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4. Konservative Utopie des Abendlandes

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Wie Haecker geht es Bergengruen – der »ewige Kaiser« ist »Herr und Hirt des Abendlands«25 – um die Auferstehung des christlichen Abendlands*; aber selbst bei christ-katholischen Autoren – wie bei Peter Wust vor dem zweiten Krieg und Erich Przywara in und nach diesem Krieg – kann jenes Epitheton fehlen. Wust schreibt: »Daß unser Volk, ja, daß das Abendland wieder auferstehe, das allein ist mein Gedanke bei Tag und Nacht.«26 Und für Przywara »träumt« die »gegenwärtige Stunde des Abendlands« »utopisch« von »einem neuen Abendland«27. Das Zurücktreten des spezifisch Christlichen zugunsten des generell Konservativen findet sich noch in Bergengruens Nachwort von 1950, mit dem er die Neuauflage seines Gedicht-Zyklus von 1937 rechtfertigt: »Was mich bewogen hat, nach anderthalb Jahrzehnten den Zyklus von neuem und unverändert vor die Öffentlichkeit zu stellen, das ist nicht zuletzt die gewaltige geschichtliche Aufgabe, die heute vor den abendländischen Völkern, ja, vor denen der Erde steht: die Pflicht, das Widerstrebende in höheren Zusammenfassungen zu einen, wie sie im augusteischen Kaiserreich der Antike, im römisch-deutschen des christlichen Mittelalters ihre Vorformungen gehabt haben.«28

Diese Aufgabe steht vor den abendländischen Völkern als solchen; zumindest nach diesen Ausführungen Bergengruens weiß man nicht, worin sie sich wesentlich von jener Aufgabe der zwanziger bis vierziger Jahre unterscheidet. Bergengruens Sprache ist und bleibt die der Reichsvision des Zwischenkriegs; sein Nachwort von 1950 endet mit den Worten: »Es steht der Dichtung nicht zu, die Formen künftiger europäischer und übereuropäischer Zusammenschlüsse vor ihr Urteil zu laden und Erwägungen darüber anzustellen, auf was für Schultern die ehemals kaiserliche Aufgabe in Zukunft ruhen werde. Wohl aber darf sie in ihrer Weise daran erinnern, daß jene Zusammenfassungen der Völker, auf die wir hoffen, von den nämlichen seelischen und geistigen Kräften getragen sein werden, die dereinst das Bild des alten Reiches geformt haben. Und so wird etwas von ihm weiterleben und des Kaisers ewige Gestalt überall dort zugegen sein, wo Steine zum überwölbenden Bau des neuen Völkerhauses zusammengetragen werden.«29

*Im eigentlichen Sinne geht es bei Schmitts konkreter Begriffsbildung weniger um Kampfbegriffe als um »Kampfmythen« (vgl. C. Schmitt, Hugo Preuss. Sein Staatsbegriff und seine Stellung in der deutschen Staatslehre, Tübingen 1930, S. 5 sowie R. Faber, »›Begriffsgeschichte‹ und ›Mythologie‹. Methodologische Vorüberlegungen zur Kritik des ›politischen Kampfbegriffs‹ Abendland«, in: Aufmerksamkeit. Klaus Heinrich zum 50. Geburtstag, hrsg. von O. Münzberg und L. Wilkens, Frankfurt/M. 1979, S. 140–150).

*Im zweiten Nachkrieg erringt die Abendland-Ideologie noch größere öffentliche Erfolge als im ersten, obgleich sie direkt aus ihm herrührt, immunisiert durch den Scheinheiligenschein des ›Widerstands‹.

**Immerhin ist es gerade im Zusammenhang seiner Unterscheidung zwischen »hostis« und »inimicus«, die er zur »Entpolitisierung« von Matth. 5,44 und Luk. 6,27 verwendet, daß Schmitt schreibt, »in dem tausendjährigen Kampf zwischen Christentum und Islam« sei »niemals ein Christ auf den Gedanken gekommen, man müsse aus Liebe zu den Sarazenen oder den Türken Europa, statt es zu verteidigen, dem Islam ausliefern« (Der Begriff des Politischen, Berlin3 1963, S. 29). Und nach Denis de Rougemont stammt »die erste Erwähnung Europas nicht nur als geographische, sondern auch als menschliche Einheit, d.h. des Europäers, der diesen Kontinent verteidigt, […] aus der Chronik der Schlacht von Poitiers im Jahre 732, wo Karl Martell die Araber besiegte«. Das Reich Karls des Großen sei nur der »Höhepunkt dieses frühen Bewußtseins der europäischen Einheit« (europa. Vom Mythos zur Wirklichkeit, München 1962, S. 11). Sein Reich ist das »Abendland der Kreuzzüge« und ihre Zeit »die Zeit des Abendlandes« (E. Rosenstock, Die europäischen Revolutionen, Jena 1931, S. 40 und 39). »[…] die Geschichte lehrt uns, daß es eines gemeinsamen Feindes, einer gemeinsamen Gefahr bedarf, damit Europa ist«, wie Gonzague de Reynold, einer der Gewährsleute de Rougemonts, im Sinne Carl Schmitts generalisiert (Portugal. Gestern – heute, Salzburg/Leipzig 1938, S. 12).

*** In Anknüpfung an den Begriff des Politischen heißt es in Schmitts Über die drei Arten des Rechts, »der höchste […] und deutscheste […] Ordnungsbegriff« sei das »›Reich‹ als eine […] konkret-geschichtliche […] Freund und Feind von sich aus unterscheidende […] politische […] Einheit« (Hamburg 1934, S. 44).

*Otto Westphal – durchaus ein preußischer Nationalsozialist und schließlich nationalsozialistischer »Trotzkist« – meinte nach dem zweiten Weltkrieg resümieren zu müssen: »›Nicht Glaube und doch noch Glaube‹ (Bismarck): daran ist das (zweite) Reich großgeworden und gescheitert« (Weltgeschichte der Neuzeit 1750–1950, Stuttgart 1953, S. 106).

**Oder um Albert Mirgeler zu zitieren: »Wir halten […] die Reichsordnung für die wesentliche Verkörperung einer christlichen Politik. Sie repräsentiert eigentlich die Herabkunft der Gnade in den politischen Bereich.« Und, so fährt Mirgeler konsequent fort: »Es handelt sich für uns […] um ein neues Reich, das in seiner Vollendung wieder dem im Mittelalter offenbarten Typus des Reiches entspricht« (»Katholizismus und deutsche Politik«, in: Was wir vom Nationalsozialismus erwarten, hrsg. von A. E. Günther, Heilbronn 1932, S. 30 und 32).

*** Reichstheologisch heißt es – wieder bei Mirgeler: »Es ist […] die politische These des deutschen Katholizismus, daß die Deckung von deutsch und christlich im mittelalterlichen Reich verwirklicht worden ist, und daß sich hier die besondere Stellung Deutschlandes im Raume der christlichen Welt offenbart hat« (ebd., S. 30).

*Wilhelm Stapel nennt seinen Christlichen Staatsmann von 1932 ausdrücklich eine Apokalypse.

**Der Untertitel dieses nach dem Kriege nicht mehr aufgelegten Buches Schneiders lautet: »Eine Fahrt ins Reich«.

*Spenglers Freund Ernst Droem (Pseudonym für Adolf Weigel) erzählt, daß jener sein Werk anfänglich »Die Erfüllung des Abendlandes« habe nennen wollen (vgl. H. Petriconi, Das Reich des Untergangs – Bemerkungen über ein mythologisches Thema, Hamburg 1958, S. 140). – Noch zu Beginn des Jahres 1947 postulierte J. Burnham die Alleinherrschaft der »demokratischen Weltordnung« unter Erinnerung an die Zeit der Punischen Kriege: »Der Kommunismus kann unterdrückt werden und unterdrückt bleiben. Wenn die Demokratie gerettet werden soll, dann muß er unterdrückt werden […] Wir sind dabei, die Punischen Kriege und die Bürgerkriege jenes Höhepunkts der Zeit der Unruhen zu führen, die Kriege der Vernichtung« (vgl. E. Nolte, Deutschland und der kalte Krieg, München und Zürich 1974, S. 227).

**Bergengruen hat die Äneis-Verse I, 278f. mit dem Kernwort: »imperium sine fine dedi«, samt Ligurinus’ Beschwörung der translatio imperii, als Leitsprüche seinem Ewigen Kaiser vorangestellt.

*Dichtungsimmanent und gleichsam metaphysisch ist sie ermöglicht durch die Verse: »Du [ewiger Kaiser] bist das Bild der ersten Welt / und der Zukünftigkeiten« (W. Bergengruen, Der ewige Kaiser, Graz 21950, S. 19).

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