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4 Zweiter Türkei-Urlaub

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Es war Juli – für die Türkei eine heiße Jahreszeit. Während des Fluges war ich total aufgeregt, und mir wurde bewusst, dass ich mich in einem Zustand befand, den man wohl als spätpubertär bezeichnen konnte. Da Ismail kein Auto hatte und natürlich auch keinen Führerschein, bat er einen netten Kollegen, mich mit ihm abzuholen. Er hatte seinen freien Tag vorverlegt und getauscht. Nun stand ich draußen mit meinem Gepäck, als zwei junge Männer auf mich zukamen, die ich nicht kannte. Einer von ihnen war Ismail. Er war so dünn, er sah so schlecht aus, dass ich dachte: oh Gott, der ist ja krank. Der Gürtel war im ersten Loch, und sein Zeug flatterte an ihm. Auch die Gesichtszüge waren anders. Nie hatte ich gesehen, dass sich jemand in so kurzer Zeit so verändern konnte. Glücklich uns an den Händen haltend saßen wir auf der Rückbank. Auf der Fahrt ins Hotel hielten wir unterwegs an und aßen etwas. Es entbrannte ein heftiger Streit zwischen den beiden, was ich überhaupt nicht einordnen konnte. Später verstand ich: der Freund fuhr direkt in ein teures Restaurant, und Ismail wollte nicht, dass ich abgezockt werden sollte. So, schnell noch etwas getrunken und ab ins Hotel. Allein, endlich. Seine Augen lagen in tiefen Höhlen, und mir war gewisslich klar, dass dieser Junge wirklich gelitten hatte. Er war noch nicht lange in den Ferienregionen zum Arbeiten und hatte wenige Kontakte. Sicherlich noch niemals einen so engen. Für ihn in seiner Jugend war es wohl auch neu. Wir standen im Zimmer, gingen langsam aufeinander zu, um dann in eine Person zu verschmelzen. Wenn es mir heute mal schlecht geht, denke ich oft an diesen Moment zurück, denn ich möchte behaupten, es war der schönste in meinem Leben. Ich hatte einen kleinen Kassettenrekorder mitgebracht, und Tarkan tat sein Bestes, um diese Momente zu unterstreichen. Es war unglaublich schön. Wir genossen jede Berührung und weinten vor Glück. Was ich in den vergangenen Jahren nicht an Tränen vergossen hatte, holte ich hier alles nach. Dass die Gefühle überliefen, war ein Ventil, das ich so nicht kannte. Wir küssten uns gegenseitig die Tränen ab, und ich wusste, dass meine Entscheidung richtig war, egal wie lange es dauerte. Vom ersten Tag an erreichten wir gleichzeitig den Orgasmus, und das nicht nur einmal, sondern mehrmals pro Nacht. Das war überwältigend. Wir schliefen und wir liebten uns und wir schliefen und wir liebten uns und waren unendlich glücklich. Allein für diese eine Nacht hatten sich alle Mühen gelohnt. Und es gab nicht nur diese eine schöne Nacht, alle Nächte waren so, und ich hatte nur den einen Wunsch, ich wollte nicht mehr allein sein. Am nächsten Tag ging mein Geliebter seinem Job nach, und ich wartete ungeduldig dem Feierabend entgegen. Mit meiner Karla hatte ich immer Kontakt, und nach ein paar Tagen sagte sie: „Ihr könnt mich vom Flugplatz abholen, ich mach mit euch Urlaub.“ Wow ... ich glaubte es kaum. Als Yasin das erfuhr, war er außer sich vor Freude und benahm sich wie ein kleiner Junge. Von da an war er total aufgeregt. Wir freuten uns, dass er sich freute, und so zogen die beiden, Yasin und Karla, in unser Hotel, ein Zimmer über uns, und wir konnten uns über den Balkon verständigen. Nun folgte eine schöne Zeit, an die ich so oft und gerne zurückdenke. Wir vier waren sehr glücklich und ausgelassen. Die Männer gingen ihren Job nach, und abends gingen wir mal Essen oder Tanzen und schauten uns mal im P.....-Hotel die unglaublich guten Animationen an. Tanzen, diese türkischen Melodien, dieser orientalische Rhythmus war mir auf den Leib geschrieben. Ismail strahlte mich an und sagte immer nur: „Wie machst du das? Wo hast du das gelernt?“ Aber Tanzen war immer meine Leidenschaft, ich kann es einfach. Am Abend gingen wir oft in unsere Bar, tranken Bier, tanzten und genossen in vollen Zügen unsere Zweisamkeit. Oft holten wir uns eine Flasche Rotwein, Weintrauben und Snacks und machten es uns auf dem Balkon gemütlich. Immer bewaffnet mit einem Wörterbuch. Ich staunte, wie schnell Ismail lernte. Auch Karla war schrecklich verliebt in ihren Yasin, aber da gab es eine gewisse Eifersucht. Seine Kollegin im Wellness - Bereich war eine Russin, und wir hatten den starken Verdacht, dass sie auch seine Geliebte war. Privat teilte er sich mit ihr und einem anderen Kollegen eine Wohnung. Er zeigte sie uns einmal von weitem, als wir dort vorbeifuhren. Ich merkte mir, dass es an einer Hauptstraße war, die einen Kreisel hatte und ein Verkehrsschild, auf dem `Titriengöl´ stand, also ein anderer Ort. Dann kam Yasins freier Tag, und er sagte zu Karla, er hätte keine Zeit. Sie war am Boden zerstört. Wir beide lagen am Strand und redeten uns die Köpfe heiß mit einem berechtigten Misstrauen. Gegen Abend, es wird früh dunkel in der Türkei, hatte ich eine Idee. Ich sagte, ich hätte mir die Straße gemerkt, wo die Wohnung lag, was sie sehr erstaunte, aber mich auch. Wir waren uns einig, dass wir es einmal mit Detektiv Arbeit versuchen wollten. Also setzen wir uns in ein Taxi und baten, uns nach Titriengöl zu fahren. Nach etwa zehn Minuten kamen wir an eine mir bekannte Verkehrsinsel, und ich schrie: „Halt!“ Der Taxifahrer wollte uns erst gar nicht aussteigen lassen, an einem so unbelebten Ort. Wir schlichen uns wie zwei Diebe auf die Insel und hockten uns ins Gras. Nach kurzer Zeit entdeckten wir Yasin, die Russin und einen anderen Kollegen auf ihrem Balkon. Sie saßen im hellen Rampenlicht, was ja so üblich war. Gemütliche gedämpfte Beleuchtung kannte anscheinend keiner. Sie tranken und lachten und genossen ihren freien Abend. Meine Karla tat mir unendlich leid. Der Lauscher an der Wand sieht seine eigene Schand. Wir hielten uns ein Taxi an und fuhren zurück ins Hotel. Ismail habe ich nichts davon erzählt. Wäre auch schwierig gewesen. Am nächsten Tag legten wir uns im Hotel auf die Lauer und beobachteten so gut wir konnten Yasin mit Kollegin, aber wir konnten nichts Anzügliches entdecken. Abends gab es über uns im Hotelzimmer einen heftigen Streit, aber danach glätteten sich die Wogen und es kehrte wieder Harmonie ein. Die Liebe zu Karla kam ja auch für Yasin überraschend, und er musste erst einmal seine Verhältnisse regeln. Später wechselte sich das Bild. Man sagt ja, ein Partner liebt den anderen immer mehr und muss leiden, in diesem Fall liebte Yasin Karla sehr, doch ihre Liebe war auch sehr tief, nur sie konnte es nach außen nicht so zeigen. Er nannte sie in jeder SMS meine Roze, und wir konnten anfangs mit dem Wort nichts anfangen und es hat gedauert, bis wir entdeckten, dass er „Rose“ meinte. Sie ist immer seine Roze geblieben. Wir sahen uns wilde Wasserfälle an und kamen an einen Ort, wo sich plötzlich ein langer Fuß schlängelte. Sehr versteckt befand sich ein Lokal, aus kleinen Baumhäusern gebaut, und man saß über dem Fluss, was ja ungemein angenehm war in diesem heißen Klima. Essen konnten wir dort gegrillte Forellen mit Brot und Salat. Und es gab Bier, was ja nicht selbstverständlich war, denn nur fünf Kilometer von der Touristenmeile entfernt gab es selten Restaurantbetriebe, die Bier ausschenkten. Wir waren ja in einem muslimischen Land. Ich hatte mich schon an Eiran und Cola gewöhnt, aber mit Bier war es immer wieder ein besonderer Genuss. Später machten wir einen Einkaufsbummel. Vor einem Juwelierladen blieben wir stehen und sahen uns wunderschöne Eheringe an. Karla sagte: „Wollt ihr euch verloben?“ Wir schauten uns an: „Warum nicht.“ Auf Wolke sieben war man ja zu allem bereit. Gesagt, getan, kauften wir ein paar goldene Eheringe und planten spontan eine kleine Verlobungsfeier. Wir liefen alle auseinander und trafen uns in einem Restaurante mit Sänger und Tanz am frühen Abend wieder. Ismail hatte wunderschöne Rosen besorgt. Yasin war noch nicht da. Bevor Karla unruhig und sauer wurde, kam er angelaufen und hatte eine gute Entschuldigung, denn er hatte eine Torte backen lassen mit den Namenszügen „ISMAIL und RENI“. Wir waren gerührt und begeistert. Wir nahmen ein türkisches Abendessen zu uns und wurden immer wieder mit nationalen Spezialitäten überrascht, waren sehr glücklich und ausgelassen. Nun wurde es offiziell, und Yasin hielt eine nette kleine Rede. Die Ringe waren verbunden mit einem langen, roten Schleifenband. Ismail steckte sie uns auf, und Yasin schnitt das Band durch. Verlobt! Verliebt! Verheiratet? Wir tanzten ausgelassen und auch manchmal ganz eng zu diesen für unsere Begriffe schnulzigen Balladen, die sehr viel Text hatten und herzzerreißend vorgetragen wurden. Romane wurden gesungen. Türkische Familien schauten zu uns herüber, und wir hielten stolz unsere Ringe in Augenhöhe. Einer meiner schönsten Tage ging zu Ende. Natürlich auch der Nächte.

Am nächsten Vormittag schmiedeten wir einen Plan. Nach so kurzer Zeit klappte es prima mit der Verständigung. Es fiel mir schon die ganze Zeit schwer, mit anzusehen, wie die Arbeit im Hotel war. Elf Stunden arbeiten, eine kurze Mittagspause. Am Vormittag bediente er die Pool-Gäste, dann musste im Restaurant eingedeckt werden für das Mittagessen. Danach Service am Pool, und am Abend schon wieder eindecken für das Abendessen. Dann kam die Animation wieder mit Pool-Service. Einmal die Woche Nachtschicht am Pool und ein freier Tag in der Woche. 200 DM umgerechnet war der Monatslohn, ohne Krankenkasse und Versicherung. Verpflegung und Zimmer wurden gestellt. Das türkische Land kannte zu der Zeit kein Soziales Netz, wie wir es kennen. Es soll jetzt etwas besser geworden sei. Das Soziale Netz ist die Familie, sie leben den Koran, und je enger die Familienbande sind, umso besser. Leider führt das noch dazu, dass Cousin und Cousine ersten Grades heiraten. Also Mutters Schwester oder Onkel-Kinder, oder Vaters engste Verwandtschaft. Später stellte ich fest, dass es eine sehr große Familie mit Namen Aksay gab, und fast alle miteinander irgendwie verwandt waren.

Wir nahmen unsere Verlobung beide sehr ernst, und Ismail hatte entschieden, mich seinen Eltern vorzustellen. Erst einmal kündigte er seinen Job. Wie verlebten die restlichen Urlaubstage, insgesamt drei Wochen, und ich gab ihm 1000 DM, denn er hätte ja noch vier Monate arbeiten müssen, die Saison begann im April und dauerte bis November. Mir war schon klar, dass die Familie auf sein Geld angewiesen war. Zu der Zeit kamen sie mit etwa 150 DM im Monat klar für fünf Personen. Seine Familie wohnt in einem Dorf mit namens Karagedik, grobe Richtung von Adana ungefähr eine Autostunde nach Osmanye, das ist nicht weit entfernt von der syrischen Grenze, nahe dem Amerikanischen Raketenstützpunkt Incelic. Von Osmanye fährt man ca. dreißig Minuten bis Düzici, dass ist die kleine Stadt, die dem Dorf an nächsten liegt, und dann noch zwanzig Minuten bis ins Dorf. Nun fuhr er also mit dem Reisebus in seine Heimat, und ich flog mit meiner Karla nach Hause, wo nun der Alltag in seiner ganzen Brutalität auf uns wartete. Ein Traum, ein wunderbarer Traum war zu Ende. Allah, Allah, gut dass wir uns hatten, Karla und ich. Keinem hätten wir nur annähernd erzählen können, was wir erlebt hatten. Sicher hätte auch keiner Verständnis dafür aufgebracht. Wir beide waren schließlich gestandene Geschäftsfrauen – und eine Liaison mit kleinen türkischen Jungens ... Irgendwie verstand ich das ja selber nicht. Karla fand immer wieder die richtigen Worte. Lebe dein Leben, was interessieren dich die anderen, genieße jede Sekunde. Aber mich brauchte keiner zu überreden, mein Herz war übervoll und dankbar.

Nun hatte Ismail ein Handy, und wir konnten jeden Abend telefonieren. Später merkte ich, wie teuer das war, dafür hätte ich auch hin fliegen können. Nun hörte ich im Hintergrund keine Straßengeräusche mehr, sondern Kikeriki und Muh. Er erzählte mir, dass die Dorf Alten, sein Vater und Vaters Brüder, in seinem Haus seien und darüber berieten, wie es mit mir und Ismail weitergehen sollte, und ob es in Ordnung sei, dass ich ins Dorf reisen dürfe. Seine Eltern waren einfache Bauern. Sie pflanzten Baumwolle, Mais, Weizen und hauptsächlich Erdnüsse. Alle lebten dort von der Landwirtschaft. Allein schon ein paar Kühe zeugten von etwas Wohlstand. Es wurde Abend für Abend verhandelt, und eines Tages teilte Ismail mir mit, ich sei herzlich eingeladen und seine Familie würde mich erwarten. Darüber war ich doch sehr erstaunt, denn in meinem tiefsten Innern dachte ich, irgendwie würde sich das Thema wohl verlaufen. Nein, ich täuschte mich total, dem Jungen war es todernst. Im Juni war der erste Urlaub. Im Juli dann der zweite. Und im Oktober fasste ich mir ein Herz und flog nach Adana. Ich tat es wirklich. Ich wollte es einfach wissen. Alles oder nichts!

Türkisches Fieber

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