Читать книгу Was kommt nach der Pfarrgemeinde? - Richard Hartmann - Страница 9
ОглавлениеDie Fahrzeuge müssen gewechselt werden
Was früher einmal ging, geht heute nicht mehr. Ich glaube sogar, dass die Wirklichkeit früher gar nicht so ideal war, wie manche Beschreibungen aus heutiger Sicht nahelegen. Aber eben anders. Die »Fahrzeuge«, die Instrumente des kirchlichen Handelns, müssen gewechselt werden. Manches »Fahrzeug«, manche Methode ist einfach gegen die Wand gefahren: etwa die, Menschen einfach vorzuschreiben, was und wie sie glauben sollen; dagegen wehren sie sich. Manchmal gehen wir auf unseren Wege einfach zu langsam, kommen nicht mit der schnelllebigen Zeit mit. Manchmal sind auch unsere Versuche nicht sicher genug, nicht nach dem Standard heutiger Technik: Welches pädagogische und psychologische Wissen muss mitbedacht werden, welche Erkenntnisse aus Milieuforschung und Kulturwissenschaften helfen, dass das Fahrzeug »richtig« ist, die Form des kirchlichen Handelns auch greifen wird?
Das Autoritätsargument als Grundlage der Verkündigung und der Leitung hat ausgedient: Es gibt nicht mehr die unhinterfragte Information und Position. »Roma locuta causa non finita« (Rom hat gesprochen, die Sache ist nicht zu Ende) war schon vor mehr als 30 Jahren an den Mauern des Theologenseminars Wilhelmstift in Tübingen zu lesen. Es mag sein, dass noch einige wenige Menschen diese Gehorsamslinie auch im Glauben für sich wünschen und annehmen, aber sie ist nicht mehrheitsfähig und überzeugend. Direktive Predigt mit dem drohenden Zeigefinger, direktive Lehrpositionen und direktive Leitung der Gemeinde beschleunigen die Tendenz, dass noch weniger Christinnen und Christen zu ihrer Kirche stehen. Das Autoritätsargument weicht der Dialogkultur und der intellektuellen und personalen Überzeugungskraft.
Die Form der Kontrolle über Sakramentenpraxis und Lebenswandel aufgrund der Überschaubarkeit und Nähe ist weder möglich noch akzeptiert. Die größeren Pastoralräume erweisen sich hier als Freiheitsräume, die Autonomiebestrebungen und -ansprüche der Einzelnen weisen Kontrolle zurück. Die Freiheitssuche der Individuen fordert eine offensive Entfaltung immer neuer möglicher Anknüpfungsstellen.
Wer hat die richtigen Ideen für eine neue Vielfalt in der Kirche? Welche Persönlichkeiten strahlen eine glaubwürdige Autorität aus, als Brückenbauer untereinander und zur Weltkirche? Wie werden wir das Evangelium Jesu Christi und sein heilschaffendes Handeln in der Welt öffentlich halten? |
Die Einheitlichkeit der liturgischen Formen – geprägt durch die gemeinsame Liturgiesprache Latein und die gemeinsame Musik- und Kunstsprache – ist einer Vielfalt der Formen gewichen, die unterschiedliche Kulturen und Milieus ansprechen. Die Spannung zwischen persönlichen und privaten Frömmigkeitsformen und Ausdrucksformen zur gemeinsamen Liturgie, die für die ganze Weltkirche steht, bedarf steter Balanceübungen. Es braucht eigene Anstrengungen, damit die liturgischen Formen heute verstanden und nachvollzogen werden können. Wie schwierig das ist, zeigt sich immer wieder, wenn neue liturgische Texte approbiert werden.
Die klare Trennung von Heils-(Sakramenten-) Dienst durch die Kleriker und ihr unbestrittenes Wirken ins »Innen« der Kirche und Weltdienst der Laien und ihrer katholischen Verbände nach »außen« entspricht nicht einer »Kirche in der Welt von heute«, wie sie das Zweite Vatikanische Konzil vor 50 Jahren entfaltet hat. Der Zusammenklang von Spiritualität und Aktion – oder, mit den Formulierungen von Frère Roger Schutz aus Taizé: von Kampf und Kontemplation – ist stets neu anzustimmen.
Die Bereitschaft vieler Menschen zum Engagement in der Kirche von der Wiege bis zur Bahre ist dem Interesse gewichen, sich phasenweise, projektbezogen und personenorientiert, nach Neigung und persönlichem Zeitbudget im Leben der Kirche einzubringen.
Die Pastoral der konzentrischen Kreise, wo in der Mitte der Pfarrer, um ihn herum die Hauptamtlichen und der Gemeinderat stehen und Ring um Ring andere Gruppierungen immer weiter weg von diesem Kern, ist einer Pastoral gewichen, die pastorales Handeln eher in einem Netz verortet. Bestimmte Projekte zeigen pastorales Handeln auf. Zugleich wird es wichtig sein, den Zusammenhalt der Kirche zu sichern. Mit Rolf Zerfass geht es um eine stete Verchristlichung der Kirche und Verkirchlichung der Christen, also eine stete Bewegung von innen nach außen und des Soges von außen nach innen.
Die Kraft der Pfarrgemeinderäte (PGR) ist ausgelaugt. Das Interesse an gemeinsamer »Überblicksverantwortung« für alle Bereiche, das sich in den Räten zeigen sollte, ist nur bei wenigen vorhanden und im Rahmen einer pluralen Ermöglichungspastoral als leitendes Handeln nicht angemessen. Weder ein PGR als Organ, in dem alle Gruppen, Ortsteile und Themenfelder repräsentiert sind, noch ein PGR, der sich als demokratisches Leitungsorgan verstehen würde, entfaltet eine zufriedenstellende Dynamik. Leitungshandeln heute wird nicht mehr alle Fäden im Griff haben wollen und können, sondern Räume und Möglichkeiten eröffnen und bei bestimmten Extremen Grenzpflöcke einziehen. Dies braucht kleine kompetente und kommunikative Leitungsteams, die sich zwar öffentlich anerkennen lassen, die aber ihre Anerkennung nicht durch einfache Urwahlen bekommen können. Vielleicht braucht es da eher Gemeindeversammlungen, die darüber abstimmen.
Die jahrgangsweise Katechetisierung der Kinder und Jugendlichen durch Erstkommunion- und Firmkatechese führt nicht zu einer bleibenden Bindung an Gemeinde und/oder Kinder- und Jugendgruppen. Für Kinder und Jugendliche braucht es – wie für Erwachsene – Ereignisse, die sie über Zeit und Gelegenheit ansprechen, die Begegnungen mit der Kirche und mit Gott ermöglichen und an denen sie spüren, dass ihre Lebensthemen anklingen und verwandelt werden können.