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Das Geheimnis des Seemanns

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Also morgen geht’s fort, Harry?“ fragte Basil Goodloe, seinem Gast die Zigarren reichend.

„Jawohl, der Befehl lautet so“, antwortete ihm Harry Wainright, Kommandant der Vereinigten-Staaten-Flotte und reichte ihm das offizielle Schreiben hinüber. Die beiden jungen Leute saßen an einem der großen Parterrefenster im Hotel Athenée, welches vis-à-vis der großen Oper lag. „Weißt du, Kamerad, deine Privatangelegenheiten müssen wirklich sehr wichtig sein, denn sonst hättest du doch wahrhaftig nicht verzichtet. Der Admiral sagte mir, als er mir vor vierzehn Tagen das Patent aushändigte, daß ich mein Kommando nur deinem Urlaubnehmen verdanke!“

„Ach Gott, ja! Wichtig genug sind meine Sachen schon. Ich war zuerst so glücklich darüber, daß ich den „Ranger“ haben sollte, kam ich doch dadurch endlich aus dem nun schon vierzehn Jahr dauernden Frontdienst heraus, aber – na, ’s geht eben nicht! Es läßt sich nun einmal nicht ändern. Stolz wie ein Fürst wäre ich, schlimmstenfalls sogar auf einem Wachtkreuzer, in den Golf von Kalifornien eingelaufen. Doch ... laß das. Ich freue mich übrigens wirklich herzlich, daß gerade du an meine Stelle trittst.“

„Ja, aber wie kannst du nur wirklich den Gedanken fassen, jetzt gerade abzuklappen? Die Beförderung hat doch wahrhaftig lange genug auf sich warten lassen, und außerdem, wie willst du, die richtige Seeratte, fortdauernd auf dem Land leben! Überleg dir die Sache nur noch mal, ich will dir wahrhaftig nicht im Wege stehen.“

„Ach Gott, mach mir doch die Sache nicht noch schwerer. Ich weiß sowieso nicht, was ich tun soll, obgleich ich doch gerade alt genug dazu wäre. Was hilft mir denn meine ganze sogenannte Tüchtigkeit, wenn ich sie nicht anwenden kann! Ich kann nicht! kann nicht! Kein Mensch kann mir helfen! Aber eins kann ich dir nur sagen, der Abschied und das Scheiden vom Dienst wird mir sehr schwer.“

Ein kurzes Schweigen. Die kunstvoll sich emporringelnden blauen Wölkchen des aromatischen Havannakrautes schienen alles Interesse zu absorbieren.

„Ach, jetzt weiß ich, was dir ist“, rief plötzlich Harry aus. „Aber warum sagtest du mir das nicht gleich! Ich, als einziger Sproß des pennsylvanischen Kohlenbarons hab doch wahrhaftig genug, um auch dich aus der Klemme zu ziehn. Bitte, disponiere ganz ruhig über mich, das geniert mich gar nicht.“

„Bist ein guter Kerl und ich danke dir“, entgegnete Goodloe. „Aber ich brauche momentan wirklich kein Geld. Das wär mir nichts Ungewohntes, da wüßte ich ein sehr einfaches, aber probates Mittel. Auf’s Wasser schwimmt mir kein Manichäer nach.“

Der Pennsylvanier wurde ernster. „Na, dann ist’s eine Liebelei, dann steckt ein Weib dahinter.“

„Ja ... es ... handelt ... sich um eine Frau!“ Langsam und zögernd klang die Antwort Goodloes.

„Bist du etwa gar heimlich verheiratet?!“

„Nein, noch nicht und werde es wohl auch nie sein, trotzdem sie das entzückendste Geschöpf der Erde ist.“

„Gottlob! Dann geht’s noch!“ Wainright atmete sichtlich erleichtert auf. „Dann heißt’s lavieren, ehe ein Sturm aufkommt. Das ist was für mich. Paßt in mein Fahrwasser.“

„Ja, du gehst immer mit Volldampf drauflos, und weißt dein Herz vorsichtig frei zu halten. Ich bin aber zu schwerfällig dazu. Hast du mich schon jemals auf solchen Exkursionen getroffen?“

„Eben gerade deshalb hatte ich ja Angst, daß du dich kopfüber in eine Heirat stürzen würdest! Euch guten, harmlosen Burschen kann man so etwas schon zutrauen. Unsereins segelt einfach ab. So ein paar Seemeilen sind ’ne famose Sache.“

„Ja, ja, du bist eben ein Schwerenöter. Ich kann aber nicht einfach fortsegeln.“

„Na, und warum nicht? Sag mir das wenigstens. Ich habe heute abend Zeit. Der „Ranger“ liegt schon auf Mare-Island. Hätt’s mir wahrhaftig nie träumen lassen, das Schiff zu bekommen! Man scheint jedoch oben der Ansicht zu sein, daß ich, weil ich einst als Wachtoffizier das Deck der Pensacola zierte, jede Klippe und jede Strömung im Golf kennen müsse. Du wärst wahrhaftig viel mehr der Mann dazu.“

„Vielleicht! Doch wer weiß! Ich kann dir freilich nicht alles erzählen, aber das Wichtigste sollst du erfahren, dann wirst du schon selbst einsehen, daß ich in großer Verlegenheit bin.“

Basil Goodloe war eine echte Seemannsgestalt. Der offene Blick, das dichte braune Haar und die stattliche, männlich schöne Figur machten ihn gemeinsam mit feinen gewinnenden entgegenkommenden Manieren zum Liebling der Kameraden. Hervorragende Begabung für den Beruf und unermüdliche Pflichttreue brachten ihm verhältnismäßig jung ein Kommando als „Stabsoffizier“ unter Boanerges, einem der schneidigsten Admirale. Dieser, ein alter Grobian, war über sein Urlaubsgesuch für ein ganzes Jahr so ungehalten, daß er ihm einfach ins Gesicht sagte: „Goodloe, seien Sie doch nicht solch ein Dummkopf! Bleiben Sie an Bord. Unsere Jungens kommen im Zivilleben alle auf den Hund.“ Trotzdem kam weder der alte Seebär noch irgendeiner der Kameraden hinter Goodloes Geheimnis. Man zerbrach sich vergeblich den Kopf, weshalb dieser wohl die so bevorzugte Stellung plötzlich aufgab und ohne jeden ersichtlichen Grund nach Paris übersiedelte.

Das ersehnte Eintreffen des Patents gab ihm einen plausiblen Vorwand fürs erste nach Maryland, seiner Heimat, wo er jahrelang nicht gewesen war, zu gehen.

„Glaube mir, Harry“, fuhr Goodloe nach einer ganzen Weile fort, „ich ginge sehr gern mit dir, schon um dir alle die herrlichen Plätze an der Ostküste, an der sich’s so herrlich träumen läßt, zu zeigen. Ihre unentweihte hundertjährige Gastfreundschaft zählt zu meinen schönsten Erinnerungen – doch – ich muß hierbleiben.“

„Und die Geliebte bewachen“, spöttelte Wainright.

„So ist’s, du Quälgeist!“ entgegnete Goodloe. Hierauf fuhr er fort: „Du weißt, daß ich der Letzte meiner Familie bin, und mein Lebtag mehr Zeit auf die Beachtung des Kompasses und des ewigen Firmamentes verwendet habe, als auf das Studium jener trügerischen oft wandelbaren Sterne, die man „Frauenaugen“ nennt. Ich habe eigentlich bis jetzt niemals an „mein Schicksal“ gedacht, bis es sich eines Tages von selbst meldete. Ich sah mich entweder als Klubmensch, Gourmand oder Witzeerzähler enden oder so eine richtige „Dienstmaschine“ werden, wie der alte Holmes, Dellington und Preston, jene leuchtenden Vorbilder im Dienst; ganz plötzlich habe ich nun bemerkt, daß es auch „Frauen“ gibt.“

„Aha, immer dieselbe Melodie“, sagte der erfahrene Freund, sich eine neue Zigarre anzündend, „und natürlich ist’s immer die Frau, die eine, einzige. Aber weißt du, das ist ein etwas unsicherer Barometer, der steigt und fällt ohne Grund.“

„Scher dich zum Henker, mit deinem Barometer“, rief Goodloe, „die Sache ist ernsthaft; ich kann überhaupt nur weiter kommen, wenn ich hierbleibe.“

„So, so, nun kann ich mir deine Absichten ungefähr zusammenreimen“, lachte Wainright. „Du pflanzest dich selbst als Posten, als Sicherheitswache auf und wehe dem, der den Jordan überschreitet und auf dasselbe Ziel lossteuert.“

„Genau so will ich’s machen“, fiel ihm Goodloe ins Wort. „Außerdem ... sie hat eine Mutter und die muß man doch auch mit in Erwägung ziehen.“

„Aber sehr“, rief Wainright, unwillkürlich eine Grimasse schneidend, aus, „künftige Schwiegermutter, sehr wichtige Partei, na – und der Vater?“

„Ist tot!“

„Das ist sehr vernünftig von ihm, notabene wenn er seiner Tochter genügend Besitz und was man so braucht hinterlassen hat.“

„Mehr als genug, das ist ja gerade eine von meinen Sorgen. Große Ländereien, und die Damen wissen nicht einmal unter welchem Breitengrade sie liegen, um das auszukundschaften muß ich schließlich doch noch den Dienst quittieren.“

„Zum Henker auch! Gottlob, daß mein Vater mich mit solchen wilden Sachen verschont hat, d. h. ich glaube beinah, du tätest am besten, wenn du dir einen Arzt kommen ließest und ein Brausepulver oder irgend solch Beruhigungsmittel nähmst. Wie willst du denn die Güter finden, wenn die Damen nicht einmal wissen, wo sie liegen?“

„Das ist’s ja gerade, was mich verstimmt“, rief Goodloe. „Womöglich ist alles umsonst, ohne jeden Nutzen.“

„Nun, da will ich dir einen vernünftigen Vorschlag machen. Du kommst ganz einfach heute abend mit mir und kabelst an die zuständige Behörde um Annullierung deines Urlaubs. Wenn du dich rasch entschließest, können wir den Amerikaner noch zusammen besteigen. Ich gebe dir natürlich das Kommando zurück und wenn du als mein Vorgesetzter die Sache arrangierst, kann ich ja unter dir bleiben. Beim Neptun, du bist zu gut, um dich einer Idee willen, um ein Nichts zu opfern. Eine Heirat muß eine gesunde Basis haben, unter allen Umständen eine solidere, als eine einfache Liebe“, sagte sehr entschieden der vielbewunderte Offizier der Mittelmeerflotte.

„Was nennst du eigentlich eine solide Basis?“

„Geld, Gut, Wertpapier, wirklich existierender Grundbesitz, keine Luftschlösser“, lachte Wainright.

„Na weißt du, Minen in Mexiko sind eigentlich keine Luftschlösser.“

„Da magst du wohl recht haben, trotzdem für mich ein Rittergut im Mond ungefähr den gleichen Wert hat wie eine Mine in Mexiko. Ich kann die Hoffnung noch nicht aufgeben, daß du wieder zur Vernunft kommst und deine Karriere keiner flüchtigen Laune zum Opfer bringst.“

„Die Sache ist ja verwickelt genug und es mag ja sonderbar klingen, daß weder ich noch Anita Delmar irgendwelche Aufklärungen darüber geben können.“

„Also Anita Delmar! Dann hat ja der Engel wenigstens einen Namen. Ist sie Amerikanerin?“

„Nein, ihr Vater war ein Franzose, Gelehrter und Mineningenieur, und ihre Mutter eine bekannte Schönheit aus Louisville. Der Vater, der vor mehreren Jahren starb, ließ seine ganze Hinterlassenschaft drüben unter der Verwaltung eines sehr hochgestellten, angesehenen Partners. Die Damen leben schon lange in Paris.“

„Im ganzen genommen scheinst du wirklich herzlich wenig über sie zu wissen“, meinte Wainright etwas sarkastisch.

„Jedenfalls immer noch mehr, als sie von mir! Du taxierst den Wert der Uniform doch zu hoch. Mein Patent, einige alte Schwerter und Landkarten bilden mit meinen Visitenkarten zusammen meinen einzigen nachweisbaren Besitz. Ich dagegen kenne ihren Bankier, ihr Heim und ihre Stellung in der politischen Welt. Aber es handelt sich doch nicht nur um ein Landgut, sondern um Anita selbst, um meine ganze Zukunft. Ich quittiere den Dienst überhaupt nur, um ganz frei zu sein und um die Damen eventuell beschützen zu können, was ich doch vom Inland aus kaum kann. Hör zu. Vor ungefähr drei Monaten kreuzte ich an einem sehr stürmischen Nachmittag auf der Höhe von Villefranche. Wir hatten steifen Westnordwest und der Wind trieb ein sehr ungeschicktes Segelboot gegen meinen Dampfer an. Die Franzosen verstehen alle nichts vom Segeln, mit Ausnahme der Kanalschiffer; das Boot war auch viel zu schwer beladen. Ich hatte scharf auf mein eigenes Schiff aufzupassen. Plötzlich rief mein Kadett: „Himmel, sie werden überrannt. Zwei Frauen sind an Bord“. Während er noch sprach, hörten wir einen gellenden Hilferuf. Das Schiff war schon halb mit Wasser angefüllt und sank rasch. Der kleine Seymour, der am Steuer saß, drehte bei und wir warfen die Segel. Ich packte das untersinkende Mädchen und unser alter Quartiermeister Bawen die zweite Dame. Im nächsten Moment zogen auch unsere Mannschaften die lamentierenden Franzosen, die sich an den Mast geklammert hatten, heraus; ein armer Teufel ertrank, er war unter das Segel geraten. Ich deckte meinen Mantel über das zitternde Mädchen und ohne weiteren Unfall erreichten wir das Land. Da die Geschichte vom Ufer aus sichtbar gewesen war, hatte sich eine große Menschenmasse angesammelt. Natürlich war ich der Held des Tages. Am nächsten Mittag erkundigte ich mich nach der Villa der Damen und fand diese bereits auf mich wartend. Ich verdanke dieser ganz einfachen Seemannspflicht das Rettungskreuz und den lebhaftesten Dank von Mrs. Pauline Delmar, der Mutter des süßen Geschöpfes, das ich heiraten will, d. h. wenn mir Fortuna lächelt. Der Bruder des verstorbenen Ingenieurs, Kapitän Delmar, der mich auch aufsuchte, um mir seinerseits zu danken, erzählte mir einiges über seinen Bruder. Delmar starb in Mexiko, nachdem er seine Bergbaukenntnisse drüben glänzend verwertet hatte. Der Gouverneur von Sonora, Pesquiera, partizipierte bei seinen Unternehmungen und sicherte ihn durch seine Stellung während der französischen Überfälle. Dann kamen die dortigen Unruhen, Pesquiera übernahm 1865 die Verwaltung, nachdem bereits die Revolution ausgebrochen war und starb schließlich 1877, zwei Jahre nach Achille Delmar; daher kommt es auch, daß Mrs. Pauline Delmar gar keine Details über ihre eigenen Angelegenheiten kennt. Augenblicklich verfügt sie freilich noch über ein beinahe fürstliches Einkommen, aber es sind wiederum Unruhen in Mexiko ausgebrochen, und General Matea Pesquiera, der Sohn des verstorbenen Gouverneurs, ist den Damen völlig fremd. Ihr Vermögen mag gefährdet, wenn nicht schon gar verloren sein, denn der jetzige Gouverneur von Sonora, Josè Marquez, ist ein persönlicher Feind Pesquieras, und ist es doch unter diesen Umständen nur ganz natürlich, daß die Witwe hinüberfahren und versuchen will, zu retten, was noch zu retten ist. Trotzdem raten ihr all ihre hiesigen Freunde von der Reise ab, weil niemand sie den scheußlichen, lebensgefährlichen Zuständen in Guaymas ausgesetzt sehen möchte.“

„Bist du auch sicher, daß die ganze Sache wahr ist und sich so verhält?“

„Ganz sicher“, nickte Goodloe seinen Burgunder austrinkend. „Du meinst wohl, Anita Delmar und ich hätten andere Themen, als „Silberminen“ zu besprechen? Eine dreimonatliche Bekanntschaft, die sich noch dazu auf offizielle Besuche beschränkt, ist freilich eine kurze Zeit, trotzdem bin ich, ohne einen formellen Antrag gewagt zu haben, Anitas Liebe sicher; außerdem ist sie erst achtzehn Jahre alt. Da sich ihre Mutter aber ernste Sorgen wegen der Zukunft macht, müssen sie unbedingt einen Sohn und Gatten haben, der sich ihrer Interessen annimmt. Achille Delmar starb ganz plötzlich am Klimafieber, während seine Frau und Anita, die im „Sacré Coeur“ erzogen wurde, schon lange in Paris weilten. Infolgedessen weiß niemand etwas Genaues über die ziemlich verwickelten Verhältnisse. Heute hängt nun alles von Matea Pesquiera ab. Aber Pesquiera kann vertrieben werden, kann das Opfer einer List oder einer Blutrache werden, wer kann so etwas wissen? Aus all diesen Gründen muß ich mich Mrs. Delmar zur Verfügung stellen, sonst würde mir der Gedanke, meinem Beruf untreu zu werden, nie gekommen sein. Nun weiß ich aber noch nicht, wie ich mich Mrs. Delmar gegenüber stellen muß, ich traue mich noch nicht ihr meinen Rat aufzudrängen und nehme deshalb Mittelkurs, d. h. ich lasse mich zur Disposition stellen. Ich mußte freilich mein erstes Kommando, das langersehnte Ziel meiner stillen Wünsche opfern, aber ich kann doch nicht anders. Jetzt wünsche ich nur, daß die Damen mich hinüberschicken, dann könnte ich dich auf deinem Schiff nach Kalifornien begleiten. Matea Pesquieras Gastfreundschaft und herrliche Besitzungen sind weit und breit bekannt, und es ist doch immerhin möglich, daß er allem trotzt und sich hält. Zu fürchten ist eigentlich nur Josè Marquez persönliche Rachsucht. Hast du einmal etwas vom „Prestamos“, dem Schuldgefängnis, gehört? Jemanden dort, besonders einen reichen oder angesehenen Mann, während eines Aufstandes verschwinden zu lassen, ist eine Kleinigkeit. Solch ein Damoklesschwert hängt über Pesquiera, der eine sehr hübsche Tochter haben soll. Schließlich werde ich doch noch Anitas wegen quittieren müssen, trotzdem der Gedanke, die Uniform ganz auszuziehen, mir das Herz zerreißt, aber der Verlust Anitas würde es brechen. Weiter kann ich dir wirklich nichts sagen, Harry. Ich hätte dich gern noch bei Delmars eingeführt, aber deine Zeit ist ja zu knapp bemessen. Ich werde dir nach San Franzisko schreiben, und bitte dich den Damen beizustehen, wenn du je nach Guaymas kommen solltest, ganz gleich, ob meine Werbung vom Glück begünstigt sein wird oder nicht. Zum Dank dafür will ich dir ihr Bild zeigen.“

Wie zärtlich Basils Stimme klang, als er, dem Freund eine Photographie hinreichend, fragte:

„Begreifst du, daß man für eines solchen Engels Liebe den Beruf opfert?“

„Wenn dies Mädchen mir Liebe schwörte, würde ich, wenn es sein müßte, das Kommando über das Flottengeschwader aufgeben!“

Goodloes Gesicht strahlte. „Dann gefällt sie dir also“, worauf der sachverständige Wainright erwiderte:

„Wenn Herz und Verstand nur annähernd dem Gesicht gleichen, muß sie ja ein wahres Prachtexemplar sein!“

„Oh, sie ist wahr und treu, und ebenso gut und klug. Sie ist das aufrichtigste, zuverlässigste Geschöpfchen, das die frommen Schwestern des Sacré Coeur je in ihrer Hut gehabt haben!“

„Und trotzdem ist’s ein Jammer, daß die Flotte den schneidigsten Offizier verlieren soll“, brummte Harry. „Laß mich ihr süßes Gesichtchen schnell noch einmal sehen.“

Es war wirklich ein Bild des holdesten Frühlingszaubers. Süßer Duft lagerte auf diesen reinen Zügen und aus den sehnsüchtig träumenden Augen sprach aufkeimende Liebe. Ihr wundervolles Haar lockte sich um eine hohe, stolze Stirn, noch völlig unberührt von dem Ernst und den qualvollen Sorgen des Lebens.

„Höre Basil, mir kommt ein Gedanke. Wir sind beide Seeleute und verstehen eigentlich gar nichts von der ganzen Sache. Ich will Phil May, der vor ungefähr zwei Jahren die Kommandobrücke mit dem Kontorbock vertauschte, in San Franzisko aufsuchen. Er ist jetzt Geschäftsführer von Battles und Kompanie, der ersten dortigen Maklerfirma. Ich korrespondiere mit ihm, seit er von der Pazifik Station fortgegangen ist. Damals hörte ich auch irgendeine Liebesgeschichte, die ihn in den Steinkolossen der Pine Street seinem Glück nachjagen ließ; er hat entschieden Erfahrungen in beiden Berufen gemacht, und mir im Zivilleben auch immer die Freundschaft bewahrt. Ich werde ihm schreiben, ohne ihm dein Geheimnis preiszugeben, und ihn bitten, dir mit Rat und Tat beizustehen. Er ist unbedingt zuverlässig, du kennst ihn doch auch, wie jede Wasserratte ihn kennt, da er drei Jahre die„Thetis“ als kommandierender Offizier gefahren hat. Seine Kenntnis der mexikanischen Gewohnheiten, Gesetze und Schliche kann dir nur zustatten kommen, drum folge seinem Rat. Laß mich aber auch öfter mal was von dir hören; was ich für deine schöne Fee und ihre Mutter tun kann, wird getan werden. Dein Ziel ist ja eure gemeinsame Zukunft; aber woher der Wind auch wehen mag, du weißt, wir Seeleute sind oft ungelenk und rauh, aber anhänglich und treu, und sollten wir dich auch als Kameraden verlieren, dein Platz an unserem Tisch wird stets für dich bereit sein.“

„Du bist der beste Kamerad und Freund“, sagte Goodloe ganz gerührt. „Ich werde über deinen Vorschlag nachdenken. Jedenfalls magst du an Phil May schreiben, ich werde ihn dann später auf dem laufenden halten und ihm, wenn ich hinausgehen sollte, depeschieren.“

„Dann ist die Sache in Ordnung“, meinte Harry, sich zum Aufbruch rüstend.

In diesem Augenblicke brachte der Kellner Goodloe zwei Briefe, die dieser hastig öffnete.

„Hoffentlich Segelordre“, dachte Wainright.

„Hurra, Harry, ich gehe mit dir. Die Pflicht ruft, während wir noch hier sitzen und gern die Zukunft entschleiern möchten, hat das Schicksal schon alles entschieden. Alle Dispositionen werden hierdurch umgestoßen.“

„Was gibt’s denn?“

„Mrs. Pauline Delmar schreibt: „Ich möchte Sie gern so schnell als möglich sprechen, wenn Sie uns noch mit Ihrem Rat beistehen wollen“, während Anita mich bittet: „Kommen Sie sofort, wir reisen umgehend nach Mexiko, da heute ein Bote mit äußerst wichtigen Depeschen eingetroffen ist. Wir sind in der größten Aufregung und Sie unsere einzige Hoffnung!“

„Da komme ich also dir bald nach auf mein geliebtes, weites Meer“, rief Goodloe, nachdem er schleunigst Mantel und Mütze von der Wand genommen hatte.

„Bist du denn schon entschlossen, mit den Damen zu reisen?“

„Natürlich, mein Urlaub hat begonnen, ich bin ja frei. Wenn Anita will, kann sie über meine ganze Zukunft verfügen.“

Die beiden jungen Männer umarmten sich brüderlich, herzlich und verließen dann, jeder einen anderen Weg einschlagend, das Lokal.

Wainright sah nach der Uhr und an seine nahe Abreise denkend, sagte er zu sich selbst: „Wenn ich in Goodloes Haut steckte, würde ich mich auch nicht einen Moment besinnen, wenn diese Augen mich riefen, noch dazu wenn sie ebenso gut als schön ist und diese geheimnisvollen Minen auf irgendeiner Landkarte aufzufinden sind.“

Während der Offizier sich an Ort und Stelle begab, um sein erstes selbständiges Kommando unter dem geliebten Sternenbanner zu übernehmen, richtete Goodloe seine Schritte nach dem Heim der Geliebten.

Er ging einer unbekannten Zukunft entgegen. Sollte er sich blindlings Cupido anvertrauen, der ihn über die geheimnisvoll rauschenden, perlenbesäten Tiefen des Stillen Ozeans, bis zu den fernen Ebenen Kaliforniens, vielleicht sogar bis an die Zelte der wilden, gänzlich unkultivierten Eingebornen führen würde?

Zwei strahlende Sterne, die Augen Anitas, schienen ihm leuchtend die Zukunft zu erhellen und so brach Goodloe mit dem treuen Herzen und felsenfesten Vertrauen des Seemanns auf Gott entschlossen mit der Vergangenheit.

Der fliegende Eisvogel

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