuweist, und einer Materie, die die Form beinhaltet und ihr Fortbestand gibt. Um einen Gegenstand in der Welt zu bestimmen, weist der Aristoteliker dieser Sache eine eigenständige Form zu und gibt dieser Form einen Namen. Im Ergebnis wird die Welt so kategorisiert, katalogisiert, typisiert und in eine Art großen »Setzkasten« eingebaut. Für Descartes aber gibt es nur einen wirklichen Fall, bei dem diese Verbindung aus »Form« und »Materie« tatsächlich so geartet ist: Das ist der Mensch selbst als Verbindung von Seele und Körper. Es ist für Descartes komplett illegitim und zweifelhaft, ob dies auch auf andere Gegenstände der Welt ausgedehnt werden darf. Für ihn ist die Welt eine Welt der Sinnesdaten, ein langsam ins Bewusstsein strömender Informationsfluss, der immerfort und endlos erneuert wird. Der Aristotelismus ist für Descartes nur ein mühselig kaschierter Animismus, dessen Einteilung in »Form« und »Materie« ewig unbewiesen bleiben muss.

Ein zweiter Kritikpunkt schließt sich an: Aristoteles sah die Welt teleologisch: Alles, was ist, bewegt sich auf ein Ziel zu, auf ein höchstes Wesen, das die Scholastiker mit dem christlichen Gott gleichsetzten. Die Bewegung der Sinnesdaten durch den Raum, ihr Einfließen in den Körper und schließlich die Vermittlung der Informationen an das denkende Ich lässt bei Descartes keine Zweckgebundenheit physikalischer Bewegung zu. Statt dessen setzt er die Kausalität entgegen. Das Bewusstsein erfährt die Welt im Raster von Ursache und Wirkung, was wiederum auf das Einfließen der Sinnesdaten zurückzuführen ist. Ob sich die Welt am Ende der Zeiten auf ein »Ziel« zu bewegt, das mag ein Gott wissen, aber das liegt weit außerhalb der menschlichen Welterfahrung. Der Mensch, der seine Welt verstehen will, muss die Sinnesdaten als Wirkungen von dahinterliegenden Ursachen verstehen, die er mit seiner Vernunft zu begreifen sucht. Gott selbst ist für Descartes der Garant dafür, dass die Welt vom Menschen begriffen werden kann. Nicht nur hat er die Welt geschaffen, sondern auch die Gesetze, die in ihr herrschen. Zwischen dem Menschen als Wesen mit begrenzter Vernunft und Gott als unbegrenzte Vernunft ist eine Verbindung und eine Ähnlichkeit, die das Erkennen ermöglicht. Ebenso würde Gott als höchste und endlose Vernunft keine Welt ohne Vernunft schaffen, sondern gab ihr bereits zu Beginn unveränderliche Gesetze, die Abbild der göttlichen Vernunft sind.

Von diesen Prämissen, die sich Descartes in seiner Metaphysik erarbeitet, liegen die Prinzipien seiner Moral nicht weit. In einer Welt, die auf der Vernunft aufgebaut ist, heißt moralisches Verhalten, sich vernünftig zu verhalten. Selbstredend muss der Mensch die Religion und die Kirche ehren, genauso wie die Gesetze und Sitten des Landes; spiegeln sie doch die allgemeine die Welt durchziehende Vernunft Gottes wider. Natürlich mit der Einschränkung, dass viele jener Vorschriften und Verhaltensnormen von Menschen gemacht worden sind und dem Irrtum auch ausgesetzt sein können. Des weiteren muss der Mensch den Entschlüssen seiner eigenen Vernunft, wenn er sich einmal entschieden hat, folgen. Wiederum mit dem Wissen, dass sein Verhalten auch falsch sein kann. Doch bringt ihn das entschieden weiter, als wenn er den verworrenen Sinneseindrücken folgt oder sich bei moralischen Entscheidungen auf sein Gefühl verlässt. Ebenfalls unerwünscht ist für Descartes, dass die Vernunft seine eigene Urteilskraft beschränkt und sich von Autoritäten bestimmen lässt. Besser seiner eigenen Vernunft folgen und einen Irrtum riskieren, der aus der Begrenzung des menschlichen Daseins erwächst, als das fundamentale Sein des Menschen, das Denken, aufzugeben. Da Descartes die Moral auf der Vernunft basieren lässt, bedeutet dies auch, dass jemand nicht nur klüger, sondern auch ein besserer Mensch werden kann, wenn er seine Vernunft trainiert, denn er wird urteilsfähiger und Gott ähnlicher werden. Descartes Ethik ist also durchaus mit seiner Metaphysik verbunden, und diese wiederum ist mit der unendlichen Vernunft Gottes verknüpft.

Meditationen / Abhandlung über die Methode

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