Читать книгу Die Geschichte von Garibaldi - Ricarda Huch - Страница 5

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Als Garibaldi, der mit seiner Legion auf dem Wege nach Venedig war, erfuhr, daß der Papst seine Residenz verlassen und sich in den Schutz des Königs von Neapel begeben habe und die Abgeordneten des Parlaments, die mit ihm über Versöhnung und Rückkehr unterhandeln sollten, nicht einmal vor sich lasse, wendete er sofort um und ging auf dem geradesten Wege nach Rom, um dem aufgelösten Staat in diesem Schicksalsmoment seinen Dienst anzutragen. Den ersten Gang machte er nicht zu den Ministern, sondern auf das Forum, das er einmal in seinen Jünglingsjahren und seitdem nicht wieder gesehen hatte, und war dabei begleitet von dem Genuesen Luigi Montaldi, einem Kriegsgefährten aus Amerika, und dem Mohren Aghiar, welche beide mit ihm zusammen nach Italien gekommen waren. Montaldi war einige Jahre jünger als Garibaldi, schlank, schön und kräftig, immer tätig und heiter und dadurch erfrischend. In vielen Gefahren und aussichtslosen Kämpfen war er Garibaldis Genosse gewesen und ihm brüderlich nahegekommen, wenn sie auch nicht in allen Ansichten übereinstimmten; denn Montaldi hätte sich, wäre nur Genua eine unabhängige Republik wie ehemals gewesen, um Italien nicht bekümmert und folgte Garibaldi mehr aus Liebe zu ihm und aus Lust an Kampf und Wagnis, als um in die Geschicke der Halbinsel einzugreifen. Rom war ihm fremd, und er ließ Garibaldi führen, der stillschweigend, ohne sich umzusehen, scheinbar ziellos, durch viele kreuz und quer durcheinander laufende Gassen schritt, bis sie auf einmal an einer altertümlichen Kirche vorüber auf den »Campo Vaccino« genannten Platz kamen, den Schutt von Jahrhunderten fast unzugänglich machte. Montaldi sah sich neugierig um, und da er zur Rechten die jähe Felsenmauer des alten Kapitols und zur Linken den unvertilgbaren Umriß des Kolosseums erkannte, reimte er sich zusammen, wo sie waren, und rief: »Das Forum der Römer!« indem er vorauseilte, um die Stätte der Geschichte zu betreten. Er kletterte über aufgehäufte Steine, betastete die vereinzelten Säulenstümpfe und versuchte hier und da eine zerstückte Inschrift zu lesen, während Garibaldi auf ein erhöhtes Gemäuer sprang, das ursprünglich zum Vorhof eines Tempels und später zu einer nun längst nicht mehr benutzten Kirche gehört hatte und von welchem noch fünf gigantische Säulen mit gebrochenem Gebälke aufragten; er blickte von dort nach den Ruinen des gegenüberliegenden Palatins hinüber. Der Tag war grau und still, und die kaum merkliche Bewegung der dünnen Wolken sah aus wie Rauch, der immer noch seit den unvordenklichen Tagen ihres Sturzes aus den furchtbaren Resten der Kaiserburgen stiege. Als Montaldi sich nach seinem Freunde umblickte und ihn an eine der hohen Säulen gelehnt sah, den Mohr nicht weit von ihm auf dem Rande der Mauer sitzend, stutzte er und betrachtete ihn nachdenklich; denn Garibaldi stand nicht wie ein Fremder da, der Denkwürdigkeiten anstaunt, sondern wie ein Heimkehrender vor den hohen Trümmern seines Vaterhauses, in dessen Brust über der Trauer das göttliche Bewußtsein aufsteigt, Erbe dieser gesunkenen Herrlichkeit zu sein. Er sprang auf, lief zu Garibaldi hinüber, umarmte und küßte ihn und sagte: »Ich begreife jetzt, warum du plötzlich, alle früheren Pläne umwerfend, so daß es einige und auch mich ärgerte, nach Rom gegangen bist; du gehörst hierher. Ich möchte wissen, was deine Gedanken waren, als du eben nach dem Palatin hinüberblicktest.« Garibaldi antwortete: »Ich erinnerte mich des Tages, als ich vor etwa dreiundzwanzig Jahren, als armer Schiffsjunge, zum ersten Male hier war und dasselbe sah, was ich jetzt sehe. Von dem wenigen, was mir von Lehrern beigebracht war, hatte ich das meiste vergessen und wußte nicht mehr von Rom, als daß es Sitz eines Volkes war, das die Welt beherrschte und dessen Nachkommen wir sind, die wir die italienische Sprache sprechen; von Italien verstand ich noch nichts. Dennoch hörte ich das unterirdische Schlagen eines begrabenen Herzens, das die römischen Bauern, die ihre Kühe an jene Pfähle banden und um das Vieh handelten, und die Prozessionen der lallenden Priester, die um die Kirche trollten, nicht hörten, und mir ahnte, daß es das Herz Italiens war und daß ich es befreien sollte. Meine Liebe strömte so mächtig in meinem Herzen zusammen, daß mir vor Lust schwindelte, und ich schwur mir, bis zum Tode nicht von jenem Gefühl zu wanken, das ich kaum nennen konnte. Wie viele Jahre ich seitdem auch fort gewesen bin, war doch der Schlag des Herzens, das hier begraben liegt, die Uhr, nach der ich meine Zeit gemessen habe.« – »Unterdessen,« sagte Montaldi, »sind die Liebhaber Italiens wie Pilze aus der Erde gewachsen, und die Nebenbuhler werden dir so viel zu schaffen machen wie deine Feinde, auf die man wenigstens keine Rücksicht zu nehmen braucht.« Garibaldi sah ihn erstaunt an und sagte: »Ich will es nicht besitzen, nur frei machen: wer ebenso denkt, ist mein Bruder, jeder andre mein Feind; so teilt sich mein Gefühl, bis Italien eins und frei ist.«

Er mußte indessen sofort erkennen, daß die Lage überall verwickelter war als in seinem Herzen; als er sich nämlich dem Ministerium und Parlament, das seit der Flucht des Papstes an der Spitze des Staates stand, vorstellte, entging es ihm nicht, daß er fast allen diesen Männern unwillkommen war, insbesondere dem Grafen Terenz Mamiani, den sich Pius IX. zum Schlusse noch als Minister hatte aufdrängen lassen müssen. Derselbe war ein zierliches Männlein, welches dichtete und philosophierte und in politischer Hinsicht die Priestertyrannei der römischen Lande in einen verfassungsmäßigen, aufgeklärten Kirchenstaat umwandeln wollte, weswegen er und seine Anhänger danach trachteten, den Papst nach Rom zurückzuführen und allgemach zu einem der Neuzeit angepaßten Regenten zu machen und alles zu vermeiden, was den Bruch zwischen ihm und seinem Volk unheilbar machen könnte. Sie glaubten aber, und nicht mit Unrecht, daß den Mastai nichts mehr entrüsten würde, als wenn sie sich mit Garibaldi einließen, dem Rebellen, der, nachdem der König von Sardinien Frieden mit Oesterreich gemacht hatte, auf eigne Hand wie ein Souverän den Krieg fortsetzte und dem die Geistlichkeit mehr Widerwillen als Achtung einflößte. Sie waren außerdem gewöhnt, ihn einen Matrosen und Seeräuber zu nennen, da sie wußten, daß er sich selbständig, zum Teil mit eroberten Schiffen in die wilden Parteikriege unentwickelter südamerikanischer Staaten gemischt hatte, und überhaupt aus der unaufhaltsamen Liebe des Volkes zu dem kaum gekannten Manne schlossen, er müsse ein gefährlicher Verführer zum Zweck allgemeinen Umsturzes sein. Zwar, als er selbst in Rom erschien, machte sein schönes Antlitz und der gelassene Blick seiner allmächtigen Augen die Vorurteile wanken, anderseits schien seine abenteuerliche Tracht sie zu bestätigen, noch mehr aber der Mohr, der, beträchtlich größer und breiter als Garibaldi, mit feierlichem Gange und unnahbarer Miene wie der eiserne Vollstrecker seines Willens neben ihm zu schreiten pflegte. Montaldi machte sich das Vergnügen, den Mißtrauischen zu erzählen, der Schwarze sei ein Kannibale und fresse die Pfaffen, die sein Herr für ihn einfange, weil er sie ihres Fettes wegen allem andern Menschenfleisch vorziehe; was, wenn es auch nicht eigentlich geglaubt wurde, doch das unbestimmte Grauen vor dem prächtigen Ungetüm erhöhte.

Im Rat äußerte Mamiani die Ansicht, Rom habe seit Jahrhunderten zu zwei Regierungsarten geneigt, Herrschaft des Papstes oder des niederen Volkes, wovon unbedingt jene vorzuziehen sei, und schwanke jetzt, nun der Papst fort sei, auf scharfer Kante über dem Abgrund, man müsse besorgen, daß es den ungezügelten Massen anheimfalle, wenn ein glücklicher Häuptling sie anführe, und es sei deshalb notwendig, verfängliche Elemente, an denen wie an zündenden Stoffen das Brennbare Feuer finge, aus der Stadt zu entfernen. Da es nun aber auch nicht angezeigt schien, das Volk durch schnöde Abfertigung seines Lieblings zu reizen, erklärte er es für den besten Ausweg, Garibaldi zwar in Sold zu nehmen, aber mit irgendeinem Auftrag in möglichst entlegene Gegend zu verschicken, wo er womöglich in Vergessenheit geriete und wenigstens an der inneren Entwicklung Roms sich nicht beteiligen könne. Da der unbequeme Mann ihm persönlich gegenüberstand, entwarf er zunächst in umständlicher Weise eine Schilderung der Lage; wie sämtliche katholische Fürsten sich beeiferten, dem Heiligen Vater ihren Schutz anzubieten, wie selbst England sich mit offener Erklärung von Rom zurückziehe, wie der Präsident der französischen Republik, damals Cavaignac, das Oberhaupt der Kirche mit Heeresmacht nach Rom zurückzuführen drohe, und was für eine heikle Aufgabe es sei, den innerlich erschütterten Staat durch alle diese äußeren Gefahren hindurchzuleiten.

Garibaldi bemerkte, als der Redner eine Pause machte, seiner Meinung nach habe die Regierung in solcher Lage nur eine Aufgabe, nämlich Geld und ein tüchtiges Heer zu sammeln, das allen diesen Feinden gewachsen wäre. Mamiani blickte eine Weile vor sich nieder und fragte dann mit vorsichtigem Lächeln, unter was für einem Titel und zu was für einem Endzweck er sich gedacht habe, das Schwert für Rom zu führen, worauf Garibaldi antwortete, das beste würde sein, wenn ihm unumschränkte Gewalt übertragen würde, wie die Römer in Zeiten äußerster Gefahr einen Diktator ernannt hätten, der, wenn der Staat gerettet gewesen sei, die verliehene Macht der volksvertretenden Regierung zurückgegeben habe; doch würde er auch als gemeiner Soldat sein Leben für Rom einsetzen. Er sei der Ansicht, Rom werde in Zukunft weder unter einem Papst noch unter Königen stark werden, sondern als Republik, für das Wichtigste halte er aber, daß es das freie Haupt Italiens werde.

Diese Erklärung war der gemäßigten Partei angenehm und nützlich, weil danach auch die Republikaner, die für Garibaldi eingetreten waren, ihn als einen Mann von rücksichtslosem Ehrgeiz zu fürchten anfingen und es billigten, daß er entfernt und unschädlich gemacht würde. Infolgedessen wurde er als Oberstleutnant mit seiner Legion in den Sold der Regierung genommen und nach Macerata, einer hochgelegenen kleinen Stadt im adriatischen Küstengebiet, geschickt, wo er einstweilen im Winterquartier liegen sollte.

Am Abend seiner Ankunft versammelte sich das Volk vor dem kleinen Gasthof, in welchem Garibaldi abgestiegen war, um ihn zu sehen, und so waren dort außer einigen patriotischen Gesellschaften auch Brunetti mit seinem ältesten Sohne und Ugo Bassi, der seit kurzem nicht unerheblich verwundet aus Venedig zurückgekehrt war. Die enge Straße war nur durch Oellämpchen beleuchtet, von denen eines an der Tür des Gasthofes angebracht war, und es war nicht möglich, Garibaldis Züge deutlich zu erkennen, als er, um dem Wunsche seiner Verehrer zu entsprechen, auf einen kleinen eisernen Fenstervorsprung im ersten Stock trat; dennoch kam über die Untenstehenden ein Gefühl, als habe sich ein Adler dort niedergelassen und breite die Schwingen wie einen Schild über ihnen aus. Nachdem mehrere Redner ein langes und breites über das Vaterland, die verflossene Knechtschaft und die bevorstehende Befreiung, über das vergossene und noch zu vergießende Blut, die Barbarei der Päpste und die Heldentugend der Söhne der alten Römer vorgetragen hatten, was alles Garibaldi in ähnlicher Weise kürzlich in Livorno, Florenz und Bologna gehört hatte, antwortete er folgendermaßen: »Römer, ich bin glücklich, unter euch zu sein, und danke euch, daß ihr mir wohlwollt. Eure Ahnen, die die Welt beherrschten, waren karg mit Worten, verschwenderisch mit Taten; ahmt ihnen nach, so werden wir vereint Italien befreien und Rom, Italiens Haupt, aus dem Staube aufrichten. Dafür will ich leben und sterben.« Er dankte mit der Hand für den Beifall, der losbrach, und zog sich in das Haus zurück.

Während die Menge noch vor dem Fenster wogte, hinter dem er verschwunden war, griff Ugo Bassi den neben ihm stehenden Brunetti am Arme und zog ihn durch die nächsten Straßen, schweigend und lächelnd wie ein Verzückter; erst als der andre ihn fragte, was dies bedeuten solle, blieb er stehen und fragte, ob Brunetti sich jenes Traumes entsänne, den er ihm vor Jahren erzählt habe. Die Stimme, die er damals gehört habe, sei Garibaldis. Brunetti sagte staunend und nachdenklich: »Er hat eine edle Stimme, es ist wahr, die aus einer sonnenhaften Seele herauszustrahlen scheint;« und Ugo Bassi fuhr fort: »Was für ein Tor und Träumer war ich! Ich glaubte an Gott und gelobte doch, wenn ein Räuber oder Schelm, ein blutbeflecktes Tier mit der Stimme meines Traumes spräche, ihm nachzufolgen: anstatt dessen ist es Garibaldi, dessen Augen und Lippen dieselbe wohllautende Sprache eines harmonischen Instrumentes reden; so mußte es sein.« Brunetti fügte hinzu: »Wenn er aber auch kreischte wie eine verrostete Türangel oder knurrte wie ein Hofhund, so würde ich doch dafür halten, daß er der Mann ist, den wir brauchen und von dem wir nicht lassen sollen.« – »Er ist ein Werkzeug Gottes,« sagte der Mönch, »und ich will das seine sein.«

Es gelang ihm jedoch nicht, während der wenigen Tage, die Garibaldi noch, mit vielen wichtigen Geschäften überhäuft, in Rom verweilte, sich ihm persönlich bekannt zu machen, besonders auch, weil diejenigen, die in des Generals Umgebung waren, wußten, daß derselbe Geistlichen gern aus dem Wege ging, und den Priester deshalb von ihm fernzuhalten suchten.

*

Von Macerata wurde Garibaldi nach Rieti geschickt, einem Ort an der neapolitanischen Grenze, mit dem Auftrage, die südlichen Provinzen, die infolge der Umtriebe des Papstes und des Königs von Neapel in hellem Aufruhr gegen die vom Heiligen Vater verdammte Regierung in Rom standen, zu unterwerfen. Unter dem Einflusse fanatischer Priester erhoben sich ganze Dörfer und vereinigten sich zur Bedrohung der Patrioten mit den Räuberbanden der Abruzzen, die es wohl zufrieden waren, unter dem Segen des Papstes und dem Schutze des Königs dieselben Frevel auszuüben, die bisher ihr geächteter Beruf gewesen waren und deren grausame Wildheit bald der allgemeine Geist wurde. Diese Horden bekämpfte Garibaldi mit schnellem Erfolge und erhielt durch seine Gegenwart und seinen Namen den Süden in leidlicher Ruhe und Unterwürfigkeit.

Eines Tages kam Ugo Bassi, als es schon dämmerte, vor Rieti an und fand unter den Mauern eine Abteilung Soldaten, von denen einige Fleisch an Feuern rösteten, andre ihre Waffen putzten, noch andre sich an der Flamme zu wärmen suchten, denn es war winterlich frisch. Da er sich einigen von ihnen näherte und nach Garibaldi fragte, fingen sie sogleich an, ihn zu necken und zu beschimpfen; sie hatten sich in dieser Gegend daran gewöhnt, in den Geistlichen einen boshaften Feind und noch dazu der Zahl nach übermächtigen zu sehen, denn es stand hier Kloster an Kloster, und die Glockentürme vieler Kirchen ragten mit den Zypressen wie ein verzauberter Wald über die Mauern von Rieti, und fühlten sich deshalb im Rechte, alle Roheit und Unlust an einem jeden ohne Unterschied auszulassen. Einer fragte Bassi, ob er den bösen Blick habe, ein andrer, ob er ein Messer im Aermel trüge, um den Augen nachzuhelfen, und mehrere schickten sich an, ihn in grober Weise daraufhin zu untersuchen, während von den übrigen einige lachten und ihre Kameraden aufreizten, gründlich zu verfahren. Wäre Ugo Bassi nicht nach mehrtägiger Fußwanderung erschöpft gewesen, hätte er seinen Quälern zureden und sie mit seiner Redegabe auf seine Seite ziehen können, nun suchte er sich ihrer nur zu erwehren; doch auch so gefiel sein unbekümmertes Wesen manchem, und da ohnehin nicht alle mit dem rücksichtslosen Angreifen eines keiner Schuld überführten Wanderers einverstanden waren, entstand unter den Soldaten Streit, der nach heftig gewechselten Worten anfing, tätlich zu werden. In diesem Augenblick erschien der Befehlshaber der Abteilung, Leutnant Nino Bixio, ein junger Mann mit feinem Kopf auf ebenmäßigem, ungewöhnlich muskelstarkem Körper, bei dessen Anblick die Raufenden sich losließen, um sich vor ihm durch Begründung des Streites zu entschuldigen. Bixio hatte kaum von einer Seite gehört, daß es sich um einen spionierenden Priester handle, der sich zu Garibaldi habe drängen wollen, als er den Zorn, der bereits auf seinem Gesichte brannte, gegen Ugo Bassi losbrechen ließ und, ohne ein Wort von ihm oder einem andern Soldaten anzunehmen, befahl, den Elenden zu den gefangenen Räubern zu werfen, damit er bei seinesgleichen sei. Seine Untergebenen wußten aus Erfahrung, daß, wenn sich eine gewisse Falte auf seiner Stirn und ein gewisses Beben in seiner Stimme zeigte, man ihm stillschweigend willfahren mußte, widrigenfalls man sich des Aeußersten zu gewärtigen hatte, und der Mann, den er dazu angewiesen hatte, führte deshalb den Priester ab, der sich seinerseits achselzuckend fügte, empfand aber so viel Mitleid mit ihm, daß er versprach, ihm Essen und Trinken und Stroh zu einem Lager zu bringen, und ihn auch wegen der Räuber tröstete, sie seien an Händen und Füßen mit Ketten zusammengebunden, so daß er sie nicht zu fürchten brauche. Ugo Bassi sagte: »Ich fürchte die Räuber so wenig, wie ich euch gefürchtet habe,« und warf dabei einen gutmütigen Blick auf den Soldaten, so daß dieser lachen mußte und mit zunehmendem Wohlwollen versicherte, Nino Bixios Laune sei wie das Wetter in den Hundstagen, wo in einem Augenblick ein Gewitter zusammenlaufe mit Blitz und Donnerkeilen und im nächsten der Himmel wieder lache, und Garibaldi sei gerecht wie der Herrgott und werde ihn aus seiner peinlichen Lage erlösen, sowie er davon erführe.

Das Gefängnis der Banditen war ein Kellerraum in einem alten Kloster, das den Garibaldinern jetzt als Kaserne diente, wo um diese Jahreszeit eine wohltuende Wärme herrschte, und Ugo Bassi streckte sich, zufrieden, daß er ruhen konnte, auf das Strohlager, das der Soldat ihm bereitet hatte. Die Gesellschaft der Räuber war ihm zwar nicht lieb, aber keineswegs gefährlich, vielmehr beeiferten sie sich, seinem Gewande durch Kniebeugen, Händefalten und mannigfaltige Aeußerungen zerknirschter Demut Ehrfurcht zu bezeugen; denn sie zweifelten nicht, daß er gewissermaßen zu ihrer Partei gehöre und als ein Getreuer des Papstes von dem Antichristen Garibaldi eingefangen und zu ihnen eingesperrt sei. Nachdem er sich ein wenig erholt hatte, fiel es ihm ein, diesen Umstand und daß er viel mit den untersten Volksschichten umgegangen war und sie zu nehmen wußte, zu benutzen und ihnen ins Gewissen zu reden; erstlich hielt er ihnen die Schändlichkeit ihres Gewerbes und aller Art Untaten vor, von denen er annehmen konnte, daß sie sie begangen hatten, und nachdem sie sich dazu bekannt und als der Hölle würdige Sünder selbst beurteilt hatten, folgerte er, daß der Papst, wenn er ein heiliger Mann wäre, sich solcher Uebeltäter nicht als Werkzeuge bedienen und noch viel weniger sie zu Räuberei und Blutvergießen selbst anstacheln würde, was sie einsahen, und bereitete auf diese Weise die Erklärung vor, daß die Republikaner bessere Christen wären als Pius IX. selbst und daß Garibaldi ein Sendbote Gottes sei, der Italien frei und alle Menschen glücklich machen werde.

Die Folge dieser Belehrungen Ugo Bassis war, daß einer der Räuber in der Frühe des folgenden Morgens vor Garibaldi geführt zu werden verlangte und diesem vortrug, es sei ihm und seinen Genossen nachts ein Engel erschienen, der ihnen offenbart habe, daß er, Garibaldi, der echte Papst, Pius IX. aber ein betrügerischer Fürst der Hölle sei, und sie wären nunmehr bereit, ihm zu dienen und das Blut seiner Gegner vergießen zu helfen, wenn er ihnen ihre bisherigen Schandtaten nachsehen und ihnen die Freiheit wiedergeben wolle. Der Mann sah schwarz, häßlich und stumpfsinnig aus, war mit einer Samtjacke, roten Bändern und goldenen Ohrringen geputzt und gut gewachsen; er sprach schnell und zudringlich, während er mit kleinen pfiffigen Augen Garibaldi vorsichtig belauerte. Dieser sagte, nachdem er sich einen Augenblick bedacht hatte: »Die Natur hat dich und deinesgleichen mit geraden Gliedern, scharfen Augen und offenem Verstande geschaffen zur Arbeit und zum Schutze der Schwachen; aber ihr entehrtet euch durch Müßiggang, Diebstahl und Mord. Ich glaube nicht, daß sich euer Herz so schnell von schändlichen Taten zu rühmlichen zu wenden vermag, doch will ich euch prüfen. Erweist ihr euch als tapfere und gehorsame Leute, so soll die Vergangenheit ausgelöscht sein, und ihr mögt euch brave Soldaten des Vaterlandes nennen; laßt ihr euch aber bei einer Widersetzlichkeit gegen eure Vorgesetzten oder bei einem Diebstahl betreffen, sei es auch nur, daß ihr einer Bäuerin ein Ei oder einen Kupferpfennig entwendet, so sterbt ihr infamen Tod am Galgen.«

Da nun Garibaldi sich nach dem Engel erkundigte, welchem die Banditen ihre Bekehrung verdanken wollten, erfuhr er, daß Ugo Bassi da war, der ihm nach seinem Rufe bekannt war, und eilte in den Klosterhof, wo Bassi sich, von Nino Bixio bei Tagesanbruch befreit, wartend aufhielt. Sie trafen sich im Säulengange, und Garibaldi sagte: »Ihr habt kein feines Gastzimmer bei mir erhalten, weil Ihr nicht gut eingeführt waret,« wobei er einen Blick auf das Mönchsgewand warf; »es wird nun künftig von mir heißen, wie es in der Heiligen Schrift steht: ›Siehe, er hat einen Engel beherbergt und wußte es nicht.‹ Ugo Bassi errötete und schüttelte den Kopf, um die Huldigung dieser Worte abzulehnen, indem er erwiderte: »Mein Benehmen war nicht biblisch, denn ich habe üble Behandlung noch übler vergolten, da ich Euch die Banditen beschert habe; ich begann die Sache aber nicht in böser Absicht, sondern im Uebereifer und zur Kurzweil, und dachte zu spät daran, daß man den gefangenen Wolf lieber nicht aus der Falle lassen soll, und wenn er hundertmal beschwört, er wäre ein Lamm geworden.« Hingegen sagte Garibaldi lebhaft, er habe gut gehandelt, ihn habe es geschmerzt, diese mißleiteten Menschen, die auch Italiener seien, als Feinde und Verbrecher behandeln zu müssen; hätte er so viel Zeit sie zu bessern, wie eine gottlose Regierung gehabt hätte sie zu verderben, so könnte etwas Rechtes aus ihnen werden; denn es lägen in jedem Menschen Keime des Guten wie des Schlechten. Wenn es nur Krieg gebe! Bei dem bewaffneten Müßiggange, den sie jetzt treiben müßten, ließen sich schwerlich brave Männer aus Lumpenkerlen machen.

Von diesem Tage an blieb Ugo Bassi bei Garibaldi und erwies sich ihm oft dadurch nützlich, daß er zwischen der Legion und den übelwollenden Landbewohnern vermittelte. Obwohl er Garibaldis Willen fast immer erriet und, wenn er konnte, ausführte, gab er doch in einem nicht nach, daß er seine geistliche Tracht abgelegt hätte, was Garibaldi deshalb wünschte, weil es ihn an das faule, eigennützige und verstockte Mönchstum erinnerte, das er verabscheute, und weil es auf seine Soldaten wie das rote Tuch wirkte, das man vor den Augen des Ochsen flattern läßt, um ihn zu reizen, und sie verhinderte, den kühnen Priester so zu verehren, wie er es wünschte. Er entschuldigte seine Sinnesart damit, daß er erzählte, er habe als Knabe mehr kriegerische Neigung als mönchische verspürt, da sei ihm ein geliebtes Mädchen, reich und von adeliger Geburt, ihm zärtlich vertraut, noch in den Kinderjahren gestorben, und seitdem habe sich seine Sinnesart unglücklich verändert. Nicht das Mädchen hätte er nicht vergessen können, aber den Tod nicht, in allen Dingen der Natur, die er wahrgenommen, hätte er die Vergänglichkeit als etwas Süßes und zugleich untröstlich Trauriges empfunden und hätte sie lieben müssen wie kleine verfolgte Tiere, die in seinem Schoße Schutz vor den Geschossen des Jägers suchten. Durch diese Liebe und diese Trauer sei sein Herz empfindlich geworden und er hätte sehr unter dem Leben gelitten, da wäre das Mönchskleid ihm wie ein geweihter Bezirk gewesen, wo er mit seiner einsamen Empfindung unbehelligt hätte bleiben können, und wenn er es ablegte, würde ihm zumute sein wie einem, der nackt den Pfeilen der Mittagssonne ausgesetzt sei.

Hierüber sprach er oft mit Garibaldi, der sagte, diese Trauer sei natürlich, doch müsse man sie überwinden und nicht wie hartnäckige Kinder mit der himmlischen Natur trotzen, die, unerschöpflich in Verwandlungen, Schöneres aus Schönem hervorgehen lasse. Verschmerze das Herz aber auch nie ganz, so achte der doch seines Wehs weniger, der um göttliche Dinge kämpfte, die ihn selbst überdauerten. So sei es, gab Ugo Bassi zu, so habe er erst Leben gefunden, seit er es für Italien aufs Spiel setzte.

Eines Tages fand Ugo Bassi beim Erwachen statt seiner Kutte eine Uniform vor seinem Lager, nämlich eine scharlachrote Bluse und einen Kalabreserhut mit schwarzen Straußfedern, in allen Stücken der Garibaldis gleich, der bald darauf selbst eintrat und sie ihm zum Geschenk anbot; er selbst habe sie einige Male getragen, sagte er, in der Hoffnung, die sonst unerwünschte Tracht werde ihm dadurch lieber werden. Nachdem er ihm beim Ankleiden behilflich gewesen war, hängte er ihm selbst die Kette mit dem Kreuz um, das Bassi immer auf der Brust getragen hatte, damit es ihm statt jeder Waffe diene und Freund und Feind ihn als einen erkennten, der sein Leben Gott geweiht habe. Die Legion begrüßte den soldatischen Priester mit Jubel, und er selbst fand bald Gefallen an seiner neuen Erscheinung; auch schienen mit der Uniform verkümmerte Triebe seiner Knabenzeit wieder aufzuleben, denn er zeigte Lust zu allen körperlichen Uebungen, ritt mit Eleganz und Keckheit und bat sich die wildesten Pferde von Garibaldi aus, der ihn oft zu größerer Vorsicht ermahnte. Obschon Ugo Bassi fast fünfzig Jahre alt und etwa sieben Jahre älter als Garibaldi war, behandelte dieser ihn wie einen Jüngeren, an dessen dem Augenblick hingegebener Empfänglichkeit man sich erfreut; freilich lag in der Inbrunst, mit der er Lust und Weh sich aneignete, etwas von der Art des Abschiednehmenden, der bereit ist, von sich zu werfen, was seine Arme noch umschließen.

*

Rom! Ueber deinem untergegangenen Leibe schwärmte die Trauer der Erde und schüttete ihrer Schönheit Ueberfluß zerrissen in ewige Opferglut; nun steigst du aus deinem Grabe und erhebst dein unverwelkliches Haupt. Noch ist dein Antlitz dunkel von der Schwere deiner langen Versunkenheit und ihren versteinerten Träumen; aber die fernen Lichter deiner Seele schimmern morgenrot durch den allumfangenden Himmel deiner Augen. Herrin! Mutter! du erwachst; allen Völkern wird der Frühling wiederkehren!

Am 9. Februar des Jahres 1849 zogen die Abgeordneten der verfassunggebenden Versammlung vom Palast Monte Citorio auf das Kapitol und erklärten dort öffentlich nach dem Beschlusse der Volksvertretung Rom als Republik und die weltliche Herrschaft des Papstes für verfallen. Sie wählten eine oberste regierende Behörde von drei Männern, deren einer Carlo Armellini wurde, ein alter Mann, der sich der großen französischen Revolution entsinnen konnte und seiner Familie zum Trotz, die ihn zum Priester hatte machen wollen, sich an ihren starken und einfachen Idealen entwickelt hatte; er war ein geborener Römer und tüchtiger Jurist und sowohl dadurch wie durch Reichtum, Kultur und bewußte Würde geeignet, an der Spitze eines Staates zu stehen. Zum Zeichen jedoch, daß die römische Republik sich nicht beschränken, sondern der Grundstein eines künftigen Italien sein wollte, berief die Versammlung den Genuesen Giuseppe Mazzini, der beim Ausbruch der Revolution aus der Verbannung nach Mailand geeilt war und nach Mailands Fall sich nach Florenz gewendet hatte, in der Hoffnung, Toskana zum Zusammenschluß mit Rom zu bewegen, was ihm nicht gelang.

Als er an der Seite des Präsidenten Galletti zum ersten Male den Saal im Konservatorenpalaste betrat, wo die Versammlung tagte, erhoben sich die Abgeordneten, und vielen pochte die Brust vor Erregung; denn sie waren fast alle noch junge Männer, die ihren Glauben an Italiens Wiedergeburt in der Einheit und Freiheit aus seinen Schriften geschöpft hatten und ihn, den reifen Mann, auch darum verehrten, weil er seine Ideen nicht nur lehrte, sondern auch lebte, nie wankte und mit der Kraft seines selbstverleugnenden Geistes die Leitung und Verantwortung ihrer treibenden Jugend auf sich zu nehmen schien. Sie erblickten einen feingebauten Mann, der durch die Erlesenheit seiner Erscheinung und die einsame Luft unbeugsamen Denkens, die von seiner Stirn glänzte, ihre begeistert entgegenfliegende Neigung aufhielt; sowie er aber im Sprechen war, machte sich die kindliche Süßigkeit seiner Stimme und seines Lächelns geltend und lockte das verscheuchte Gefühl um so inniger zurück. Er fing damit an, daß er sagte: »Als ich ein Knabe war, träumte ich in den Stunden, wo ich mir gönnte, glücklich zu sein, daß ich als alter Mann Rom sehen würde, das dann die Hauptstadt des einigen Italien wäre, und daß die ungebrochene Jugend jener sorglosen Zeit mich grüßen und zu mir sagen würde: ›Du hast für uns gelitten, ruhe nun aus inmitten unsers Friedens!‹ und daß ich dann lächeln und sterben würde; denn die Kinder lieben Blut und einfache, satte Farben. Damals ahnte mir kaum, wie weh der Schmerz tun kann. Ich hätte nicht geglaubt, daß man Jahr für Jahr das Sterben und den Abfall geliebter Freunde, Einsamkeit, Not und Heimweh, die Schwachheit des gefolterten Gewissens, den Hohn der Welt erleiden und dennoch leben kann. Aber alles dies in beinah zwanzig Jahren der Verbannung Erduldete tilgt diese Sonne wie einen Tropfen! Ich, noch nicht alt, noch kräftig zum Kampfe, sehe Rom als Republik Italiens und darf mich ihren Bürger und einen ihrer verpflichtetsten Diener nennen. Nichts nimmt mir diesen Augenblick; er ist und wird sein, solange ich sein werde.« So, fuhr er fort, möchten alle das Erscheinen der römischen Republik auffassen; sie hätte ganz Europa zum Feinde, die Standhaftigkeit und der Mut ihrer Bekenner, so groß sie wären, könnten doch ihre Dauer nicht verbürgen: aber es genügte für die Geschichte, daß sie gewesen wäre. Wenn ein Erfinder eine Maschine erdächte, und sie würde gebaut und bewegte sich und ginge, wenn dann auch der nächste Augenblick sie zerstörte und den Erfinder mit seinem Geheimnis tötete, ihr Dagewesensein zwänge die Zeit, sie wiederzubringen. Er sage das aber nicht, schloß er, um sie zu entmutigen, sondern um jeden Zweifel, der auftauchen könnte und sollte, unschädlich zu machen; beleuchtete dann alle Hilfsmittel und Verbündeten, die in Betracht kommen könnten, und verwies vor allem auf die Kraft des Rechtes und den göttlichen Atemzug des Notwendigen in der Geschichte.

Er hatte, wenn er vor vielen stand, eine Art zu sprechen, als wollte er seine Meinung niemand aufdrängen, ja als ob er nur zu überreden fast mehr fürchte als wünsche; aber die Glut seines Wollens brach durch sein dunkles Auge und pflegte zusammen mit der Ueberlegenheit seines Geistes, die sein Duft war, besonders die Jüngeren in seiner Umgebung unbedingt zu beherrschen, während Eitelkeit und Schwäche sich ihm leicht widersetzte und Andersdenkende oder selbständig Gereifte ihn gern vermieden.

Nachdem er sich von allen, die ihn begrüßen und sprechen und kennen lernen wollten, frei gemacht hatte, ging er schnell, sich jeder Begleitung entziehend, in den belebteren Teil der Stadt, um sich allein der Gegenwart Roms bewußt zu werden. Es war ihm so ums Herz, daß er hätte niederknien und die Steine küssen mögen, auf denen er ging; aber er glitt nur mit zärtlicher Hand im Vorbeigehen über die Mauern der Häuser. Unverhofft sah er aus dem Gewimmel unscheinbarer Straßen, von ewigen Mauern und Säulen mächtig getragen, die erhabene Kuppel des Pantheon steigen; er stand still und trat aufatmend von dem sonnenwarmen Platze in den Göttersaal. Ein paar alte Bettler saßen schlummernd oder gleichgültig auf den Bänken an der Wand, und er konnte seinem überwältigten Herzen genugtun, ohne sich kühler Neugierde preiszugeben. Vor einem der Altäre niederkniend, betete er: »Du, göttliches Bewußtsein, berührtest mich mit einem deiner Strahlen und gabst mir Kraft, dich anzubeten und aus dem Staube nach dir zu ringen. Um dir zu dienen, bekämpfte ich mein ungebärdiges Blut und opferte dir meine Liebe, meine Rache, ja meine Traumbilder und Schönheiten, ach, jede späte Blume, die meine Brust noch tragen wollte, nachdem ihre Rosen längst zertreten waren, riß ich aus, um nur deine Saat zu empfangen. Allgegenwärtiges Licht, den ganz Entblößten führst du zur Höhe und weisest ihm an den Küsten das goldene Wogen deiner reifen Ernte. Laß mich aus deiner Wahrheit denken, führe mich deinem unfehlbaren Gange näher, an Sternen, die irren und täuschen, vorüber.«

*

Wie die Schiffe, wenn es Nacht wird, der Wind ins Horn stößt und die Wellen wie ungeduldige Hunde über den glatten Jagdgrund laufen, nach dem Stern des Leuchtturms streben, der unbewegt durch das Getümmel strahlt und den Hafen anzeigt, so eilten die Patrioten nach Rom, als Mazzini das Haupt der Republik geworden war, während in allen andern Ländern Italiens die Hoffnungen wankten. Es kamen Erstlinge der irrenden Ritter Italiens, Maurizio Quadrio und Nicola Fabrizi; jener hatte im Jahre 1821 die verhängnisvolle Täuschung derer geteilt, die Karl Albert von Sardinien, den entnervten Abkömmling fürstlichen Hochmuts und fürstlichen Taumels, zum Könige der Revolution machen wollten, und hatte seitdem das Elend der Verbannung tapfer ertragen, ein einfacher und getreuer Mann, der, mehr seiner als andrer Pflichten eingedenk, niemals prahlte noch klagte und ebenso willig war, andre anzuerkennen, wie die Verkennung seiner selbst zu verzeihen. Nicola Fabrizi von Modena hatte mit Ciro Menotti, dem hochsinnigen Opfer des aufgeblasenen Tyrannen Franziskus, gewagt und verloren, und nach vielen Fahrten suchte sein düsterer Blick vom Exil in Malta aus die blauen Gestade Italiens. Dieser war ein Mann wie ein Felsen in der Hochflut, der sich vom stärksten Drange des Blutes nicht zu unbedachten Opfern verführen ließ, aber nicht zögerte, sich ganz zu geben, wenn es dem Vaterlande nötig war und nutzte, schweigsam, ernst, nicht leicht vertrauend, wo er traute unerschütterlich, als Republikaner geboren, da er der Menschen nicht bedurfte, weder als Beispiel noch als Stütze, noch zur Huldigung. Verschieden von diesen war der unglückliche Carlo Pisacane, Sohn des Herzogs von San Giovanni in Sizilien, den heißes Blut und bange Leidenschaften auf nicht unedeln, aber unsicheren Wegen zum Untergange führten. Zum Offizier erzogen, wäre er in seiner Heimat einer ansehnlichen Laufbahn gewiß gewesen; aber zu stolz, sich bloßen Titeln unterzuordnen, haßte er den brutalen König, dessen Plumpheit und Unwissenheit seinem Adel und seiner Bildung ein Greuel waren. Liebe zu einer Frau, die von ihren Eltern einem von ihr nicht geliebten Manne vermählt war, vollendete sein Geschick; er entriß sie dem Nebenbuhler und entfloh mit ihr, ebenso krank aus Groll gegen die Heimat wie aus Sehnsucht nach ihr. Mazzini ersetzte ihm den schützenden Wurzelgrund eines ehrenvollen Lebens im Vaterlande; dennoch wogten unter der Zuversicht, die er zur Schau trug, trübe Unruhe, Ehrgeiz, Heimweh und nie begnügtes Verlangen. Er war jung, schlank und blondhaarig und hatte die Züge eines von jeher in Wohlstand und im Genusse der Kultur lebenden, noch nicht herabgekommenen Geschlechtes.

Ein Sohn des Volkes war der Bolognese Giuseppe Petroni, von Kindesbeinen an Verschwörer und unversöhnlicher Rebell wie viele in der Romagna. Die Natur hatte seinen Geist reich begabt und seinen Körper entstellt; er war häßlich von Gesicht, schielte und hatte einen buckeligen Rücken. Anstatt sich darüber zu kränken, pflegte er sein Schicksal zu rühmen, daß es ihn dadurch von der Liebe ausgeschlossen hätte, die ohnehin ihre Anhänger mehr plagte als vergnügte und viel Tatendrang und Willen an sich zöge, der für das geknechtete Vaterland nutzbar gemacht werden könnte. Zwar sagte man ihm nach, daß er mehr Glück bei Frauen habe, als er verriet, doch lag ihm nichts daran, ja es hieß, er verjage die Zudringlichen wie Fliegen; das Feuer seines Geistes, das desto lustiger brannte, je älter er wurde, widmete er ungeteilt der italienischen Republik, wie Mazzini sie lehrte, und den Genossen, die sie mit ihm ins Werk setzen wollten. Als erprobter Rechtskundiger war er dem Justizministerium beigeordnet.

Aurelio Sassi, ein junger Edelmann aus Forlì, guter Sohn guter Eltern, der es nicht anders wußte, als daß sein Stand, seine Bildung und sein Vermögen ihn verpflichteten, dem Vaterlande die schwersten Dienste zu leisten, die größten Opfer zu bringen und das geringste Entgelt für sich zu fordern, hatte sich ganz am Geiste Mazzinis erzogen und gab sich ihm ohne Vorbehalt hin, sowie er ihn gesehen und gesprochen hatte. Er trug ihm seine Freundschaft mit dem Bewußtsein an, gegen die Gabe seines ganzen Herzens nur empfangen zu können, was Hunderte, ja alle, die es wollten, mit ihm teilen konnten; obwohl mehr im fremden als im eignen Lichte lebend, besaß er doch die zurückhaltende Würde des feinen Menschen, die für das fehlende Gewicht der Persönlichkeit entschädigt.

In einem Punkte wichen die meisten Anhänger Mazzinis von ihm ab: er wollte, daß der neue Staat dem Papste seine Rechte als Vater aller Christen und Oberhaupt der Kirche nicht nur ließe, sondern verbürgte, wie er überhaupt das Gebäude des Glaubens nicht umgestürzt, vielmehr befestigt, wenn auch gereinigt wissen wollte. Dies wollte er nicht, wie andre, aus Klugheit, um die herrschenden Mächte des Lebens nicht durch Mißachtung der ältesten Ueberlieferung gegen sich aufzubringen, denn er verwarf die Berechnung in der Diplomatie, die der Ueberzeugung Schaden tat, sondern weil er an den das Weltall tragenden Gott glaubte und sich nicht getraute, bessere Formen für das ewige Geheimnis zu erfinden, als die Menschheit im Umschwung der Geschichte sich gebildet hatte. Dagegen vermochten besonders die Italiener des Kirchenstaates, welche das Unwesen der Papstregierung stets vor Augen gehabt hatten, unter dem Unrat und der Verwesung der Zeit die Idee der Kirche nicht mehr zu erkennen und begriffen nicht, warum der Mann des schneidenden Gedankens, der Eroberer der neuen Zeit, der das hungrige Volk an die Majestät seiner Arbeit mahnte, an der schwersten und dunkelsten Vergangenheit nicht rütteln wollte. Es ärgerte sie, daß er sich des Wortes »Gott« nicht nur als Bild bediente, sondern Gott für eine Wesenheit hielt, die er in Zusammenhang mit den irdischen Angelegenheiten brachte. Dennoch siegte nach hitzigem Streit der Wille Mazzinis, und der Schutz des Papstes als Oberhaupt der Kirche wurde in das Grundgesetz der Verfassung der Republik aufgenommen.

*

Der März dieses Jahres war schwül und regnerisch. An einem früh dunkeln Abend traf Mazzini im Gasthofe der »Minerva«, wo er mit Freunden die Mahlzeiten einzunehmen pflegte, mit Luigi Miceli, einem jungen Kalabresen, zusammen, der nach Rom gekommen war, um die Hilfe der Republik, die ihr Banner über ganz Italien wehen ließ, für seine Heimat in Anspruch zu nehmen. Sein Geschlecht, das im sechzehnten Jahrhundert um der Reformation willen aus Toskana in das Neapolitanische ausgewandert war, hatte dem neuen Vaterlande Blut der Seinen verschwenderisch geopfert; die Väter vererbten den Söhnen Haß der bourbonischen Könige, Mut und Todesverachtung. Luigi hatte vor fünf Jahren an dem unglücklichen Aufstand teilgenommen, dessen Ende der Fall der Brüder Bandiera besiegelte, und seitdem danach getrachtet, diesen Tod zu rächen. Da nun die jüngste Erhebung, die eine Zeitlang mit dem Glück Siziliens und Neapels glücklich gewesen war, der Uebermacht des Königs erlag, warf er seine Hoffnung auf Rom, entrann mit Not dem Gemetzel und langte flüchtig als Schutzflehender in der freien Stadt an. Um ihn nicht mit vergeblichen Aussichten hinzuhalten, eröffnete ihm Mazzini einen Einblick in die Lage der Republik: hätten sie Geld und Truppen genug, was könnte Rom Lieberes und Größeres unternehmen, als den Süden befreien? Aber es fehle dem eignen Bedürfnis. Das Land hinge zum größeren Teil dem Papste an, die Städte brauchten ihr Volk, um die Grenze und sich selbst zu schützen.

Petronio bemerkte, es wäre besser gewesen, das Feuer in Kalabrien zu schüren, als dem König von Sardinien Truppen zuzuschicken, der an Geld und wohlgeübter Mannschaft Ueberfluß habe, der Republik, die er verachte, die Hilfe nicht danke, ja, wenn er siegte, das erprobte Heer vielleicht im Namen des Papstes gegen Rom wenden würde. Mazzini erwiderte, er wisse wohl, daß die Römer mit wenigen Ausnahmen seiner Absicht, Karl Albert mit Truppen zu unterstützen, entgegen gewesen wären; er könne nicht bereuen, es dennoch durchgesetzt zu haben. Wenige hätte die grausame Schwäche des unseligen Königs so tief und unheilbar ins Herz getroffen wie ihn, er könne ihn nicht lieben, er halte es für möglich, daß er nur deshalb den Krieg gegen Oesterreich erneuert habe, um den Republiken von Rom und Venedig den Ruhm zu entreißen, die einzigen gewesen zu sein, die für Italien eintraten; aber wie dem auch sei, er habe es getan; er kämpfe gegen Italiens Erzfeind und tue es im Gegensatze zu der Hälfte der Bevölkerung seines Landes, die ihm am nächsten stehe; er sei jetzt für ihn keine Person mehr, sondern ein italienischer Staat wie Rom, und Rom müsse ihn achten, wie es von ihm geachtet sein wolle. – Mit dieser Logik, rief Gustavo Modena, der berühmte Schauspieler, könne Rom zugrunde gehen. Wer nicht zu allererst leben und bestehen wolle, sei nicht wert zu leben. Er hasse Oesterreich, aber noch mehr Karl Albert, den kalten Verräter, den neidischen Schwächling, das blutsaugende Gespenst. Ein Sieg seiner meineidigen Hand würde Italiens Fluch werden. Möchte lieber die Zahl der Feinde wachsen, als daß Italiens Zukunft mit diesem König ohne Seele verbunden sei. »Der Bombenwerfer von Neapel,« sagte er, »hetzt Hunde auf die, die an seine Krone fassen, was ein unwillkürliches Reagieren erschrockener Könige ist, und wird schließlich auf seiner Dummheit zur Hölle fahren; aber jener mordet die, die er hegen würde, wenn er sie verdunkeln könnte, weil er ihnen nicht einmal ähnlich sein kann. Er ist dem Himmel zu schmutzig und der Hölle zu zimperlich; wenn die Erde ihn endlich ausstößt, fällt er in das Nichts.« Es antwortete lärmender Beifall. Gustavo Modena stand auf und rief: »Bringen wir seinem Untergang ein volles Glas!« Die Gläser klangen schnell und scharf gegeneinander, nur Mazzini trank nicht. Obwohl er im Gespräch leicht unduldsam war gegen solche, die seine Ansichten bestritten, versuchte er doch, wenn er über Menschen urteilte, gerecht zu sein und sich nicht von Gefühlen des Hasses oder der Rachsucht bestechen zu lassen. Er sagte mißbilligend: »Wer weiß, ob ihr dem Könige nicht wünscht, was er selbst sich sucht. Ein Mann, der das Große fühlt und tun möchte und doch nicht fähig ist, sich vom Niedrigen loszumachen, ist freilich von Gott verworfen; richtet er aber sich selbst, indem er sich opfert, so überwindet er den Fluch, der auf ihm lastete, und macht seinen Namen hell und ehrwürdig.«

»Ja, so spiegeln sich die Dinge in deiner tragischen Seele,« sagte Modena. »Du solltest mir glauben, daß ich die Könige, die ich studiert habe und, wie man sagt, meisterlich darstelle, besser kenne als du. Woher kommt es denn, daß ich, der Schauspieler, als Urbild des Königs auf die Bühne treten kann? Weil die Könige Schauspieler sind! Die Maske, die dem Königskinde in der Wiege angelegt wird, wächst mit ihm, und es gewöhnt sich an sie, daß es sie nicht mehr bemerkt, wie auch andre sie nicht mehr bemerken. Sie wächst fest, und das ist sein Glück; denn würde er sie in einem Augenblicke der Zerstreutheit einmal ablegen, so würde er sehen, daß kein menschliches Gesicht mehr dahinter ist, sondern eine Höhle. Der Schwund ist über seine Seele und sein Gesicht gekommen, das immer hinter der Larve steckte, und die schönen Sentenzen, die von seinem künstlichen Munde abschnurren, werden desto hochtrabender, je mehr er zum Gespenste wird, damit der Betrug nicht ans Licht komme. Du, Pippo, der du erscheinst und verschwindest, ungreifbar und unverwundbar bist wie ein Gespenst, mit deinem Blut und Leben aber Italien, das jener Franzose das Land der Toten nannte, lebendig speisest, du passest nicht zu den Königen und hättest nicht mit ihnen anbinden, dich nicht mit ihnen vertragen sollen!«

Die andern stimmten ihm bei und fuhren fort, sich in beschimpfender Weise über den König zu äußern. Lachend sagte Modena: »Vielleicht hat die Rache den Verdammten ereilt, und aus den Sümpfen seines Lebens schleicht sich sein Geist zu uns und vergiftet unsre Worte!« da er aber sah, daß das Gespräch Mazzini zuwider war, lenkte er es mit der Gabe witzigen Plauderns, die ihm eigen war, unvermerkt auf einen andern Gegenstand.

Immer nach Ruhe und Behaglichkeit begierig und immer auf abenteuernden, gefährlichen Wegen, hatte Gustav Modena lange als Flüchtling in der Verbannung irren müssen, um zwischendurch als Begründer einer neuen Schauspielkunst gefeiert zu werden. Gegen Beifall und Bewunderung zeigte er sich unempfindlich, teils weil er nicht eitel war und den Wert des Publikums nicht überschätzte, vielleicht auch weil den von niemand geahnten, ihm selbst fast unbewußten Ansprüchen seines Herzens doch die überschwenglichste Huldigung nicht genügt hätte. Einzig die Liebe Julias, seiner Frau, einer Schweizerin, die sein Leben begleitete, wie eine Quelle zu Füßen des Wanderers unermüdlich, heiter und erquickend hinfließt, füllte mit ihrer unwandelbaren Liebe und Ergebenheit sein Herz aus.

Es war etwa eine Stunde später, als Mazzini gerufen wurde, da der Gesandte des Königs von Sardinien, ein gewissenhafter Mann, der nicht verhehlte, daß die Republik, der der König und sein Land tatsächlich übelwollten, ihm Achtung abnötigte, ihn allein zu sprechen wünschte: er brachte die Nachricht von der gänzlichen Niederlage des piemontesischen Heeres bei Novara, wodurch Oesterreich wieder unbeschränkter Herr der Lombardei wurde und seine gesammelte Macht zur Wiedereroberung Venedigs und Unterdrückung aller italienischen Erhebung südlich seines Gebietes verwenden konnte. Daran dachten im ersten Augenblick die wenigsten: einige eiferten, sie hätten dies vorausgesagt, man hätte ihnen glauben sollen, nie hätte Karl Albert ehrlichen Krieg mit Oesterreich im Sinne gehabt, er selbst hätte dem Feinde den Sieg in die Hände gespielt, ein so zahlreiches und tüchtiges Heer wäre nicht geschlagen worden, wenn die eignen Führer es nicht in die Falle gelockt hätten; andre frohlockten, daß es so gekommen sei und Italien zu den goldenen Ketten Oesterreichs nicht noch die eisernen Piemonts tragen müsse.

Nach Mitternacht ging Mazzini nach Hause; er war noch ohne Schlaf und setzte sich an ein offenes Fenster der kleinen Wohnung, die er auf dem Kapitol innehatte. Die feuchte dunkelwolkige Nacht verhüllte die Formen der Häuser und Bäume, auf die er blickte, und es sah aus, als tauchten sie selig in eine schöne, ihm unerreichbare Welt; zuweilen flutete Veilchengeruch durch die warme Luft. Wenn Mazzini die Augen schloß, sah er die Ebene, wo Gott gegen Italien entschieden hatte, voll von Toten: braven Piemontesen, die, ihrem König gehorsam, in den Streit gezogen waren, heimatlosen Lombarden, Tapferen aus allen Gauen seines Vaterlandes. Er glaubte das Stöhnen und Seufzen der Sterbenden, das weit und breit niemand hörte, zu hören, und ihre letzten zuckenden Gedanken, Fluch, Verzweiflung, Sehnsucht, Ergebung, jagten wie Pfeile mit einer Blutspur durch seine entblößte Seele. Kurze schwarze Wolken flogen hastig dicht über das verlassene Schlachtfeld und verwandelten sich in Geier und Raben, die niederstießen und mit triefendem Schnabel wieder auf und weiter flogen dem Süden zu. Sie zogen mit der siegreichen Heerschar, gegen die jene Toten ein Wall gewesen waren, und die nun unbezwingbar, grausam und verachtend vorwärts stürmte gegen Rom. Der Tag fiel ihm ein, als er in die freudenvolle Stadt eingezogen war und ein halbnackter brauner Junge, der auf einem der Löwen am Obelisk der Piazza del Popolo saß, jubelnd eine kleine rote Mütze geschwenkt hatte; er mußte an einen Tag denken, wo alle diese Leute, die er damals nur mit halbem Bewußtsein gesehen hatte, aus den Trümmern ihrer Häuser flüchtend, bergauf und bergab durch die Straßen irren würden, flüchtig vor der Wut barbarischer Soldaten, die das Angstgeschrei hilfloser Kinder zum Morde reizte.

Nach einer Weile stand er auf und versuchte die grauenvollen Bilder, die sich ihm anhängten, abzuschütteln. Er sagte sich: »Der König hat den Gang verloren, nun treten wir in die Schranken; der nächste Augenblick der Geschichte ist unser, und wenn er auch weder Frucht noch Lorbeer für mich oder einen der meinigen trägt, so wollen wir trachten, wenigstens Samen in seine Tiefe zu säen, der unverloren den Späterkommenden aufgeht.«

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Viele Geistliche fügten sich scheinbar dem neuen Zustande, andre folgten dem Papste nach Gaëta, einige blieben in Rom und suchten heimlich das Volk in ihrem Sinne zu beeinflussen. Es wurde bekannt, daß ein Kanoniker von Sankt Peter, mit Namen Don Silvio, in einem kleinen Wirtshaus im Borgo feindselige Reden gegen die Republik halte, und da er witzig sei, viel Beifall finde, worauf sich sogleich mehrere Republikaner mit Hintansetzung ihrer Berufsgeschäfte dem Aufspüren des sanfedistischen Verschwörers widmeten, indem sie in allen Schenken der bezeichneten Gegend die Runde machten und dabei ein vergnügtes Leben führten. Schließlich entdeckten sie den Uebeltäter, wie er im verräucherten Winkel einer Taverne mit seinen Anhängern beim Weine saß und fröhlich das Wort führte. Don Silvio war ein mittelgroßer dicklicher Mann, dessen grauer Haarkranz einen struppig kecken Wuchs hatte, wie bei einem Pinscherhunde, und dessen Augen, wenn er listig blinzelte, im umgebenden Fett verschwanden, wenn er erschrocken war, wie glänzendschwarze runde Knöpfe hervorsprangen; seine Lippen waren so dünn, daß sein Mund einer langen, das Untergesicht durchschneidenden Spalte glich. Die Bedrohungen der Republikaner, die mit groben Schimpfwörtern nicht zurückhielten, versetzten ihn dermaßen in Angst, daß er, heftig zitternd, kaum um Gnade zu bitten vermochte, was bei seinen Feinden kein Mitleid erregte, vielmehr ihre Rachsucht steigerte. Sie fingen schon an, ihm gefährlich zu Leibe zu gehen, als einer von ihnen auf den Einfall kam, zu verlangen, er solle nun ebenso eine Rede für die Republik halten, wie er zuvor gegen sie getan hätte, widrigenfalls sie ihm den Beweis ihrer Gerechtigkeit auf die kürzeste Art liefern wollten, und ließen dabei ein paar blanke Messer vor seinen Augen spielen. Don Silvio warf einen wehmütigen Blick darauf und sagte, er sei gern bereit, über einen so trefflichen Gegenstand zu sprechen, der nur vielleicht größer als seine Beredsamkeit sei, aber an seinem guten Willen solle es nicht fehlen. Dann fing er sogleich geläufig zu reden an und sagte unter anderm: »Vorüber sind nun die abergläubischen Zeiten, wo die Priester das Volk regierten: sie saßen auf den guten Weideplätzen, sie hatten die fettesten Pfründen, die höchsten Aemter ohne Zoll und Steuer, sie sogen die Armen aus, übervorteilten die Reichen und teilten mit den Mächtigen ihre Beute. O Barbarei! o Greuel! Heil der Republik, die nach unten gekehrt hat, was oben war in ihrer Gerechtigkeit! Jetzt sitzen auf allen Thronen und Stühlen, in allen Aemtern und Stellen die Laien und besteuern und verfolgen und übervorteilen die Pfaffen. Das ist Ordnung! Das ist Weisheit! Das ist die Lösung aller Fragen! Wieviel mehr Wohllaut liegt im Winseln blutender Pfaffen, als im Jammern geplagter Laien! Wieviel saftiger und fetter sind sie, wieviel ausgiebiger! Ist es nicht billig, daß sie die Maschine des Staates speisen, anstatt sie zu drehen? Dazu gehören starke Knochen und schwielige Fäuste von Leuten, die arbeiten. Die Pfaffen sind fett, sauget sie aus, das Volk hat Muskeln, es regiere!« Er mischte ergötzliche Beispiele und Anspielungen dazu, und schon der weinerliche Ausdruck seines schlauen Gesichts war in Anbetracht der festlichen Stimmung seiner Rede so komisch, daß die Männer lustig wurden und er schließlich vor Beifall und Gelächter kaum weiterreden konnte. Dabei legte sich der Groll, und es entfaltete sich ein brüderliches Zechen im Wirtshause; immerhin schworen die Republikaner, als man sich trennte, wenn sich Don Silvio noch einmal antreffen ließe, daß er das Volk gegen die Regierung aufwiegle, würden sie ihn ohne Umstände an die nächste Laterne hängen.

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Aus Imola, Forlì, Lugo, Ancona und andern kleinen Städten des Kirchenstaates wurde von Untaten berichtet, die im Namen der Republik begangen wurden, denen zum Teil Anhänger des Papsttums, zum Teil auch andre zum Opfer fielen, bei denen von politischer Gegnerschaft keine Rede sein konnte. In Imola war es hauptsächlich eine große, verzweigte Familie, die von den Republikanern verfolgt wurde. Diese Leute, die sehr reich waren und namentlich viel Land besaßen, setzten sich dadurch dem Uebelwollen aus, daß ihre Häuser der Sammelplatz aller derer waren, die dem alten Regiment anhingen, seien es Geistliche oder Laien; auch führte man den erbitterten Haß auf ein bestimmtes Vorkommnis aus nunmehr etwa dreißig Jahren entfernter Zeit zurück. Damals hatte ein Ehepaar aus dieser Familie einen jungen Mann, der mit einer seiner Töchter ein Liebesverhältnis angeknüpft hatte, dem es dieselbe aber, da er arm und vielleicht auch von revolutionärer Gesinnung war, nicht geben wollte, mittels einer Anklage wegen geheimer Umtriebe gegen die Regierung unschädlich zu machen versucht, was zu dessen Tod am Galgen führte. Das Mädchen starb bald hernach, andre behaupteten, sie sei nicht tot, sondern werde von den Eltern, in einem Zimmer eingeschlossen, verborgen gehalten, wo sie, verwildert wie ein Tier, bis zur Unkenntlichkeit verkommen, nur zuweilen durch ein sinnloses Geheul ihr Dasein verrate.

In Ancona hatte sich eine Bande von Männern gebildet, die sich nachts in die dunkeln Häuser schlichen und mordeten. Man hörte sie nicht kommen, wußte sich auch nicht zu erklären, wie sie eintraten und wohin sie verschwanden; am Tage war keine Spur von ihnen auszufinden, und hatte man auch Verdacht gegen den einen oder den andern, so wagte man ihn doch nicht geradezu anzuklagen oder gar festzunehmen. Der Ursprung dieser Frevel war folgendes: Zu einer kleinen frommen Handwerkerfamilie gehörte eine alte Frau, die ihr beträchtliches Vermögen einem ihrer Neffen, einem guten einfachen Knaben, für den Fall vermachte, daß er in ein Jesuitenkloster einträte, wozu er denn auch von seinen Eltern, die arm waren und in der Aussicht aus die Erbschaft lebten, bestimmt wurde. Die Väter, denen das Vermögen, wenn das Kind stürbe, zufallen sollte, verbrauchten dasselbe für sich und ihre Zwecke und waren damit schon fertig, bevor der Knabe mündig war, weshalb sie Anstalt machten, ihn durch ein langsames Gift aus dem Wege zu räumen, damit ihr räuberisches Vorgehen nicht an den Tag käme. So wenigstens wurde erzählt, nachdem der früher gesunde Junge kränklich und nach längerem Siechtum, wenn auch körperlich einigermaßen wiederhergestellt, schwachsinnig geworden war und nun die Veruntreuung des Geldes dennoch mußte zugestanden werden. Den Vater des verblödeten Knaben wußten die Jesuiten so zu bearbeiten, daß er glaubte, er würde sein Seelenheil verscherzen, wenn er das mindeste von dem, was er wußte und zu vermuten Ursache hatte, laut werden ließe, und blieb ein stiller, scheuer Arbeiter, der alle kirchlichen Obliegenheiten noch ängstlicher als früher erfüllte; doch hatte er noch einen andersgearteten Sohn, einen robusten Menschen, der die Geistlichkeit haßte und nicht unzufrieden war, einen Grund zu persönlicher Rache zu haben. Dieser begrüßte die in Rom verkündete Republik als den Anbruch der Zeit, wo die Gerechten, die bisher gelitten hätten, die ungerechten Urheber ihrer Leiden bestrafen dürften, ja sollten, und bildete mit Gleichgesinnten eine Gesellschaft, die sich als eine Art Tribunal betrachtete und Geldbußen oder Tod über die Gehaßtesten unter den Gegnern verhängte. Sie hatten mit den meisten Häusern irgendwelche Verknüpfung, sei es durch ein Glied der Familie oder durch Bedienstete oder andre, die ein und aus gingen, so daß sie heimlich Eintritt gewinnen und den Gerichteten, der sich sicher wähnte, lautlos niedermachen konnten.

In Rom fehlte es nicht an solchen, die jubilierten, daß die Stunde der Vergeltung gekommen wäre, dagegen sahen die Verständigen ein, wie häßlich der Name der Republik befleckt würde, wenn solche Verbrechen ungeahndet blieben, und Mazzini betrieb mit höchstem Eifer die Schlichtung des gefährlichen Aufruhrs. Es hatte das aber bedenkliche Schwierigkeiten; denn die Abgeordneten der Republik, die beauftragt waren, die Schuldigen ohne Verzug und ohne Ansehen der Person nach strengem Gesetz zu bestrafen, fanden ihre Urteilskraft aufgehoben: in diesen kleinen Orten, zwischen alten kahlen Mauern, wo sich die Menschen so nah und so allein mit ihrem heißen Blute waren, wütete Flamme gegen Flamme, und niemand konnte sich dem Umkreis, wo die Glut wehte, nähern, ohne mit zu entbrennen und, statt zu richten, an den tödlichen Leidenschaften teilzunehmen.

In dieser Verlegenheit kam Mazzini auf den Gedanken, Felice Orsini zu entsenden, einen der schönsten und unerschrockensten Männer des römischen Volkes, den nur ein unbändiger Stolz, der ihn schwerfällig im Umgang machte, von manchem Erfolge ausschloß, den seine Kenntnisse und seine Tatkraft ihm sonst verdient hätten. Er hatte mehrere Jahre wegen Beteiligung an Aufständen gefangen gesessen und war durch die Amnestie befreit worden, ohne sich vor dem Papste gebeugt zu haben. Die republikanische Gesinnung war ihm angeboren, und wer ihn kannte, wußte, daß nichts eine Ueberzeugung, die er einmal gefaßt hatte, würde erschüttern können; auch hätte der Mann, der keinen über sich ertragen konnte und doch nicht als Herrscher geboren war, sich nur mit einem Staatswesen befreunden können, wo alle wenigstens dem Titel nach einander gleich waren. Mazzini hatte keine Vorliebe für ihn; die Roheit vieler Romagnolen, die durch einen Anflug mittelalterlich-scholastischer Bildung, wie sie oberflächlich auf den Schulen beigebracht wurde, notdürftig zugedeckt wurde, etwa wie der Faltenwurf eines wallenden Gewandes einen unschönen Körper verhüllt, widersprach in verletzender Weise der feinen Kultur seines eignen Geistes. Anderseits war er voreingenommen für alle, die sich zu seinen Ansichten bekannten, besonders wenn sie entsprechend handelten, was Orsini in tapferer und selbstloser Weise getan hatte. Obwohl nicht ohne Ueberwindung gestand Orsini, wenn auch nicht ausdrücklich in Worten, so doch in seinem Bewußtsein, Mazzini einen gewissen Vorrang zu. Als Mazzini ihm sein Ansinnen vorgetragen hatte, antwortete er nach kurzem Bedenken, daß er ein solches Amt nicht gern übernehmen würde, wo es gälte, die mit harter Hand niederzudrücken, die endlich sich das Recht selbst suchten, das eine gewissenlose Regierung ihnen vorenthalten hätte, dagegen Leute zu beschützen, die seine Feinde wären. Feinde dürfe er allerdings, entgegnete Mazzini, als Beamter der Regierung unter den Bürgern des Staates nicht haben, als solcher dürfe er in diesem Falle nur Schuldige und Unschuldige kennen und jene rücksichtslos bestrafen. Auch er, setzte er hinzu, leide darunter und wünsche, es wäre zu diesen Verirrungen nicht gekommen; aber das neue Rom müsse zeigen, daß es die Gerechtigkeit besitze, deren Mangel es dem päpstlichen vorgeworfen habe. Eines Mannes bedürfe man, der unbestechlich, unerschütterlich, unbeugsam sei; er wisse, ein solcher sei er, Orsini, er möge sich dem Vaterlande, das seiner bedürfe, nicht entziehen. »Es ist mir zuwider,« sagte Orsini abweisend, »die Epoche der Freiheit mit Häscherdiensten zu beginnen.« »Auch Garibaldi hat sich nicht zu gut gedünkt, Räuber zu fangen und zu strafen, weil die Republik es forderte,« warf Mazzini ein. »Mag sein, Garibaldi,« sagte Orsini kurz, ohne daß eine Miene in seinem schönen Römergesichte spielte. Mazzini errötete leicht. »Er trägt freilich Lorbeeren, die nichts und niemand ihm nehmen kann,« sagte er scharf. Orsini schien sich durch die Zurechtweisung nicht gekränkt zu fühlen, vielmehr sagte er einlenkend: »Es gibt nichts, was ich im Namen der Freiheit nicht täte, außer eben diejenigen einkerkern, die ihr zu rasch und trotzig dienten.« Mazzini fuhr ungeduldig auf mit den Worten: »Gäbe es doch ein Gebot gegen diejenigen, die den Namen der Freiheit unnützlich führen! Freiheit ist kein Genuß, Freiheit ist eine Aufgabe. Sie bringt und gibt nicht, sie verlangt. Es gäbe nicht so viele Tyrannen auf der Erde, wenn es nicht leichter wäre zu gehorchen und zu leiden, als frei zu sein. Wären diese Morde unter Gregor geschehen, ich würde die Täter wie die Opfer beklagen und die Schuld denen zuschieben, die sie regieren; da sie sich Republikaner und freie Männer nennen, kann ich keine Nachsicht üben. Wenn wir nicht tüchtigere Männer und geordnetere Zustände in Rom haben, als in jedem andern Staate Italiens sind, haben wir nicht das Recht zu dauern.« In seinem Wesen, das für gewöhnlich weich und liebenswürdig war, kam leicht eine zurückstoßende Schärfe zum Ausdruck, wenn er widerstreitenden Ideen begegnete, zumal bei denen, die auf derselben Grundlage standen wie er, so daß die Möglichkeit vollen Verständnisses vorhanden schien. Orsinis Hochmut war durch seinen tadelnden Ton verletzt, trotzdem machte ihm die Größe von Mazzinis Standpunkt, wofür er Sinn hatte, Eindruck, und er sagte freimütig: »Ich habe Euch verstanden und muß Euch recht geben. Es ist mir darum nicht minder unlieb zu tun, was Ihr verlangt, aber wenn Ihr es keinem andern und kein andrer es sich zutraut, will ich mich zwingen und es tun.« Mazzini dankte lebhaft mit warmen Worten der Anerkennung und machte Orsini mit allen Einzelheiten der Vorgänge und mit dem, was bisher in der Sache geschehen war, bekannt. »Ihr könnt nun wegen dieser Dinge ohne Sorge sein,« sagte Orsini, als sie sich trennten; »denn da ich es übernommen habe, werde ich ohne Verzug so handeln, daß dem Rechte Genüge geschieht und ähnliches sich nicht wiederholen kann.«

Die Geschichte von Garibaldi

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