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Erstes Kapitel.

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Wir fröstelten alle in der kalten Winternacht, während die knirschenden Räder durch die Ebenen Ostpreussens so eilig dahinrollten, dass Bauernhöfe, Dörfer, Wälder und Bäche, Moräste und Flüsse in wildem Tanz an uns vorüberzufliegen schienen. Unser Eilzug näherte sich dem unwirtlichen alten Königsberg.

In ihre Decken eingewickelt, drückten sich die vielsprachigen Reisenden mollig in die roten Polster der kleinen Wagenabteilungen und schlummerten, rauchten, brummten oder schwatzten unbefangen, wie es gerade die jeweilige Stimmung mit sich brachte. Von meinen Reisegefährten hatte ich nur wenige gesehen, da die Querteilung der kleinen deutschen Eisenbahnwagen die Entdeckungsreisen im Zug, wie sie der Reisende in Amerika gewöhnt ist, unmöglich machen.

Für die Abfahrt des Schnellzugs von Berlin nach Petersburg ist die ungewöhnliche Zeit „zwölf Uhr nachts“ bestimmt, worin sich die vornehme Verachtung kundgibt, womit die büreaukratische Eisenbahnverwaltung auf das Behagen des reisenden Publikums herabsieht.

In der letzten halben Stunde vor der Abreise hatte ich eben noch Zeit gehabt, meine Verwandten in der russischen Hauptstadt telegraphisch von meiner Abreise aus Berlin zu benachrichtigen und mir eine durchgehende Fahrkarte via Eydtkuhnen nach dem neuen Paris am Newastrande zu lösen. Uebrigens war eine Nacht in einem üppig ausgestatteten Wagen erster Klasse keine grosse Strapaze für einen alten Veteranen.

Meine Rüstung für den Einfall in Russland bestand aus einem guten Reiseteppich, einem Paket der wenigst greulichen im Handel vorkommenden Tabakfabrikate, ein paar Bänden Tauchnitz und, als Würze dazu, einigen französischen Romanen. Einen wohlgefüllten „Seelentrost“ verwahrte ich in der Tasche meines warmen Ulsters. Es war Mitte Oktober und die mageren, steinigen Felder lagen kalt und erstorben im Mondscheine da. In meinem Coupé befanden sich ausser mir noch zwei hübsche, stramme russische Offiziere mit weissen, juwelengeschmückten Händen, die auf der Heimreise von Paris begriffen waren, wo die Russen so gern ihren Urlaub verbringen.

Nachdem ich es mir auf meinem weichen, breiten Sitze möglichst bequem gemacht hatte, schlummerte ich bald ein, während meine militärischen Gefährten mir gegenüber sich Cigaretten drehten, über allerlei Einkäufe und Pariser Weiber plauderten und sich über vaterländische Angelegenheiten mit jener kühnen Freiheit äusserten, die der reisende Russe auswärts so gerne zur Schau trägt und die ihm zu Hause unter dem eisernen Szepter des „weissen Zaren“ ein ganz unerreichbarer Luxus ist.

Als der Morgen dämmerte, fuhren wir durch die Festungswerke der alten preussischen Krönungsstadt Königsberg, der letzten Hauptstadt des Militärstaates Preussen, nach der russischen Grenze hin.

Nach dem Frühstück vertieften sich meine kriegerischen Reisegenossen in die Freuden des „Baccarat“ und des Cigarettenrauchens. Aus ihrer Unterhaltung entnahm ich bald, dass ich den Hauptmann Gregory Schewitsch und den Lieutenant Alexis Michaelowitsch von der allervornehmsten Waffe, von der kaiserlich russischen Garde, vor mir hatte.

In dem ihrer Nation eigenen guten Französisch plauderten sie über allerlei landläufige Gegenstände, während das wechselnde Spielglück vollends über alles nicht in Paris verbliebene Taschengeld verfügte. Ihre Unterhaltung, der ich, anscheinend in mein Buch vertieft, meine Aufmerksamkeit zuwandte, war von grösstem Interesse für einen ausgedienten amerikanischen Offizier, der ihr romantisches Vaterland zum erstenmal besuchen wollte, und während ich die langweiligen Blätter umdrehte, war ich ganz Ohr. Unter anderm erörterten sie auch die kürzlich erfolgte Ernennung eines wahren Ungeheuers von einem boshaften, schlauen Beamten zum Chef der russischen Geheimpolizei.

Dieser Herr erfreute sich, obgleich er nicht slavischer, sondern deutscher Abstammung war, einer selbst für ein despotisches Land unerhörten Macht; von seinem geheimen Lugaus in Petersburg traf die unsichtbare Hand dieses Machiavelli überall hin und sein hoher Rang, seine ausgedehnten Machtbefugnisse und sein hochwichtiges Amt verschafften ihm allezeit freien Zutritt bei dem neuen Zaren, dessen erhabener Name ihm als Donnerkeil diente.

„Gregory,“ sagte Alexis, „ich habe gehört, die Nihilisten seien gegenwärtig wieder sehr thätig und arbeiten aus Leibeskräften daran, ihre durch Loris Melikoff zerstörte Post- und Telegraphenverbindung wieder herzustellen.“

„Das stimmt,“ erwiderte Gregory, indem er seine Karten mit dem geldgierigen Instinkt eines schlauen Slaven betrachtete, „diese armen Teufel können nicht über unsre Grenzen, ohne die höchste Gefahr zu laufen, lebenslänglich nach Sibirien geschickt oder zu noch Schlimmerem verurteilt zu werden. Der neue Polizeipräsident ist so klug wie Bismarck und so schlau wie Vidocq.“

Nachdenklich drehte sich Gregory seine Cigarette und sagte: „Sie müssen jetzt verzweifelte Versuche machen, auf irgend eine noch nie dagewesene Weise herüberzukommen, denn wenn es ihnen nicht gelingt, sich über neue Signale und eine andre Geheimschrift zu verständigen, so müssen sie ihre Verschwörungen für immer aufgeben. Uebrigens haben sie eine Unmasse Geld und verfügen über einige sehr gewandte Unterhändler.“

„Das ist wahr,“ erwiderte der andre und hob ab, „mein Onkel, der Gesandte, sagte mir, einige unsrer Telegraphenbeamten gehören auch zu ihrer Verbindung und leisten ihnen ganz unschätzbare Dienste.“

„Nun, sie mögen so durchtrieben sein, wie sie wollen, der neue Polizeichef ist doch noch ein wenig schlauer und wird sie schliesslich in eine Sackgasse treiben.“

„Vorausgesetzt, dass sie ihn nicht vorher ermorden,“ sagte Alexis und händigte seinem siegreichen Kameraden eine handvoll zerknitterte Noten ein — mit einem unterdrückten Fluch über sein Pech.

Gregory lachte, während er die Rubel wohlgefällig betrachtete und einsackte: „Die Nihilisten werden kaum glücklicher sein, als du, alter Bursche! Erinnerst du dich noch des hübschen Salons der Fürstin Trubetskoi in Paris?“

Alexis lächelte und streichelte in Erinnerung an seine kürzlichen Eroberungen liebevoll seinen blonden Bart.

„Nun,“ fuhr der Hauptmann fort, „manch dickes blaues Paket von Noten der Bank von Frankreich sind von der ‚Haute Direction‘ in diese weissen, juwelenblitzenden Hände geglitten, denn die Fürstin liefert Abschriften der nihilistischen Pläne, — ja, man hat mir sogar erzählt, sie habe Dinge in Erfahrung gebracht, die in Bälde die Verhaftung der —“

Misstrauisch sah er nach mir hin und flüsterte seinem Gefährten einige mir unverständliche Worte ins Ohr.

„Bei Sankt Wladimir,“ rief Alexis, „das ist ja das Frauenzimmer, dessen seit dem Tod unsres lieben, alten Kaisers die ganze Polizei vergeblich habhaft zu werden suchte? Na, die ist ein netter Bissen für den Henker, wenn man sie erst hat! Sie soll, wie man sagt, von engelhafter Schönheit sein.“

„O,“ stimmte Kapitän Gregory mit einem lüsternen Ausdruck auf seinem tatarischen Gesicht bei, „in diesem Fall wäre ich gar nicht ungern selbst ‚le maître des épaules.‘“ Nun begannen die Offiziere sich zum Aussteigen fertig zu machen, denn wir näherten uns der letzten Grenzstadt.

„Schafsköpfe, bald bin ich eure widerliche, rohe Gesellschaft los,“ dachte ich und vertiefte mich wieder in meinen Roman, denn ich hegte bei meinem Eintritt in Russland nicht die mindeste persönliche Befürchtung.

Wozu auch? Ich war ja der glückliche Besitzer eines von der russischen Gesandtschaft sorgfältig visierten und „en règle“ erklärten Passes. Ausserdem hatte ich auch noch die wärmsten Empfehlungen an den mit mir verschwägerten Constantin Weletsky, einen der Räte des Zaren, der als einstiger Page der hochseligen Zarin bei der kaiserlichen Familie hoch in Gunst stand.

Diese und andre Empfehlungen sollten mir in Russland die allerhöchsten Kreise erschliessen, denn meine Tochter war mit Weletskys einzigem Bruder Basile verheiratet gewesen, einem tapfern, ritterlichen Offizier, der bei Plewna ein Bataillon befehligt hatte, dann im fernen Osten gefallen war und seine jugendliche Witwe mit einem kleinen vaterlosen Kind hinterlassen hatte.

Meine Tochter hatte diesen Herrn in Japan kennen gelernt und geheiratet, und um sie wieder zu sehen und ihre Interessen wahrzunehmen, reiste ich nun zum erstenmal nach Russland.

Meine Frau hatte ich in Paris zurückgelassen, weil sie den strengen Winter fürchtete und erst meinen Bericht abwarten wollte, ehe auch sie sich aufmachte, unser Kind zu besuchen, das nur wenige Wochen mit uns in Amerika verlebt hatte und dann, nachdem ihr Gatte im russischen Dienst in Asien gefallen war, in eine neue Heimat und zu unbekannten, aber gütigen Verwandten geeilt war.

Gellende Glockenzeichen und ein schriller Pfiff verkündeten unsre Ankunft in Eydtkuhnen, der Grenze des„heiligen Russland“, wo man zur Untersuchung des Gepäckes und der Pässe zwei und eine halbe Stunde Aufenthalt hat.

Mit den betreffenden Nationalfarben angestrichene Grenzpfähle ermahnen den Reisenden zu Stille, Vorsicht und politischer Klugheit, und dieser Warnung wird durch die Anwesenheit der in Zwischenräumen von wenigen Metern aufgepflanzten Soldaten weiterer Nachdruck verliehen.

Ein stattlicher, internationaler Bahnhof nebst Zollamt mit einem prächtigen Restaurant auf der russischen Seite lockte meine hungrigen Augen, und ich sehnte mich rasend nach dem letzteren, denn der Hunger quälte mich und meine Seele lechzte nach Speise.

Aber ach, die Grenze zwischen den beiden Kaiserreichen wurde von einem Gitter aus Schmiedeeisen gebildet und machte die Stillung meines Hungers gänzlich abhängig von dem Befund meines Passes nach Russland.

Mit Schwertern umgürtet und mit Revolvern bewaffnet standen die Wachen da, bereit, den Kühnen zu verhaften, der es wagte, unberechtigterweise eindringen zu wollen.

Zu etwa hundert hungrigen Reisenden wurden wir in einen Wartesaal gesperrt und aufgefordert, unsre Pässe und unser Gepäck zur Durchsuchung herzurichten. Während ich dem ernsten, strengen Befehl gehorchte und meine Papiere und Schlüssel hervorsuchte, betrachtete ich mir die Reisenden. Wir waren alle durcheinander gedrängt: Gräfinnen in Samt und Pelzwerk, flinke französische Kammerjungfern, behäbige Bürger, schmutzige polnische Juden mit Locken und schmierigen Reiseröcken, Geldwechsler, Soldaten und Vergnügungsreisende vereinigten sich hier zu einem recht sonderbaren menschlichen Mischmasch. Hochmütige Offiziere schleuderten umher, warfen den schönsten unsrer weiblichen Reisenden verliebte Blicke zu und liessen ihre langen Schleppsäbel herausfordernd klirren.

Als ich an die Reihe kam, entfaltete ich meinen Pass mit dem amerikanischen Adler darauf, und ein bärtiger, mit Orden und Medaillen förmlich bedeckter Oberst ergriff ihn und brach in die freundlichen Worte aus: „Ah, Amerikaner — sehr gut!“

Als ich dies hörte, bedauerte ich die fünf Dollars nicht mehr, die ich auf der Gesandtschaft für dies Papier erlegt hatte. Dieser Pass lautete auch auf den Namen meiner Frau für den Fall, dass sie mit mir reisen wollte, obgleich ihr auch noch ein besonderer Pass ausgestellt worden war, den sie in Paris zurückbehalten hatte, um mir möglicherweise nachreisen zu können.

Man wies mich nach der Gepäckinspektion und liess mich durch, während einige Verdächtige, die wegen Unregelmässigkeiten in ihren Papieren zurückgewiesen worden waren, sich zu einem Entrüstungsmeeting zusammenthaten. Ganz glücklich faltete ich eben mein „Sesam öffne dich“ für die russische Restauration wieder zusammen, als ich plötzlich die liebliche Nähe eines weiblichen Wesens verspürte.

Eine volle, wohlklingende Stimme sagte im gewähltesten Englisch: „Ich bitte um Vergebung, mein Herr, könnte ich Sie nicht einen Augenblick sprechen?“

Die Dame, die diese Worte sprach, war sehr jung und sehr schön für das Auge eines Veteranen, denn gleich den meisten alten Soldaten war ich nicht ganz unempfänglich für weibliche Reize. Der Anzug und alles, was die schöne Unbekannte an sich hatte, war durchaus ladylike.

Als ich sie ansah zeigte ihr ganzes Wesen eine solche Unschuld und Unerfahrenheit, dass ihre Hilflosigkeit einem Mann von Welt, wie mir, entschieden zu Herzen gehen musste. Ihre klaren dunklen Augen blickten ängstlich, ihre schönen Korallenlippen zitterten aufgeregt, welliges braunes Haar umrahmte ein zartes, liebliches, etwas stolzes Antlitz und das Ganze war ein entzückendes Bild. Obgleich ihr Wesen einen beinahe kindlichen Eindruck machte, schien doch ihre Gestalt für die allerfrüheste Jugend zu sehr entwickelt, ein dunkelbraunes, mit Zobel besetztes Kostüm hob die Umrisse ihrer wundervollen Formen aufs vorteilhafteste hervor.

Hübsche Händchen steckten in einem Muff, flehende Augen blickten unter der zierlichen, kleinen Mütze hervor und niedliche Füsschen trippelten in hohen polnischen Stiefelchen hin und her.

Ich nahm meinen Hut ab vor der unbekannten eleganten Erscheinung, lächelte mit meinem sanftesten Sonntagsschullächeln und entgegnete: „Stehe Ihnen ganz zur Verfügung, gnädige Frau.“

„Eine schöne Landsmännin,“ dachte ich dabei, obgleich der blaue Fuchsbesatz der seidenen „Shuba“, die die anmutigen Schultern umschloss, ein etwas lokaler Luxus zu sein schien.

„Bitte, geben Sie mir Ihren Arm, wir wollen ein wenig auf und ab gehen, damit wir keine Aufmerksamkeit erregen,“ flüsterte der schöne Wandervogel mit einem leichten Zittern in der Stimme.

„Hoffentlich macht sie’s kurz,“ dachte ich, weil ich das liebliche Klappern von Tellern und Bestecken von jenseits der russischen Grenze vernahm und die schwalbenschwänzigen Kellner hin und her fliegen sah, denn die ersten Gäste hatten bereits die Pforten des epikuräischen Paradieses überschritten.

„Ich bin eine Amerikanerin und reise nach Russland,“ begann sie, „um dort mit meinem Gatten zusammenzutreffen, der vorausgefahren ist. Er hat nur einen Pass für uns beide, und nun sehe ich ganz unerwartet, dass ich nicht über die Grenze kann. Ich weiss gar nicht, was ich anfangen soll.“

Während sie dies sagte, durchzuckte mich der leise Druck ihres Armes wie ein elektrischer Schlag, und ihre Stimme klang so melodisch wie das Murmeln eines Bächleins.

„Das bedaure ich unendlich,“ brummte ich, „aber ich wüsste nicht, was ich in der Sache thun könnte, denn ich bin ein einfacher amerikanischer Reisender ohne irgend welche offizielle Stellung — ein ausgedienter Offizier, der auf Besuch zu Verwandten nach St. Petersburg geht und hier gar niemand kennt.“

Diese Bemerkung brachte ich so recht harmlos vor, denn auch ich hatte einst über die Stränge geschlagen und wusste, dass derartige kleine Anbandeleien oft sehr heikel werden können.

„Aber ich habe bemerkt, dass Sie keine Dame bei sich haben und Ihr Pass lautet, wie ich gesehen habe, ‚mit Gemahlin‘.“

„Gewiss,“ sagte ich, vermutlich in etwas ungeduldigem Ton, denn das immer lebhafter werdende Geklapper von Messer und Gabeln bewies mir, dass die Mahlzeit, nach der ich begehrte, jenseits des Gitters, in Russland, schleunigst vertilgt wurde.

Nun erhob sie sich auf ihre zierlichen Fussspitzen, faltete ihre Hände um meinen Arm, drückte ihn bedeutungsvoll und flüsterte: „Nicht wahr, Sie nehmen mich mit über die Grenze als — — als Ihre Frau?“

„Grosser Gott,“ rief ich aus, „aber meine Frau!“ Denn Frau Lenox ist zeitweise sehr zur Eifersucht geneigt. Unterdessen nagte der Hunger in mir wie eine Ratte in einer leeren Rosinenkiste.

„Ich bitte, ich beschwöre Sie,“ fuhr sie fort, und ihre Stimme klang herrlich in ihren tiefen Tönen, „lassen Sie mich nicht hier im Stich! Ich muss jetzt über diese Grenze kommen, und man hält mich bereits für Ihre Frau — man hat gar nicht einmal nach meinem Pass gefragt.“

„Für meine Frau!“ stiess ich fast atemlos hervor.

„Gewiss, der Oberinspektor nahm an, ich sei Ihre Frau. Sie sind ein Landsmann von mir — nehmen Sie mich mit bis Wilna, dort erwartet mich mein Gatte und wird Ihnen selbst seinen Dank abstatten.“ Und in kindlicher Angst schmiegte sie sich an mich an.

Meine Gedanken verwirrten sich, meine Nerven prickelten und mein Herz klopfte bei ihrer Berührung. Schon manchmal war ich auf einigen weiten Reisen für hübsche Damen eingetreten.

Eine Art Geheul des russischen Zollbeamten mahnte mich zur Eile, denn unser Gepäck lag noch allein auf dem hohen Zinktisch, und beinahe alle andern Reisenden waren schon fort.

Der dienstthuende Oberst, der sich eben auch in den Speisesaal begeben wollte, warf im Vorübergehen einen bewundernden, begehrlichen Blick auf das schöne Geschöpf an meinem Arm und flüsterte: „Die schöne Amerikanerin.“

„Sie dürfen eine Landsmännin nicht in einer solchen Verlegenheit lassen! Wahrhaftig, ich glaube man märe im stand mich zu verhaften,“ sagte sie mit einem unschuldigen, leichten Schaudern.

Ich warf dem Inspektor meine Schlüssel hin und blickte zögernd auf die schöne Bittstellerin neben mir.

Wo trieb ich hin? Ganz betäubt stand ich da, während der Beamte hastig meine spartanische Ausrüstung durcheinander warf.

Ein leises Lüftchen trug die verlockenden Düfte eines leckeren Mahles und eines trefflichen Mokkas durch die wohlbewachten Pforten zu uns herüber.

„Sie werden mich gütigst entschuldigen,“ sagte ich mit einer rauh und heiser klingenden Stimme.

Der bärtige Beamte warf einen Blick auf das umfangreiche Gepäck der Dame — ich musste mich sofort entscheiden.

„Um Gottes willen, lassen Sie mich nicht hilflos hier zurück,“ flehte sie mit einem angstvollen Ausdruck in ihren wunderschönen Augen, und zugleich gab sie mir ruhig und gelassen ihre Schlüssel in die Hand, die ich mechanisch in die ausgestreckte Pfote des hungrigen Beamten fallen liess. Dann aber winkte ich, von Reue befallen, verneinend mit der Hand.

„Sie werden doch gewiss nicht wollen, dass meine Reise durch ein solches Missgeschick unterbrochen wird, wenn Sie es durch blosses Schweigen verhüten können?“ flüsterte sie mir zitternd ins Ohr, und ihre wundervollen dunklen Augen blickten mich traurig und klagend an. „Facilis est descensus Averni!“ Ich fühle, ich weiss, dass ich im Begriff bin zu unterliegen. Hastig sehe ich mich um. Ach, wenn nur ihr Mann und meine Frau hereinträten! Aber kein so glückliches Ereignis erfolgt. Dagegen bemerkte ich, dass die Augen des Obersts fragend, forschend auf meiner schönen Bürde ruhten. Schöpft er etwa Verdacht? Das darf nicht sein! Wütend fahre ich den Zollbeamten an und frage, warum er nicht schneller mache.

Die ganze Zeit über tickt die grosse Uhr und mahnt geisterhaft daran, dass der Augenblick entschwindet; unterdessen durchwühlt der Inspektor die in den offenen Koffern aufgespeicherten Schätze der Schönheit, und ich betrachte mit erbärmlicher hohler Freude all dies geheimnisvolle Zubehör der weiblichen Toilette. Da ich kein Worth und kein Pingat bin, kann ich mich nicht auf eine Schilderung der Einzelheiten einlassen, aber ich will ehrlich gestehen, dass ich stolz war auf die Ausstattung meiner Dame, denn sie wäre einer Herzogin würdig gewesen, so zart und fein waren die Spitzen und Stickereien, so reich und weich die Seide, der Atlas, der Samt und so elegant die Pantöffelchen und Stiefelchen aller Art.

Der blosse Anblick dieser Dinge lässt mein empfängliches altes Soldatenherz höher schlagen und ich betrachte die Dame, deren Lieblichkeit durch diese Gegenstände geschmückt und erhöht werden soll. Ein Bild der Unschuld, der Schönheit und der Ungeduld hängt sie an meinem Arm.

Nun ist die Untersuchung zu Ende; die Koffer werden wieder geschlossen. Mechanisch werfe ich dem Beamten einen Rubel hin, und er stürzt gierig fort zu seinem Mahl.

Der Druck auf meinem Arm wird fester, und der Duft, der ihren Gewändern entströmt, umweht mich; mechanisch wende ich mich zu ihr; ihre Augen, noch schöner in der Angst, begegnen den meinen, ihre Gestalt zittert, schwankt und lehnt sich an mich an. Guter Gott! Sie ist einer Ohnmacht nahe!

Um sie zu ermutigen, flüstere ich ihr mit unsinnigem Gekicher zu: „Welch schöne Ausstattung Sie haben!“

Wir nähern uns dem Gitter, und die schöne anmutige Fremde schmiegt sich dicht an mich an, aber ihr Schritt scheint kräftiger zu werden.

Unaufgehalten schreiten wir durch die Pforte und stehen nun auf dem Boden des„Heiligen Russland“.

Meine offizielle Frau

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