Читать книгу Meine offizielle Frau - Richard Henry Savage - Страница 8
Viertes Kapitel.
ОглавлениеAuf dem Bahnsteig holte ich sie ein, während sie sich im Weitereilen hastig in ihre pelzbesetzte Schuba hüllte.
„Sie scheinen es ja sehr eilig zu haben, Frau Gaines geborene Vanderbilt-Astor,“ sagte ich und half ihr zärtlich beim Anlegen ihrer Schuba.
Inmitten eines Teiles unsrer Mitreisenden schritten wir, von der scharfen, schneidenden russischen Luft zur Eile angetrieben, auf das Portal des Gasthofes zu. Frau Gaines’ Schritte wurden immer leichter und schienen sich zu beflügeln, „je näher das Wiedersehen mit ihrem Gatten kommt,“ dachte ich traurig. Sonderbarerweise schien dieser Gedanke auf meine Stimmung und auf meinen Schritt eine ganz entgegengesetzte Wirkung auszuüben.
Die Vorhalle des Gasthofes war strahlend erleuchtet, und mehrere reichgekleidete Dvorniks und Portiers standen unter der offenen Thür bereit, die Menge der Reisenden der ersten Klasse zu empfangen, die gewöhnlich unter diesem gastlichen Dach zwei Stunden bis zur Weiterfahrt verbringen.
Als wir uns dem Eingang näherten, spähten Helenes Augen neugierig umher, als suche sie jemand.
„Sie erwartet den Gatten,“ dachte ich.
Einen Augenblick später schritt ein nach Art des russischen Mittelstandes gekleideter Herr auf sie zu, als er aber sah, dass ihre Hand auf meinem Arm ruhte, schien er zu zögern und warf mir einen misstrauischen Blick zu, flüsterte ein paar russische Worte und machte kehrt, um sich wieder zu entfernen! Dabei bemerkte ich aber, wie er mit wahrer Taschenspielergewandtheit der Dame neben mir ein Stück Papier in die offenbar zum Empfang desselben ausgestreckte Hand steckte.
„Eine Botschaft von Dick? Verstehen Sie denn russisch?“ fragte ich.
„Nur ein paar Worte,“ flüsterte sie und warf einen eiligen Blick auf das Papier. Im nächsten Augenblick erbebte sie wie in einem Fieberschauer, vielleicht infolge der kalten Nachtluft, vielleicht auch infolge einer inneren Erregung.
„Schlechte Nachrichten?“ fragte ich.
„Ja, von Dick,“ stiess sie zwischen ihren klappernden Zähnen hervor. „Bringen Sie mich rasch in den Gasthof — es ist hier aussen so kalt!“
Erstaunt führte ich sie in die Vorhalle, wo ein grosser Kachelofen angenehme Wärme ausstrahlte, und ich war im Begriff, sie in dessen Nähe unterzubringen, aber der Fieberschauer hörte auf sie zu schütteln noch ehe sie ins Bereich der Ofenwärme gekommen war. Plötzlich trat sie von mir weg ins Büreau des Gasthofes und bereitete mir eine neue Ueberraschung dadurch, dass sie nachlässig, aber mit weithin vernehmbarer Stimme fragte, ob keine Briefe für Frau Arthur Lenox da seien. Auf die verneinende Antwort hin sagte sie eilig: „Ein Zimmer oben und Nachtessen für zwei Personen.“
Dann lächelte sie mich an und mit einem: „Ich denke, so wird dir’s auch recht sein, lieber Arthur,“ schwebte sie die Treppe hinauf, und ich folgte ihr rasch, um mir erklären zu lassen, wie Frau Dick Gaines dazu kam, in Wilna Briefe unter dem Namen meiner Frau zu erwarten.
Der aufmerksame Kellner flog an uns vorbei und riss die Thüre zu einem prächtigen Gemach auf. In Russland hält man alle Amerikaner für reich, und deshalb bekamen wir das beste Zimmer im Haus.
„Der gnädige Herr befehlen?“ fragte er und verbeugte sich bis zur Erde.
„Das beste Abendessen, das Sie gleich beschaffen können.“
Sofort reichte er mir die Speise- und die Weinkarte, und während ich bestellte, warf Frau Dick ihre Schuba und ihre Pelzmütze auf einen Stuhl.
Nachdem der Kellner gegangen war, wandte ich mich sofort an das hübsche Rätsel vor mir und fragte etwas streng: „Was veranlasste Sie, hier in diesem Gasthof nach Briefen für meine Frau zu fragen?“
„Habe ich das gethan?“ fragte sie unsicher.
„Haben Sie das schon wieder vergessen?“
„Vielleicht habe ich’s gethan,“ entgegnete sie und streifte erregt ihre Handschuhe ab. „Ich war so überrascht und entsetzt über die Nachricht, die mir der Mann — ein Untergebener von Dick — übermittelte, dass ich im Augenblick gar nicht wusste, was ich that.“
„Schlechte Nachrichten von Ihrem Gatten?“ sagte ich mit gelindem Bedauern, denn trotz der zwanzig Jahre, die darüber hingegangen waren, lebte die Erinnerung an meinen alten Stubenkameraden in meiner Brust weiter.
„Bst! Nicht so laut! Hier bezeichnet man Sie als solchen,“ flüsterte sie, „rücken Sie näher zu mir heran.“ Dann sagte sie plötzlich ganz aufgeregt: „Es ist entsetzlich — entsetzlich — ganz entsetzlich!“
„Was ist entsetzlich?“ forschte ich in leisem Flüstern, während ich dicht neben ihr auf dem Sofa Platz nahm. Die schönen nussbraunen Augen glänzten durch einen Thränenschleier zu mir herüber und ihre volle Brust wogte heftig unter ihrer seidenen Hülle — und Nervenanfälle bei hübschen Damen haben mein Soldatenherz stets gerührt.
„Er — er ist — nach — St. Petersburg gegangen!“ stöhnte sie. „Gestern ist er in Geschäften dorthin abgereist. Nun bin ich hier ganz allein. Was soll ich thun, Arthur? Ach Gott im Himmel droben, was soll ich nun anfangen!“ Und nun tropften die Perlen hernieder aus ihren Augen.
„Gestatten Sie der Erfahrung eines Mannes von Welt, Ihnen zu Hilfe zu kommen,“ flüsterte ich begeistert.
Mit einem atemlosen: „Gott segne Sie, Arthur,“ schlug ihr Herz an dem meinen; ihr duftendes Haar lag auf meiner Schulter und sie brach in Schluchzen aus.
„Nicht weinen, nicht weinen,“ flüsterte ich ganz verzweifelt, „was soll denn der Kellner denken?“ Denn Nervenanfälle bei Damen machen mich verlegen, so reizend sie auch sind.
„Ich — ich kann nicht anders,“ flüsterte sie, „ich muss — o, Arthur, Sie sind so gut! Wenn Sie gehen — habe ich keinen Pass. Mein Gepäck nach St. Petersburg aufgegeben — man wird mich vernehmen — vielleicht verhaften, und Sie — Sie, sogar Sie könnte man verdächtigen. Sie haben gehört was Petroff über falsche Pässe sagte — ach Gott, in welche Verlegenheit hat meine Thorheit uns beide gebracht! Und die grässlichen Zeitungen — Dick wird es erfahren!“
Das Zittern, von dem sie bei diesem Gedanken befallen wurde, dehnte sich auch auf mich aus — wenn die Sache in die Zeitungen kam, so musste es meine Frau ja auch erfahren.
„Was soll ich nun thun?“ rief sie, vor Angst erbebend.
„Was thun?“ rief ich von einer plötzlichen Eingebung ergriffen: „Was thun? Nun, mit mir nach Petersburg weiter reisen, um Dick zu treffen!“
„Natürlich!“ antwortete sie. „Wie kindisch von mir, dass mir das nicht gleich eingefallen ist! Ich habe ja eine Fahrkarte! O wie selbstlos und klug, wie edel und überlegt Sie sind, Arthur!“ Dann liess sie mit einem Seufzer der Zufriedenheit wie eine müde Taube ihr liebliches Köpfchen an meine Brust sinken, während ich in einem unsinnigen Anfall von Entzücken meinen Arm um sie schlang.
„Fassen Sie sich, kleine Frau,“ rief ich tröstend, „schluchzen Sie nicht so! Gleich kommt der Kellner und bringt den Thee.“
So ermutigt, lebte Frau Dick wieder auf; als sie bemerkte, dass ich sie im Arm hielt, errötete sie, richtete sich auf und rief ganz vergnügt: „Was uns Ihr Plan Spass machen wird! In zwanzig Stunden sind wir in Petersburg; Sie führen mich ins Hotel de l’Europe, treiben dann Dick auf und erzählen ihm unser Abenteuer. Wird das lustig werden! O, Sie sind mein Schutzengel!“ Und damit begann das unschuldige Geschöpf mit der grössten Freude im Zimmer herumzutanzen, bis der Kellner ein lukullisches Abendmahl auftrug, über das sie mit einem wahren Kinderappetit herfiel, der mich entzückte, denn ich schloss daraus, dass sie meiner Welterfahrung vertraute und deshalb an einen guten Ausgang des Abenteuers glaubte.
Aber während sie lachte, plauderte und ass, fing ich an zu überlegen, und als mir die Schwierigkeiten meiner Lage allmählich klar wurden, verging mir der Appetit, ich hörte auf zu essen, fing an zu trinken und wurde einsilbig, finster und trübsinnig.
Sobald der Kellner draussen war, schmollte sie: „Sie sehen nicht aus, als wären Sie sehr entzückt darüber, mich noch ein paar Stunden länger unter Ihrer Obhut zu haben.“
„Das ist es nicht, aber nachher,“ murmelte ich. „Denken Sie, wenn die Weletsky mich an der Bahn abholen und Sie an meinem Arm sehen; ach du grosser Gott, und wenn ich denke, dass man vielleicht meiner Tochter telegraphiert hat, dass ich komme, und sie am Ende auch auf dem Bahnhof steht! Glauben Sie denn, sie werde nicht wissen, dass Sie nicht ihre Mutter sind, auch wenn alle Bahnbeamten darauf schwören, Sie seien mein rechtmässiges Weib.“
„Ihre Tochter befindet sich in Rjäsan?“ fragte sie.
„Gewiss.“
„Und Sie haben heute von Eydtkuhnen aus telegraphiert?“
„Ja.“
„Dann ist es gar nicht menschenmöglich, dass Ihre Tochter, morgen zeitig genug nach Petersburg kommt.“
„Sie sprechen sehr bestimmt für jemand, dem Russland ganz unbekannt ist.“
„Ich weiss genug, um bestimmt sprechen zu können,“ rief sie heftig; dann schlug sie aber plötzlich einen andern Ton an und stammelte: „Ich weiss übrigens ebenso bestimmt, dass Sie bereuen, mir beigestanden zu haben.“
„Durchaus nicht,“ sagte ich, stöhnte aber gleich darauf: „ach Gott, unser falscher Pass!“
Sie wurde sehr bleich und jammerte: „Sie wollen mich hier zurücklassen — hier ganz allein — Arthur, Sie mich — Sie!“ Damit schwankte sie auf mich zu, ergriff meine Hand und streichelte sie wortlos, aber so ausdrucksvoll, dass ich mich so stolz fühlte wie ein Indianer mit einem frischen Skalp.
„Niemals!“ rief ich. „Sie thörichtes Kind, ich erwähnte ja diese Schwierigkeiten nur, um Ihrer Unschuld all die uns umgebenden Fallstricke zu zeigen, die ich aus Erfahrung kenne, und um Sie ein bisschen zur Vorsicht zu mahnen.“
„Vorsicht,“ sagte sie verhältnismässig ernst, „fürchten Sie nichts von mir — ich will ganz Vorsicht sein.“ Dann wurde sie plötzlich wieder lebhaft und rief: „Ich muss ganz entschieden verlangen, dass du heute abend keinen Wein mehr trinkst, mein lieber Mann. Thust du’s doch, so lass ich mich von dir scheiden, du böser Mensch!“ Dies sprach sie, während sie feierlich warnend den Finger emporhob und ein Paar lachender Augen zeigte, die für mich weit berauschender waren als der Champagner, den ich zum Munde führte. Natürlich schlug ich nun alle Sorge in den Wind, und wir beendeten unser mitternächtliches Mahl recht munter und vergnügt.
Aber das Ticken der Uhr auf dem Kamin mahnte daran, dass die Zeit enteilte; ich klingelte dem Kellner, bezahlte und warf dem sich kriechend verbeugenden Menschen ein paar Rubel hin. Frau Dick sah dies und reichte mir schweigend ihr kleines Taschenbuch.
„Wozu?“ fragte ich überrascht.
„Für meine Auslagen,“ gab sie rasch zurück. „Frau Dick Gaines bezahlt selbst für sich.“
„Aber Frau Arthur Lenox —“ wendete ich ein.
„Will ebenfalls bezahlen,“ flüsterte sie. „Bitte, weisen Sie das nicht zurück! Meine Lage bringt weiss Gott genug Verlegenheiten mit sich, auch ohne dass Sie mich zwingen zu erröten, so oft Sie Ihr Taschenbuch öffnen. Nehmen Sie, bitte, das Geld! Sie müssen es durchaus — wenn nicht alles, so teilen Sie wenigstens mit mir.“
Dabei drückte sie mir gewaltsam eine Menge Banknoten in die Hand und sagte dann: „So, jetzt kann ich Sie doch morgen früh mit gutem Gewissen um ein Frühstück bitten.“ Gleich darauf standen wir auf, um zu gehen.
„Und Sie sind wirklich nicht unglücklich darüber, dass Sie sich nicht schon in Wilna von mir trennen?“ fragte mein Schützling mit lächelndem Mund; dann warnte sie mich spöttisch: „Nicht, Arthur! Der Kellner sieht ja zu! Sie sind viel zu aufmerksam für einen echten Ehemann;“ denn ich half ihr mit gemächlicher Beflissenheit, die mit ehelicher Gleichgültigkeit nichts gemein hatte, in ihren Pelz.
Einen Augenblick danach schritt ich, sie am Arm führend, die Treppe hinunter und durch eine Menge müssiger, bewundernder Gaffer zur Hausthür. Als ich am Büreau vorüberging, rief mich der Buchhalter an: „Bitte um Vergebung, Herr Oberst, wollen Sie sich gütigst hier einschreiben und mir einen Blick auf Ihren Pass gestatten? Eine reine Formsache, aber eben einmal Vorschrift,“ sagte er ehrerbietig.
Natürlich blieb mir nun nichts übrig als „Arthur Lenox mit Frau“ in das Fremdenbuch zu schreiben — ein weiterer schrecklicher Beweis gegen mich, falls das Unglück wollte, dass die wahre Frau Lenox einen Blick auf dieses Blatt werfen sollte.
Bei dem Anruf des Buchhalters hatte Frau Dick plötzlich erschreckt meinen Arm fester gepackt, aber als ich mich nun einschrieb, rief sie dem Mann zu: „Ach, diese Pässe — diese Pässe! Wir haben den unsern schon so oft zeigen müssen, Arthur, dass er vermutlich bald abgenützt sein wird.“
Dann nahm sie meinen Arm, hing sich fest an mich, und als wir in der Dunkelheit der Nacht nach der Bahn hinübergingen, flüsterte sie: „Ich erschrecke jedesmal furchtbar, wenn man nach dem schrecklichen Pass fragt. Sie sind der liebste, beste Mann von der Welt, dass Sie so freundlich für so ein unerfahrenes, dummes Ding sorgen, wie ich eines bin.“
Auf dieses Kompliment erwiderte ich nichts, obgleich es dem Mann von Welt in mir viel zu denken gab, sondern strich nur meinen Schnurrbart, der noch immer kohlpechrabenschwarz war — dank einer orientalischen Behandlung, die mir Ali Khan, Barbier in Alexandria, verraten hatte, als ich noch bei der Armee des Khedive stand.
In wenig Augenblicken hatten wir den Zug erreicht und stiegen in unsre Abteilung ein, wo Frau Dick mit einem Seufzer der Erleichterung in die üppigen Kissen sank, denn die verschiedenen Aufregungen unsres Aufenthalts in Wilna schienen ihre Nerven denn doch angegriffen zu haben.
Ein Blick auf meine Uhr belehrte mich, dass wir bis zur Abfahrt noch eine Viertelstunde Zeit vor uns hatten, und da die kalte Nachtluft auf Helene hereinströmte, schloss ich die Thür unsres Coupés und half ihr mit beflissener Zärtlichkeit Hut und Schuba ablegen.
„Sie sind zu gütig ... ach, ich bin so müde!“ sagte sie.
„Kann ich sonst noch etwas für Sie thun?“ fragte ich, denn sie lag wirklich völlig erschöpft und regungslos in den Kissen.
„Meine Pantoffeln,“ flüsterte sie, und im nächsten Augenblick hatte ich aus ihrer Handtasche zwei winzige also benannte Gegenstände hervorgesucht und betrachtete sie mit Bewunderung, denn sie waren im feinsten französischen Geschmack aus Goldlackleder gearbeitet.
Dann sank ich vor den bewunderungswürdigen Füssen nieder, die klein genug waren, in einer solchen Hülle Platz zu finden, und schnürte mit der Ritterlichkeit des ancien régime, auf die ich mir was zu Gute that, die hohen polnischen Stiefelchen auf. Nachdem sie sich ein wenig dagegen gesträubt hatte, liess sie mich gewähren, und ich zog ihr die zierlichen Pantöffelchen an. Dabei fielen aber meine bewundernden Blicke auf zwei in perlfarbene, glitzernde Seide gehüllte, entzückende Knöchel, das Blut stieg mir zu Kopfe und mit einem unsinnigen Kichern rief ich eben: „Was würde Dick Gaines dazu sagen?“ als ein plötzliches, gottverdammtes Klopfen an der Thür meiner vorübergehenden Verrücktheit ein schnelles Ende bereitete.
Als ich die Thür öffnete, fuhr Helene mit dem angstvollen, erschrockenen Blick eines gehetzten Rehes in die Höhe. Die Mütze in der Hand stand der Schaffner draussen.
„Bitte den gnädigen Herrn um Entschuldigung, aber ich muss um eine grosse Vergünstigung nachsuchen. Die Fürstin Palitzin und ihre Schwägerin aus Warschau befinden sich im Zug. Die gnädige Frau hat den einzigen Salonwagen inne,“ stammelte er mit tiefer Verbeugung. „Würde die gnädige Frau nicht vielleicht dieses Gelass mit den Damen teilen, und der gnädige Herr sich’s in einem andern Schlafcoupé bequem machen?“
Wuterfüllt war ich im Begriffe zu schreien: „Die Fürstin Palitzin kann man von mir aus der Teufel holen,“ als Frau Dick mit lieblichem Lächeln vergnügt und erleichtert ausrief: „Gewiss, sehr gerne, Schaffner.“
Während dieser sich ganz glücklich entfernte, lachte Helene über mein enttäuschtes Gesicht und flüsterte mir zu: „Sie lieber, guter Arthur, begreifen Sie denn nicht, wie günstig dies für uns ist? Die Reisegefährten solch grosser Damen, wie die Fürstinnen Palitzin wagt niemand nach Stellung oder Pass zu fragen.“
Nun kam der Schaffner zurück und brachte mein bisschen Handgepäck in eine anstossende, für zwei Personen bestimmte Abteilung, wo eben noch ein andrer Herr einstieg. Zur Wahrung des Scheins liess ich Helene meine französischen Romane und einige andre Kleinigkeiten zurück.
Die beiden Fürstinnen stiegen ein. Offenbar hatte ihnen der Schaffner unsre höfliche Bereitwilligkeit gerühmt, denn sie begannen sofort Helene in der Sprache ihres Landes zu danken.
Frau Dick, die unterdessen wieder frisch und munter geworden war, lächelte und sagte auf französisch: „Ich bitte um Entschuldigung, ich spreche nicht russisch.“
Sofort bediente sich die vornehme Dame der französischen Sprache und drückte auch mir ihren huldvollen Dank aus, worauf ich so höflich erwiderte, als es mir bei meiner inneren Wut überhaupt möglich war; gleichwohl sah ich, dass meine militärische Haltung und meine altmodische Höflichkeit auf sie und ihre reizende Begleiterin Eindruck machten. Die ältere der beiden Damen war eine hübsche, gebietende Erscheinung, die jüngere, etwa achtzehnjährige, besass die frische, kindliche Schönheit und jene eigentümliche Anmut, die man bei vornehmen Russinnen so häufig findet.
„Sie sind Amerikaner, mein Herr?“ fragte die ältere der Damen. Ich verbeugte mich bejahend.
„Und die gnädige Frau ebenfalls?“
Frau Dick lächelte und nickte mit dem Kopf.
„Ich werde Sie jetzt verlassen,“ flüsterte ich Helene zu, aber in so verdriesslichem Ton, dass sie leicht auflachte, gleich darauf schien sie aber diese Grausamkeit zu bereuen, trat an mich heran und flüsterte: „Sei doch nicht so ärgerlich, du lieber alter Arthur — gute Nacht!“
„Gute Nacht!“ erwiderte ich heiser, aber im nächsten Augenblick überkam mich die Versuchung; ich machte mir die Lage der Dinge zu nutze und drückte einen glühenden Kuss auf die roten Lippen, die unter meinem Schnurrbart zu zucken schienen ach — und dies Erröten! Dieses wurde noch tiefer, als die ältere Fürstin in russischer Sprache etwas zu ihrer Schwägerin sagte, worauf diese nur mit einem leisen Lachen antwortete.
Nun begab ich mich in die andre Wagenabteilung und versank, ganz betäubt von dem Kuss, der mir noch auf den Lippen brannte, in tiefes Sinnen und Träumen, aus dem ich durch die in richtigem Englisch, aber mit halb deutscher, halb russischer Aussprache gemachte Bemerkung: „Sie sind wohl Amerikaner?“ aufgeschreckt wurde.
Als ich mich nun umsah, fand ich, dass diese Bemerkung von meinem neuen Reisegefährten ausging, einem wohlbeleibten, kleinen Mann mit teutonischem Gesicht, kleinen, durchdringenden, tatarischen Augen, französischem Schnurrbart und ganz barbarischem Haarwuchs.
Er war unauffällig, aber gut gekleidet und sah, obgleich er höchstens fünfundvierzig oder fünfzig Jahre alt war, aus wie ein Sechziger, weil ihn die bläuliche Reisebrille, die seine Augen bedeckte und versteckte, älter erscheinen liess.
Das merkwürdigste an ihm war seine auffallend weiche, melodische und einschmeichelnde Stimme.
Höflich antwortete ich auf seine Frage und sagte ihm mit der meinen Landsleuten eigenen Bescheidenheit, dass ich als Offizier in der Armee der Vereinigten Staaten und noch vieler andrer Länder gedient habe.
„Sie scheinen mit der Fürstin Palitzin befreundet zu sein,“ sagte er, und fuhr dann mit einem leichten Anklang von Neid in der Stimme fort: „Ihr Amerikaner habt ja in Europa überall ‚entrée‘.“
Etwas verletzt durch diese Bemerkung wollte ich den Herrn in seine Schranken zurückweisen und erwiderte: „Ich befinde mich hier, um die Familie Weletsky zu besuchen; meine Tochter war mit dem jüngern Bruder Constantins, mit Basile, dem Helden von Plewna, der später in Japan starb, verheiratet.“
„Ah, Sie sind ein Verwandter der Weletsky!“ Sein Ton verriet, dass ich durch die Erwähnung einer der ältesten und aristokratischsten Familien Russlands in seiner Achtung gebührend gestiegen war.
„Ihr Amerikaner seid eine grosse Nation,“ fuhr er fort und richtete dann eine Menge neugieriger aber wohl überlegter Fragen über meine Heimat an mich, so dass wir bei etlichen guten Cigarren in eine lebhafte, beinahe vertrauliche Unterhaltung gerieten. Ich erzählte ihm einige Kriegsabenteuer mit Indianern, und er erregte meine höchste Verwunderung durch die Erzählung etlicher Anekdoten aus dem Privatleben einiger jungen New Yorker, die kürzlich Petersburg besucht hatten.
Später, als ich mich eben niederlegen wollte, sagte er: „Ich kann möglicherweise genötigt sein, den Zug zu verlassen, ehe Sie aufwachen, Herr Oberst. Sollte ich Ihnen irgendwie dienen können, so bitte ich, bei mir vorzusprechen.“ Dabei händigte er mir eine Karte ein, auf der nichts stand, als:
Baron Friedrich