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KAPITEL 6
ОглавлениеHorst Wittler, Gründer und, nach seinen eigenen Worten, Seele von WittNet, reichte mir das pitching document und sah seine Projektleiterin an. »Romys Ideen für die Frechen Früchtchen sind wirklich entzückend. Findest du nicht, Alexa?«
Alexa nickte stumm und sah aus, als würde sie sich mit Mühe eine bissige Bemerkung verkneifen.
Die nächsten Wochen würden zäh werden, dachte ich. Seit ich vor einer halben Stunde den Besprechungsraum im 23. Stock des neuen Hochhauses neben der UNO-City betreten hatte, sah Alexa mich feindselig an. Ihre kaum verhüllte Aversion hatte mich nicht überrascht, wohl aber, dass sie sich auch in Horsts Gegenwart keine Mühe gab, sie zu verbergen. Für Alexa reichte es offenbar für den Beginn einer lebenslangen Feindschaft, jemandem über die Füße gestolpert zu sein. Blöder Zufall aber auch, dass ich es bei meinem Überbrückungsjob ausgerechnet mit der Frau zu tun hatte, der ich nach Christians Vortrag in die Quere gekommen war.
»Mit Olga haben Sie ja schon öfter gearbeitet«, sagte Horst.
Ich nickte. »Wir sind ein eingespieltes Team.«
Alexa verzog den Mund. »Interessant. Dabei sind Sie ja ziemlich … unterschiedlich.«
Ich zog es vor, die Spitze zu überhören. Schließlich gaben sie und Horst ein Paar ab, das um einiges seltsamer war als Olga und ich; wie eine Eisprinzessin und ein glatzköpfiger, überenthusiastischer Onkel. Olga hatte ihn mir als harmlos beschrieben, doch unter seiner jovialen Fassade schien etwas Dunkles zu lauern.
»Olga hat erwähnt, dass Sie ab Sommer bei Knights of the Dragon Isle mitarbeiten«, sagte Horst. »Ich gratuliere.«
»Danke.«
»Ist Tamsin Daffyd noch Projektleiterin?«
Ich sah Horst überrascht an. WittNet war in der PR-Branche für seine Gesundheitskampagnen für Ministerien und Ähnliches bekannt, und er sah auch nicht aus wie jemand, der in seiner Freizeit Orks und Trolle jagte.
»Ich kenne sie von einem Abendessen mit Venture-Kapitalisten vor ein paar Jahren«, sagte Horst.
Ich nickte. Natürlich, für jemanden wie ihn waren Spiele ein Investment, nichts weiter.
»Da muss ich wohl auch gratulieren«, sagte Alexa. Sie wandte sich an Horst, und die feinen Linien um ihren Mund vertieften sich. »Wir sollten trotzdem bedenken, dass Romy der pädagogische Hintergrund für unser Projekt fehlt«, sagte sie.
Ich fragte mich, wie alt sie war. Zunächst hatte ich sie auf Anfang dreißig geschätzt, auf mein Alter also. Aus der Nähe aber sah sie ausgezehrt aus, fast schon welk, als müsse sie sich ständig aufopfern und verzichten. Ich fragte mich, was genau sie sich verkniff. Den Logos auf ihrer Jeans und Tasche nach zu schließen, war sie sich gegenüber zumindest in Sachen Markenkleidung großzügig.
»Klar, die Frechen Früchtchen sollen ansprechend gestaltet sein, Frucht- und Gemüsekinder eben, ein mutiger Zucchinijunge, ein süßes Rhabarbermädchen und so fort, Sie haben ja das Konzept gesehen. Trotzdem muss es aber ein hochseriöses Lernspiel werden. Gemüse und Obst, das die Jugend zu gesunder Ernährung motiviert«, sagte Alexa. »Das müssen sogar Sie für eine gute Idee halten.«
»Sicher«, sagte ich, obwohl ich vom Projekt inzwischen nicht mehr überzeugt war. Wer auch immer das Konzept geschrieben hatte, hatte die Botschaft von all dem Obst und hochwertigen Essen unter pädagogisch korrekten Mahnungen verschüttet, und ich zweifelte an der Wirksamkeit der ganzen Kampagne. Der erhobene Zeigefinger, den Alexa offensichtlich so schätzte, bewirkte gar nichts, dachte ich, auch wenn er sich hinter lustigen Animationen verbarg. Als jemand, der sich eineinhalb Jahrzehnte lang mit Diäten abgequält hatte, wusste ich, wovon ich sprach.
Ich seufzte, so, dass die beiden mich nicht hören konnten. Am liebsten wäre ich aus dem Projekt ausgestiegen, aber dann fiel mir ein, wie viel Geld ich für die Vampisierung meiner Garderobe in London gelassen hatte. Horst und Alexa jetzt abzusagen, konnte ich mir schlicht nicht leisten.
Am Nachmittag meldete ich mich bei einigen internationalen Plus-Size-Seiten an, um zu sehen, was passierte. Ich hatte das Wochenende durchgearbeitet, um das letzte Projekt abzuschließen, und brannte jetzt darauf, mit meiner Quest weiterzumachen. Ziemlich schnell waren meine Mailboxen mit Smileys und netten Mails gefüllt, aber alle stammten von Männern, die ein paar hundert oder ein paar tausend Kilometer entfernt lebten. Nachdem ich die Mails gelesen hatte, rief ich Olga an, um sie in Sachen Prinzensuche auf den neuesten Stand zu bringen.
Olga war hörbar über die Entwicklung erfreut. »Bist du sicher, dass es diese Plattformen nicht auch bei uns gibt?«, fragte sie.
Im Hintergrund hörte ich etwas, das sich nach dem Pfeifen einer Dampfmaschine und dem Klicken von ineinander greifenden Zahnrädern anhörte. Mir fiel ein, dass Olga gerade eine Steampunk-Spiel-App programmierte.
»Anscheinend nicht«, sagte ich.
»Seltsam.«
Sie dachte nach. Das war eines der Dinge, die ich an Olga mochte. Sie gab keine leichtfertigen Tipps, sondern überlegte sich neue Wege. Ich stellte mir vor, wie sich beim Denken kleine Rädchen in ihrem Hirn drehten und aus ihren Ohren Dampf entwich.
»Eine Plattform für Dicke gibt es schon«, sagte ich, »die gehört aber zu einer ganz normalen Erotikseite. Wenn ich mich registriere, lande ich erst recht wieder im Pool mit allen anderen Frauen.«
»Probier es trotzdem«, sagte Olga. »Denk an die XP.«
Ich lachte. »XP. Das sollte ich mir auf ein Post-it schreiben und über den Schreibtisch kleben.«
»Oder auf die Innenseite eines Rings gravieren lassen. In elbisch.«
Wir lachten beide, dann legte ich auf.
Ich zog mir das Top über den Kopf und nahm mit der Webcam ein Bild meines Dekolletés im schwarzen BH auf, wobei ich mir beim Posieren gleichzeitig sexy und albern vorkam. Bevor mich der Mut verlassen konnte, registrierte ich mich auf dieser eher niveaufernen Plattform und lud das Foto hoch. Dann sah ich mir die Profile der Männer an. Ich fand mehrere hundert Herren, von denen gut die Hälfte ihr bestes Stück als von den Administratoren verpixeltes Profilbild benutzte. Aus denen, die darauf verzichteten, suchte ich mir die heraus, die »dick« als Beuteschema angaben. Doch keiner der Plus-Size-Lover, die ihre echten Fotos auf der Seite zeigten, gefiel mir.
Ich ging wieder zurück zur Startseite und sah mir die Männer näher an, die gar keinen Figurentyp angegeben hatten. Einer weckte meine Neugierde. Wie ich hatte »Freigeist 59« sich für ein Foto seines Oberkörpers entschieden. Sein Bild zeigte in feinen Zwirn gehüllte Schultern, einen Krawattenknopf und ein kantiges Kinn.
Bisher hatte ich für den konservativen Männertyp nichts übrig gehabt. Meine beiden Exliebhaber waren Kreative gewesen, Reisejournalist Harry mit seiner Vorliebe für schwarze Rollis und Kurator Bert, der für kunstvoll zerknitterte Jeanshemden lebte. Wieso war mir nie aufgefallen, wie sexy ein Anzug an einem Mann aussehen konnte? Ich klickte auf das E-Mail-Symbol. »Lieber Anzugträger …«