Читать книгу Was kommt nach der Pfarrgemeinde? - Richard Hartmann - Страница 8
ОглавлениеDie Lotsen haben neue Aufgaben
Wer sich auf den Dienst in der Kirche vorbereitet, sei es als Pfarrer, als Priester oder Diakon, als Religionspädagogin und Theologin, begibt sich auf diesen Weg mit einem bestimmten Vorverständnis. Seine eigenen Erfahrungen in Kirche, Verband, Bewegung haben ihn motiviert, sich auf eine Berufslaufbahn einzulassen, zum Teil mit existentieller Entscheidung in der Bindung und im Lebenswandel (Zölibat, Ordensberufung). Allein, wenn die Wegzeichen, die Pfeile, in entgegengesetzte Richtungen führen, wenn die Fahrtrichtung nicht eindeutig ist, was dann? Wer ist es, der entscheidet, welcher Weg ausprobiert wird? Welche Kriterien helfen weiter: die Erfahrung vor Ort, die amtskirchlichen Vorgaben? Es braucht die Lotsen mit ihrer Erfahrung, ihren Kriterien und dem Mut, das Steuer zu führen.
Manchmal sind es Gegenbilder, die motivieren im Sinne von: »Dahin wollen wir nicht kommen!« Visionen und Leitbilder formulieren mit großer Geste, was man gerade anders machen will und kann. Dazu kommen Studien, die zumindest in Teilen auch bestimmten Karten folgen und daraus die Lotsenaufgaben bestimmen. Viele Veröffentlichungen von Praktikern, von Pastoralämtern und Diözesen beschreiben und entwickeln Ideen, was man konkret machen sollte. Doch helfen diese Ideen nur dann, wenn sie mit den konkreten Menschen vor Ort, mit ihrer Erfahrung, ihren Charismen in ihrer Lebenswelt Gestalt gewinnen. Nicht die ausformulierten Konzepte helfen, sondern die Schritte, die mit guten Lotsen gewagt werden.
Die Lotsen erleben im Laufe ihres Berufslebens – wie viele Zeitgenossen in anderen Berufswelten auch –, dass ihre einmal angenommene, idealisierte Perspektive sich schneller als erwartet ändert. Sie spüren, dass sie nicht nur ständig etwas dazulernen müssen, sondern dass es für sie immer schwieriger wird, Erfolge zu messen, und dass nicht nur die Tätigkeiten, sondern auch ihr Selbstverständnis und ihre Lebensformen unter Druck stehen und sich verändern müssen. Nicht wenige leiden intensiv an diesen Veränderungen. Überforderung – Unsicherheit – Vereinzelung sind Phänomene, die bis zum »Burnout« führen. Tatsächlich haben sich Aufgaben, Funktionen und Selbstverständnisse gewandelt. Vor allem das Bild des Pfarrers, der sich oft als einziger Lotse verstanden hat, stimmt nicht mehr. Er kann nicht als väterliche Bezugsfigur alle Fäden zusammenhalten.
Die Feier der Sakramente »rite et recte« – so wie’s im Buch steht – reicht nicht mehr aus. Gottesdienste sind längst nicht mehr die einzige und wichtigste Aufgabe im Alltag der Priester; dazu leidet mancher, wenn an Werktagen kaum noch jemand mitfeiert. Stattdessen erwarten viele die Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit des Liturgen. Die Objektivität des Ritus tritt für viele in den Hintergrund.
Autorität und Leitung waren im Pfarramt als Einheit verbunden: Der Pfarrer war für sehr viele eine anerkannte und geschützte Autorität im Sinne der »Profession«. Wie der Pfarrer lebte, was er konnte und was er tat – alles war im Blick der Öffentlichkeit und musste zusammenpassen. Heute fragen die Menschen nach mehr als der formalen Autorität und Rolle. Die Person gerät in den Blick. Die meisten Menschen unterscheiden zwischen einem guten und sympathischen und einem schlechten Pfarrer.
Verkündigung und Lehre stehen unter einem neuen Erwartungsdruck: Die Theologen, die als Kleriker oder Laien im Dienst der Verkündigung stehen, sind nicht mehr unumstritten in ihrer Fachlichkeit. Die Möglichkeit, sich auf einem geöffneten Bildungsmarkt selbst seine Position zu erarbeiten, und die Vielfalt der Positionen der Theologie selber werden zu einer neuen Herausforderung für die Qualität von Verkündigung und Lehre.
Nicht die konkrete Berufsbezeichnung, ob also jemand Pfarrer, Pastoralreferentin oder Gemeindereferent ist, macht klar, was er oder sie kann und tun will. Vielmehr wird interessiert nach der Vielfalt professioneller Fachlichkeit und Spezialisierung gefragt, zum Beispiel als Geistlicher Begleiter, Eheberater, Klinikseelsorger oder Therapeut, als Musikpädagoge oder Notfallseelsorger, als Moderator …
Wer kann bei uns was? An wen stelle ich welche Erwartungen? Welche Erwartungen treffen mich, unseren Kreis, unseren Verantwortungsbereich? |
Gibt es Ideen und Möglichkeiten, von den Charismen auszugehen, um die Aufgaben zu schultern? |
Management scheint eine unvermeidbare Aufgabe der differenzierten Kirchengemeinden und größeren Pastoralräume zu werden. Diese Aufgabe wird nach bisheriger Tradition in Letztverantwortung dem Pfarrer der Gemeinde zugeschrieben. Diese Aufgabe umfasst sämtliche Bereiche; dafür wurden in den letzten Jahren auch viele Laien qualifiziert. Es muss keineswegs immer ein Theologe oder geweihter Priester sein, der die Fäden zusammenführt und in der Hand hält.
Die Vielfalt der haupt- und nebenberuflich und der freiwillig engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter macht eine weitere Funktion nötig: die Moderation, die Koordinierung der vielen Dienste, Felder und Aufgaben und die Eröffnung einer kommunikativen Atmosphäre, in der jede und jeder sein Charisma einbringen kann. Auch diese Aufgabe wird vielerorts dem Pfarrer zugewiesen.
Inzwischen wird eine andere Erwartung verstärkt eingebracht: In Subsidiarität, also nicht als Leitende, sondern als An-Leitende, sind die Hauptberuflichen dazu da, die Christgläubigen zu befähigen, selber verantwortlich als Christ und in der Kirche zu wirken. Leitung wird nicht mehr als formelle Leitung definiert, sondern als Fähigkeit zur Formation, zu Ausbildung, Reflexion und Begleitung. Wieder werden andere Qualifikationen wichtig.
Allein diese verschiedenen Aufgabenfelder verdeutlichen, welch unterschiedliche Ausrichtung und Qualifikation von den Lotsen erwartet wird. Ob eine einzelne Person dieser Vielfalt gerecht werden kann oder in ihrer Berufsbiographie diesen Wandel gestalten kann, muss deutlich in Frage gestellt werden.
Als Material, mit dem die Menschen durch die Zeit gelotst werden können, scheint früher einmal der »grüne Katechismus« gereicht zu haben. Die Komplexität unserer Zeit erfordert in nahezu allen Bereichen den Einsatz eines differenzierten »Computersystems«. Aber jeder, der mit Menschen arbeitet, spürt, dass das in diesem Feld allein noch nicht hilfreich ist. Mehr denn je ist die Persönlichkeit gefragt.