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Ein Kardinalsproblem

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Das Gut Raimunds von Siebeneich lag in dem flachen Tal der Erft, eine halbe Tagesreise westlich von Köln: eine von hölzernen Palisaden umfriedete Ansammlung von Häusern und Schuppen, die sich um Wiesen, Kräuter- und Obstgarten gruppierten und zwischen denen das praesidium principale und der donjon trotzig und steinern herausragten. Um dieses Zentrum herum lagen Ländereien in einem Umfang, wie ihn sich ein Graf nicht besser hätte wünschen können; Ländereien, die kluges Wirtschaften vermehrt hatte und die ihren Ausgangspunkt in einem Geschenk Kaiser Friedrich Rotbarts an Raimunds Urgroßvater besaßen, da dieser während des Rotbarts Gefangennahme im Krieg gegen die Stadt Susa mit ihm die Kleider getauscht hatte, damit der Kaiser aus der Geiselhaft entfliehen konnte. In Friedenszeiten waren sowohl das Tor der äußeren Umfriedung als auch das ins Innere der Burg tagsüber geöffnet, bewacht zwar, aber dennoch so einladend, daß es die freundliche Herrschaft seines Besitzers widerzuspiegeln schien. Für die Pächter des Gutes im Wirtschaftshof und in den verstreuten Dörfern bedeutete das offene Tor eine tägliche Mahnung, für das Wohlergehen des Herrn zu beten; sie hatten schon andere Herrschaften erlebt.

Durch diese offenstehenden Tore trabte einen Tag nach dem Auftritt des Propheten auf dem Marktplatz, auf einem schweren, wertvollen Pferd sitzend und mit den behandschuhten Händen sowohl einen geistigen als auch einen durchaus weltlichen Segen in Form kleiner Geldmünzen um sich verteilend, ein in fließenden Purpur gekleideter Reiter. Der Reiter war allein, was ungewöhnlich war, und die Nennung seines Namens veranlaßte den Wachführer am inneren Tor, selbst die Zügel des Pferdes entgegenzunehmen und den Reiter zum Haupthaus zu führen, was noch ungewöhnlicher war. Wenige Zeit später wurde Philipp, der die Ankunft des Reiters nicht gesehen hatte, in die private Kammer seines Herrn gerufen.

Philipp, ehemaliger Novize und Kopist im Zisterzienserkloster Sankt Peter und jetzt, in seinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr, Raimunds Truchseß, war ein mittelgroßer Mann, der kräftiger und stämmiger wirkte, als er war. Er trug sein Haar nach der aktuellen Mode so kurz, daß man die Stellen sehen konnte, an denen es vorzeitig zurückwich, und offenbarte unter einer hohen Stirn ein spitzbübisches Gesicht mit dunkelblauen, lebhaften Augen. Es waren die Augen, die an seinem Gesicht zuerst auffielen und die im Zorn ebenso funkelten wie vor Ausgelassenheit; es mochte an seinem kleinen, verschmitzten Mund liegen, daß dem Betrachter die Ausgelassenheit zu überwiegen schien. Auf den zweiten Blick fielen die Kerben an seinen Nasenflügeln und um seine Mundwinkel auf. Sie vertieften sich, wenn er lachte, aber sie waren nicht vom Lachen entstanden. Er bewegte die Schultern beim Gehen, als wäre er in Eile und würde stets über zu wenig Zeit verfügen. Er war jung für sein Amt auf dem Gut, aber das Gesinde und die Dienstboten gehorchten ihm blind. Dieser Umstand lag daran, daß er jedem der Männer und auch den Frauen mit einem Scherz zu begegnen pflegte und selbst sein Spott, zumeist gutmütiger Natur, dank seines jungenhaften Grinsens bei demjenigen das meiste Lachen auslöste, über den er ihn ausgoß. Das Gesinde mochte ihn und wäre für ihn durchs Feuer gegangen, was er, hätte man es ihm gesagt, mit einem ungläubigen Schnauben abgetan hätte.

Philipp war nicht erstaunt, daß Raimund ihn in seiner privaten Kammer im ersten Geschoß des Palas anstatt in der Aula erwartete. Als sein Kämmerer und Truchseß gehörte er dem engsten Zirkel des Gefolges an und hatte Zutritt auch zu den wenigen intimen Bereichen des Herrn. Was ihn jedoch erstaunte, war die Anwesenheit des Besuchs in der Kammer.

Der Frühsommer hatte nach dem langen Regiment des Winters mit warmen Sonnentagen Einzug gehalten, und die Truhen, auf denen Philipps Herr und sein Gast saßen, waren vom leise flackernden Kaminfeuer weggerückt. Die beiden Männer hatten sich direkt unter die Fensteröffnung gesetzt, die durch einen Rundbogen den Blick ins Freie erlaubte. Die Sonne sickerte durch die Öffnung in den Raum, ein breiter Strahl aus Licht und Wärme, der sich im räucherigen Halbdunkel des übrigen Raums deutlich abzeichnete und um die Gestalten der beiden Männer einen gleißenden Lichtsaum wob. Philipp, der von der Helle draußen gekommen war, kniff die Augen zusammen und blieb hinter dem Vorhang stehen, der die Kammer des Herrn vom Saal trennte. Er hustete höflich.

»Philipp«, sagte Raimund, »komm näher; wir haben etwas mit dir zu besprechen.«

Philipp trat in die Kammer und wusch sich die Hände in der Schüssel, die gleich hinter dem Eingang stand. Dann schritt er zu den beiden Truhen und neigte den Kopf. Der Besucher nickte ihm zu. Er ‘mochte etwa das Alter von Philipps Herrn haben; die strenge Mönchsfrisur ließ ihn älter erscheinen, aber seine Haut war frisch und die Augen hell und lebendig. Um die Nasenwurzel und in seinen Augenwinkeln saßen Runzeln, als habe er sein Leben damit zugebracht, etwas mit mißtrauischer Miene zu mustern. Er betrachtete Philipp mit einer hochgezogenen Braue und einem breiten Lächeln. Seine Hände, glitzernd im Sonnenlicht vor Brillanten, lagen auf seinen Schenkeln. Der hochgewachsene Körper ruhte in sich selbst und in der Gewißheit der Machtfülle, die seine Haltung ausdrückte. Es bedurfte nicht mehr des teuren Purpurmantels, der neben ihm auf der Truhe lag, oder des schwarzen Rocks mit silbergefaßten Säumen, um zu zeigen, daß der Besucher ein Mann war, der im allgemeinen erhielt, was er begehrte.

Raimund sagte: »Philipp, dies ist Kardinal Giovanni da Uzzano aus Florenz, ein sehr guter Freund aus den Zeiten des Pilgerzugs ins Heilige Land«, und Philipp beugte das Knie und empfing einen Segen aus der mit schweren Ringen gepanzerten Hand. Er blieb mit gesenktem Haupt auf dem Boden knien, bis der Kardinal ihn aufforderte, wieder aufzustehen.

»Dein Herr hat mir viel Gutes über dich berichtet, mein Sohn«, sagte der Kardinal mit einem schweren Akzent, der ob seiner sonstigen vollkommenen Erscheinung erstaunlich wirkte; hinter jeder Wortendung schien ér noch einen Vokal anzuhängen, als versuche er unbewußt, die südliche Wortmelodie in die harte nordische Sprache zu bringen. »Du wirst mir – und der Kirche – einen sehr guten Dienst erweisen können.«

Philipp senkte die Brauen, um das mißtrauische Funkeln in seinen Augen zu verbergen. Der Kirche zu dienen bedeutete in seinen Augen, die Kutte zu tragen und Mitgliedschaft in einer Gemeinschaft zu heucheln, die ihn schon in seiner Novizenzeit nicht aufgenommen hatte. Es war kein Bild, das freundliche Gefühle in ihm weckte. Er wußte außerdem, daß er das Begehren des Kardinals kaum würde ablehnen können, da es in Raimunds Gegenwart und mit dessen Billigung ausgesprochen worden war. Er senkte den Kopf und trat von einem Fuß auf den anderen, ohne etwas zu erwidern.

»Was weißt du von den Zügen ins Heilige Land?« fragte der Kardinal.

»Was man so weiß«, brummte Philipp. »Kaiser Frederico hat sein Heer vor die Tore Jerusalems geführt und es erobert, ohne einen Tropfen Christenblutes zu vergießen. Und das, obwohl sich die Christen in Palästina und sogar«, er überlegte, ob er weitersprechen sollte, aber er sprach nur das aus, was sein Herr ihm erzählt hatte, »der Heilige Vater gegen ihn stellten.«

»Ach, ach«, seufzte der Kardinal, »das ist die übliche grobe Verallgemeinerung. Nun, die Christenheit hat insgesamt sechs Züge ins Heilige Land durchgeführt, wovon allerdings zwei die närrischen Unternehmungen irregeleiteter Kinder waren, die auf ihrem Weg entweder von Wölfen gefressen oder in die Sklaverei verkauft wurden. Die anderen vier waren mehr oder weniger erfolgreich, haben es aber nicht vermocht, die Heilige Stadt Jerusalem, das Zentrum der Welt, der Christenheit auf Dauer zu sichern. Das hat auch der Zug des Ketzers Frederico nicht vermocht; aber sein Unternehmen ist das einzige, das von einem absolut schändlichen Friedensschluß mit dem Sultan von Ägypten gekrönt wurde – einem Erzheiden, der das Blut der Christen aus ihren Hirnschalen trank und dessen Hurenhofhaltung der Ketzer auch noch übernommen hat.

Das muß man berücksichtigen, wenn man davon spricht, daß der Heilige Vater diesen Pilgerzug nicht anerkannte.« »Was in letzter Konsequenz den Aufstand der Palästina-Christen, einen Krieg in ganz Vorderasien, die Plünderung Jerusalems, das der Kaiser in seinem Vertrag friedlich erhalten hatte, und den Fall der Heiligen Stadt an die türkischen Heiden zur Folge hatte«, sagte Raimund und gönnte dem Kardinal ein spöttisches Lächeln. Der Kardinal antwortete mit einem Blick aus dem Augenwinkel und grinste dann breit, als habe er mit seinen Ausführungen nur einer lästigen Pflicht genügt und wäre nun wieder der Privatmann, der sich eine eigene Meinung erlaubte. Sein Schulterzucken wirkte, als wollte er sagen: So etwas passiert, wenn man die Sache Anfängern überläßt. Du und ich, wir hätten die Geschichte anders zu Ende gebracht. Er wandte sich wieder an Philipp. »Dein Herr und ich, wir haben den Ketzerkaiser auf dem Pilgerzug begleitet und sowohl die Weigerung der Christen in Palästina, sein Heer zu verstärken, als auch die darauffolgenden Verhandlungen mit dem Sultan al-Kamil erlebt. Zugegeben, ohne Fredericos Erfolg bei den Verhandlungen wären wir alle miteinander unter den Schwertern der Heiden umgekommen. Aber die meisten von uns«, und er ließ den Satz einen Augenblick in der Luft hängen, so daß man sich fragen konnte, ob er und Philipps Herr zu diesen meisten gehört hatten oder zu einer andersdenkenden Minderheit, »die meisten von uns hätten den Tod im Krieg gegen die Heiden dieser schändlichen Rückkehr vorgezogen. Und es gibt einige, die dieser unselige Zug zudem noch persönlich ins Unglück gestürzt hat. Hier in der Nähe lebt einer jener ehrbaren Männer, denen daraus nur Böses erwachsen ist, und es ist unsere Pflicht, ihm zu helfen.«

»Der Mann hat aber Geduld«, bemerkte Philipp. »Der Zug gegen die Heiden ist fünfzehn Jahre her.«

»Gottes Mühlen mahlen langsam«, erklärte der Kardinal unbewegt. »Und du sollst Gottes Müller sein.«

»Ich fühle mich geehrt«, sagte Philipp mit ebenso unbewegtem Gesicht. Er wandte sich an seinen Herrn. »Kennt Ihr den Mann, oder kenne ich ihn? Wenn er wohlhabend ist, sollten wir seinen Namen zumindest gehört haben.«

Philipps Herr schüttelte den Kopf. »Mir persönlich sagt der Name nichts: Radolf Vacillarius.«

»Er ist auch nicht sehr wohlhabend, fürchte ich«, seufzte der Kardinal. »Weder an Vermögen noch an Verbündeten.«

Raimund zuckte mit den Schultern. »Ich kenne den Besitz. Bisher dachte ich allerdings, es sei ein Lehen des Herzogs, aber Giovanni hat mich eines Besseren belehrt.«

»Es gehörte bis vor gut zwanzig Jahren zum Herzogtum Niederlothringen«, erklärte der Kardinal. »Damals hat der Herzog es mit dem Bischof von Köln gegen ein anderes Stück Land eingetauscht. Der Besitz beinhaltet ein Dorf mit dessen Feldern, einen Anteil an einem dichten Wald und Anteile an einer Erzmine im Nordosten Kölns. Ein befestigtes Haus steht darauf, in dem Radolf wohnt – zum Bau einer Burg erteilte der König nie die Erlaubnis.«

Der Kardinal schwieg, als erachte er die restlichen Details der Besitzverhältnisse für nicht erwähnenswert. Nach einer Weile räusperte sich Philipp und fragte: »Was genau erwartet Ihr von mir, Exzellenz?«

»Es ist recht einfach. Bei der Hochzeit Herrn Radolfs mit seinem Weib gingen Teile ihrer Ansprüche an den Erzvorkommen, die ihrer Familie gehörten, als Mitgift an Herrn Radolf über. Während seiner Abwesenheit im Heiligen Land nützte die Familie seines Weibes die Gelegenheit, diese Mitgift für nichtig erklären zu lassen. Da das Land, welches zu seinem Besitz gehört, nicht besonders fruchtbar ist und auch keine große Ausdehnung besitzt, versiegte damit die einzige nennenswerte Einkommensquelle Radolfs. Wäre er nicht jenem unseligen Zug zum Heiligen Land gefolgt, hätte ihn die Familie seines Weibes niemals übervorteilen können.«

»Er hätte nach seiner Rückkehr Einspruch gegen die Besitzansprüche erheben können«, sagte Philipp. Der Kardinal lächelte.

»Herr Radolf war an Körper und Seele krank, als er zurückkam; ein Wrack, das sein Gesinde und seine Familie kaum erkannten. Es dauerte lange, bis er sich erholt hatte und soweit war, den Kampf gegen die Betrüger aufzunehmen.«

»Sicherlich nicht so lange, als daß sich seine Rechtsansprüche nicht mehr hätten nachvollziehen lassen«, widersprach Philipp hartnäckig. Sein Herr hob eine Augenbraue, aber er schmunzelte.

Der Kardinal seufzte und machte ein bedauerndes Geräusch mit der Zunge.

»Liebe«, sagte er und verdrehte die Augen. »Soweit man es mir erzählt hat, hat Herr Radolf während des Kreuzzugs nicht den wohlfeilen Weibern nachgestellt, die dem Heerzug folgten, sondern Gedichte für sein Weib verfaßt.« Er lächelte kalt. »Man mag ihn einen Narren heißen, der die Ehe mit der Liebe verwechselt, aber es ist nun einmal passiert; und Radolf war ein zu treuer Diener des Kreuzes und wackerer Krieger, als daß man es zulassen dürfte, daß sein kleiner Charakterfehler sich derartig rächt.«

Raimund lachte und sagte: »Ist es nicht die Absicht der Kirche, daß in einer Ehe die Liebe aus der Pflicht erwachsen soll?«

»Die Liebe«, rief der Kardinal und warf beide Arme in die Luft, »aber doch nicht die Blindheit.« Er wandte sich wieder Philipp zu und fuhr fort: »Aus Liebe zu seinem Weib hat Herr Radolf keine rechtlichen Schritte gegen ihre Familie unternommen. Er hat wohl versucht, sich gütlich mit ihnen zu einigen, letztlich jedoch nichts erreicht. Ich glaube, er hat auch darauf gewartet, daß ihm ein männlicher Erbe beschert würde; ohne ihm zu nahe treten zu wollen, schätze ich ihn doch so ein, daß ihm ohne einen Sohn der rechte Antrieb dazu fehlte, um für sein Recht und das Erbrecht seiner Nachfahren zu streiten. Wie dem auch sei, sein Weib ist letzten Winter heimgerufen worden, und nun hat er sich aufgerafft und mich gebeten, wenigstens zu Gunsten seiner Tochter Recht zu schaffen.«

»Die Tochter kann nur mit Zustimmung des Lehnsherrn in die Erbfolge eintreten.«

»Das ist das zweite Problem. Das erste ist, den richtigen Umfang des Erbes wiederherzustellen.« »Das erste Problem ist auch weitaus größer«, sagte Philipp. »Wenn Radolf keine Verbündeten hat, wird er schwerlich sechs Standesgenossen finden, die seinen Besitzanspruch mit einem Schwur bekräftigen. Und wenn die Frau nicht mehr am Leben ist, dann existiert auch kein Zeuge mehr, der zugunsten Herrn Radolfs aussagt.«

Der Kardinal nickte schwer und warf Philipps Herrn einen Blick zu, der eine gewisse Achtung ausdrückte; oder war es Genugtuung? Philipp, sonst für ausgesprochenes und auch unausgesprochenes Lob empfänglich, hatte plötzlich das entwürdigende Gefühl, ein Kunststück vollbracht zu haben, das man von ihm erwartete. Er biß sich auf die Zunge, um nicht eine unpassende Bemerkung zu machen. »Die Aussage eines Weibes hätte natürlich kaum irgendeine Bedeutung«, sagte der Kardinal, »zumindest nicht in rechtlicher Hinsicht. Da sie jedoch gegen die Interessen ihrer eigenen Familie gerichtet gewesen wäre, hätte sie den Ansprüchen Radolfs zumindest mehr Gewicht verliehen.«

»Und nun ...«, sagte Philipp.

»Und nun ...«, sagte der Kardinal.

»... wird es sehr schwer sein, ohne schriftliche Beweise der Mitgift die Behauptungen des Herrn Radolf zu stützen«, vollendete Philipp zwischen den Zähnen. Giovanni da Uzzano hob beide Augenbrauen und lächelte zufrieden. Er wartete darauf, daß Philipp aussprach, was er ihm schon in den Mund gelegt hatte.

»In diesem Fall«, seufzte Philipp und erlaubte sich ein humorloses Grinsen, »wäre es geraten, wenn sich doch wundersamerweise Schriftstücke zu Gunsten Radolfs finden würden.«

»Meinst du, es wäre dir möglich, ein solches Wunder zu erbringen und entsprechende Schriftstücke zu ... finden?« fragte der Kardinal.

»Wenn man mir genügend Zeit für die Suche läßt...«, erwiderte Philipp gedehnt.

»Ich sehe, du hast verstanden«, sagte der Kardinal. »Du wirst Zeit bekommen; nicht allzuviel, denn Radolf ist ungeduldig, aber ich bin überzeugt, du wirst damit zurechtkommen. Die Dokumente müssen nur auf den ersten Augenschein überzeugen, da ich davon ausgehe, daß die Dokumente der Gegenpartei auch nur auf den ersten Blick überzeugend wirken und sie es kaum auf eine eingehende Prüfung ankommen lassen werden. Wenn doch, kann ich deine Schriftstücke mit einigen Gutachten stützen, die von ehrlichen Mönchen verfaßt werden. Deine Arbeit sollte allerdings so gut sein, daß sie damit echt wirkt, denn weitere Unterstützung kann ich nicht bieten. Ich will nicht, daß ich selbst mit dieser Geschichte in Verbindung gebracht werde. Wenn du also schlampige Arbeit lieferst, die nicht standhält, wird die Strafe in erster Linie dich und Radolf treffen.«

»Ich glaube, Ihr braucht meinen Truchseß nicht zu ängstigen«, sagte Raimund und schien zum erstenmal unwillig. Der Kardinal beugte den Kopf und lächelte friedlich.

»Natürlich nicht«, erklärte er.

»Ich habe Euch voll und ganz verstanden, Exzellenz«, sagte Philipp.

»Dann kann ich mich auf dich verlassen?«

»Selbstverständlich, Exzellenz.«

Giovanni da Uzzano wandte sich an Philipps Herrn und strahlte.

»Euer Truchseß ist ein verständiger Bursche; wie schön, daß der Herr auch einem Mann aus dem Volk ein funktionierendes Gehirn gegeben hat. Ich habe weiß Gott dümmere Männer gesehen, die ihrem Namen einen Titel voransetzen konnten. Jener da würde auch dem Sohn eines Ritters alle Ehre machen.«

Philipp schwieg zu der Lobrede des Kardinals. Er schwieg auch zu der Erklärung, die er aufgetischt hatte; er glaubte sie nicht. Er glaubte vielmehr, daß Giovanni da Uzzano aus Gründen, die er nicht nennen wollte, dem verarmten Herrn Radolf Vacillarius einen Gefallen tun wollte und diesen dürftig zu tarnen versuchte. Was kann einen Mann wie den Kardinal dazu bringen, jemandem zu Hilfe zu eilen? Eine nicht unerhebliche Bestechungssumme, dachte Philipp; vielleichthat Radolf sich bereiterklärt, ein Testament zu verfassen, das seine Ausbeutungsrechte an den Erzvorkommen der Kirche überschreibt. Wenn es sich lohnt, darum zu streiten, lohnt es sicherlich auch als Mittel einer Bestechung, die einem alten Pilgerfahrer ein angenehmes Alter ermöglicht – und zum Teufel mit der einzigen Tochter, oder besser: ins Kloster mit ihr.

»Das Beste wird sein, du begibst dich zu Herrn Radolf, sobald du kannst, und besprichst dein Vorgehen mit ihm. Ich werde dir ein Sendschreiben mitgeben, das dich legitimiert. Sicherlich kann er dir wertvolle Hinweise geben, wo du ... nun, suchen mußt.« Der Kardinal grinste, als würde ihn die kleine Scharade köstlich amüsieren. Philipp verzog mühsam das Gesicht.

»Könnt Ihr mich entbehren, Herr?« fragte er.

»Ich denke, es wird mir schon gelingen, ohne deine Hilfe die Vorräte zu verschwenden, die du im Speicher und im Vorratskeller aufbewahrst«, sagte Raimund lachend. »Philipp glaubt immer, meine Großzügigkeit bremsen zu müssen. Er hat mir sogar einen Ausgabenplan aufgestellt wie ein Mönch im Kloster.«

»Großzügigkeit schafft Freunde, und die Macht wächst mit der Bereitschaft zu geben«, sagte der Kardinal zu Philipp. »Ein Herr hat besser Schulden und viele Gefährten als ein Vermögen ganz für sich allein.«

»Seine Schulden muß er sich erst mal leisten können«, begann Philipp. Raimund legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Wenn ich großzügig sein kann, dann verdanke ich das Philipps Umsicht«, sagte er. »Möchtet Ihr Euch nach dem Ritt aus der Stadt ein wenig frisch machen, Giovanni? Philipp wird für den Abend ein Essen zubereiten lassen; ich habe auch ein paar meiner Gefährten eingeladen. Und laß die Tische und Bänke nach draußen tragen; es ist warm genug, um im Freien zu essen.«

Philipp nickte, während der Kardinal aufstand und seinen Mantel zusammenraffte.

»Wie lange wollt Ihr bleiben, Giovanni?« fragte Philipps Herr. »Wenn Ihr zwei Tage Zeit habt, kann ich die edlen Herren der Umgebung zu einem größeren Abendmahl einladen.«

»Diese Zeit habe ich nicht, so gerne ich auch Eure Gastfreundschaft mißbrauchen würde. Ich werde morgen wieder aufbrechen. Macht meinetwegen keine großen Umstände.« Der Kardinal bedachte Philipp mit einem Lächeln. »Wir könnten zusammen reiten; zumindest bis nach Köln«, schlug er vor. »Radolfs Besitz liegt weit jenseits der Stadt, zwischen der Sülz und der Agger.« Seine Zunge sträubte sich ein wenig bei den für ihn fremden Namen. »Ich werde dir den Weg noch genauer erläutern.«

»Ich war erst gestern in der Stadt«, sagte Philipp, wenig begeistert. »Ist es so eilig mit meinem Aufbruch?« Er warf Raimund einen kurzen Blick zu.

Dem Kardinal war der Blick nicht entgangen. Anstatt Philipp zu antworten, wandte er sich zu dessen Herrn um und sagte achselzuckend: »Der Mann hat schon sehr lange gewartet, nicht wahr? Einmal sollte mit der Warterei Schluß sein.«

»Ich habe schon verstanden«, seufzte Philipp. »Es gibt ohnehin noch einige Dinge, die zu erledigen sind; es waren gestern nicht alle Händler eingetroffen, mit denen ich Geschäfte abgeschlossen hatte.«

Raimund nickte, und Giovanni breitete die Arme aus wie jemand, der sich freut, daß die besseren Argumente eine Diskussion entschieden haben. Philipp rief den Kammerdiener und trug ihm auf, für den Kardinal ein Bad zu bereiten. Während Giovanni da Uzzano dem Diener nach draußen folgte, schob Philipp die Truhen wieder vor das Feuer. Sein Herr stand vor dem Fenster und blickte nachdenklich nach draußen. Philipp wußte, daß er ihm noch etwas mitzuteilen hatte; er richtete sich auf und blieb mitten im Raum stehen.

»Was hältst du davon?« fragte Raimund, ohne sich zu ihm umzuwenden.

Philipp setzte seine Worte vorsichtig; es hatte kaum eine Gelegenheit gegeben, bei der er mit seinem Herrn nicht einer Meinung gewesen wäre, und die Situation war ungewohnt für ihn.

»Ich wollte, Ihr hättet einen anderen für des Kardinals kleine Fingerübung gefunden«, sagte er schließlich. »Ich habe nicht unbedingt schreiben gelernt, um Urkunden zu fälschen.«

»Was hast du gegen Giovannis Auftrag?«

»Es ist nicht rechtens, was ich für ihn tun soll.«

»Du hast auch für mich schon ähnliches getan, erinnerst du dich?«

»Das war etwas anderes. Ihr wolltet verhindern, daß eine Handvoll rechtschaffener Bauern unter den Einfluß eines nichtsnutzigen Grundherrn geriet.«

»Vielleicht wundert es dich, daß ich Giovanni einen Gefallen tun will?«

»Das auch. Bisher habt Ihr Euch immer neutral verhalten – was meines Erachtens Euer Ansehen in beiden Lagern nur erhöht hat. Sie lassen Euch beide in Ruhe, nur um zu verhindern, daß Ihr Euch auf die Seite des anderen schlagt.«

»Es geht mir nicht um die Kirche. Es geht mir darum, etwas für Giovanni zu tun – einen sehr teuren Freund. Tatsächlich ist es sogar so, daß ich dich vorgeschlagen habe.« »Weshalb?«

Raimund wandte sich wieder ab und sah zum Fenster hinaus. Er verschränkte die Arme über dem Oberkörper und seufzte.

»Die Freundschaft zu Giovanni ist nicht der einzige Grund«, gestand er schließlich. »Ich kannte Katharina, Radolfs Weib. Ich kannte sie besser als manch andere Frau, und ich ... Ich wußte weder, wen sie geheiratet hatte, noch war mir Radolfs Name bekannt, als ich ihn hörte. Ich wußte nicht einmal, daß sie sich in meiner Nähe befand, bis Giovanni mir die Sachlage erklärte und ihren Namen nannte. Vollkommen aus den Augen verloren; aus den Augen, aber niemals aus dem Herzen ... Nur durch ihren Tod zu erfahren, daß sie ein ganzes Leben lang lediglich zwei Tagesreisen entfernt lebte ...«, Raimund schüttelte den Kopf und schwieg.

»Es tut mir leid, Herr«, sagte Philipp betreten und fühlte sich so idiotisch wie jemand, der sich bei einem Schwerverletzten über einen Splitter in seinem Finger beklagt hat.

»Es war nicht Gottes Wille, daß aus uns ein Paar wurde«, sagte Raimund. »Es ist mir jedoch ein Trost zu hören, daß Radolf sie liebte – allen zynischen Worten Giovannis zum Trotz. Ich kann ihn sogar verstehen; ein Leben des öffentlichen Zölibats und der heimlichen Mätressen läßt einen Mann die Liebe sicher mit anderen Augen sehen ... Nun ist wenigstens die Gelegenheit da, Katharinas Mann und ihrer Tochter zu helfen. Und ich wollte, daß du derjenige bist, aus dessen Händen diese Hilfe kommt.«

»Ich werde mein Bestes tun, Herr.«

»Vielleicht denkst du, daß es einem Mann, der eine eigene Familie besaß und sie an den Tod verloren hat, nicht gut ansteht, der Erinnerung an eine Frau nachzuhängen, die nicht einmal die seine war. Ich jedoch bin dankbar für diese Erinnerung. Als meine Frau und meine Söhne noch lebten, war sie etwas, das meine Liebe zu meiner Familie noch vertiefte; und nachdem sie tot waren, hatte ich wenigstens eine gute Erinnerung, die ich der bösen entgegensetzen konnte.«

Philipp schwieg. Er fühlte sich unbehaglich, wenn jemand sein Herz vor ihm öffnete; und wenn es sein Herr war, zu dem er aufsah, fühlte er sich noch unbehaglicher als sonst. Raimund wandte sich endgültig von der Fensteröffnung ab und kam durch den kleinen Raum auf ihn zu. Er sah ihm ernst ins Gesicht.

»Ich möchte, daß du auf dich achtgibst, Philipp«, sagte er. »Ich habe dich zwar in die Geschichte verwickelt, aber ich will nicht, daß du an ihr Schaden nimmst.«

»Ich habe schon schwierigere Dinge gemeistert«, erklärte Philipp und rang sich ein breites Lächeln ab.

»Ich weiß, daß du deine Sache gut machen wirst; im Kloster gehörtest du zu den besten Schreibern und Kopisten. Ungeachtet dessen hatte Giovanni nicht ganz unrecht mit seinen Unkenrufen.« Er machte eine unbestimmte Handbewegung zum Fenster hinaus. »Die Sache scheint ihm zwar wichtig zu sein; wichtig genug, um dafür dem Konzil fernzubleiben, das der Papst seit gestern in Lyon einberufen hat. Aber dennoch wird er die Verantwortung nicht auf sich nehmen, wenn etwas schiefgeht.« »Mir ist klar, daß ich auf einem dünnen Ast sitze.«

»Ja. Und du weißt auch, was für dich auf dem Spiel stehen kann. Erinnere dich an den Gerichtsfall bei Graf Till letztes Jahr, bei dem es ebenfalls um die unrechtmäßige Aneignung von Besitztümern ging. Ich trug das rote Richtergewand, und du hast für mich geschrieben.«

»Ihr meint den Fall, bei dem ein Freisasse die Grenzmarkierung seines Nachbarn versetzt hatte.«

»Richtig. Wenn ein Mann sich das Land oder die Besitztümer eines anderen Mannes aneignet, der nicht zu seiner Herrschaft oder seiner Familie gehört, muß die öffentliche Ordnung angerufen werden: Der Fall kann nicht mehr in der eigenen Gerichtsbarkeit verbleiben. In der vorliegenden Geschichte ist es ebenso: Radolf will sich das durch Urkunden – ob sie nun gefälscht sind oder nicht – festgeschriebene Recht auf die Erzmine der Familie seiner Frau aneignen, und das überschreitet die Gerichtsbarkeit seines Lehnsherrn, also der Kirche – oder Giovanni da Uzzanos, wenn du so willst. Er kann weder ihn noch dich decken, selbst wenn er wollte.«

»Der Freisasse wurde lebendig begraben«, sagte Philipp mit trockenem Mund. »Und danach sein Herz mit dem Pflug entzweigeschnitten.«

»Ein durchaus gewöhnliches Urteil«, erwiderte Raimund. Er wandte sich ab und sah wieder zum Fenster hinaus. Philipp schickte sich an, den Raum zu verlassen, da hob Raimund noch einmal seine Stimme. Er sprach zum Fenster hinaus, als ob das, was er sagte, gefährlich sei und er es nicht innerhalb seiner eigenen Wände haben wollte.

»Dieses Konzil zu Lyon«, sagte er, »wird nicht das Ergebnis bringen, auf das alle hoffen. Der Kaiser hat sich in allen Fragen, in denen er und Papst Innozenz sich bekämpfen, unterworfen. Viele sagen, er hat es aus Müdigkeit getan, etliche, weil ihm der Friede mittlerweile als das höchste Gut erscheine, und ein paar sagen auch, es sei reine Taktik, um den Papst ins Unrecht zu setzen. Jedenfalls sieht es so aus, als bliebe Innozenz nichts anderes übrig, als den Bann über dem Kaiser aufzuheben und dies auf dem Konzil zu verkünden. Das ist es, was alle erwarten. Das ist nicht, was ich erwarte.«

»Was erwartet Ihr denn?«

»Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß wir an der Schwelle zu schlimmeren Zeiten stehen, als wir sie bisher erlebt haben. Der Papst hat sich mit dem Konzilsaufruf in Zugzwang gebracht. Er muß etwas tun. Wenn er den Bann nicht löst, gibt es nur einen anderen Weg: Er setzt den Kaiser ab.«

»Er setzt ihn ab?« wiederholte Philipp.

»Und öffnet damit dem Chaos Tür und Tor; es sei denn, er hat etwas in der Hinterhand, mit dem er ein für allemal seinen Machtanspruch untermauern kann. Ansonsten wird er das Reich und damit die gesamte Christenheit in einen endlosen Bruderkrieg stürzen. Die Allianzen unter den Fürsten werden heute nur durch zwei Dinge zusammengehalten: die Päpstlichen eint der Haß auf den Kaiser, die Kaiserlichen der Haß auf den Papst. Wenn Innozenz den Päpstlichen ihren Fixpunkt wegnimmt, werden sie sich über kurz oder lang ihrer eigenen Zwiste erinnern und übereinander herfallen. Und die Kaiserlichen, denen er den Führer genommen hat, werden auf die einschlagen, die das überlebt haben.«

»Aber die Christenheit kann nicht ohne ihr Oberhaupt sein – noch dazu jetzt. Ich habe gehört, daß Bischof Otto von Freising geschrieben hat, das Jüngste Gericht sei bald zu erwarten. In ein paar Städten ist schon die Tanzwut ausgebrochen, wie damals in Judäa, bevor der Erlöser geboren wurde. Die Menschen glauben, der Anbruch einer neuen Zeit stehe bevor.«

»Ja«, sagte Raimund und nickte schwer. Sein Blick ging noch immer zum Fenster hinaus. »Und das Ende von allem, woran wir geglaubt haben.«

Während Philipp sich mit der Organisation des Abendmahls beschäftigte, trafen Raimunds Gefährten mit den Boten ein, die ihnen die Einladungen überbracht hatten. Einer der Boten war auf Thomas, den Kaplan des Gutes gestoßen, der sich auf dem Rückweg von einem der kleinen Weiler befand, auf denen sich kein eigener Priester aufhielt, und hatte ihn auf seinem Pferd zurücktransportiert. Philipp hatte keinerlei persönliche Beziehungen zu den Lehnsrittern seines Herrn, die ihn als dessen rechte Hand akzeptierten, es sich jedoch anmerken ließen, daß sie ihn für einen Gemeinen hielten. Mit dem Kaplan allerdings verband ihn eine gegenseitige Achtung, die nicht nur aus der Tatsache resultierte, daß Thomas und er die gleiche klösterliche Vergangenheit besaßen. Philipp fühlte sich von der konsequenten Ernsthaftigkeit angezogen, mit welcher der Kaplan seine Aufgaben erfüllte, während Thomas wiederum die scheinbare Leichtigkeit bewunderte, die Philipp ausstrahlte. Der Kaplan kam den Weg zum Palas hochgeritten, auf der Hinterhand des Pferdes auf und ab geworfen und sich mit einem schmerzlich verzogenen Gesicht am Wams seines Vordermannes festkrallend, während er zugleich versuchte, mit der anderen Hand die anstößige Nacktheit seiner Beine zu bedecken, die seine hochgerutschte Kutte freigab. Er ließ sich vom Pferd gleiten, schüttelte seine langen Gliedmaßen, fragte Philipp, welcher Ehre sie den Besuch eines Kardinals zu verdanken hätten, erhielt zur Antwort, dieser wäre auf der Suche nach einem neuen Papst und daß der Kaplan eine reelle Chance gehabt hätte, wenn er nicht halbnackt in der Gegend herumgeritten wäre, und eilte lachend ins Haus, um den Besuch zu begrüßen.

Die Dämmerung brach bereits herein, als das Essen auf die neben dem Eingang zum Palas aufgebauten Tische und Bänke gestellt wurde: Wein, gebratene Fische mit gebackenem Obst, eine Handvoll Drosseln aus einem der Fangnetze, weißes Brot und klumpige Kuchen mit Rosinen. Es war ein einfaches Mahl, da es an der Zeit gefehlt hatte, Fleisch zu beschaffen, Teigwaren vorzubereiten oder auch nur einen Musikanten zu finden und auf das Gut zu bringen. Dennoch schien es dem Kardinal zu munden. Er teilte seinen Becher freizügig mit Philipps Herrn und gab auch das Messer, das Philipp ausschließlich für ihn gedacht hatte, weiter. Er überbot Raimund in Erzählungen, welche Abenteuer sie auf dem Pilgerzug gemeistert hätten: die Seekrankheit, welche sie beide und fast das gesamte Heer auf der Überfahrt befiel und die den Kaiser so schlimm erwischte, daß er auf See wieder kehrtmachte und nach Hause fuhr (was ihm den Bannfluch des Papstes einbrachte); die Beschwerden am entgegengesetzten Körperende, welchen die Pilgerfahrer dann im Heiligen Land aufgrund des dortigen Essens ausgesetzt gewesen waren, während sie darauf warteten, daß der Kaiser genas und ihnen endlich nachfolgte; und nicht zuletzt die Nachstellungen der mannstollen Schönheiten, denen sie zu entkommen suchten (hier kreischten die Gattinnen der drei Ritter am lautesten). Kaplan Thomas, der an Philipps Seite am Herrentisch saß, hörte ihm lächelnd zu; schließlich wandte er sich an Philipp und sagte leise: »Ich habe noch selten einen Menschen gesehen, der so nervös war.«

»In der Stadt beginnen sie mit dem Schmuck des Doms«, erzählte eine der Gattinnen der Lehnsritter. »Der erste Pilgerstrom wird erwartet, der die Reliquien der Heiligen Drei Könige besuchen will. Werdet Ihr sie auch aufsuchen, Exzellenz?«

»Ich bedaure: eilige Geschäfte. Es ist eines der erhebendsten Erlebnisse, die Gebeine der drei Weisen zu sehen. Gesegnet die, welche das Glück haben.«

»Es kommt jedes Jahr zu Wunderheilungen«, sagte eine andere Dame mit wohligem Entzücken.

»Bei dem Reliquienreichtum, den die Kirchen der Stadt aufweisen, bin ich doch erstaunt, daß nirgendwo Überbleibsel von Kaiser Karl dem Großen enthalten sind«, konstatierte ihr Gatte. »Ich bin der Ansicht, man sollte etwas von ihm hier aufbewahren – Köln ist die größte Stadt in allen deutschen Herzogtümern und Karolus Magnus der größte Kaiser, der die Christenheit jemals führte.«

»Der größte Kaiser? Wer sagt denn so etwas?« fragte der Kardinal aufgeräumt.

»Man hört es allerorten. Am Hof des Kaisers wird wohl von nichts anderem gesprochen.« Der Ritter lächelte. »Nicht, daß ich selbst dort gewesen wäre.« Er erntete fröhliches Gelächter.

»Wer weiß, was alles in jenem Labyrinth dort unten in Apulien gesprochen wird, das der ...«, Giovanni da Uzzano machte eine deutliche Pause, »... Kaiser seinen Hof nennt.«

»Karl der Große ist sogar heiliggesprochen. Viele Menschen beten zu ihm.«

»Das ist er nicht«, erwiderte der Kardinal bestimmt. Alle Köpfe wandten sich ihm jetzt zu. Der Kardinal lächelte.

Raimund beobachtete die Szene mit undurchdringlichem Gesichtsausdruck.

»Kaiser Friedrich Rotbart hat ihn seinerzeit heiligsprechen lassen«, widersprach der Ritter, der das Gesprächsthema aufgebracht hatte. »Er hat einen Schrein anfertigen und die Gebeine umbetten lassen.«

»Und wer behauptet das nun wieder?«

»Ich kann Euch keinen Namen nennen«, erklärte der Ritter mit kaum verhohlener Ungeduld.

Der Kardinal schnaubte unwillig. Er überlegte einen Moment, dann setzte er sein Lächeln wieder auf und sagte: »Ihr wißt so gut wie ich, daß kein Kaiser einen Mann zum Heiligen machen kann; diese Macht besitzt einzig und allein der Papst in Rom!«

»Verzeiht, Exzellenz, aber es war ein Papst, der Karl heiliggesprochen hat.«

Der Kardinal lächelte noch immer, wie ein Vater auf seine Kinder herablächelt, die ihm eine intelligente Frage gestellt haben und dennoch vollkommen auf dem Holzweg sind. Er faltete gar die Hände.

»Ich will versuchen, die Geschichten, die überall herumerzählt werden, zu erläutern. Friedrich Rotbart hatte damals einen Papst eingesetzt, nachdem ihm der von Gott gesandte Stellvertreter Christi nicht mehr gefallen hatte. Ist das richtig?« Er wartete das Nicken der Gäste nicht ab, sondern fuhr fort: »Sollte es nun tatsächlich so sein, daß dieser Papst irgendeinen früheren Kaiser heiliggesprochen hat – was man bezweifeln darf, aber darüber will ich mich nicht auslassen -, sollte es also nun so sein, dann wäre die Heiligsprechung gleichwohl ungültig, da sie von einem Gegenpapst ausgesprochen wurde.«

»Karolus Magnus war nicht irgendein Kaiser«, sagte der Gesprächspartner des Kardinals. Sein Lächeln fiel entschieden angestrengter aus als das Giovanni da Uzzanos. »Er war der größte Führer der Christenheit. Er hat sich selbst zum Kaiser gekrönt und so bewiesen, daß kein Mensch auf Erden höher steht als er. Der Kaiser erhält seine Würde allein von Gott.«

Der Kardinal setzte zu einer Erwiderung an, doch Raimund kam ihm zuvor. Er klopfte scharf auf den Tisch und warf seinem Gefährten einen langen Blick zu. Dieser preßte die Lippen zusammen und sagte dann langsam: »Ich wollte Euch natürlich mit meinen Ausführungen nicht beleidigen, Exzellenz.«

»Vor allem wollen wir hier nicht den Streit zwischen dem Kaiser und dem Papst fortsetzen«, sagte Raimund deutlich. Giovanni da Uzzano legte ihm die Hand auf den Arm und lächelte wieder so entspannt wie eh und je. »Ich weiß, daß ihr Herren von den Geschichten um Karolus Magnus und seine Taten begeistert seid; das ist verzeihlich«, sagte er. »Seid jedoch versichert, daß sich viele Sagen um eine solche Person ranken, welche eher in den Bereich der Erfindung als der Überlieferung zu weisen sind; und daß andererseits vieles noch der Aufklärung harrt, was zu seinen Zeiten getan und gelassen wurde. Es sollte mich nicht wundern, wenn am Ende ein ganz anderer Mann dabei herauskäme.«

Die Gefährten Raimunds, durch dessen unzweideutige Worte gewarnt, zuckten nur mit den Schultern. Der Kardinal schien den Zwischenfall als unbedeutend abzutun. Er bat einen der Tischgenossen um das Messer und schnitt einem weiteren Fisch Kopf und Schwanzflossen ab. Während er das Fleisch vorsichtig von den Gräten schälte, fiel ihm eine Geschichte ein, in welcher die Kutte des seligen Abts des Klosters von Cluny, ein paar zu Scherzen aufgelegte Novizen und eine lebendige Bachforelle eine Rolle spielten. Als er sie mit seinem schweren Akzent und seiner davon ungeschmälerten Begabung für das Erzählen merkwürdiger Anekdoten beendet hatte, lachte selbst derjenige der Ritter, der sich die Diskussion mit ihm geliefert hatte. »Ich habe etwas Seltsames erlebt«, sagte Thomas in der danach entstehenden Gesprächspause zu Philipp. »Auf meiner Reise durch das Besitztum von Herrn Raimund bin ich auch in jenem Dorf gewesen, das im Norden direkt jenseits der Besitzgrenze auf dem Grund der Herren von Eller liegt. Ich wußte, daß der alte Mönch, den sie dort als Priester hatten, vor einiger Zeit verstorben war, und ich wollte nachsehen, ob sie geistlichen Beistands bedürften. Ich fand jedoch, daß dort ein neuer Priester saß, den der Bischof auf Bitte des Grafen eingesetzt hat.«

»Was ist daran seltsam?« erwiderte Philipp, der das Dorf flüchtig kannte. »Immerhin ist es eine größere Ansiedlung mit vielen Feldern drumherum. Sie haben dort eine eigene Kapelle; da können sie sich auch einen eigenen Priester halten.«

»Seltsam ist, was ich dort erlebt habe; es ist eine Geschichte, die mich beunruhigt und ...«

»Bruder Thomas«, rief Philipps Herr und machte ein amüsiertes Gesicht, als der Kaplan zusammenzuckte und herumfuhr, »was hast du da mit Philipp zu flüstern? Erzählst du ihm die Beichtgeheimnisse der Bauernmädchen?«

»Es ist leider keine Geschichte, bei der man lachen könnte«, entgegnete Thomas ernst. Philipp hob den Kopf. Hatte er den Worten bislang nur mit halben Ohr gelauscht, so horchte er nun auf. Er sah, wie Raimund die Augen zusammenkniff, der Kardinal, an dem die Worte des Kaplans vorbeigegangen sein mußten, beschäftigte sich hingegen mit den Resten seines Fischs und schien für kurze Zeit geistesabwesend.

»Ich habe eine Frau gesehen, die man für drei Tage und drei Nächte zum Pfahl verurteilt hat«, sagte Thomas langsam. Die Gefolgsmänner des Herrn blickten auf, während ihre Frauen keine große Neugierde an den Tag legten; sie zupften an ihren Gewändern herum und warteten darauf, daß sich das Gespräch wieder Dingen zuwenden würde, bei denen sie mitreden konnten.

»Wo?« fragte einer der Ritter scharf.

»Auf dem Besitz der Herren von Eller; beruhigt Euch, meine Herren, niemand hat Euch Eure Gerichtsbarkeit streitig gemacht.«

»Wenn das der Fall ist, dann weiß ich nicht, was du daran so bemerkenswert findest«, sagte Raimund.

»Es ist die Begründung für das Urteil. Im Regelfall ist der Schandpfahl die Strafe für üble Nachrede, Verleumdung der Nachbarn, böse Worte gegen den Herrn oder für Gotteslästerung«, erklärte der Kaplan. »In diesem Fall jedoch hängt das Urteil mit einem Gottesgericht zusammen, das von einem Priester einberufen wurde. Die Frau hat von einem durchziehenden Händler erzählt, der ihr angeblich von Geißlern im Land und vom nahen Kommen des Herrn berichtete. Dafür hat der Priester sie als Ketzerin hingestellt, ihr eine eiserne Maske aufsetzen lassen, damit sie nicht sprechen kann, und wartet darauf, daß Gott sie während dieser drei Tage und drei Nächte niederstreckt oder ihre Unschuld beweist.«

Die Herren und Damen zuckten mit den Schultern, es war ihnen deutlich anzusehen, daß sie der Empörung des Kaplans nicht recht zu folgen vermochten. Allein auf den Kardinal schien die Schilderung Eindruck zu machen: In die ungewisse Stille, die nach der Rede des Kaplans folgte, polterte sein Messer auf den Tisch. Er starrte Thomas mit gesträubten Augenbrauen an. Der Kaplan sah ihm ins Gesicht; der Kardinal erwiderte den Blick mit blitzenden Augen. Sein Mund war nur eine dünne, weiße Linie.

Thomas sagte: »Die gerichtliche Untersuchung der Ketzerei ist allein dem Bischof vorbehalten; die Bestrafung oder die Einberufung eines Gottesgerichts obliegt der weltlichen Gerichtsbarkeit, und es ist dazu ein ordentliches Inquisitionsgericht mit Notaren und Gerichtsdienern vonnöten – ganz abgesehen von der Tatsache, daß Kaiser Frederico nichts von Gottesgerichten hält und sie verboten hat. Statt dessen wurde ein Dorfgericht eingesetzt, und da sich keinerlei Zeugen für ihre Schuld fanden, das Gottesurteil angerufen. Was hier aber als Gottesurteil hingestellt wird, ist für mich Folter, und ich frage Euch in aller Demut, Exzellenz: Wenn selbst die päpstliche Inquisition in den letzten zwanzig Jahren ohne sie ausgekommen ist, darf sie dann von einem Dorfpriester angemaßt werden, und wenn er noch so sehr vom Glauben an die Richtigkeit seines Tuns durchdrungen ist? Die Verurteilte wurde am Pflock angebunden und muß dort die ganze Zeit ohne Schutz vor der Witterung ausharren.«

Der Kardinal erhob sich langsam. Seine Augen hatten das überraschte Funkeln verloren und schienen jetzt durch die Versammelten hindurchzublicken. Zwischen seinen Brauen stand eine Falte.

»Wer hat diese Geschichte von den Geißlern erzählt?« fragte er.

»Ein fahrender Händler.«

»Ist es eine große Gruppe, oder sind es nur wenige?«

»Ich weiß es nicht«, erwiderte der Kaplan befremdet.

»Und du weißt auch nicht, wo sie sich befinden?«

Thomas zuckte mit den Schultern und starrte den Kardinal an, als hätte er Mühe, seine Worte zu verstehen. Philipp blickte zu Boden; das überraschte Nichtbegreifen des Kaplans tat ihm beinahe weh.

»Ein durchziehender Händler, der von Dorf zu Dorf wandert, ist zu finden«, murmelte der Kardinal. Plötzlich fuhr er herum und wandte sich an Philipps Herrn. »Ich habe noch zu arbeiten«, sagte er. »Könnt Ihr mir Feder und Pergament bringen lassen?«

»Sicherlich.«

»Ich danke Euch«, sagte der Kardinal und stapfte mit großen Schritten davon. Als sei es ihm in letzter Sekunde eingefallen, drehte er sich innerhalb des Palasteinganges um, verbeugte sich hastig und rief: »Ich danke für die Gesellschaft. Der Herr behüte Euch.« Er war im Palas verschwunden, noch bevor jemand antworten konnte.

Thomas starrte ihm verwirrt hinterher. Die Ritter tauschten Blicke untereinander; dann sagte einer von ihnen laut: »Habt ihr schon gehört, daß die englischen Gecken sich neuerdings die Haare färben und sich Schleifen in ihre Locken binden?«

Als Philipp am nächsten Morgen aufbrach, war der Kardinal bereits fort; abgereist noch vor dem Morgengrauen und ohne seine Abmachung einzuhalten, zusammen mit Philipp in die Stadt zu reiten. Seine Geschäfte schienen eiliger gewesen zu sein, als sie sich am Vortag dargestellt hatten, oder etwas in der Geschichte des Kaplans hatte sie beschleunigt. Man hatte Philipp nicht einmal geweckt, um das Fortkommen des Kardinals zu überwachen. Wie es schien, hatte dieser noch gestern abend seinen Gaul satteln und zur Abreise vorbereiten lassen. Er hatte seine Schlafkammer heimlich verlassen wie ein Mann in großer Eile. Philipp wartete auf einen Kommentar seines Herrn zu diesem Verhalten, der nicht kam. Schließlich wandte er sich seiner eigenen Abreise zu. Er nahm sich zwei Männer, Seifrid und Galbert, als Begleiter, um eventuell getätigte Einkäufe wieder zurücktransportieren zu lassen. Sie strahlten über die ganze Breite ihrer Gesichter, als sie erfuhren, daß sie Philipp auf den Markt begleiten durften, und malten den Zurückbleibenden unter dem Gesinde die zu erwartende Aufregung eines Markttages in glühenden Farben, während sie sich reisefertig machten. In ihrer Begleitung verließ Philipp das Gut kurze Zeit später, von ihrer Begeisterung nicht angesteckt, sondern widerwillig seiner Aufgabe entgegensehend.

Der Markt hatte die Ankunft der Bauern, die üblicherweise im frühen Morgengrauen vor den Toren der Stadt standen, den Arbeitsbeginn der Handwerker nur wenig später und den in der Regel ganz zuletzt erfolgenden Aufbau der Stände der Fernkaufleute bereits überstanden und befand sich auf dem Höhepunkt seiner Hektik, als Philipp mit den beiden Knechten in Köln eintraf. Der typische Geruch des Marktes hing bereits über der Menge: die Ausdünstungen der Zugochsen, der schwere Erdgeruch der Rüben, an denen noch der Boden haftete, die Exkremente, die Tier und Mensch gleichermaßen fallen ließen (die einen mehr, die anderen weniger öffentlich), der Staub, den die Füße der Marktbewohner aufwirbelten. Mit dem Geruch stiegen auch die Stimmen der Feilschenden auf, die sich um den Preis der Waren stritten, untermalt vom Brüllen der Zugochsen und begleitet vom monotonen Piepen der Küken, die eng zusammengedrängt in Holzkisten durcheinanderwimmelten. Die Marktschreier, die entweder für ihre eigenen Waren oder die Leistungen anderer warben und sich gegenseitig mit anzüglichen Spaßen zu überbieten suchten, schrien sich die Kehlen wund, während sich Bettelmönche mit demütiger Beharrlichkeit durch die Menge schoben und leise Dankgebete murmelten für die Gaben, die sie erhielten. Mit ebensolcher Beharrlichkeit schoben sich auch Beutelschneider durch die Menge; was ihnen in die Hände fiel, wurde nicht von Danksagungen begleitet. Die Handwerker, die entweder innerhalb ihrer Häuser oder einfach an einer Hausecke auf dem Boden ihrer Arbeit nachgingen, hatten ebenfalls ihre Mittel und Wege, auf sich aufmerksam zu machen. Die Schuhmacher klopften Lederflecken auf ihren kleinen Ambossen flach, die Schnurmacher und Seildreher ließen die zu dünnen Zöpfen geflochtenen Schnurpeitschen knallen, die Steinmetze hämmerten auf ihr Rohmaterial ein, die Töpfer befestigten Schnurren an ihren Töpferscheiben. Die Korbflechter, in Ermangelung eines Werkstücks, mit dem sich genügend Krach erzeugen ließ, sangen. Die Schmiede – es waren wenige, die sich innerhalb peinlich gefügter Grenzen die Stadtviertel untereinander aufteilten – hatten es nicht nötig, sich den Blicken des Volkes darzustellen; der Schmied konnte es sich leisten, stolz im Halbdunkel seiner feuerflackernden Höhle auf seine Kundschaft zu warten. Das feste Wissen jedes Kunden, daß jeder zweite Schmied mit dem Teufel im Bund war und die damit verbundene Ehrfurcht rechtfertigte diese herablassende Zurückgezogenheit – das und die Tatsache, daß das Klingen seiner Hämmer auch über die Distanz hinweg mühelos allen Lärm übertönte, den die minderen Handwerker veranstalten konnten. Am leichtesten von allen hatten es die Bader und Doktoren, denn den Krach, der die Aufmerksamkeit auf sie lenken sollte, verursachten ihre Kunden selbst, wenn sie an den Haken hingen, die eine sehnige Hand in ihren faulen Zahn getrieben hatte. Dazwischen konnte man vom Wasser her das Geklopfe der Wassermühlen vernehmen, die zu Dutzenden im Rhein schwammen, das Pochen der Eisenhämmer und das laute Knarren der Mahlwerke. Verhältnismäßig schweigsam inmitten all dieses Tuns waren nur die Fernkaufleute, die an den Seiten von Altem Markt und Heumarkt, unter steinernen Arkaden oder unter großen Zeltdächern, ihre Waren aufgebaut hatten: Salz und Gewürze, getrocknete und eingelegte Fische, Zucker, Zimt und Safran, Töpfereien, Schnitzereien, Webprodukte, Seidenstoffe, Eschenholz und Damaszener Stahl. Sie schienen sich für ihresgleichen mehr zu interessieren als für die Bürger, die vor ihren Waren standen und mit bedenklichem Gesichtsausdruck ihre Geldbeutel in der Hand wogen.

Doch auf geheimnisvolle Weise schienen die auf dem Markt versammelten Menschen der dunklen Wolken gewahr zu werden, die die Propheten am Horizont aufsteigen sahen. Inmitten des Lärms und des Treibens gab es Augenblicke der Beklommenheit, als würden alle gleichzeitig einhalten und auf das befangene Schlagen ihrer Herzen hören. Selbstverständlich entstanden diese Pausen nicht wirklich; aber jeder, der mit demselben Gefühl der Bedrückung ob des ungewissen Ausgangs des Kampfes zwischen Kaiser und Papst Teil der Menge war, hatte das Gefühl, sie wahrzunehmen. Dies galt für die Anbieter wie für die Kunden, die die Produkte prüften, wogen, berochen, bedrückten und endlich kauften oder liegenließen, und es galt für die Büttel, die um den Markt herumschlichen und auf eine Gelegenheit hofften, ihre schweren Spieße auf hitzige Köpfe herabfallen zu lassen. Es gab mehr Streit als gewöhnlich, mehr wütende Flüche als gewöhnlich, mehr Käufe, die rückgängig gemacht statt getätigt wurden. Die weiter Herumgekommenen in der Menge erkannten, daß diese schwebende, lastende Stimmung nicht allein auf Köln beschränkt war, sondern sich überall im Reich breitzumachen schien. Die Christenheit wartete, daß endlich eine Entscheidung fiele; und die wenigen, die Muße genug hatten, sich darum zu kümmern, welches Jahr man wohl schrieb, beteten zu Gott, er möge ihnen zum Anbruch seines neuen Zeitalters ein Zeichen senden, wem sie zu folgen hatten.

Philipp schob sich durch die Menschen mit jenem leicht schlurfenden Gang, den ihm die viel zu großen Klostersandalen seiner Jugendzeit angewöhnt hatten, und mit schlenkernden Händen, für die er keinen Platz mehr fand, seitdem er die Kutte mit ihren weiten Ärmellöchern für immer ausgezogen hatte. Seifrid und Galbert folgten ihm mit neugierigen Augen und Ohren.

Auf den Straßen drängten sich noch mehr Menschen als zwei Tage zuvor. Ein weiterer Schub Kaufleute war angekommen, zusammen mit Hunderten von Pilgern, die mit den ersten Schiffen rheinabwärts in Köln eingetroffen waren, um die Gebeine der Heiligen Drei Könige, der heiligen Ursula und ihrer elftausend Jungfrauen oder des heiligen Gereon zu sehen. Der Verkehr stockte immer wieder, wenn beladene Maultiere von Holzkohlenträgern aufgehalten wurden oder wenn die Menschenmasse versuchte, dem gigantischen Ladenschild einer Herberge oder eines Handwerkers auszuweichen oder um die Abfallhaufen vor den Häusern drängelte. In den engen Gassen, von den Fachwerkwänden der Häuser und den wenigen Steinmauern beengt, wogte der Lärm hin und her, Schimpfworte, Lachen, die Schreie der Ausrufer, laute Gespräche und das Fluchen derjenigen, die in der Müllrinne standen und denen der Kot oben zu den Schuhen hineinlief. Zwischen den gutgekleideten Kaufherren und den abgerissenen Pilgern stolzierten die Mitglieder der Herrenfamilien, wandelten die Deutschritter und die Johanniter mit ihren schweren Mänteln. Wo man stehenbleiben mußte, weil nichts mehr vorwärts ging, stellte man sich eng zusammen, um sich gegenseitig die Börsen vor den Händen der Schnapphähne zu schützen, und tauschte Neuigkeiten aus. Wenn es keine Neuigkeiten gab, kommentierte man die altbekannten Tatsachen.

»Eben hab’ ich zwei Kerle sagen hören, vor zwei Tagen hätten sie einen abgestochen auf dem Markt«, sagte Galbert nach einer Weile zu Philipp. »Du warst doch hier. Hast du das mitgekriegt?«

Philipp wandte sich um. »Allerdings«, sagte er. Galbert sah in sein Gesicht und zog die Augenbrauen zusammen.

»Und?« fragte er.

»Was ›und?‹ Nichts ›und‹ Der Mann lag im Sterben, als ihn die Büttel abtransportierten.«

»Was hat er denn getan?«

Philipp dachte daran, wie der Kaiserliche das Schwert des Büttel zu fassen bekommen und bei seinem Sturz auf den Boden aus der Scheide gezogen hatte.

»Er hat sich dämlich angestellt, das war alles«, seufzte er.

Galbert schüttelte den Kopf.

»Das reicht schon dafür, daß man abgestochen wird?« fragte er mit halbem Unglauben. »Schlimme Zeiten sind das.«

»Dafür hat es schon immer gereicht«, knurrte Philipp. »Paßt jetzt auf, ob ihr den Flandrischen irgendwo seht. Er hat die Stoffe für unseren Herrn dabei.«

Galbert und Seifrid tauschten einen wortlosen Blick und ließen Philipp in Ruhe. Dieser stapfte ihnen mißmutig voran. Galberts Geplapper hatte das unwillkommene Bild wieder hervorgerufen. Als sie an der Stelle vorbeikamen, an der es geschehen war, waren nicht einmal mehr die dunklen Blutflecken zu sehen. Der Tod war nichts Ungewöhnliches, und wenn man auch nicht auf Schritt und Tritt über eine Leiche stolperte, so war man doch darauf gefaßt, ihm gegenüberzutreten: In einem abgelegenen Bauernhaus lagen die fliegenübersäten Körper der Pächter, die aus Versehen etwas Giftiges gegessen hatten; ein Bauer bat den Herrn um Hilfe, weil eines seiner Kinder oder seine Frau bei der Geburt eines weiteren Kindes umgekommen war; ein Erschlagener verrottete mehrere Tage neben der Straße, bis ihn die Bewohner des nächstgelegenen Hauses wegschafften, weil sein Geruch zu streng wurde. Nach Überschwemmungen trieben die aufgeblähten Körper der Ertrunkenen den Fluß herunter und verfingen sich in den Netzen der fluchenden Fischer. Zuletzt hingen die verurteilten Diebe von den Galgen, ihre Schultern bekleckst von den Krähen, die auf ihren gesenkten Köpfen balancierten.

All das war Philipp nicht fremd; dennoch hatte er niemals zuvor gesehen, wie ein Mensch vor seinen Augen tödlich verletzt wurde. Es lag ein Unterschied darin, einen Toten zu sehen oder Augenzeuge seines Sterbens zu sein. Etwas gänzlich anderes war es zudem, den Gedanken nicht loszuwerden, man hätte das Sterben verhindern können. Er erinnerte sich, daß ein Mann neben ihm plötzlich halblaut gesagt hatte: Nun ist es soweit; die Ratten kriechen aus ihren Löchern. Was immer er damit gemeint hatte.

Der flandrische Händler schien spätestens gestern in Köln angekommen zu sein. Philipp entdeckte seinen Stand in der Nähe des Durchlasses vom Alten Markt zum Heumarkt an einem Platz, der auf den ersten Blick zugig und schattig und schlecht für das Geschäft wirkte und auf den zweiten Blick offenbarte, daß jedermann auf dem Weg von einem Platz zum anderen sich daran vorbeiquetschen mußte und dadurch bei der Ware stehenblieb. Philipp grinste trotz seiner schlechten Laune und winkte den beiden Männern, ihm zu folgen.

Meister Rasmus begrüßte ihn mit der überschwenglichen Freundlichkeit des Händlers, der einen höheren als den vereinbarten Preis herausschlagen will. Nachdem sie das Geschäft abgewickelt hatten – Leinen und Wolltuche als Ersatz für die Stoffe, die für die Pfingstgewänder des Gesindes verbraucht worden waren – und Seifrid und Galbert zur Herberge »Der Kaiserelefant« zurückgeeilt waren, um die dort untergestellten Packtiere zu holen, nahm der Händler Philipp beiseite.

»Seht Ihr meinen Knecht dort drüben?« rollte er in seinem schweren Akzent. »Könnt Ihr ihn nicht gebrauchen?«

»Was kann er denn?«

»Oh, alles«, versicherte Rasmus.

»Beeindruckend. Warum versucht er nicht, Kaiser zu werden?«

Rasmus hob die Hände und ließ sie wieder fallen.

»Also gut, er kann nicht alles«, seufzte er. »Aber er kennt sich gut mit Pferden aus. He, Lambert, komm einmal hier zu uns herüber.«

Der Knecht, der mit gesenktem Kopf Stoffballen umgepackt hatte, sah auf, eine stämmige Gestalt mit kurzgeschorenen Haaren, dessen Wangen die Furchen mangelhafter Ernährung zeigten und auf dessen Stirn die schlecht verheilte Narbe eines Huftritts saß. Seine Hände hingen knorrig und steif an seinen Seiten herab. Sein Gesicht war schwerlidrig und aufgeschunden von einer ungewohnten, ungeschickt ausgeführten Rasur. Er kletterte über die Stoffballen hinweg und trat auf sie zu.

»Das ist Meister Philipp, der Truchseß von Herrn Raimund von Siebeneich«, erklärte Rasmus. »Mich nennt man Lambert mit der Blesse«, sagte der Knecht mürrisch. Philipp nickte und versuchte, nicht zu auffällig die Narbe auf der Stirn des Mannes anzusehen. Lambert deutete mit einer steifen Bewegung darauf und sagte: »Das war ein Huftritt.«

»Wie geht’s dem Pferd?« fragte Philipp. »War es danach lahm?«

Lambert starrte ihn an. »Es war ein Esel«, sagte er schließlich schwerfällig.

Philipp grinste freundlich. »Es kann auch nur einem Esel einfallen, gegen einen solchen Holzschädel zu treten.« Er klopfte Lambert auf die Schulter und zwinkerte ihm zu. »Nichts für ungut, mein Freund. Meister Rasmus hat mir deine Dienste angeboten.«

»Ich bleibe für einige Wochen in der Stadt und benötige ihn nicht mehr«, erklärte Rasmus. »Nicht, daß Ihr meint, ich sei nicht zufrieden mit ihm.«

»Natürlich seid Ihr zufrieden mit ihm: ein Mann, der Pferde mit seinem Schädel beschlägt«, versetzte Philipp. Rasmus lachte. Lambert beteiligte sich nicht daran.

»Es heißt, du kannst mit Pferden umgehen. Auf dem Gut meines Herrn benötigen wir keinen Pferdeknecht mehr. Aber du kannst als Zinsbauer ein kleines Stück Land bewirtschaften. Wir hatten im letzten Jahr ziemliche Verluste. Was hältst du davon? Es ist keine leichte Arbeit, und manchmal ist sie gefährlich. Aber mein Herr ist gnädig und nachsichtig.«

»Ist mir recht«, erklärte Lambert gleichmütig.

»Da wirst du aber keine Pferde zu sehen bekommen.«

Lambert zuckte mit den Schultern.

»Warum bleibst du nicht hier in der Stadt? Sicherlich könntest du dich irgendwo als Roßknecht verdingen; vielleicht sogar bei einem anderen Händler, der die Stadt schnell wieder verlassen will.«

»Nein, ich will raus aus der Stadt«, brummte Lambert.

»Das hört man selten. Weißt du nicht, daß es heißt: Stadtluft macht frei?«

»Das ist nicht wichtig.«

Philipp zog die Brauen in die Höhe und sah Lambert erstaunt an.

Der Händler fragte: »Wollt Ihr ihn haben?«

»Warum seid Ihr nur so erpicht darauf, ihn loszuwerden?« fragte Philipp mißtrauisch.

»Bin ich nicht. Lambert hat mir wirklich gut gedient. Und da er mir schon drei Tage vor Köln in den Ohren lag, daß er nicht in die Stadt wolle, möchte ich ihm ermöglichen, sie so schnell wie möglich wieder zu verlassen. Das bin ich ihm zumindest schuldig als sein Brotherr.«

Lambert sah Philipp an; dieser meinte in seinem unbeweglichen Gesicht etwas Drängendes zu sehen. »Was hast du gegen die Stadt?« fragte er langsam. »Sie macht mir angst.« Es klang ehrlicher als alles andere, was Lambert gesagt hatte. Philipp seufzte. Er wußte, daß das Gut ein paar Zinsbauern in seinen Dienst nehmen konnte: Zwei Männer waren im Winter in einen Teich eingebrochen und erfroren, einer hatte sich bei Rodungsarbeiten verletzt und war am Fieber gestorben, drei oder vier Katen standen vollkommen leer, und ein kleineres Stück Land von etwa einer halben Manse wurde seit über einem Jahr von der Witwe des Zinsbauern mit ihren Schwestern und Kindern allein bewirtschaftet. Irgend etwas sagte ihm, daß Lambert nicht der beste Griff sein mochte. Aber er war kräftig und arbeitswillig, wenn man Rasmus Glauben schenken wollte, und außerdem starrten sowohl der Händler als auch Lambert ihn an und warteten auf seine Entscheidung. Er hätte sie gerne auf morgen vertröstet, doch morgen war er bereits auf dem Weg zu Radolf Vacillarius. »Also gut, ich nehme dich«, sagte Philipp.

Lambert nickte und streckte ihm die Hände gefaltet entgegen. Philipp blickte überrascht darauf nieder.

»Ich bin nicht der Herr«, sagte er. »Ich bin nur sein Truchseß.«

»Es muß seine Ordnung haben«, beharrte Lambert.

Philipp seufzte und umfing Lamberts Hände. »Dies tue ich, um vor Zeugen kundzutun, daß du dich meinem Herrn anvertraut hast«, erklärte er. »Die eigentliche commendatio wird mein Herr selbst durchführen.«

Lambert zog seine Hände zurück und nickte erneut. Philipp musterte ihn verstohlen. Er hatte erlebt, daß Männer weinten und Frauen mit blassen Gesichtern die Kinnbacken zusammenpreßten, wenn ihre finanzielle Situation sie in die Abhängigkeit zwang. Was er jedoch noch nicht gesehen hatte, war die Gleichmütigkeit, mit der Lambert sein freiwillig erwähltes Schicksal auf sich nahm.

»Ist dir klar, daß du dich in die Abhängigkeit begeben hast?« fragte er. »Von nun an kannst du nur noch entscheiden, ob du auf die Latrine gehen mußt oder nicht.«

»Das bedeutet nichts.«

»Die Freiheit ist dir nicht wichtig; die Abhängigkeit bedeutet dir nichts«, wiederholte Philipp. »Du bist ein seltsamer Vogel.«

Lambert vollführte seine Lieblingsgeste: Er zuckte mit den Schultern.

»Ich habe ihn hier in Köln in meine Dienste genommen«, erklärte Rasmus. »Ich lasse die Urkunden noch heute abändern.«

»Wir treffen uns im Rathaus«, sagte Philipp. »Ich werde für meinen Herrn siegeln.« Er wandte sich an Lambert. »Kennst du den ›Kaiserelefanten‹?«

»Ja.«

»Entweder dort oder auf dem Weg von dort nach hier triffst du auf zwei Männer aus dem Gesinde meines Herrn. Sie heißen Seifrid und Galbert, ein älterer Mann mit langem grauem Haar und ein junger Bursche mit einem Gesicht voller Sommersprossen. Schließ dich ihnen an; du kannst ihnen helfen, die Packtiere zu beladen. Sie bringen dich noch heute zu deinem neuen Herrn hinaus.« »Begleitest du mich nicht?« fragte Lambert.

»Nein, ich muß woanders hin. Wenn dir etwas unklar ist, laß es dir von Galbert erläutern. Und komm ja nicht auf den Gedanken, die Beine in die Hand zu nehmen. Du weißt, welche Strafen es für davongelaufene Abhängige gibt.«

»Ich lauf schon nicht weg«, sagte Lambert heftig. »Ich hab’ mich deinem Herrn ja freiwillig verkauft, oder nicht?« Philipp starrte ihn an, von Lamberts Ausbruch überrascht. Er erkannte plötzlich, was ihn die ganze Zeit über gestört hatte: Er konnte Lamberts halb geduckte, halb hochfahrende Art nicht ausstehen. Und er fühlte sich gestört durch die respektlose Anrede Lamberts. Am liebsten hätte er den Wechsel rückgängig gemacht, aber damit hätte er das Gesicht verloren. Er fluchte unwillig in sich hinein. »Also geh jetzt«, sagte er dann.

Lambert nickte und sah den Händler an.

»Nur zu«, rief dieser und wedelte mit der Hand. »Du bist in gute Hände gekommen. Ich freue mich für dich.«

Lambert senkte den Kopf und trottete los. Rasmus sah ihm hinterher, dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Philipp zu.

»Wenn der Kerl ein faules Ei ist, habt Ihr einen guten Kunden verloren«, drohte Philipp. Rasmus schüttelte den Kopf.

»Ich stehe zu dem, was ich über ihn gesagt habe«, erklärte er.

»Was wißt Ihr über ihn?«

»Er hat mir erzählt, sein Vater sei ein Vollbauer, der einen Hof ein gutes Stück rheinabwärts bewirtschafte. Er sei der dritte oder vierte Sohn, ohne Aussichten auf das Erbe. Deshalb sei er im Streit davongegangen und habe sein Glück in der Stadt versucht.«

»Vor der er sich jetzt fürchtet. Glaubt ihr, er hat hier etwas ausgefressen?«

»Er war weder dem Schöffenkollegium noch in der Richerzeche bekannt. Daher halte ich ihn für sauber – jedenfalls, was Köln betrifft.«

»Und was haltet Ihr von seinen Angaben? Glaubt Ihr sie?« »Mein lieber Meister Philipp, Ihr wißt doch selbst: Wie soll ein Mensch das überprüfen können? Man muß eben nach seinem gesunden Verstand urteilen, ob einer das Herz auf dem rechten Fleck hat oder nicht. Kann ich sonst noch etwas für Euch tun?«

»Im Moment sind die Vorratskammern wieder voll«, erwiderte Philipp. »Doch bis Ihr im Herbst wiederkehrt, ist sicherlich wieder der eine oder andere Bedarf vorhanden.« »Na gut, dann betrachten wir unseren Handel als abgeschlossen, sobald Eure Männer die Stoffe abgeholt haben. Das müssen wir feiern. Ich lade Euch in das beste Badehaus ein, das ich in der Stadt kenne.« »Eure Großzügigkeit macht mich mißtrauisch. Habt Ihr mich irgendwie übervorteilt, ohne daß ich es gemerkt habe?«

»Keineswegs. Aber ich war seit letzten Herbst nicht mehr hier in der Stadt und bin gestern erst angekommen. Ich bin voller Straßenstaub, und mich dürstet nach Wein und Entspannung. Was gibt es Schöneres als einen gemütlichen Besuch im Badehaus, heißes Wasser, eine Bartschur, jemanden, der einem die Läuse aus den Haaren klaubt, und danach essen und trinken, bis einem der Bauch steht? Außerdem bin ich durstig nach Neuigkeiten. Ihr seid der Truchseß eines einflußreichen Mannes. Wer könnte sie mir besser liefern als Ihr?«

Philipp seufzte. Er hatte keine große Lust, dem Kaufmann Rede und Antwort zu stehen. Am liebsten hätte er abgelehnt.

»Was ist?« fragte Rasmus. »Seit wann muß man bei einer Einladung so lange überlegen?«

»Also gut.«

»Seid Ihr im ›Kaiserelefanten‹? Ich hole Euch dort ab, sobald das Wasser heiß ist. Und paßt auf, wenn man Euch alte Kameen vom Hof Karls des Großen andrehen will.« Philipp drehte sich noch einmal um.

»Was ist damit?«

»Es ist zur Zeit große Mode, die Dinger zu fälschen.« Rasmus zwinkerte. »Der große Karolus steht nicht nur beim Kaiser hoch im Kurs.«

Der Jahrtausendkaiser

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