Читать книгу NOLA Knights: Hers to Tame - Rhenna Morgan - Страница 8
Kapitel 4
ОглавлениеWas zur Hölle war nur mit ihr los? Es war überhaupt nicht ihre Art, während ihrer Sequenzen zwischen den Wettervorhersagen oder Sportnews zu den Nachrichten so eilig überzuwechseln, aber sie war abgelenkt und das schätzten ihre Kollegen nicht besonders. Es war so schlimm gewesen, dass ihr Redakteur sie beim Verlassen des Sets abgefangen und gefragt hatte, ob irgendetwas nicht mit ihr stimmte.
Auf der positiven Seite hatte er jedoch nicht erwähnt, dass sie drei verschiedene Namen, die sie unzählige Male zuvor richtig ausgesprochen hatte, dieses Mal völlig verhunzt hatte.
Sie ging den Flur entlang zu ihrem Schreibtisch in der Redaktion. Das harte Aufprallen ihrer Absätze zeigte ungefähr so viel Gnade für den befleckten Betonboden, wie sie sich selbst für ihre heutigen Leistung beimaß.
Gott, in der Nachrichtenredaktion war es heute heiß. Wenn sie gewusst hätte, dass es so stickig werden würde, hätte sie auf das eisblaue Kostüm verzichtet und lieber etwas Leichteres gewählt. Und was war das für ein Geruch? Sie hätte schwören können, dass schon wieder jemand über Nacht irgendwo ein Thunfischsandwich liegen gelassen hatte.
Eine übermäßig fröhliche Stimme tönte den Gang entlang. „Hey, Cassie! Warte.“
Fuck!
Fuck! Fuck! Fuck!
So verlockend es war, Lizbet und ihr gefaktes „Lass uns beste Freunde sein“-Getue zu ignorieren, verlangsamte Cassie ihre Schritte, setzte ein professionelles Lächeln auf und drehte sich zu ihr um. „Hey, Mädel. Wie geht’s?“
„Nun ja, ich wollte dich gerade dasselbe fragen.“ Lizbets Lächeln war perfekt – eine ideale Mischung aus Besorgnis und Freundlichkeit –, aber in ihren braunen Augen stand definitiv Kalkül. Sie wurde langsamer, als sie näher kam. „Du hast heute am Set etwas wütend gewirkt. Ist alles okay?“
Ding. Stichelei, die erste.
Cassie winkte ab und kicherte. „Oh ja. Es geht mir gut. Ich war nur ein wenig abgelenkt. Es gibt eine neue Story, an der ich arbeite, und mir sind einige frische Ansätze dazu durch den Kopf gegangen. Schlechtes Timing, aber du kennst das ja, man weiß nie, wann einem gute Ideen kommen.“
„Das ist wahr.“ Lizbet neigte ihren Kopf gerade so weit, dass die Spitzen ihres Bobs die perfekt geschminkten Lippen umspielten. Während Cassie ein solch intensives Rot nicht stand, konnte Lizbet es tragen, und das tat sie häufig. Sie hätte schwören können, dass die Hälfte der Angestellten darüber fantasierten, wie diese Lippenstiftabdrücke auf einigen sehr speziellen Körperpartien wohl aussehen würden. „Falls du jemanden für ein Brainstorming brauchst, stelle ich mich gerne zur Verfügung. Ich denke, es wäre großartig, wenn wir uns zusammentun würden.“
Na klar. Denn die Idee würde mir am Ende garantiert nicht in den Hintern beißen.
Cassie bemühte sich redlich um ein anständiges Lächeln, das zu ihrer neckenden Antwort passte. „Wow. Allein die Vorstellung, wir beide würden zusammenarbeiten! Das wäre sicherlich eine gefährliche Kombination.“ Gefährlich wie der Kampf zwischen Katzen oder ein totales Blutbad, aber zumindest hatte sie nicht gelogen oder blindlings etwas zugestimmt, was sie niemals getan hätte. Sie blickte auf ihre Uhr, obwohl sie eigentlich genau wusste, dass es erst zehn nach sechs war. „Oh Mist. Ich muss vor sieben Uhr auf die andere Straßenseite, um etwas zu essen zu bekommen. Bleibst du noch ein bisschen oder bist du für heute fertig?“
„Ach, nein. Ich bin für heute fertig. Die letzte Story runterzududeln, hat mich echt fertiggemacht. Ich gehe nach Hause, schaue Netflix und esse Eis, aber ich werde garantiert um zehn einschalten und dir zusehen.“
Klar. Zusehen und vermutlich ihre Cassie-McClintock-Voodoo-Puppe mit neuen Nadeln durchbohren.
Cassie eilte zu ihrem Schreibtisch, um ihre Handtasche zu holen, und redete unterdessen weiter. „Iss etwas für mich mit. Vor allem, wenn es sich um Schokoladeneis handelt.“
„Oh ja, stimmt. Ich hatte vergessen, dass du eine totale Schokoholikerin bist.“ Lizbet lehnte sich mit der Schulter gegen die weit geöffnete Tür, die vom Flur zur Nachrichtenredaktion führte, und verschränkte die Arme vor der Brust. „Vielleicht solltest du auf dem Rückweg vom Abendessen bei einem Laden anhalten und dir einen Schokoriegel besorgen. Das könnte dich für die Zehn-Uhr-Nachrichten ein wenig aufheitern.“
Ding. Ding. Stichelei, die zweite.
Cassie warf sich die Tasche über die Schulter, zwang sich zu einem lockeren Tempo und einer sorglosen Haltung. Das war besser, als dieser Bitch ihre Umhängetasche über den Schädel zu ziehen, wie sie es eigentlich gern getan hätte. „Nein, ein bisschen mexikanisches Essen und ein wenig Zeit, um meine Ideen zu konkretisieren, sollten reichen.“ Sie schlenderte in den Flur und winkte Lizbet fröhlich zu. „Hab noch einen schönen Abend.“
„Gleichfalls.“
Nur ein paar Schritte und sie wäre in der Lobby und weit genug von ihr weg.
„Oh, Cassie?“
Fuck!
Cassie blieb an der Glastür stehen und blickte zurück zu Lizbet.
Ihre Erzfeindin hatte sich keinen Zentimeter bewegt, doch ihr Lächeln wirkte selbstgefällig. „Nimm dir die verpfuschten Namen heute nicht zu sehr zu Herzen, die obere Etage achtet selten auf solche Details, es sei denn, es kommt häufiger vor.“
Ding. Ding. Ding. Stichelei, die dritte.
Bleib ruhig, Cassie. Lass dich nicht provozieren. LASS DICH NICHT PROVOZIEREN!
„Danke. Es ist immer gut, einen Ratschlag von jemandem zu bekommen, dem das schon öfter passiert ist.“ Sie stieß die Tür auf, trat einen Schritt über die Schwelle und genoss einen Moment lang den verärgerten Ausdruck auf Lizbets Gesicht. „Hab einen schönen Abend.“
Die Glastür schloss sich hinter ihr und die Eisbergbedingungen im Empfangsbereich stürmten auf sie ein und kühlten ihre gerötete Haut umgehend runter. „Meine Güte“, sagte sie zu der Teilzeitangestellten an der Rezeption. „Kein Wunder, dass es da hinten so heiß ist, wenn sie die ganze klimatisierte Luft hier zentrieren.“
„Das denken Sie jetzt, würden Sie aber nicht, wenn Sie länger als eine Stunde hier sitzen würden“, sagte die Frau. „Bei den Temperaturen werde ich noch arbeitsbedingte Erfrierungen bekommen.“
Cassie kicherte und blieb an der Doppelflügeltür stehen, die nach draußen führte. Die Frau war keins der perfekt gekleideten Mannequins mit sanfter Stimme, die sie sonst zur Besetzung der Rezeption einstellten. Vielmehr hatte sie glattes schulterlanges Haar, das zwischen dunklem Brünett und Rotbraun schwankte, und sie trug kaum Make-up. Andererseits war das auch gar nicht nötig bei ihren hellblauen Augen, den entzückenden Sommersprossen und den hübschen Gesichtszügen. „Sie sind neu hier, oder?“
„Ja, ich habe erst am Wochenende angefangen. Meine Zeitarbeitsfirma hat mich kurzfristig hierhergeschickt. Ich schätze, die Person vor mir hat wohl ein besseres Angebot bekommen und ohne Vorwarnung gekündigt. Wahrscheinlich arbeitet sie jetzt irgendwo, wo es eine gut eingestellte Klimaanlage gibt.“
Das laute Lachen, das die Neue Cassie mit ihrem Kommentar entlockte, trug deutlich dazu bei, den anhaltenden Ärger über Lizbet und ihre Versprecher während der Nachrichtensendung verfliegen zu lassen „Schön, dass du hier bist. Ich bin Cassie McClintock.“
„Bonnie Drummond. Froh, einen Gehaltsscheck zu bekommen.“
Ja, sie hatte Bonnie richtig eingeschätzt. Lebhaft, lustig und sie brachte die Dinge auf den Punkt. „Bist du hier, weil du beim Fernsehen anfangen möchtest?“
„Ähm, zur Hölle, nein.“ Bonnie hielt inne und überprüfte beide Seiten ihres Schreibtisches, als würde sie fast erwarten, dass gleich ein Obszönitätenwächter um die Ecke kommen und sie rauswerfen würde. „Ich meine, verdammt, nein. Das hier ist mir ein wenig zu zugeknöpft, aber es ist besser, als zwölf Stunden lang auf den Beinen zu sein und zu bedienen, also nehme ich den Job an, wenn er mir angeboten wird.“
Cassie deutete mit dem Kopf in Richtung Straße. „Ich bin gerade auf dem Weg, mir billiges mexikanisches Essen zu besorgen. Möchtest du auch etwas?“
Bonnies Blick wanderte auf die andere Straßenseite zu dem Restaurant und ihr Lächeln wurde schwächer. „Nö, ich bin versorgt.“ Sie hob ihr Kinn und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Cassie. „Ich habe ein erstklassiges Gourmet-Erdnussbutter-Marmelade-Sandwich im Pausenraumkühlschrank. Das würde ich auf keinen Fall eintauschen wollen.“
Cassie kannte diesen Blick. Sie kannte dieses starke Verlangen und den Hunger, der sich auf Bonnies Gesicht abzeichnete, kurz bevor sie alle Spuren ihrer Realität fortwischte und eine mutige Maske darüberzog. Wenn sie ehrlich zu sich war, riskierte sie gerade, selbst wieder in diesen Schuhen zu landen, da sie bei ihrer Tante ausgezogen war. Und all das nur, weil sie sich selbst etwas beweisen wollte.
„Ich habe hinten auch eins davon, aber nach dem Tag, den ich hatte, kann ich eine kleine Ermunterung gut gebrauchen. Bist du sicher, dass du nichts haben willst? Als ich sagte, die sind billig, meinte ich, dass ich ein paar Tacos springen lasse, als Willkommensgeschenk.“
Für eine Sekunde dachte Cassie, sie würde ablehnen. Am Ende schluckte Bonnie schwer und senkte den Kopf. „Das würde ich zu schätzen wissen.“
Definitiv ein guter Mensch. „Abgemacht. Wir sehen uns gleich wieder.“
Zwei Minuten und einen kurzen Spaziergang über die Straße später hinterfragte sie ihren Drang, den klimatisierten Fernsehsender hinter sich zu lassen . Sie würde garantiert ihre Frisur und ihr Make-up vor der nächsten Sendung vor der Kamera noch einmal auffrischen lassen müssen.
Der beißende Geruch von Gewürzen und köchelnden Soßen prallte ihr entgegen, als sie die Tür zum Restaurant öffnete, gefolgt von dem emsigen Geschnatter der Angestellten hinter der Theke, die darauf bedacht waren, schnell die Aufträge zu erledigen. Im El Torro war ständig Betrieb, obwohl es keinen Drive-in-Schalter, verrückt vernünftige Preise und anständiges Essen hatte. Vor allem die Leute, die nach einem Barbesuch noch herkamen, mochten das familiengeführte Restaurant besonders. Cassie würde allerdings nie verstehen, wie man sich nach einer durchzechten Nacht noch mexikanisches Essen zutrauen konnte.
In der dritten Reihe von wartenden Kunden studierte Cassie die Speisekarte. Wenn sie sich an die Ein-Dollar-Optionen hielt, konnten Bonnie und sie je einen Zwölferpack Tacos essen, aber wonach ihr tatsächlich der Sinn stand, war die Monsterplatte, die ihr ein bisschen von allem geben konnte.
Zumindest das war eine Sache, die sie Lizbet voraushatte. Noch nie hatte Cassie sie mehr als einen Salat essen sehen. Cassie hingegen konnte morgens, mittags und abends Junkfood futtern und sich immer noch dünn fühlen. Einer der Vorteile eines guten Stoffwechsels.
Eine Sekunde später wurde sie sich einer Präsenz hinter ihr bewusst, bevor eine volle männliche Stimme mit einem köstlichen russischen Akzent in der Nähe ihrer Ohrmuschel rumpelte: „Ich bin mir nicht ganz sicher, ob dieses Unternehmen die Lebensmittelkontrollen bestanden hat.“
Meine Güte, dieser Mann war in direkter Reichweite absolut gefährlich. Auch ohne körperlichen Kontakt schickte er eine Gänsehaut über ihren gesamten Leib und hebelte ihre Aufnahmefähigkeit gänzlich aus. Anstatt sich umzudrehen, blickte sie weiter zur Theke. Es wäre besser gewesen, ihr Lächeln unter Kontrolle zu bekommen, aber was das betraf, hatte sie längst verloren. „Mr. Vasilek, ich hatte dich nicht für einen El-Torro-Fan gehalten.“
„Mr. Vasilek heißt es jetzt plötzlich wieder?“ Er stellte sich neben sie und studierte ebenfalls die Speisekarte. Wie üblich trug er einen makellosen Anzug – dieser war hellgrau und kombiniert mit einem weißen Hemd und einer dunkelgrauen Krawatte. Während sein Tonfall zwanglos wirkte, war seine Lautstärke doch eher diskret. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir beide weit über den Punkt hinaus sind, wo Formalitäten noch erforderlich sind.“
„Ach wirklich?“
„Nun, wir haben uns gegenseitig nackt gesehen, und ich finde, sobald ich meinen Vornamen von den Lippen einer Frau während ihres Höhepunktes gehört habe, verliert mein Nachname all seinen Reiz für mich.“
Nein, Cassie. Nicht daran denken. Das ist gefährliches Gelände.
Aber es war bereits zu spät.
Die berauschende Art, wie er sie berührt hatte, wie er ihre Haut genossen hatte, als wäre es der köstlichste Genuss, und wie er sich Zeit genommen hatte, ihr Verlangen aufzubauen – all das hatte sich in ihr Gehirn gebrannt. Und dieses Gefühl, ihm so nah zu sein, ohne etwas zwischen ihnen – noch nie hatte sie so etwas erlebt. Es war elektrisierend. Eine Verbundenheit jenseits jeder Vorstellungskraft oder Definition.
Sie räusperte sich und sah ihn an. „Ich denke nicht, dass das hier der richtige Ort ist, um unsere Vergangenheit … unsere Zwischenspielchen zu besprechen.“
„Dem stimme ich zu.“ Er erwiderte ihren Blick und deutete dann auf die Tür. „Lass uns an einen geschmackvolleren Ort gehen und über eine beliebige Anzahl von Dingen sprechen … Zwischenspielchen eingeschlossen.“
Oh nein. Daran zu denken, war schon riskant genug. Darüber zu reden, wäre, als würde man an einer Tankstelle ein Lagerfeuer anzünden. „Ich denke, ich bleibe lieber im Rahmen meines Budgets und esse schnell etwas, damit ich wieder zurück zum Sender kann.“ Kaum hatte sie ihren Arbeitsplatz erwähnt, zählte sie eins und eins zusammen. „Was machst du überhaupt in diesem Teil der Stadt?“
„Ich bin dir gefolgt.“
„Du hast was getan?“
„Ich bin dir gefolgt. Ich habe auf dem Parkplatz gewartet in der Hoffnung, dich nach deiner letzten Nachrichtensendung zu erwischen. Dann habe ich gesehen, wie du über die Straße gegangen bist. Also bin ich hier.“
Keine Hinterlist. Keine cleveren Ausreden. Bloß die kalte, nackte Wahrheit.
Die letzten Kunden vor ihr nahmen ihre Tabletts von der Theke, und das rotgesichtige Mädchen, das die Kasse besetzte, stand nun ihr gegenüber. „Hallo, was kann ich Ihnen bringen?“
Nimm die Tacos.
Das ist weniger chaotisch.
Und billiger.
„Ich hätte gern die Monsterplatte zum Hieressen und drei knusprige Rindfleisch-Tacos zum Mitnehmen, bitte.“
Und damit verflog die Möglichkeit, sich diese Woche nach der Arbeit noch einmal mexikanisches Essen gönnen zu können. Sie schüttelte das schlechte Gewissen ab, öffnete ihre Geldbörse und zog ein paar Ein-Dollar-Scheine heraus. „Könnte ich die Bestellung zum Mitnehmen in etwa zwanzig Minuten bekommen?“
„Na klar.“ Die Kassiererin blickte zu Kir. „Irgendetwas für Sie?“
„Nyet.“ Kir steckte die Hand in seine Tasche und holte eine silberne Klammer hervor, die einen ordentlichen Batzen Geldscheine umschloss. Er öffnete die Geldklammer, nahm einen Zwanziger heraus und reichte ihn der Kassiererin. „Das ist alles.“
Cassie sah auf den Geldschein, der in der Kasse verschwand, und dann zurück zu Kir. „Ich kann mein Essen selbst bezahlen.“
„Ich bin mir sicher, dass du das kannst, aber ich lasse dich nicht bezahlen, wenn du mit mir zusammen bist.“ Er nickte in Richtung der Ein-Dollar-Noten, die in ihrer Hand gefaltet waren. „Steck das weg und heb es dir für einen weiteren Ausflug zu einer Darmsanierung auf.“
„Aber …“
„Wir könnten natürlich jetzt darüber diskutieren, doch das ist nicht verhandelbar mit mir. Betrachte es einfach als Verhalten, das tief in mir verwurzelt ist und das ich in meinem Alter nicht mehr ändern werde.“
Cassie warf einen Blick auf eine etwas rundlichere Frau hinter ihr, die die Interaktion zwischen ihnen beobachtet hatte. Sie hob eine Augenbraue, als wollte sie Cassie für verrückt erklären, wenn sie die Einladung ablehnen würde.
Den Kopf gesenkt, stopfte Cassie die Scheine wieder zurück in ihre Geldbörse. „Dankeschön.“
„Gern geschehen.“
Während sie auf ihre Bestellung wartete, schwieg Kir und beobachtete nicht nur das emsige Treiben auf der anderen Seite der Theke, sondern auch die Gäste, die hinter ihnen in den roten Sitzecken saßen.
Als sie ihr Essen bekam, gab es noch zwei Sitzmöglichkeiten – eine in der hinteren Ecke und ein Tisch für zwei in der Nähe der Tür. Kir nahm ihr die Entscheidung ab und führte sie in Richtung des Tisches für zwei.
Sie nahm ein paar Servietten aus dem Spender an der Glaswand. „Also, worüber wolltest du mit mir reden?“
„Du denkst, dass ich eine Agenda habe?“
„Nun, du hast selbst gesagt, dass du auf dem Parkplatz auf mich gewartet hast. Du warst letzte Nacht schrecklich gleichgültig zu mir, also gehe ich davon aus, dass du aus einem professionellen Grund hier bist, oder?“
Kir lehnte sich auf dem Stuhl Richtung Fenster zurück, einen Arm auf der Rückenlehne und den anderen auf dem Tisch vor sich. „Ich würde nicht das Wort gleichgültig verwenden.“
Wenn sie nicht bereit gewesen wäre, ihre eigene Hand zu verspeisen, hätte sie sich auf ein verbales Hin und Her sicherlich eingelassen. Stattdessen machte sie sich über ihr Essen her und warf ihm einen Blick zu, der ihm – wie Tante Frieda es bezeichnete – klarmachen sollte, dass sie nicht den ganzen Tag Zeit hatte.
Das jungenhafte Grinsen, das sie dafür von ihm erntete, war absolut entwaffnend. Die Art von Lächeln, das von frechen Kerlen eingesetzt wird, die sich ihrer Anziehungskraft durchaus bewusst sind und jede Gelegenheit nutzen, um diese einzusetzen.
„Du hast eine geistreiche Art an dir, Cassie. Ich wette, es gibt nicht viele, die sich gern mit dir anlegen.“
„Du hast Lizbet noch nicht getroffen.“
„Wen?“
Cassie winkte das Thema mit der Gabel beiseite und spießte einen weiteren Bissen auf. „Nicht wichtig. Beantworte einfach die Frage.“
„Welche Frage?“
„Wenn du nicht gleichgültig warst, wie würdest du es dann nennen?“
Sein Lächeln verblasste. Er musterte sie einen Moment aufmerksam. „Wütend.“ Damit stieß er einen langen Atemzug aus, und die Spannung, die sich auf seine Schultern gelegt hatte, ließ nach. „Als du deine Gründe jedoch erklärt hattest, konnte ich deine Handlungsweise nachvollziehen.“
Cassie schnappte sich einen Tortillachip. „Ja, nicht gerade meine Glanzstunde.“ Sie senkte ihre Stimme und beugte sich vor. „Aber zu meiner Verteidigung sei gesagt, dass ich nicht jeden Tag herausfinde, dass ich mit jemandem schlafe, der der Mafia angehört.“
Sein Mund zuckte. „Das klingt wie etwas aus einem Thriller. Und fürs Protokoll“, sagte er und ahmte eindeutig ihre vorherige Aussage nach, „du weißt nicht, ob ich mafiya bin. Ebenso vermute ich, dass du keinerlei praktische Erfahrung damit hast, was diese Bezeichnung überhaupt bedeutet.“
„Du leugnest es?“
„Werde ich gerade interviewt?“
Oh, es war verlockend. Sehr verlockend.
Aber es fühlte sich total falsch an. „Nein.“ Sie nahm einen weiteren Bissen zu sich. „Ich möchte nur wissen, mit wem ich es zu tun habe.“
Der Kommentar ernüchterte sofort jeglichen Sinn für ein verbales Spielchen. Obwohl er sich nicht aus seiner entspannten Haltung herausbewegte, lag in seinen himmelblauen Augen eine Intensität, die sie verunsicherte. „Ich bin ein ehrenwerter Mann und – unabhängig von meiner Arbeit oder meiner gegenwärtigen Zugehörigkeit – wirst du in meiner Obhut stets sicher sein.“
In meiner Obhut.
Oberflächlich betrachtet klang es köstlich romantisch und weckte all die Idealvorstellungen vom Ritter in der glänzenden Rüstung, von dem sie einst geträumt hatte. Aber das war sicherlich nicht das, was er damit gemeint hatte. Wahrscheinlich handelte es sich dabei um etwas, was sich nur schwer aus dem Russischen ins Amerikanische übertragen ließ. „Also bist du bereit, das, was geschehen ist, hinter dir zu lassen, und du bist hier, um … was?“ Dort weiterzumachen, wo wir aufgehört haben?
Wollte sie das?
Könnte sie das?
Nur weil er nicht bestätigen wollte, was er beruflich machte, hieß das nicht, dass er so rein wie frisch gefallener Schnee war.
Er musterte sie. Wie ein tödliches Raubtier, das sie eindeutig nicht als Bedrohung wahrnahm, sie aber vielleicht aus purem Spaß zum Mittagessen vertilgen würde. „Du hattest erwähnt, dass unsere letzte Begegnung für dich beruflich sehr lukrativ gewesen ist. Ich glaube, wir haben möglicherweise eine weitere Gelegenheit, zum gegenseitigen Nutzen zusammenzuarbeiten.“
Das fettige Essen drohte, ihre Speiseröhre wieder emporzukriechen, und sie hätte schwören können, dass ihre Lungen auf die Hälfte ihrer Größe geschrumpft waren. Was wirklich absolut dumm war. Eine geschäftliche Beziehung war um Längen besser als eine persönliche. Oder das würde sie sein, sobald sie einen Weg gefunden hätte, alle Erinnerungen daran zu löschen, wie er den gesunden Menschenverstand direkt aus ihr herausgeküsst und gestreichelt hatte.
Sie schob ihre kalten Bohnen auf dem Teller hin und her und versuchte, wieder Appetit zu entwickeln. „Erzähl mir mehr.“
Er rückte mit dem Stuhl näher und verschränkte die Arme auf dem Tisch. „Ich brauche jemanden, der mit mir eine Liste von Personen erstellt, die am meisten von Alfonsis Verschwinden betroffen sind, und du hast eine Menge Zeit damit verbracht, dich mit diesen Leuten zu befassen.“
„Warum?“
„Keine besonders spezifische Frage. Geht es auch konkreter?“
„Warum brauchst du diese Information über die Menschen, die am meisten von Alfonsis Verschwinden betroffen sind?“
Sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, aber es lag etwas Stahlhartes in seiner Stimme. Wie ein kompromissloser Abgrund, der deutlich machte, dass jemand eine Grenze überschritten hatte, die er besser gemieden hätte. „Weil wütende Menschen dazu neigen, vorschnelle Maßnahmen zu ergreifen. Und vorschnelle Maßnahmen sind nicht gut für meine Familie.“
Romans ernste Mimik, als er letzte Nacht an den Tisch zurückgekommen war, kehrte sofort wieder in ihre Erinnerungen zurück. Sie hatte seine Worte vielleicht nicht verstanden, aber seine Botschaft hatte eine knurrende Dringlichkeit gehabt. Nachdem sie so schnell wie möglich aus der Bar verschwunden war, um weitere Unbeholfenheit oder Verlegenheit zu vermeiden, hatte sie gute zehn Minuten in ihrem Auto gesessen, um sich wieder zu beruhigen. Roman und Kir hatten nur drei Minuten nach ihr die Bar verlassen. „Hat das etwas damit zu tun, dass Roman und du letzte Nacht kurz nach mir gegangen seid?“
„Ich trage viel Verantwortung. Du wärst überrascht, wie oft mich meine Mitarbeiter anrufen und zu sich bitten.“
Eine Antwort, aber keine direkte. Was bedeutete, dass sie nah an die Wahrheit herangekommen war oder den Nagel auf den Kopf getroffen hatte.
Sie schob ihr Tablett weit genug von sich fort, um seine Körperhaltung imitieren zu können. Ihm zu helfen, nachdem sie ihn so schäbig behandelt hatte, wäre eine weitaus bessere Art von Entschuldigung als bloße Worte. Andererseits wäre es eine köstliche Qual, mit ihm zusammenzuarbeiten. „Viele Menschen vertrauen mir ihre Gefühle und Gedanken in diesen Folgestorys an. Warum sollte ich deren Vertrauen missbrauchen, indem ich sie mit dir teile?“
Augenblicklich grinste er, und seine Augen funkelten mit der Befriedigung eines Mannes, der wusste, dass er einen Fisch am Haken hatte. „Weil man nie weiß, wann und wo man eine neue Story aufgreifen kann.“
Eins musste sie ihm lassen, er wusste, welche Knöpfe er bei ihr drücken musste. Bei dem Tempo, mit dem sie Storys fand, würde sie wohl bald eher mit Bonnie um den Platz an der Rezeption buhlen müssen. Wenn er zumindest neue Wege zu guten Ideen eröffnen würde, würde sie diese Chance sicherlich nicht vorbeiziehen lassen.
Sie sah auf ihre Uhr und schnappte sich die Papiertüte, die das Personal ihr inzwischen gebracht hatte, vom Tisch. „Wir können ein ernsthaftes Gespräch darüber führen und sehen, wie es läuft. Aber nicht jetzt. Ich muss zurück. Wie wäre es, wenn wir uns in einem Café treffen oder so?“
„Ich möchte lieber, dass unsere Unterhaltung in einem privaten Rahmen stattfindet. Ich werde zu dir nach Hause kommen.“
„Nein.“
Die ruhige und nachdrückliche Direktheit ihrer Antwort schien ihn zu überraschen. „Warum nicht?“
„Fragst du mich das jetzt allen Ernstes?“
Für einen Moment kam es ihr tatsächlich so vor, als könne er ihre Erwiderung nicht einordnen, doch dann breitete sich Verständnis in seinem Blick aus und seine Lippen formten sich zu einem erfreuten Grinsen. „Du hast Angst, mit mir allein zu sein.“
„Ha!“ Das scharfe Lachen, gepaart mit dem nervigen Schnauben kam bellend über ihre Lippen, hallte leicht von der Fensterfront zurück und zog einige Blicke auf sie. Sie straffte ihre Schultern, erhob sich, senkte jedoch ihre Stimme. „Das hättest du wohl gern.“
Sein Lächeln schwankte nicht, nicht einmal für eine Sekunde. Aber da wuchs auch eine gefährliche Neugier in der Art, wie er sie musterte. „Vielleicht stimmt das tatsächlich. Und angesichts der Rötung deines Halses zu urteilen, bin ich nicht der Einzige.“
Er stand auf und führte sie in Richtung Tür.
Cassie war dankbar für den Ausweg. Sie wollte gerade nach dem Griff der Glastür greifen, um sie aufzustoßen, aber er war schneller und hielt diese weit für sie auf. Es wäre besser gewesen, wenn sie das gesamte Thema sein gelassen hätte, doch ihr Stolz wollte einfach nicht kooperieren. „Dich nicht in meinem Haus haben zu wollen, hat nichts mit Sex zu tun.“
Jedenfalls nicht nur mit Sex.
Er ging neben ihr her, über den Parkplatz bis zur Straße dahinter. „Dann könntest du es mir vielleicht erklären.“
„Wirklich?“
„Bitte. Denn ich bin völlig ratlos in dieser Sache.“
Mit einem Seufzen konzentrierte sie sich auf das weitläufige, einstöckige Gebäude des Senders auf der anderen Straßenseite. Es war sehr wenig getan worden, um die buttergelbe Ziegelsteinfassade auf den neusten Stand zu bringen, die in den späten 1960ern und frühen 1970ern so beliebt gewesen war. Die Hecken waren außergewöhnlich langweilig, aber die riesige amerikanische Flagge, die auf dem Gebäude wehte, brachte zumindest etwas mehr Farbe ins Spiel. „Bitte versteh mich nicht falsch, aber du arbeitest für einen Mann, der verdächtigt wird, eine immer größer werdende kriminelle Familie zu führen. Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee ist, dir zu sagen, wo ich wohne.“
„South Franklin Avenue Nummer 1023.“
Cassie blieb so abrupt stehen, dass sie ins Schwanken geriet. „Wie hast du … Ich meine, ich bin dort erst vor Kurzem eingezogen.“
Sein Lächeln wurde weicher und seine Worte wählte er mit sanfter Absicht. „Ich bin ein sehr gründlicher Mann, Cassie. Du kannst doch unmöglich davon ausgehen, dass ich nicht alles über eine Person in Erfahrung bringe, was ich kann, bevor ich wichtige Informationen mit ihr teile.“
Sehr gründlich.
Erschreckend gründlich.
Sie schüttelte die Vorahnung ab und setzte ihren Weg zum Sender fort, wenn auch auf etwas wackligeren Beinen. „Umso mehr Gründe für uns, dass wir uns an einem öffentlichen Ort treffen.“
„Also gut, dann hole ich dich ab und wir gehen irgendwohin.“
„Nicht nötig.“ Sie überprüfte beide Richtungen der Straße und eilte hinüber. „Sag mir einfach, wo du reden willst, und ich treffe dich dort.“
„Ich fürchte, dich abzuholen und dorthin zu begleiten, ist nicht verhandelbar.“
Sie runzelte die Stirn in seine Richtung, ging aber weiter. „Es gibt eine Menge Punkte, über die du nicht verhandelst. Warum ist das einer davon?“
„Weil ich nicht daran interessiert bin, dass jemand anderes zuhört, während ich sehr interessiert daran bin, zu erfahren, was du zu erzählen hast. Also ist der beste Weg, für unsere Privatsphäre zu sorgen, dass niemand sonst weiß, wo wir hingehen werden, einschließlich dir.“
Sie blieb nur einen Meter vor der Eingangstür des Senders stehen. „Du traust mir nicht?“
„Sollte ich?“
Hmm. Er hatte da ein gutes Argument. Und angesichts der Tatsache, wie sie ihn nach ihrem zweiten Date ignoriert hatte, könnte er sich noch immer fragen, ob sie ihn nur benutzt hatte. „Also schön, hol mich morgen um acht bei mir ab. Aber wähl bitte keinen schicken Ort aus, sondern ein Café oder so etwas. Kein Starbucks. Was die für einen Kaffee verlangen, ist kriminell.“
Sein Mund zuckte, als ob es das Einzige wäre, was er tun konnte, um ein Lachen zu unterdrücken. „Du scheinst entschlossen zu sein, mich Einrichtungen mit begrenzten Standards ausliefern zu wollen.“ Er nickte, ein Bildnis voller Sanftmut und Zuversicht. „Ich werde mich bemühen, einen Ort zu wählen, der deinen Erwartungen entspricht.“ Er streckte die Hand aus, Innenfläche nach oben. „Dann bis morgen.“
Er hatte tolle Hände. Nicht so glatte wie jemand, der in ein Büro eingesperrt war, sondern richtige Männerhände. Etwas schwielig, mit langen Fingern und rauen Kuppen. Von all den Dingen aus ihrer gemeinsamen Zeit waren es die Berührungen, die sie sich am häufigsten in Erinnerung rief. Genau aus diesem Grund wäre es klug, zukünftig jeglichen Körperkontakt mit ihm zu meiden.
Masochistisch, wie sie war, und ganz das wohlerzogene Texasmädchen ließ sie ihre Hand in seine gleiten.
Oh ja.
Immer noch großartig.
Elektrisierend und warm. Extrem aufgeladen und voller Versprechen.
Und das war nur eine Berührung ihrer Hand.
„Nochmals vielen Dank für das Abendessen. Es war nicht notwendig, aber ich weiß es zu schätzen.“ Sie hasste die Atemnot in ihrer Stimme und versuchte, seine Hand loszulassen.
Kir hielt sie fest, bewegte seine Daumenkuppe subtil über die sensible Stelle zwischen ihrem Daumen und Zeigefinger. So als würde er sich an andere, intimere Punkte erinnern, an denen er sie berührt hatte. „Ich versichere dir, das Vergnügen war ganz auf meiner Seite.“
Er ließ sie sanft los, drehte sich ohne zu zögern um und schlenderte zurück zum Parkplatz, als könnte er kein Wässerchen trüben.
Ihn zu beobachten war wirklich etwas, das man genießen konnte. Ein Genuss, von dem sie nicht einmal gewusst hatte, dass sie ihn sich gönnte, bis er zum Bürgersteig gelangte, sich umdrehte und die Autotür öffnete.
Na toll, und jetzt hat er dich auch noch dabei erwischt, wie du ihm hinterhergestarrt hast.
Sie zog eine der Glastüren auf und betrat den arktischen Empfangsbereich.
„Mädel, der Typ war ja heiß“, sagte Bonnie, bevor sich Cassies Augen nach dem blendenden Sonnenschein anpassen konnten. „Ist er dein Freund?“
„Oh nein.“ Sie stellte die Papiertüte auf die Theke und schüttelte den Kopf. „Nur ein Kontakt, der mir vor einiger Zeit mit ein paar Storys geholfen hat.“
Und der mich für andere Männer ruiniert hat. Aber warum über Details diskutieren?
Bonnie nahm die Tüte und öffnete sie, doch ihr Kichern als Erwiderung machte deutlich, dass sie kein Wort von dem glaubte, was Cassie gesagt hatte. „Uh-uh. Sah für mich so aus, als würde er einen Plan aushecken, wie er dich aus deinen professionellen Klamotten holen kann.“
Ja, und genauso hatte es sich auch angefühlt. Aber darüber würde sie jetzt nicht nachdenken. Oder überhaupt jemals, wenn sie es verhindern konnte. „Nö, das war nur etwas Geschäftliches.“ Sie wedelte in Richtung Tüte und machte sich auf den Weg zurück zur Nachrichtenredaktion.
„Gute oder schlechte Geschäfte?“
Cassie schob die Tür auf und warf Bonnie einen letzten Blick zu. „Ich habe mich noch nicht entschieden. Könnte ein Lotteriegewinn sein oder der größte Fehler meines Lebens.“