Читать книгу Die Geschichte von Garibaldi - Ricarda Huch - Страница 6
ОглавлениеIn diesen Tagen kam ein Franziskaner nach Rom, der durch den ganzen Kirchenstaat wanderte, um das Volk gegen die Republik aufzustacheln, und predigte vor der Laterankirche, die einsam außerhalb des Verkehrs lag, so daß er darauf rechnen konnte, von den Bürgerwachen, die meist die besuchteren Plätze und Straßen abgingen, weniger bald bemerkt zu werden. Er war ein alter Mann von einiger Bildung, besonders aber von Ueberzeugung und Aufrichtigkeit, wodurch es seinen Reden nie an Wirksamkeit fehlte, wenn er auch in Rom selbst, wo die Anwesenheit vieler Patrioten und eine kluge Regierung die Stimmung zugunsten der Republik entschied, einen nennenswerten Zulauf nicht hatte. Er stand auf der Treppe der Kirche gegen die grasbewachsene Steppe außerhalb der Stadt gewendet und kam im Verlaufe seiner Predigt zu folgender Stelle: »Ein Engel des Zornes steht über den sieben Hügeln. Die Kirchen sind verlassen, die Heiligen Gottes haben ihr Antlitz abgewendet und hören die Anbetung der Armen nicht mehr. Denkt an die Tage, als der Heilige Vater in eurer Mitte war, euch speiste und kleidete und segnete; das waren Tage milder Sonne, wo eure Felder trugen und die Trauben an euern Bergen reiften; jetzt zerstampft die Saaten der Ungestüm raubender Soldaten, und was er nicht zerstört, vernichtet der Nachbar dem Nachbarn in unnatürlicher Fehde. Die sich vorher liebten, kennen sich nicht mehr, zielen auf ihre Herzen. Blut rinnt in die Erde, nicht von Fremden, von Brüdern, die Wurzeln trinken es, es steigt in die Stämme, die Halme, die Früchte und Körner, das Brot, das wir essen, ist voll davon. Alle Völker der Erde, die Christen heißen, waffnen sich gegen euch, Neapel, Oesterreich, Frankreich, Spanien und die von Norden werden kommen, werden eure Männer verstümmeln, eure Kinder töten, euer Gut verprassen, um euch für die Schmach zu strafen, die ihr dem Vater der Christenheit angetan habt.«
Zufällig kamen Mazzini und Maurizio Quadrio vom freien Felde her auf die Kirche zu, als der Mönch mitten in dieser Rede war, und traten näher heran, um zu sehen, was der Zusammenlauf von Menschen an dieser Stelle zu bedeuten hätte, so daß der Franziskaner ihrer ansichtig wurde. Er erkannte sofort den geistesstolzen Kopf Mazzinis, den er oft auf Abbildungen gesehen hatte, und anstatt zu erschrecken, daß er von ihm bei einer so aufrührerischen Handlung betroffen wurde, wendete er sich ihm ganz zu und richtete, mit ausgestrecktem Zeigefinger auf ihn weisend, die Rede an ihn: »Da bist du, Luzifer, Empörer gegen Gott! Fluch dir und wehe euch, die sich von ihm mitreißen lassen in die teuflische Rebellion! Der Blitz des beleidigten Gottes trifft alle, die sich von deinen lügnerischen Worten umgarnen lassen, im Augenblick, wo sie sich dir ergeben, verläßt sie der Herr. Wie geschlachtete Kälber sind sie gefallen, schöne Jünglinge, Kinder liebender Eltern, die du vor dir her schicktest, und liegen stumm vor deinen Füßen. Wo du hinkommst, schwinden Friede, Wohlstand und Liebe, wo du hinkommst, bewegen sich die Schwerter in der Scheide und klirren. Deine Farbe ist bleich, weil du bei Nacht umgehen und mit den Toten ringen mußt, die ihre Seele von dir wollen. Glaubst du, dein beladenes Herz könne ein Volk glücklich machen? Glaubst du, du könntest so viel Glück schaffen, daß es das Unglück aufwiegt, das du über unser Land gebracht hast? Was weißt du von dem Gesetz, nach welchem Gott Glück und Unglück, Reichtum und Armut, Freiheit und Dienst verteilt hat? Du unterfängst dich, die Welt nach den Plänen deines Kopfes umbauen zu wollen, der Staub ist, nein, eine Luftblase vor den Atemzügen des göttlichen Verhängnisses! Glaubt mir, ihr Betrogenen, die unter euch, die Gott arm geschaffen hat, wird euer Abgott nicht reich machen, diejenigen, die Gott krank geschaffen hat, nicht gesund. Wenn er mit eurer Hilfe den alten Gott gestürzt hat, wird er euch vor den Pflug spannen, damit ihr das Brot aus der Erde grabt, und wenn ihr euch weigert, werdet ihr Steine essen müssen, wie es bisher gewesen ist.«
Während der ganzen Anrede stand Mazzini ohne sich zu rühren und starrte in das drohende Mönchsgesicht. Es hatte nicht gemeine Züge: die nicht großen Augen lagen tief unter der vorspringenden Stirne, die Backenknochen waren wuchtig gebaut, aber am auffallendsten waren Kiefer und Kinn, die dem barbarischen Gott eines wilden Riesengeschlechtes anzugehören schienen. Mit dem, was er sagte, schnitt er in die wundeste Stelle von Mazzinis empfindlichem Herzen, das alles, was, seit er die Leitung der italienischen Revolution in seine Hand genommen hatte, an Leiden und Sterben kühner Patrioten geschehen war, auf sich geladen hatte, auch wenn er nicht unmittelbar daran beteiligt war. Hatte er auch die Ueberzeugung von der Notwendigkeit der Opfer, so litt er doch nicht geringere Qual darum, ja, er hatte unsäglich trostlose Stunden, wo er zweifelte, ob jemals ein Errungenes das Verlorene aufwiegen würde. Auch Quadrio hatte sich anfangs dem Eindruck, den der Mann und seine Sprache machte, nicht entziehen können, aber bald überwog das Mitleid mit dem Freunde, dessen bittere Empfindung er mitfühlte, und die Besinnung, daß ein solcher Angriff gegen das Haupt der Regierung augenblicklich unterdrückt werden müsse, und er sah sich schleunig nach Wachen um, die nun auch sogleich zu mehreren herbeieilten und den furchtbaren Mönch ergriffen, um ihn in Gewahrsam zu bringen. Bei diesem Anblick kam Mazzini zu sich, drängte sich rasch durch die Menge, verabschiedete die Polizeisoldaten durch einen Wink und sagte zu dem Mönch, der trotzig stehen blieb: »Dieses Mal, weil ich selbst gegenwärtig bin, sollst du frei ausgehen; sprächest du noch einmal so zum Volke, würdest du als ein Aufwiegler bestraft, wie das Gesetz es verlangt. Ich zürne dir nicht und will dir nur dies sagen: ich bin ein Mensch, der in Gottes Hand steht wie du, irren kann wie du, und dem vergeben werden kann wie dir.« Der Mönch warf einen düsteren Blick auf Mazzini, aus dem nicht abzulesen war, ob und wie er die Worte aufgenommen hatte, und entfernte sich langsam; die Soldaten standen unschlüssig wartend, allein Mazzini bedeutete sie nochmals, daß sie den Mann unbehelligt sollten ziehen lassen, worauf sie sich zurückzogen. Während Quadrio dem Davongehenden eine Strecke folgte, um acht zu geben, daß das Volk ihm nicht nachliefe, und auch den Wachen winkte, ihn zwar nicht anzugreifen, aber doch zu beobachten, blieb Mazzini auf dem Flecke stehen; seine Augen hingen, ohne daß er es wußte, an den steinernen Heiligenfiguren auf der Zinne des Lateran, deren gigantische Gebärde über ihn hinaus in das Unendliche starrte. Er fuhr aus Gedanken auf, als Quadrio zurückkam und ihm gutmütig Vorwürfe machte, daß er den Mönch habe gehen lassen, anstatt dem Gesetze seinen Lauf zu lassen. Allenfalls hätte er vorübergehen können, ohne scheinbar etwas zu bemerken, da er aber einmal stehen geblieben wäre, hätte er eine solche Aufsässigkeit nicht unbestraft lassen dürfen. Die, welche dabei gewesen wären, würden nicht glauben, daß Großmut oder eine hohe Gerechtigkeit seine Handlungsweise veranlaßt hätten, sondern würden denken, er hätte nicht gewagt, Hand an einen Mann Gottes zu legen, dessen Wort ihn getroffen und niedergeschmettert hätte. Mazzini gab dem Freunde recht und entschuldigte sich damit, daß er in diesem Augenblick nicht anders hätte handeln können und daß er der Sache keinen großen Wert beigelegt hätte, da die Zuhörer nur ein Haufen Müßiggänger, die dem Zeitvertreib nachgingen, gewesen wären. Der gequälte Ausdruck verschwand aus seinen Augen, und er sagte, indem sie weitergingen: »Ich dachte vorher mit Entsetzen, wie es um mich stände, wenn jener recht hätte und ich unrecht; aber ich kann nichts andres tun, als nach meiner Einsicht handeln und die Entscheidung Gottes erwarten. Vielleicht,« fügte er lächelnd hinzu, »sollte er mir auch nicht recht geben, läßt er mich doch ohne Strafe laufen wie ich jenen, weil ich es ebenso ehrlich gemeint habe.«
*
In Rieti hatte ein Soldat aus Garibaldis Legion eine alte Bäuerin erschlagen, woraus ein Aufruhr entstanden war, und Bauern und Soldaten, in deren Mitte der Täter trotzig einherging, ohne sich führen oder gar binden zu lassen, kamen vor Garibaldi gelaufen, der, wie gewöhnlich des Abends, mit Ugo Bassi, Montaldi und einigen andern Offizieren auf seinem Lieblingsplatze in der Nähe des Klosters saß. Es standen dort auf einer hügelartigen Erhöhung Feigenbäume mit glutstarren Zweigen hinter steinernen Bänken um einen Brunnen, zu dem über einer breiten flachen Treppe Frauen und Mädchen kamen, um Wasser zu holen, mit ernsten Gesichtern und steilem Halse, hochaufgerichtet und feierlich unter der Last der schweren Kupfergefäße, die sie auf dem Kopfe trugen. Garibaldi gebot den Bauern, die durcheinander schrien, und den Weibern, die laut heulten und beteten, zu schweigen, und hieß den Beschuldigten selbst sagen, was geschehen sei; der, ohne zu leugnen, erzählte, er habe der Alten Eier abkaufen, sie ihm keine geben wollen, er habe ihr Geld gereicht, um zu zeigen, daß er bezahlen könne, eine neugeprägte republikanische Münze, darauf habe sie ihm das Geldstück aus der Hand gerissen, darauf gespien und ihm ins Gesicht geworfen, dazu in unverständlicher Sprache gegen ihn gezischt, auch mit den Händen Zeichen gemacht, so daß ihn die Wut und noch mehr der Abscheu vor ihrem geifernden Hexengesicht übermannt und er mit dem Kolben seines Bajonetts nach ihr geschlagen habe. Er habe nicht die Absicht gehabt, sie zu töten, doch bedauere er auch nicht, daß es geschehen sei, er wisse, daß er sterben müsse, und sei dazu bereit. Die Soldaten und Offiziere, die anwesend waren, schwiegen beklommen und blickten ängstlich und einige trotzig bittend auf Garibaldi, der auf das fließende Wasser des Brunnens starrte und endlich sagte: »Du warst immer ein braver Soldat und hast nie Schändliches begangen; die Strafe mußt du leiden, die das Gesetz will, aber du sollst durch die Kugeln deiner Kameraden einen ritterlichen Tod sterben.« Der Mann rief mit fester Stimme: »Es lebe Garibaldi!« und machte kehrt, von den andern blieben mehrere unschlüssig, ob sie noch um sein Leben bitten sollten, aber vor dem verdüsterten Gesicht des Generals wichen sie gesenkten Hauptes zurück. Den Bauern, die mit verbissenen Gesichtern noch dastanden, während die Weiber zu heulen fortfuhren, vielleicht in der Hoffnung, Almosen zu erhalten, befahl Garibaldi drohend, wie es sonst seine Weise nicht war, nach Hause zu gehen und ihre Tote in der Stille zu begraben, worauf sie erschraken und wie böse mutlose Tiere, blutige Blicke rückwärts wendend, davongingen. Ugo Bassi stand auf, um den Verurteilten auf seinem letzten Gange tröstend zu begleiten; die Legionäre hatten sich an ihn gewöhnt, und so widerspenstig sie auch im allgemeinen gegen religiösen Zuspruch waren, ließen sie sich doch seine Predigten, in denen nur von Gott als der großen Selbstverständlichkeit des rätselhaften Daseins und sonst von nichts Kirchlichem die Rede war, und seine brüderliche Anteilnahme an allen ihren Angelegenheiten gern gefallen. Montaldi, der allein bei Garibaldi zurückblieb, ging mit schnellen Schritten auf dem Platze auf und ab und schalt mit zornig gefalteter Stirn auf die Bevölkerung der Gegenden, durch die sie während dieses ruhm- und freudlosen Feldzuges gekommen waren. Die Soldaten, sagte er, könnten unmöglich begreifen, warum sie Räuber niederschießen dürften und diese nicht, da sie doch allesamt Gauner wären, Wölfe, dazu abgerichtet, den Rosenkranz durch die Zähne zu ziehen. Warum brave Bursche aus Mailand oder Modena oder Bologna ihr Blut vergießen sollten, um dies Gesindel als Brüder umarmen zu können, das die Gelegenheit nur benutzen würde, um ihnen während des Kusses die Börse aus der Tasche zu ziehen. Ein besserer Dienst würde Italien geleistet, wenn man sie ausrottete, und es wäre richtiger, Belohnungen auf die Vertilgung solcher Bestien zu setzen, als Strafe.
Da Garibaldi nicht antwortete, fing er an, von dem Soldaten zu sprechen, der zum Tode geführt wurde, und sagte: »Dieser Mann war ein braves und tapferes Herz. Er kam zu meiner Zeit nach Montevideo, war Matrose gewesen und hatte Briefe von Mazzini aus Marseille nach Genua und Livorno befördert, darum mußte er fliehen. Gelernt hatte er nicht viel, aber er war ein treuer Kamerad und besonders deswegen bei allen so beliebt, weil er viele Geschichten, die er Gott weiß wo aufgefangen hatte, zu erzählen wußte.« – »Auf dem Meere mußte man ihn sehen,« fiel Garibaldi ein, »wenn Sturm war und das Schiff von Welle zu Welle stürzte, kletterte er auf den höchsten Mast und stieß gellende Schreie aus, der Möve ähnlich, die durch Mark und Bein gingen und einem das Herz hoben.«
Die Sonne ging unter, und während die nahen Gipfel der Apenninen dunkler wurden und näher rückten, erglomm die Einöde des fernen Hochgebirges in rötlichblauen Farben, die erst immer süßer und röter wurden, dann grau und zuletzt den Stein und die Schneestreifen tonlos und kalt zurückließen. Das war die Stunde, wo die Frauen zu dem Brunnen zu kommen pflegten, aber an diesem Tage blieben sie aus, vielleicht eines Tanzes wegen; denn man hörte von irgendwoher schwirrende Musik von Flöten und Geigen. Plötzlich fielen ein paar Schüsse, die anzeigten, daß das Urteil an dem Soldaten vollzogen sei, und ein verlängerter Widerhall rollte wohllautend durch die Berge. Montaldi warf sich aufatmend auf die niedrige Steinbank unter den Feigenbäumen, und da gleich darauf Ugo Bassi zurückkam, begann er mit diesem, wie er gerne tat, zu streiten, indem er sagte: »Ich glaube, der brave Mann hat ein fröhliches Sterben von Euch nicht lernen brauchen, eher könntet ihr Pfaffen es von ihm lernen, die ihr das Leben in Ewigkeit verlängern wollt. Ein rechter Mann muß es mit dem Leben halten wie mit den Frauen: sich hinein schicken, wenn sie grausam sind, sie genießen, wenn sie einem lächeln, ohne warum? und wielange? zu fragen, und ihnen nicht nachblicken, wenn sie einen verlassen.« Ugo Bassi entgegnete lächelnd: »Ihr habt recht, euch Heiden müßte man eher lehren, das Leben zu lieben, als den Tod nicht zu fürchten. Denn freilich ist es mit dem Leben wie mit den Frauen: je zärtlicher, leidenschaftlicher und getreuer wir sie anbeten, desto mehr Ueberfluß an Süßigkeit und Heiligkeit werden sie uns geben.« Der andre machte eine ungeduldige Bewegung und sagte: »Sie sind wert, was ich daraus mache, und ich hüte mich wohl, sie meiner Herr werden zu lassen.«
Es war inzwischen Nacht geworden, und die Truppen zogen mit ihren Signalen in die Kaserne; über einem schwarzen Bergrücken stand noch ein Flecken dunkle, traurige Abendröte. Garibaldi hatte an dem Gespräch der beiden nicht teilgenommen, auch nicht zugehört, da er eignen Gedanken nachhing; jetzt ließ er sich von dem Brunnenrande, auf dem er gesessen hatte, herunter, näherte sich den Freunden und sagte: »Ich bin des Lebens in diesen Gegenden nie froh geworden und habe mich jetzt entschlossen, ein Ende damit zu machen. Es war gut und nützlich, daß wir dies Volk in Ordnung und Gehorsam erhalten haben; aber was hilft es? Ehe nicht hüben und drüben ein andres Regiment herrscht, werden diese armseligen Menschen Schmuggler und Banditen sein wie seit alters und mit jedem Feinde des Staates zusammen spielen. Sollen wir deshalb bis an das Ende unsrer Tage hier Wache stehen? Ich habe gesehen, daß unsre Leute, die in der Mehrzahl gutartig und willig waren, bei diesem tatenlosen Leben und zwischen anrüchigem Volk, das sie schonen sollen, träge und aus Unlust lasterhaft werden; denn der Mensch ist so, daß ihn seine schwere Natur in den Schlamm zieht, wenn ihn nicht ein stärkerer Wille oder die Schwungkraft großer Zeiten emporhebt. Das darf nicht weitergehen, weil ich feste und reine Herzen für größere Zwecke brauche. Es gibt Soldaten genug, die uns hier ablösen und die Räuber jagen können, aber ich muß fürchten, es gibt niemand, der das Volk aufruft, um den fremden Räuber zu vertreiben, der Italien nach dem Leben stellt. Mailand ist gefallen, Piemont streckt die Waffen, die Männer ducken sich, wenn der verfluchte Tiger auf Italiens Nacken tritt. In Umbrien, in der Romagna, in den Marken ist mein Name nicht unbekannt; sie werden mir in Scharen folgen, wenn ich ausrufe: ich schenke österreichisch Blut! Der Augenblick muß endlich kommen, wo wir sie Gnade flehen hören und ihnen das Eisen ins Herz stoßen, wo wir unsre Pferde über ihre Leichen jagen, daß sie sie mit ihren Hufen zertreten. Kann ich den Kampf im Namen der römischen Republik führen, so ist es mir lieb, hat sie nicht Mut zu dem Krieg, so führe ich ihn im Namen des Volkes und mit dem Volke; statt des Schwertes mögen sie mit den eisernen Zähnen des Pfluges töten. Wer mit gutem Hasse haßt, findet die Waffe, um den Feind zu erlegen.«
Bis in die tiefe Nacht hinein erklärte er Ugo Bassi, wie er sich den allgemeinen Volkskrieg vorstellte, den er im Geiste schon mit allen Einzelheiten entworfen hatte, und beauftragte ihn, sich in aller Eile nach Rom zu begeben und der Regierung seinen Plan vorzulegen. Vor Tage verließ der Gesandte Rieti und ritt nach Rom.
*
Nicht lange nachdem Ugo Bassi das Lager verlassen hatte, traf dort eine Botschaft der Regierung ein, die Garibaldi nach Rom rief, da in den nächsten Tagen schon der Angriff eines französischen Heeres müsse erwartet werden. Nachdem nämlich Pius IX. eingesehen hatte, daß sein Volk ihm freiwillig die Tore nicht öffnen werde, wählte er betrübt und mißtrauisch unter den Mächten, die ihm die Hilfe ihrer Waffen antrugen, ohne sich entscheiden zu können; denn die schwächeren, so Spanien, verbürgten keinen Erfolg, und von den stärkeren mußte er annehmen, daß sie ihren Sieg ebensosehr gegen ihn wie gegen die Republikaner ausbeuten würden. Da ihm aber die Anmaßung Oesterreichs, das die Wiedereinsetzung entthronter Fürsten in Italien als sein herkömmliches Recht betrachtete, vor allem unleidlich war und er auch fürchten mußte, jeden Anhang in seinem Reiche zu verscherzen, wenn er auf der Spur der berüchtigten Kroaten zurückkehrte, ließ er sich Frankreichs Schutz aufdrängen, freilich mit saurer Miene, denn der Name der französischen Republik war ihm so zuwider wie der ihres Präsidenten Napoleon Bonaparte. Die Wahl war dem Papst insofern günstig, als die Römer nicht glauben wollten, Frankreich, das ihnen bisher als Lehrmeister und Muster der Freiheit erschienen war, das die Unantastbarkeit der Freiheit andrer Länder zu einem Grundgesetz seiner Verfassung gemacht hatte, könne sich zum Häscher des Priestertyrannen gegen sein Volk erniedrigen, und verabsäumten in ihrem eigensinnigen Vertrauen, rechtzeitig Maßregeln gegen den zweizüngigen Feind zu ergreifen. Es kam dazu, daß von Bonaparte, dem Präsidenten, der Jahre seiner Jugend in Italien verbracht hatte, die Rede ging, er sei Karbonaro gewesen und habe nach den furchtbaren Gesetzen dieses Bundes geschworen, für Italien zu leben und zu sterben, widrigenfalls er der Rache der Genossen wolle verfallen sein, und daß er tatsächlich in der Revolution des Jahres 1833 eine bedeutende Rolle gespielt hatte, weswegen man eher für möglich hielt, er werde für Mazzini als für den Papst eintreten. Immerhin gab es einige, die den Neffen des Oheims, wie man den jüngeren Napoleon nannte, und seinen weibischen Ehrgeiz durchschauten und voraussagten, daß er die europäischen Verhältnisse verwirren wolle, wie sein großer Vorfahr, um sich leichter zur Größe aufschwingen zu können, aber mit kleineren Zielen und unechtem Glanze. Fürst Canino sagte, er habe seinem Vetter nie getraut, weil er sich selbst nicht traue und seine Zukunft nicht beherrsche. Er habe Verstand und könne ein feiner Gelehrter sein, klage auch zuweilen darüber, daß ihm der stille Platz am Schreibtisch bei Büchern nicht vergönnt sei, doch vertreibe ihn niemand von dort als seine eignen Träume, denn er sei Phantast, obwohl er Staatsmann sein möchte. Seine Phantasie habe indessen nicht den Hochschwung des Adlers, sondern das ungewisse Stoßen der Fledermäuse, die erst, wenn es dunkelte, heimlicherweise zu kreisen anfingen, auch schwärme sie häufiger in den Busen einer nackten Frau als nach Gipfeln in Wolken, und verlange nach Krone und Zepter nicht viel anders, als ob es eine Vorstecknadel, sich zu zieren, wäre. Ob er Karbonaro gewesen sei, wisse er nicht, halte es aber für möglich und meinte, wenn ihn damals ein Gelüsten oder Zweck zur Rolle eines patriotischen Verschwörers gelockt hätte, würde ihn kein Bedenken zurückgehalten haben, so wenig wie ihn jetzt eins abhalten würde, Rom der teuflischen Dummheit der päpstlichen Reaktion auszuliefern, wenn es seinen Plänen diente. Grundsätze habe er nicht, nur Wollust, Gefühl und Berechnung. Italien liebe er, aber mit der schnöden Liebe des eiteln Schwächlings, der die starke Leidenschaft einer hochherzigen Frau fürchtet, indem er sie anbetet und sie gelegentlich einer buhlerischen Dirne aufopfert, die er verachtet.
Trotz des Glaubens an Frankreich und der Erwägung, daß es unklug sein würde, die einzige Nation, von der noch Beistand zu erwarten war, gegen sich aufzubringen, war die Versammlung stolz genug, den Abgesandten des französischen Heeres, der freien Einzug in Rom für dasselbe forderte, damit es verhindern könne, daß eine andre Armee, etwa die österreichische, unter dem Vorwande, die Rechte des Papstes zu wahren, sich dort festsetze, mit der Antwort abzuweisen, daß sie jedem Versuch irgendeiner Macht, Rom zu besetzen, mit Waffengewalt entgegentreten würden, und es war demnach geboten, die Stadt schleunig in Verteidigungszustand zu setzen. Es war eine der wichtigsten und schwierigsten Fragen, wer zum leitenden General der gesamten Heeresmacht ernannt werden sollte; denn so wenig es an tüchtigen Offizieren fehlte, die sich an ihrer Stelle schon bewährt hatten, so sehr mangelte es an einem Manne, welcher die Feldherrngabe des Ueberblicks und der Verteilung großer Massen besessen hätte; Garibaldi wurde sie gleich lebhaft abgestritten wie zugeschrieben. Mazzini wußte, daß er in soldatischen Kreisen außerhalb Roms als der einzig Geeignete angesehen wurde, und neigte zu derselben Ansicht; aus andern Gründen war er unsicher, ob die Wahl nicht schlimme Folgen haben könnte. Es war kürzlich vorgekommen, daß Garibaldi Gefangene, die aus Ankona nach römischen Gefängnissen transportiert wurden, weil sie bei jenen Ausschreitungen der republikanischen Partei beteiligt gewesen waren, die erst Orsini hatte unterdrücken können, willkürlich befreit hatte, um sie bei einer kriegerischen Operation zu verwenden, was eine peinliche Auseinandersetzung zwischen ihm und der Regierung zur Folge gehabt hatte. Diese Nichtachtung der Regierung und seiner Grundsätze machte Mazzini Bedenken, und er fragte sich, ob es angehe, einen Mann mit militärischer Gewalt zu bekleiden, der sein Ziel, die Besiegung der Feinde, verfolge wie die ungeheuer waltende Natur, deren Gewitter Häuser niederbrenne und Menschen erschlage, um die Saat fruchtbar zu machen, und Geschlechter hinraffe, um einem neuen Keime Raum zu schaffen. In einer Versammlung, wo darüber endgültig sollte beschlossen werden, nahm er das Wort und sagte: Im Kriegsministerium sei der Oberst Roselli vorgeschlagen, der, ein gebildeter Offizier und vortrefflicher Mensch, ihm selbst vollkommen genehm sei; doch müsse er darauf aufmerksam machen, daß noch ein Mann in Frage komme, der vielleicht mehr Anwartschaft auf eine so hohe und verantwortliche Stellung habe als Roselli oder irgendein andrer: Garibaldi. Dies sage er nicht wegen der Siege, die Garibaldi mit seiner Legion jenseits des Meeres erfochten habe, so staunenswert sie wären, denn die dortigen Verhältnisse wären von den hiesigen zu verschieden, als daß man von jenen auf diese schließen könnte. Hier habe er noch keine Gelegenheit gehabt, große Schlachten zu schlagen; aber man sage oft, die schwerere Kunst sei, einen Rückzug geschickt auszuführen oder sich nach einer Niederlage schnell zu erheben, und es sei ihm gelungen, aus dem schmachvollsten Feldzuge als der einzige nicht ohne Ehre und Glanz hervorzugehen.
Avezzana, ein Genuese, der am Tage zuvor flüchtig in Rom eingetroffen war, nachdem die Erhebung seiner Vaterstadt gegen Piemont wegen des Friedens mit Oesterreich unglücklich geendet hatte, gab seine Stimme nachdrücklich für Garibaldi ab. Giuseppe Avezzana hatte die Jahre der Verbannung in Amerika zugebracht; er besaß mit fünfzig Jahren noch die Gläubigkeit der Jugend und hätte Außerordentliches leisten können, wenn seine Geistesgaben seiner Redlichkeit und seinem Opfermut gleichgekommen wären. Er hob rühmend hervor, daß Garibaldi allein, nur auf sich selbst gestützt, im Felde geblieben sei, nachdem der König von Sardinien entmutigt oder verräterisch das Schwert weggeworfen hätte.
Das könne nur verblendeter Eifer der Partei loben, warf Pisacane ein, im Dienste des Königs hätte er dem Könige gehorchen müssen. Ob man glaube, er werde im Dienste der Republik nicht derselbe Mann voll Trotz und Willkür sein? Auch als römischer General werde er angreifen oder zögern, Waffenstillstand halten oder brechen, wie es ihm, nicht wie es der Regierung beliebe. »Italien hat diesen göttlichen Ungehorsam gesegnet,« rief der junge Caldesi, »sollen wir ihm eine Falle daraus machen?«
Man könne es dem Menschen zum Ruhme, dem Feldherrn müsse man es als schlimmsten Fehler anrechnen, wenn er seinem Herzen folge, beharrte Pisacane. Garibaldi sei tapfer, ausdauernd, tatkräftig wie andre Offiziere, oder mehr, und was mit diesen Eigenschaften ausgerichtet werden könne, leiste er; aber Krieg führen sei eine Wissenschaft, und die habe er nicht gelernt. Er könne Glück haben, und der Zufall könne ihn begünstigen; einen Plan, der durch die Klugheit seiner Berechnungen den Sieg herbeiführen oder im schlimmsten Falle eine Katastrophe verhindern müsse, könne er nicht ersinnen oder durchführen, da er wie alle ursprünglichen Menschen der Macht des Augenblicks unterliege. Die Mehrzahl der Abgeordneten fiel dem Redner lebhaft bei. Einige gaben zu, daß Garibaldi wohl ein glänzender Krieger sein und Gewandtheit und Erfahrung sich angeeignet haben möge, bezweifelten aber, ob er deswegen auch zum Befehlshaber einer regelmäßigen Armee tauge. Andre fanden, daß, da er als Schiffsmann geboren und seine besten Erfolge mit der Flotte erzielt habe, er allenfalls Admiral, doch nicht Führer zu Lande werden könne, noch andre betonten, daß er aus Nizza gebürtig sei und nur ein Römer römische Soldaten regieren könne. Er kenne die Eigenart des römischen Volkes nicht, und es sei gefährlich, wenn Mißverständnisse zwischen dem Feldherrn und seinen Leuten entstünden, schon seine Kleidung, der weiße Mantel, die wallende Straußenfeder am Hut wirke fremdartig, er gleiche einem Helden auf der Bühne, nicht einem Offizier von europäischer Kultur. Auch seine Persönlichkeit, hieß es, erwecke nicht das Vertrauen, das eine Regierung zu dem Manne haben müsse, dem sie ihre Macht in die Hand lege. Ob einer bürgen könne, daß er sie niemals gegen sie brauchen werde? Eine dunkle Kraft elementarischer Natur scheine in ihm verborgen zu sein, sie könne sich gegen diesen oder jenen entladen, er selbst wisse es vielleicht heute noch nicht, der zufällig zwischen seinem Wollen und seinem Ziele stehe.
Mazzini widersprach: Er kenne Garibaldi nicht näher, habe aber bei der ersten Begegnung einen bestimmten Eindruck von ihm empfangen, den er auch jetzt noch für richtig halte; danach sei er allerdings im einzelnen unberechenbar, er sei von einem undurchdringlichen Mantel unsichtbarer Kraft umgeben, so daß er gleichsam in seiner eignen Welt lebe und mit ihr in die Welt der andern eintrete, die ihm nie völlig nahekommen könnten. Aber obwohl auch er, Mazzini, ihm im Grunde fremd geblieben sei, so sei er doch dessen sicher, daß er Italien über alles liebe, unfähig sei zu lügen und zwischen zwei Handlungen immer die größere tun werde.
Die, welche ihm die größere sei, wandte Aurelius Saliceti ein, sei vielleicht die schlimmste und gefährlichste für die Republik.
In früheren Zeiten hätten sich die Republiken von solchen Männern die Länder erobern lassen und sie nachher ermordet, meinte Fürst Bonaparte behaglich. Danach sei die Zeit nicht mehr, auch würde es schade um Garibaldi sein. Was nun zu tun sei? Uebergehen könne man ihn nicht, ihn unter einen Höheren stellen? Wer solle der sein? Vielleicht könnte man ihm einen Wächter zur Seite stellen, einen Getreuen der Regierung, der sie warnen könnte, wenn es in dem großen Krater zu rumpeln beginne.
»Das ist die Politik der Schwächlinge,« rief Sterbini herausfordernd, »und eines Mannes wie Garibaldi unwürdig. Er ist Republikaner und ehrlich, wie jeder von uns es zu sein glaubt. Daß er siegen kann, hat er bewiesen, und das wollen wir eben. Oder wollen wir etwas andres? Wollen wir eine Prüfung in der Kriegsschule bestehen? Wir können Garibaldi nicht zum General machen, er ist es. Die Geschichte wird über uns hohnlachen, wenn wir mit einem preisgekrönten Biedermanne untergehen, wo wir mit einem Garibaldi siegen konnten.« Zambianchi, ein schlüpfriger Gesinnungsprahler, der niemandem geheuer war, und mit dem doch niemand anbinden wollte, sagte mit anzüglichem Grinsen: »Käme nur endlich eine entschlossene Hand, die den alten Unrat ausräumte! Wir haben den Namen einer Volksrepublik auf den alten Stall geschrieben. Da gehen die Wölfe aus und ein, wie früher, die Jesuiten und die Oesterreicher, die Spione, die den Mantel auf beiden Achseln tragen, die Diplomaten, die es mit keinem verderben wollen, und die guten Schäferhunde sind angekettet und werden zur Ruhe verwiesen, wenn sie knurren und die Zähne zeigen. Wenn die Verräter sich ins Fäustchen lachen und die Braven feiern müssen, haben wir noch Pfaffentum und Fremdherrschaft, wie wir uns auch mit unserm echten Gott und unserm freien Volke brüsten.«
»Die Bonaparte haben gezeigt, wie es diejenigen machen, die den alten Wust auszukehren versprechen; sie fegen die Freiheit mit aus und setzen sich die blankgeputzte Krone auf,« entgegnete Pisacane kühl.
Canino sagte, er glaube nicht, daß der brave Garibaldi Salböl für seinen eignen Kopf brauchen würde, eher sei zu fürchten, daß er sich in kindlicher Treue seines alten Landesherrn, des Savoyers, erinnere. »Man begreift,« fiel Zambianchi boshaft ein, »warum gerade der Fürst Bonaparte einen solchen Abfall fürchtet. Wir sind alt genug, uns der Zeit zu erinnern, wo er ebenso despotisch das Recht des Papstes verfocht wie heute das der Republik.«
Mit diesen Worten war die Losung zu verletzenden Feindseligkeiten gegeben, mit denen mehr aus persönlichen Gründen als wegen abweichender Meinungen gegeneinander gestritten wurde, bis endlich, da der Präsident Galletti nicht vermochte, Ruhe herzustellen Mazzini noch einmal das Wort nahm und die Aufgeregten daran mahnte, daß, wie sie sich auch zueinander verhalten möchten, die Liebe zu Italien sie doch vereinigte; daß sie einander Redlichkeit der Gesinnung zutrauen müßten, wenn anders sie erfolgreich zusammen arbeiten wollten, und daß sie schließlich, wenn kein andrer Grund verfinge, aus Not sich einig zeigen müßten, um dem sich ansammelnden Feind widerstehen zu können. »Wir streiten jetzt,« sagte er, »wie Brüder eines Hauses, die im Uebermut einer glücklichen Gegenwart und in der Sicherheit der Liebe ihre Gegensätze schärfen und auf ihr Eigenwesen pochen, sich entzweien und mit Willen gegeneinander verblenden, die aber, wenn die Zeit sie zerstreute, diese Zwiste kindisch nennen und mit bitterer Sehnsucht des gemeinsamen Lebens im Vaterhause denken. Es könnte auch für uns ein Tag kommen, wo wir aus unserm Vaterhause auswandern müßten, und wo wir, ein jeder fern vom andern und fern vom Strahl unsrer schönen Sonne, wieder die ziellosen Wege der Verbannung gehen müßten, die wir kennen.« Seine Stimme bebte kaum merklich; diejenigen, die lange Jahre in der Fremde zugebracht hatten, dachten schaudernd des erlebten Elends, die, welche zu jung waren, um schon für ihre Sache gelitten zu haben, überlief die Ahnung künftiger Schmerzen. Er wolle sie, fuhr er nach einer Pause fort, mit seinen Worten weder schrecken noch rühren, nur an den Ernst ihrer Lage erinnern. Er hoffe mit ganzer Seele darauf, daß sie sich, sei es durch Klugheit oder Gewalt, der vielfachen feindlichen Bedrängung entziehen könnten; nur möchten sie nicht, wie es allzu leicht in Italien geschehe, den Sieg aufs Spiel setzen, weil jeder dem andern die Früchte des Sieges mißgönnte. Dann kam er noch einmal auf Garibaldi und sagte, man solle ihn und sich selbst weder durch Mißtrauen noch durch Vergötterung entehren; er habe, nach seinem Urteil, Kraft, Willen und Glück, das müsse man nützen.
Auch Mazzini bestand indessen nicht darauf, die ganze römische Heeresmacht unter Garibaldi zu stellen, und so ging ein vermittelnder Vorschlag durch, nach welchem Garibaldi zwar General wurde, Roselli aber die Oberleitung des gesamten Heeres erhielt und also Garibaldi übergeordnet wurde. Diese Anordnung führte viele Unzuträglichkeiten herbei, da es infolge der Teilung des Kommandos vorkam, daß Garibaldis Offiziere widersprechende Befehle von beiden Seiten empfingen, überhaupt aber, weil ein Widerspruch in der Tatsache lag, daß Garibaldi dem Roselli untergeordnet sein sollte, einem makellosen, uneigennützigen, das Beste wollenden Manne, dem er wie der Löwe dem Hunde überlegen war.
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Für den Fall eines Straßenkampfes in der Stadt bildete die Regierung eine Kommission für den Barrikadenbau, an deren Spitze drei junge Männer standen. Enrico Cernuschi, ein Mailänder, Vincenzo Caldesi aus Faënza und der Römer Cattabeni glichen einander darin, daß sie gesund, kräftig und mutig waren, den Genuß liebten und keine Gefahr fürchteten, vielmehr in ihr mehr noch als eine Würze, die Grundlage der Freude suchten. Cernuschi war etwa fünfundzwanzig Jahre alt, von allen der Jüngste, aus dem Volke gebürtig, aber geschaffen, den feinen Herrn zu spielen, witzig, munter und oberflächlich, schlank und geschmeidig, im Gesicht hübsch wie ein Mädchen, mit zierlichen Händen, die er sorgfältig pflegte; er war stets nach der letzten Mode gekleidet, mit Benutzung ihrer geheimsten und elegantesten Schnörkel. Caldesi hingegen, der urwüchsiger und weniger berechnend war, vernachlässigte seine äußere Erscheinung, die trotzdem immer gefiel und die Phantasie anregte. Er betete den Augenblick an, der ihm alles gewährte, wie er in ihm aufging; ohne sich um die Gewogenheit der folgenden Stunde zu kümmern, schwelgte er in der Gunst der gegenwärtigen, die ihn dankbar zum Helden, Dichter oder Maler machte, wie die Gelegenheit es eben wollte. Cernuschi hatte sich während der fünf großen Mailänder Tage einen Namen gemacht, wo er sauber und elegant unter Blut und Rauch, mit spitzen Lackschuhen auf den Barrikaden kämpfte; Caldesi war infolge der Amnestie Pius' IX. aus der Verbannung zurückgekehrt. Cattabeni machte, weil er ein gemäßigtes Temperament hatte, weniger von sich reden.
Die drei pflegten in einem kleinen Zimmer, das weit über die flachen Dächer der Stadt hinsah, die Mitteilungen und Ausrufe an das Volk zu verfassen, die sie an den Mauern anschlugen; denn es fiel ihnen auch zu, die zuversichtliche Gesinnung in Rom zu unterhalten, damit nicht die Opferfreudigkeit erlahme und Verzagen am guten Ausgange der Kriegsgefahr die Niederlage vorbereite. Cattabeni liebte, daß alle Dinge rasch und sachgemäß vorwärts gingen und verfaßte Schriftstücke, in denen das Notwendige mit den wenigsten, einfachsten und eindringlichsten Worten ohne Zutat gesagt wurde, weswegen seine Entwürfe von den beiden andern als zu simpel und geschmacklos, Wurst ohne Speck und Knoblauch, verworfen wurden. Wenn zum Beispiel der Papst ein neues Rundschreiben erlassen hatte, in welchem er die Republik und ihre Anhänger verfluchte, und es sich darum handelte, den Warnungen und Bedrohungen, die die Geistlichen wo sie konnten daran knüpften, entgegenzutreten, schrieb er etwa so: »Volk von Rom! Pius IX. hat abermals einen Fluch über die Republik und die Republikaner ausgesprochen. Die Republik, die sich keiner Schuld bewußt ist, nimmt keine Notiz davon und erwartet dasselbe von euch;« worüber Cernuschi und Caldesi nicht genug lachen konnten. Sie erfanden unter mutwilligen Späßen andre Machwerke, von denen das abgeschmackteste trotz der entrüsteten Proteste Cattabenis ausgewählt wurde; es war in folgendem Stile gehalten: »Die große Kreuzspinne von Gaëta« – das nämlich war der Aufenthaltsort des Papstes – »hat neuerdings alle Fliegen verflucht, die nicht in ihr Netz laufen wollen. Ihr Abtrünnigen, so geifert sie, ihr Vatermörder, ihr Gottesleugner, die ihr euch nicht von mir einfangen und anbeißen und aussaugen lassen wollt! Hiermit verdamme und verfluche ich euch und wünsche euch die Pest und den Tod und den Krebs und das Sterben und die Hölle an den Leib. Solltet ihr je wieder in mein Netz geraten, so werde ich euch mit meinen liebenden Armen väterlich umklammern und christlich erwürgen, wie das heilige Beispiel meiner Vorspinnen es mich lehrt! – Ich denke, wir werden uns hüten. Der Putztag ist vorbei, der Festtag ist da, sorgen wir nun, daß sich keine Spinngewebe wieder in den Ecken bilden.«
In den letzten Tagen des April, als der französische Gesandte Leblanc die Mahnung der Triumvirn, Frankreich lade durch sein Vorgehen die Verantwortung eines Krieges zwischen zwei nahverwandten Nationen auf sich, mit der prahlerischen Herausforderung beantwortet hatte: »Die Italiener schlagen sich nicht!« kamen Cernuschi und Caldesi auf den Gedanken, die dadurch im Volk entstandene kriegerische Stimmung zu der Ausführung einer Barrikadenschlacht zu benutzen, was eine nicht überflüssige Uebung und zugleich eine Belustigung sein würde. Caldesi schlug vor, das Manöver dadurch kurzweiliger zu machen, daß man die Frauen, die, im Fall es Ernst würde, sich auch beteiligen würden, die Römer vorstellen und auf den Barrikaden kämpfen ließe, während die Männer den anrückenden Feind spielten, wovon Cattabeni, der überhaupt gegen ein solches Theaterspielen war, vollends nichts wissen wollte; er wurde aber wie gewöhnlich mit Scherz und Gelächter überstimmt und fügte sich grollend. Der Aufruf, durch welchen die Bevölkerung zur Teilnahme an dem Kampfspiel eingeladen wurde, lautete so: »Römer, euch, das wehrhafteste Volk der Erde, hat schnödes Pfaffentum verweichlicht. Schnell werdet ihr die angeborene Titanenkraft zurückgewinnen, wenn Rom eurer bedarf. Erproben wir es heute! Sehen wir, ob wir noch schlagen könnten, wenn ein Gegenstand da wäre, der es verdiente! Nicht nur zu Männern spreche ich, auch zu Frauen: sie, die uns Tapfere und Edle gebären, werden ihren Söhnen nicht nachstehen. Ich nenne Römerin nur eine solche, die ebensowohl ein Herz mit dem Schwerte zu durchbohren, wie mit den Augen zu entzünden weiß!«
Zum Schauplatz des Kampfes war eine in der Nähe der Porta del Popolo verlaufende Straße bestimmt, und der dort befindliche Neubau eines Klosters, der seit dem Beginne der Republik unterbrochen war, wo aber Gerüste und Verschläge noch standen, lieferte Holz und Bretter in verschiedener Größe für die Barrikaden. Die Errichtung derselben ging unter Anleitung der Kommission und mit Hilfe mehrerer, die schon Revolutionen in Paris mitgemacht hatten, flink wie die Vorbereitung zu einer Lustbarkeit voran. Während die Frauen sich hinter den beweglichen Mauern verschanzten, pflückten die Männer in einem nahen Garten Narzissen und Hyazinthen, um sich die Mützen und Jacken zu schmücken, worauf sie, den spöttisch entstellten Text der Marseillaise singend, vorrückten. Der Kampf, der sich nun entspann, bestand hauptsächlich darin, daß die Männer die Frauen von ihren gesicherten Plätzen zu vertreiben und gewissermaßen gefangen zu nehmen suchten; diese hatten harmlose Waffen, die sie zu ihrer Verteidigung benutzten, und im Schwung und Eifer des Kampfes kam es zu erheblichen Püffen und Schlägen, was den festlichen Lärm nicht wenig vermehrte.
Unter den Mädchen fiel eine durch die fröhliche Emsigkeit auf, womit sie schleppte und hantierte, obwohl sie durchaus nicht an schwere Arbeit gewöhnt zu sein schien; denn nach ihrer zweckmäßig einfachen und doch eleganten Kleidung und nicht zum mindesten nach der sicheren Grazie, mit der sie auf das tolle Spiel einging, gehörte sie den höheren Ständen an. Sie war von mittlerer Größe und strahlte in reinen starken Farben; das Gold der Haare, das Rot der Wangen, das weiße Glänzen der Zähne erweckten trotz des lieblichen Ernstes in ihrem regelmäßigen Gesicht den Eindruck lachender Heiterkeit. Kaum hatte Caldesi sie gesehen, als er Feuer fing, wodurch Cernuschi aufmerksam wurde und sie nun gleichfalls mit Feindseligkeiten bestürmte, unter denen die Huldigung des Liebhabers sich neckend verbarg. Sie entschlüpfte den beiden Gegnern mit so viel Anmut und Laune, daß sie nur immer heftiger entbrannten und schließlich die lästige Rolle abwarfen, um ihre Leidenschaft offen zu äußern, wobei sie sich gegenseitig zu übertrumpfen suchten. Das Mädchen suchte sie hinzuhalten, indem sie behauptete, nicht zum Schlusse darüber kommen zu können, welcher von beiden ihr besser gefalle, doch sagte das den Ungestümen nicht zu; sie fingen an, miteinander zu streiten, und waren im Begriff, auf der Stelle durch Zweikampf über den Besitz der Frau zu entscheiden, als diese plötzlich ausrief: »Glaubt ihr ernstlich, eine Römerin würde sich einem Vaterlandsfeinde ergeben?« und gleichzeitig einem eben herantretenden jungen Manne die Hand reichte, um von dem Bretterhaufen, auf dem sie stand, herunterzuspringen. Es zeigte sich, daß das vermeintliche Mädchen eine neuvermählte Frau war, Antonietta Colomba, die später an den Mauern Roms, neben ihrem Manne kämpfend, den Tod fand. Cernuschi und Caldesi fluchten, lachten, versöhnten sich untereinander und befreundeten sich mit den jungen Eheleuten.
Inzwischen hatte der Kampf aufgehört, allerwärts fanden sich Paare zusammen und bildeten Gruppen um Vorräte von Wein und Brot, die herbeigeschafft worden waren. Die Frauen, die sich sehr angestrengt hatten, waren erhitzt und schöner als sonst, in allen Augen war Begierde und Wonne, die zum Teil nicht unerheblichen Wunden wurden flüchtig verbunden oder nicht beachtet. Cernuschi und Caldesi, die um ihren Kampfpreis gekommen waren, gingen von einer Gruppe zur andern und neckten die Glücklicheren, wobei sie auf Cattabeni stießen, der gemächlich, als wäre er es nicht anders gewöhnt, zwischen zwei wunderschönen Frauen saß, einer dunkeln mit überschwenglichen Madonnenaugen, die mitten aus dem üppigsten Leben hervorglühten, und einer derben, deren unbedenklichen Blicken man ansah, daß sie ergriff und wegwarf, was ihr gefiel und verleidet war. Nachdem sie sich von ihrem Erstaunen über das entdeckte Nest gesammelt hatten, versuchten sie dem Freunde die Frauen abspenstig zu machen, mußten sich aber, obwohl Cattabeni sie gleichmütig gewähren ließ, ohne Erfolg zurückziehen. Als nach Mitternacht der Tau fiel, leerten sich die Barrikaden, und das Lachen und Flüstern verstummte.
In der Frühe des folgenden Morgens meldete ein Maueranschlag den bevorstehenden Angriff der Franzosen. »Der Augenblick ist nahe,« hieß es, »wo die Römer sich als Söhne des Kriegsgottes erweisen können. Leider ist es nicht Hannibal, der vor den Toren steht, sondern ein aufgeblasener Pfaffenknecht, General Oudinot, der sich mit Verrat in unser Land eingeschlichen hat, und den wir mit Mut und blanken Waffen daraus vertreiben werden.«