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Kapitel Fünf

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Wir machten uns auf nach Florida. Wir kannten dort niemanden und wussten nichts über die Gegend außer, dass sie warm und luftig war, und es jede Menge Zitrus- und Meeresfrüchte gab und Mädchen, die nach Sonnenmilch dufteten und Sandkörnchen da und dort hatten, auch unter dem Bund ihrer Höschen. Wir würden Dichter auf der Flucht sein, um die sie sich kümmerten.

Diese Tage auf der Straße, mit Tom der Schule entflohen, gaben mir die bis dahin stärkste Dosis meines Lieblingsgefühls: mein Ich für eine andere Welt zurückzulassen. Es gibt viele Wege, um dieses Gefühl zu bekommen. Eine Droge kann das tun oder eine neue Tätigkeit; man verliebt sich oder verändert einfach sein Aussehen; aber tatsächlich abzuhauen und sich all den Verantwortlichkeiten und Beziehungen der früheren Identität zu entziehen, ist wahrscheinlich der reinste und berauschendste Weg.

Da ist eine schlichte, scheinbar unschuldige Erfahrung, die für mich jene Flucht aus der Schule von 1966 symbolisiert, eine Erfahrung, die neu war und durch unser Weglaufen ermöglicht wurde: spät in der Nacht in einem Res­taurant sitzen und mit einem Freund Kaffee trinken. Für viele Jahre behielt sie ihre Wirkmächtigkeit, und für die meiste Zeit war Tom dieser Freund. Es ist ein immerwährendes, ja göttliches Gefühl, mitten in der Nacht mit einem guten Freund zusammenzusitzen, leise miteinander zu sprechen und zu lachen, gemächlich Gedanken auszutauschen, vielleicht brennen die Augen, alles ist ein wenig verschwommen, wir schlürfen aromatischen stimulierenden süßen heißen Milchkaffee, unsere Stimmen sind heiser, das grelle Licht im Restaurant isoliert uns von der um sich greifenden Dunkelheit draußen vor den Fenstern.

Ich weiß nicht, ob ich ganz zu unserem Bewusstseinszustand zurückkehren kann, um die Freude jener Tage beschreiben zu können, nachdem wir von der Schule abgehauen waren. Einerseits lieferten sie eine Blaupause für die Zukunft, andererseits sind sie unwiederbringlich. Wir waren sechzehn und siebzehn (Tom wurde erst im Dezember siebzehn – ich war fast drei Monate älter), und wir waren groß, dünn und linkisch; unsere Handgelenke stachen aus den Ärmeln hervor. Alles war Spaß und ein zaghaftes Erkunden, da wir so vieles, was wir taten, zum ersten Mal taten. Wir suchten immer etwas zum Lachen, und da unsere Egos noch nicht ausgereift waren, konnten wir fast unbegrenzt über uns selbst und übereinander lachen, und kaum ein Verhalten war unerlaubt. Wir liebten es, wie Idioten zu agieren, identifizierten uns aufrichtig mit Pennern auf der Straße und waren trunken von unserer neuen Freiheit.

Jeder brachte in dem anderen einen Sinn für das Lächerliche hervor, und gleichzeitig fühlten wir uns wie Künstler, wie Menschen, die lebten, um das Leben zu ergründen und es nach den eigenen Vorstellungen zu bewältigen. Aber es galt als ein Verbrechen, irgendetwas allzu ernst zu nehmen, so unterdrückt wir uns auch von der konventionellen Welt der Erwachsenen fühlten. Jede wirklich ernsthafte Kunst ist nicht nur traurig, sondern auch urkomisch. Welche andere intelligente Art und Weise zu leben gibt es, als über das Leben zu lachen? Eine achtbare Alternative ist der Selbstmord. Aber wie konnte man das nur tun? Nicht nur würde das einen beklagenswerten Mangel an Humor verraten, sondern es hinderte einen daran, herauszufinden, was als nächstes passiert.

Wir hielten uns nur kurz in Washington auf. Ich kontaktierte einige Freunde von Sayre und teilte ihnen mit, dass wir heimlich durch Lexington kommen würden. Einer von ihnen kannte ein leeres kleines Farmhaus auf einem Gemüsefeld in der Nähe der Stadt, wo Tom und ich einige Tage bleiben konnten. Es war möbliert, aber es gab kein Telefon oder Strom, auch keine Lebensmittel, und natürlich hatten wir keinen Wagen. Sehr bald hatten wir auch nichts mehr zu essen außer rohem Mais und Bohnen, die wir auf dem Feld zusammenklaubten. Aber als meine Freunde vorbeikamen, waren wir die Helden.

Kurz bevor wir wieder aufbrachen, schmissen sie für uns eine Party, und auf dieser Party kam es endlich dazu, dass ich wieder Sex mit einem Mädchen hatte. Ich kannte es kaum, aber es war hübsch. Wir betranken uns beide, und ich fühlte, was es für einen Soldaten bedeuten muss, in den Krieg zu ziehen, oder für einen Rockstar, der für seine noble Aufopferung Liebe verdient. Wir gingen ins Schlafzimmer, während die anderen im Haus tranken und schrien. Es war dunkel in dem Zimmer, aber ich war so gierig, dass ich sie bat, mich mit einer Taschenlampe zwischen ihre nackten Beine schauen zu lassen, und sie, die Göttliche, war einverstanden.

Tom und ich trampten weiter Richtung Süden. Wir kamen ziemlich weit, bis in das südöstliche Alabama, nicht mehr weit von Florida entfernt. Es war mitten in einer Oktobernacht und kalt. Wir standen an einer zweispurigen Straße, die sich durch Felder und Kiefernwälder wand. Es gab kaum Verkehr; zweimal fuhren Autos an die Seite, um dann wieder davonzurasen, als wir auf sie zuliefen. Die Insassen, junge Rednecks, hupten und johlten. Wir entschieden, jenseits der Straße auf einem Stoppelfeld zu warten, bis es hell wurde. Wir sammelten Gestrüpp, Äste und Zweige und machten ein kleines Lagerfeuer.

Wir wurden ausgelassen, verfluchten die Einheimischen und provozierten uns gegenseitig, und dann fingen wir an, brennende Stöckchen auf dem Feld herumzuwerfen. Wir hatten nichts beabsichtigt, aber ziemlich bald fingen ein paar Stellen da und dort Feuer. Wir schwelgten in unserem Machtgefühl. Ich weiß nicht, was wir als nächstes getan hätten, aber plötzlich waren wir von Polizei umringt. Auch ein Löschfahrzeug tauchte auf, und die Bullen hatten Hunde. Wir behaupteten, Collegekids aus Florida zu sein, aber es gab bereits eine Suchmeldung für zwei verschwundene Schüler. Sie nahmen uns fest, steckten uns in eine Zelle und riefen unsere Eltern an.

Wir waren etwa zwei Wochen weg. Diesmal behielt mich die Schule nicht; wir wurden beide rausgeschmissen.

Tom entschied sich, an der staatlichen Schule in Wilmington weiterzumachen, ich aber konnte nicht wieder zurückkehren. Ich musste etwas aus meinem Leben machen. Der fruchtbarste Boden dafür war New York City, aber ich war noch minderjährig, und meine Mutter erinnerte mich daran, dass sie die Polizei alarmieren würde, falls ich abhaute. Ich glaubte nicht, dass sie das tun würde, schlug ihr aber einen Deal vor – ich erklärte mich einverstanden, so lange in die schreckliche High School von Norfolk zu gehen, bis ich 100 Dollar als Startgeld verdient hatte. Wenn ich dann die Stadt verließ, durfte sie mich nicht mehr anzeigen. (1966 waren 100 Dollar etwa so viel wert wie 700 Dollar im Jahr 2012.) Der staatliche Mindestlohn betrug damals 1 Dollar 25 Cent pro Stunde – es würde also Wochen dauern, bis ich das Geld stundenweise nach dem Unterricht verdienen konnte. Ich wusste, dass meine Mutter glaubte, ich, verantwortungslos und faul, wäre nicht fähig, irgendeinen Job so lange zu behalten, ja ich hätte nicht einmal die Ausdauer, überhaupt etwas zu suchen. So stimmte sie schließlich der Abmachung zu, und ich fand sofort einen Job. Ich arbeitete nach der Schule in einem Zeitschriftenladen im Stadtzentrum, der vor allem Pornos verkaufte.

Die Schule war ein Witz. In der Englischklasse wurden uns die Formen der Korrespondenz beigebracht, um unseren Platz in der Gesellschaft zu finden. Als wir einen Dankesbrief für ein Geburtstagsgeschenk schreiben sollten, lautete meiner so:

18. November 1966

Liebe Betty,

vielen Dank für dein aufmerksames Geschenk, Der Esprit de Sades. Unsere ganze Familie lachte lauthals über den ausgelassenen Humor des »heiteren Marquis«.

Niemand kam zu meiner Geburtstagsparty, aber ich hatte viel Spaß mit dem Ausblasen der Kerzen, nachdem ich sie angezündet hatte.

Nochmals Dank für das entzückende Buch.

Dankbar der Deine

Richard

In dem Musterbrief für eine Stellenbewerbung suchte ich eine Arbeit als »Defäkant« in einer Düngemittelfabrik.

Nach der Schule las ich Dylan Thomas. Jahre später fand ich es peinlich, zuzugeben, dass er mich inspiriert hatte. Er war überreizt und »poetisch«, seine Sprache biblisch und astronomisch und anatomisch (Erlöser, Radium, Sonne, Zungen, Brunnen, Nerven, Knochen) und mit großen dramatischen Themen befasst, auch wenn die Gedichte nicht wirklich einen Sinn ergaben, sondern mehr wie Musik klangen. Die New Yorker Dichter, die ich dann später lieben lernte, waren dagegen nette Klugschwätzer und collagierende Phrasensammler, Liebhaber von Alltagsdetails, und sie nahmen sich nie allzu ernst.

Ich habe Thomas kaum mehr gelesen, seit ich achtzehn war. Aber nun, wenn ich wahllos seine Collected Poems aufschlage und finde

To-day, this insect, and the world I breathe,

Now that my symbols have outelbowed space,

Time at the city spectacles, and half

The dear, daft time I take to nudge the sentence,

In trust and tale I have divided sense,

Slapped down the guillotine, the blood-red double

Of head and tail made witnesses to this

Murder of Eden and green genesis._1

… muss ich sagen, es gibt mir einen Kick, und ich kann in mir die Reaktion des Siebzehnjährigen entdecken, der sehen wollte, was er auf dem Blatt in kleinen Wortabteilungen tun konnte. Ich kann mich nicht mehr erinnern, was mich zu Thomas führte, aber ich las ständig und zog immer viel Nutzen aus Worten, fremde und eigene, und Dylan Thomas war eine berüchtigte Ikone eines Lebens, wie ich es mir für mich selbst vorstellte: ein Typ, der sich mit Hirngespinsten in die Betten der Frauen und in die Schlagzeilen brachte und eine orgiastische Existenz führte, der sich irgendwie durchschlug, ohne zur Schule zu gehen oder einen Job zu haben, eine Spur von Songs darüber hinterließ, schöne Songs der Dankbarkeit und des Lobs und der Tränen und des Unsinns, Erinnerungen an seine Entdeckungen und Verluste, für alle zum Genießen und Nachdenken. Ich wurde dieser Lyrik bald überdrüssig, weil sie mir wie übertriebene Mystifikation und allzu theatralisch vorkam, so wie Nebelmaschinen bei einem Rockkonzert. Der Dichter nahm, was wahrscheinlich nur eine vage kleine Idee oder Quasi-Erkenntnis pro Gedicht war, schmückte es aus und deklamierte es. Was er sagen wollte, war nicht etwa zu tief für klare Worte, sondern vielmehr mussten das Vage und die Dürftigkeit der ursprünglichen Idee durch predigerhaftes Heulen und Brummen weiter verschleiert werden.

Aber wenn ich jetzt auf das Gedicht schaue, gibt es mir einen Kick, und ich kann es ohne Zwang, eine Bedeutung darin zu entdecken, lesen und verstehen, dass gerade das einen Großteil des Vergnügens ausmacht. Wenn man jene Strophe liest, als wäre es Alltagsrede, ähnelt sie einem Spiegelkabinett, das einen mit seinen jähen Wendungen, den vorbeiziehenden Szenen und den Sprüngen zwischen den Ebenen überrascht. Der Text ist krude, zwingt nicht passende Sätze zusammen, und in dieser Hinsicht ist er liebenswert unprätentiös. Er kam der Methode der Zufallsmontage schon ziemlich nahe. Und immerhin verwendete selbst Ted Berrigan, mein liebster New Yorker Dichter, in The Sonnets wiederholt Anspielungen auf Dylan Thomas.

Ich war als Siebzehnjähriger der Lyrik von Thomas verfallen, und ich besorgte mir auch einen Band mit seinen Briefen und eine Biographie. Dylan Thomas sah aus wie ein würdevolles Schweinchen mit einer Kippe zwischen den Lippen, wirren Locken und einer nachlässig gebundenen Fliege. Man konnte sehen, dass eine starke innere Haltung nötig war, um sein knolliges Gesicht so sexy zu machen, wie es ihm gelang, und außer seiner eigenwilligen Art, mit der Sprache umzugehen, bedurfte es einer Menge Alkohol und eines guten Sinns für Humor.

Ich ging damals in die Bibliothek, um zu sehen, wer die anderen modernen Dichter waren. Mir missfielen die gebildeten, pingeligen, grimmigen Lyrikproduzenten wie etwa Robert Lowell. Ich entdeckte William Carlos Williams, und mir wurde klar, dass Lyrik für mich genau das Richtige war. Williams hatte ein schönes Buch nach dem anderen im Verlag New Directions veröffentlicht und wurde wie ein VIP behandelt. Ich wusste, dass ich besser schreiben konnte als er. Ich dachte, wenn er es mit ein paar weißen Hühnern, einer regennassen roten Schubkarre und kalten Pflaumen im Eisschrank zu Ruhm bringen konnte, dann könnte ich es auch schaffen. Dylan Thomas war mein Vorbild, aber es war Williams, der mich meine Berufung erkennen ließ. Komisch, auch wenn ich nie viel Interesse an Williams entwickelte, sind seine Objekte fraglos die Highlights dieses Abschnitts. Objektivismus nannte man damals.

Blank Generation

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