Читать книгу Der fliegende Eisvogel - Richard Henry Savage - Страница 6
In mexikanischen Gewässern
ОглавлениеUngefähr einen Monat später reichte an einem sonnigen Morgen Kapitän Phil May seinem Freunde Goodloe das Fernrohr:
„Ist dort nicht Kap Concepcion?“
„Wenn du als Kapitän es behauptest, wird’s wohl so sein; ich, als ein einfacher Passagier, glaube dir aufs Wort“, meinte Goodloe lächelnd.
Das Glück war dem unternehmenden jungen Seemann außergewöhnlich hold gewesen. In San Franzisko traf er in Gesellschaft Wainrights mit ihrem beiderseitigen Freunde Phil May zusammen, der der Vertrauensmann einer millionenreichen jungen Witwe, Constanze Lee, in allen finanziellen Angelegenheiten war. May liebte Constanze und sie ihn, er wagte sich aber nicht zu erklären, weil er ein armer Mann war. Constanze war im Besitz einer reizenden, wundervoll gebauten Yacht, die sie „Eisvogel“ genannt hatte, weil sie schneeweiß angestrichen war. Die junge Witwe bot die Yacht Goodloe zur Ausführung seiner abenteuerlichen Pläne an und gestattete Phil May, Goodloe als Kommandant des Eisvogels zu begleiten.
Der Tag war kaum angebrochen und doch warf die Sonne schon leuchtende, glühende Strahlen, die den wolkigen Nebel, der über Santa Barbara lag, schon bald zerriß.
Leicht, wie ein Vogel, schoß die Yacht dahin, kaum sichtbare Furchen in dem sich kräuselnden Wasser ziehend.
„Ganz gewiß, ich habe recht!“ May deutete auf die beinahe gleichzeitig in Sicht kommenden Felsen Santa Cruz, San Miguel guel und Santa Rosa. „Sobald das Deck gewaschen ist, lasse ich alle Segel hiffen und probiere dann, was das Log zeigt. Dies wäre ein herrliches Terrain für eine Seeregatta.“
Während er hierauf dem Bootsmann Obed Lake Befehle erteilte, ließ sich Goodloe einige Eimer Seewasser über den rasch entblößten, muskulösen, durch Wetter und Wind gestählten Oberkörper gießen.
„Du bist ein Schlauberger“, lachte May als sie sich dann gemütlich den Schiffszwieback knabbernd beim Kaffee gegenübersaßen. „Bei der Prozedur kann jede Blaujacke deinen Beruf erkennen, weitere Tätowierung hast du gar nicht nötig.“
„Weiter will ich doch auch nichts. Ich möchte nur wissen, wo Kapitän Warner uns eine so sonderbare Mannschaft aufgestöbert hat. Famose Kerle, gerade brauchbar für verwegene, tollkühne Streiche. Sieh sie dir nun einmal der Reihe nach an. Obed Lakes Gesicht ist überhaupt nicht zu ergründen, Jörgensen sieht wie ein echter Vikinger aus und daß Diego, der Perlenfischer, ein verkappter Seeräuber ist, darauf möchte ich doch schwören. Der Bursche hat eine richtige Galgenphysiognomie, man darf ihm nicht trauen. Es ist eine verdächtige Bande, der wir uns anvertraut haben.“
„Nun, ich werde auf der Hut sein und sie beobachten, außerdem hat Wainright mir noch zwei tüchtige, unbedingt zuverlässige Jungens versprochen, deren Dienst im Golf abläuft. Außerdem sind ja auch Fred Bligh und der Professor dort. – Laß das Frühstück für die Damen um Punkt 8 Uhr servieren“ – rief er dem Steward zu. „Jetzt kommt eine gute Brise auf, da kann der Eisvogel fliegen.“
Phil May sah in der Seemannstracht ordentlich verjüngt aus. Wind und Wetter hatten sein hübsches Gesicht bereits tüchtig gebräunt. Goodloe, der rauchend in einem Schaukelstuhl ausgestreckt lag, machte diese Beobachtung stillschweigend. Laut sagte er:
„Hältst du eigentlich direkt auf St. Lucas zu?“
„Ich muß erst in San Diego einlaufen“, antwortete der Kapitän; „denn eine Woche in Mountery setzt alle Reporter in Bewegung. Die Fahrt des Eisvogels gibt genügend Stoff. Ich hoffe stark, daß Fred Bligh und Hackmüller eine direkte Verbindung mit Pesquiera erreichen werden. Hackmüller behauptet, daß er, wenn Marquez ihm freien Zutritt zu den Yaquis gewährt, er uns alle reich machen könne. Bligh ist ein findiger Kopf, er wird Marquez schon fangen. Der „Ranger“ soll den Schauplatz bilden, auf dem Marquez mit seiner Passion für offizielle Schaustellungen geködert werden soll. Beim Himmel, wenn nicht alles schief geht, müssen wir reüssieren. Vielleicht finde auch ich noch ein Vermögen in den Bergen von Sonora“, schloß May ganz erhitzt.
„Willst du denn später nicht Mrs. Lees Geschäftsführer bleiben?“ fragte Goodloe.
„Nein; das ist nur eine täglich erneute Qual für mich. Wenn ich mich ihr nicht ebenbürtig nähern kann, will ich sie lieber überhaupt meiden. Doch still – die Damen kommen.“
„Nun, finden Sie das Schaukeln noch ebenso schön, wie bisher“, fragte Goodloe etwas ironisch, indem er sich verbeugte und der errötenden Anita den Arm reichte.
„Oh, mir kommt alles wie ein herrlicher Traum vor. Ich war noch nie so glücklich“, erwiderte diese, dicht an Goodloe gelehnt die wunderbare Szenerie anschauend.
Am Ufer zwischen den Felsen lagen beinah ebenso malerisch wie Sorrent und Amalfi die weithin leuchtenden weißen Gebäude von Santa Barbara. Die Yacht glitt unter starkem Winde pfeilschnell dahin. Aus Anitas Augen strahlte Entzükken über den unvergleichlich schönen Anblick. Ihr liebliches Gesichtchen färbte sich dunkler, als May, der sie beobachtete, unwillkürlich ausrief: „Sie sind das Ideal einer Seemannsbraut.“
Goodloe errötete. War es das Einverständnis oder die unausgesprochene volle Seligkeit, die ihn dasselbe denken ließ? Er hatte nicht Zeit, darüber nachzudenken, denn in diesem Moment schlug die Schiffsuhr laut und tönend, und der Steward meldete feierlichst, daß das Frühstück serviert sei.
„Die Liebe kann warten, das Frühstück aber nicht“, lachte Anita, die Mutter mit sich fortziehend, welche sich gerade nach einigen Details der Fahrt erkundigte.
„Zwei Tage müssen wir in San Diego bleiben“, sagte May, „trotzdem hoffe ich schon in acht Tagen Pajaros, Ihre alte Heimat, anlaufen zu können. Wird Marquez Sie auch bei einer eventuellen Begegnung nicht erkennen?“
„Keinesfalls. Denn als ich nach Guaymas kam, war er in Spanien. Außerdem bin ich schon wieder sechzehn Jahr von Mexiko, in dessen Innern wir übrigens die letzten Jahre gelebt hatten, fort.“
„Lassen Sie sich den Aufenthalt in San Diego nicht gereuen“, sagte May. „Es dauert auch mindestens vierzehn Tage, bis der Brief des Erzbischofs, der Pesquiera auf unser Kommen vorbereitet, diesen erreicht. Inzwischen können wir uns dort genügend orientieren und Wainright, dessen Wachtdienst erst im nächsten Monat beginnt, kommt ja auch dorthin. Haben Sie Geduld, verehrte Frau, und vertrauen Sie unserem Stern.“
Als die Damen sich erhoben, kommandierte May die ganze Mannschaft auf Deck, er selbst ging, den Sextanten in der Hand, nach dem Hinterdeck. Der Wind wurde stärker: „Dort ist Marra Bock, die hundert Meilen müssen wir so rasch wie möglich nehmen, setzt alle Segel!“
Obed Lakes Leute enterten auf, und fünf Minuten später lag der Eisvogel unter einer Wolke von weißen Leinen. Das Bugspriet bog sich unter der Kraft der Vorsegel, und der Ballonklüwer schwellte sich majestätisch vor der Brise.
„Fünfzehn Knoten! Wahrhaftig, der Eisvogel ist der König aller Segler“, platzte May mitten in das Gespräch des Freundes mit Anita hinein.
Goodloe blickte auf das Log und seine Uhr. „Hab’ noch nie eine solche Leistung gesehen, wir wollen ihn den „Fliegenden Eisvogel“ nennen.
Im Laufe des Tages bemerkten die Freunde, daß die Yacht von den passierenden Dampfern wie ein Phantom angestarrt wurde. Drei Tage später brachten die Zeitungen in San Franzisko spaltenlange, direkt ans Wunderbare grenzende Erzählungen. Man wollte einen Segler von geisterhafter, nie dagewesener Schnelligkeit gesehen haben, sagenhafte Schönheit wurde ihm nachgerühmt. Es mußte eine Kopie des „Fliegenden Holländers“ des Geisterschiffes sein! – – –
Bei eintretender Dunkelheit gingen Anita und Goodloe auf Deck spazieren. Die Rennsegel waren eingezogen, man war dicht bei den Sandbänken von San Diego, auf dessen Strand ja noch heute bisweilen die Fußspuren von Fray Junipera Serra sichtbar sein sollen.
In der Kajüte plauderte Mrs. Delmar mit May. Der Steuermann, der sich wie ein Schatten am Steuer hin und herbewegte, sang leise ein Seemannslied, während das Schiff die ruhige Flut durchschnitt. Am Bug saß der blauäugige Jörgensen und brummte, seine Stummelpfeife rauchend:
„Wenn Obed nur wollte, dann könnte man dem Wachtkreuzer ein Schnippchen schlagen, das Schiff ist wahrhaftig wie extra gemacht für einen Opiumschmuggel.“
Dann lehnte er sich zurück und ließ seine Gedanken heimwärts schweifen, nach den baltischen Küsten, wo sein blondes Weib auf ihn wartete. Doch tauchte der erste Gedanke immer wieder in ihm auf, so daß er schließlich einschlafend von einem gelungenen Coup träumte.
Beim Gutenachtsagen bat May die Damen, ihre Vorbereitungen für einen zweitägigen Landaufenthalt zu treffen.
„San Diego ist die letzte sichere Post- und Telegraphenstation, wir werden dort Briefe vorfinden. Goodloe wird Sie begleiten, der Bischof wird Ihnen gern ein Asyl im Kloster gewähren. Während Ihrer Abwesenheit erhält der Eisvogel ein neues Gefieder; verraten Sie nur, bitte, bei Ihrer Rückkunft keine Verwunderung darüber, und denken Sie nur immer und unter allen Umständen daran, daß Sie Frau und Fräulein Woodford sind.“
Noch ehe Goodloe und seine Schützlinge am nächsten Morgen das Land erreichten, waren bereits eine Menge Zimmerleute auf dem Deck des Eisvogels beschäftigt.
„Die Macht der Kirche ist groß“, sagte May, als er am Abend zu den Damen ins Zimmer trat. „Hier sind chiffrierte Depeschen, die ein alter, ehrwürdiger, zur Diözese gehöriger Sekretär übersetzt hat. Wainright teilt uns darin mit, daß er und seine Gefährten glücklich Guaymas erreicht haben, und daß Pesquiera von der bevorstehenden Ankunft seiner Befreier benachrichtigt ist. Wenn Sie, meine Damen, heute schon zum Aufbruch bereit sind und sich frisch genug fühlen, dann können wir noch heute nacht zurück an Bord. Der Wind ist günstig und wenn Sie erwachen, werden wir Kap Lucas hundert Meilen näher sein.“
„Wir sind bereit“, antwortete die neue Frau Woodford, „und können uns für Mexiko rüsten.“
Eine Stunde später schaukelten die Wellen die beiden Damen in festen, traumlosen Schlaf. Als Mrs. Delmar am nächsten Morgen das Deck betrat, sah sie sich erstaunt und verwundert um, alles war verändert. War denn das überhaupt dasselbe Schiff, auf dem sie vorher gewesen?
May, der sich an dem Erstaunen der Damen weidete, wies die um Aufklärung bittende Anita an den Exoffizier Basil Goodloe, der doch jedenfalls erste Autorität für sie sei. Dieser schlug die Hacken zusammen und antwortete:
„Meine Damen, wir segeln jetzt mit dem „Schoner Constance“.“
Die schöne Lustjacht hatte sich in der Tat in ein Lotsenschiff verwandelt, vier Walfischboote hingen sicher vertäut in der Hütte, die immer schmaler werdenden Topsegel waren ganz verschwunden. Triumphierend zeigte May nun auch noch den sich vorbeugenden Damen den dunkelgrünen Rumpf.
„Das Schiff ist wirklich nicht wiederzuerkennen“, pflichtete Mrs. Delmar bei.
„Oh, ich bin auch stolz auf meine Leistung als Schiffszimmermann. Sehen Sie, ein glattes einfaches „Constance“ ersetzt den vergoldeten „Eisvogel“, und ein richtiges kleines Deckhaus mitten auf dem Schiff vervollständigt die Umwandlung. Während Sie gestern an den Wein und Obstspalieren des Missionshauses mit den Nonnen lustwandelten, besorgte ich mir am Zoll neue Papiere, die auf meinen Namen als Eigentümer lauten und einen Erlaubnisschein zum Fischen und Handeln auf dieser Kreuzfahrt. Bitte, verbergen Sie nur der Mannschaft gegenüber jedes Zeichen von Verwunderung.“
Fünf Tage später meldete der Mann auf dem Ausguck: „Pajaro-Inseln in Sicht! Achtung!“
Bei dem gefürchteten Kap San Lucas vorbei, trotz Tropenstürmen und heftigen Gewittern erreichte die „Constance“ ungefährdet den Hafen. Es legte sich jetzt doch ein beklemmendes Angstgefühl auf die Freunde, als Diego das Schiff in den versteckten Hafen lotste. Klugheit und Vorsicht mußten jetzt allen Teilnehmern dieser gefährlichen Expedition zur zweiten Natur werden.
Als das Boot schaukelnd um den letzten Felsen bog, begrüßte bereits der schwarze Rumpf des „Ranger“, den Wainright befehligte, unter den drei Spitzen von Trinidad mit weithin strahlenden Lichtern die Freunde.
„Denken Sie daran, daß wir alle unser Leben, unsere Liebe, unsere Zukunft aufs Spiel setzen“, flüsterte Goodloe, als er die zitternde Anita dicht an sich preßte und küßte.
Ganz dicht vor ihnen wehte die Fahne ihres Landes auf dem nahen Kreuzer, und vom Land scholl laut und vernehmlich die rauhe Stimme der mexikanischen Schildwache, der Söldner des grausamen Marquez. Der neue Gouverneur hatte die Plaza de las Armas schon mit unschuldigem Blut getauft.
Die Ankerkette rasselte, die Segel wurden eingezogen und die Damen, die noch einen letzten Blick auf die alte Festung, die Hafendämme und die niedrige ausgedehnte Stadt geworfen hatten, begaben sich in ihre Kabine. Auf dem Deck beantwortete Kapitän May die Fragen der Hafenpolizei. In kurzer Zeit waren die Papiere durchgesehen und alle Formalitäten erledigt.
„Morgen früh können wir landen“, sagte May, den die Gefahr und Verantwortlichkeit sehr ernst gestimmt hatte.
In diesem Augenblick meldete Obed Lake mit verschmitzten Gesicht:
„Ein Boot von dem Kriegsschiff da drüben legt bei uns an, Herr!“
Gleich darauf begrüßte der Kommandant des Ranger, Harry Wainright, lächelnd die Damen, die ihre Freude kaum zu äußern wagten:
„Alles in Ordnung. Fred Bligh und der muntere alte Professor haben ein bequemes Nestchen für Sie vorbereitet; ich werde meine Barkasse senden und Sie recht offiziell landen lassen, ist Ihnen acht Uhr gefällig? Ihr Gepäck lassen Sie, bitte, in eines Ihrer Walfischboote schaffen. Das Frühstück können wir alle zusammen in meiner Kajüte einnehmen. Bligh und Hackmüller werden auch kommen. Wir können dann auch ungestört beraten. Denken Sie nur immer daran, daß wir jetzt in Mexiko sind und die Wände bisweilen Ohren haben. Ich muß leider zurück, wage aber nicht, Sie schon heute mit hinüberzunehmen, da dies leicht zu vertraut und befreundet aussehen könnte, denn die Mexikaner wittern überall Verrat.“
Salutierend sprang der junge Kapitän in sein Boot und rief noch beim Abfahren:
„Gib acht, Phil, daß die Anker gut halten, es kommen hier oft unerwartete Stürme.“
„Diego soll kommen, rufen Sie ihn, Lake!“ befahl May, als er den Himmel mit besorgten Blicken musterte.
Diego ist mit dem Polizeiboot ans Ufer gefahren“, antwortete dieser verlegen und brummig.
„Was! ohne meine Erlaubnis! Er soll sich sofort nach seiner Rückkehr bei mir melden.“ Streng und unerbittlich fügte er dann hinzu: „Wer noch einmal ohne Urlaub das Schiff verläßt, darf das Deck nicht wieder betreten, merken Sie sich das bitte für die Zukunft.“
„Seine Frau erwartete ihn am Ufer“, sagte Lake, nach vorn gehend, ziemlich laut, und dann, hinter des Kapitäns Rückens die Faust ballend, setzte er leise hinzu:
„Ich muß den geheimen Zweck dieser Kreuzfahrt doch noch herausbekommen.“
Die auch ihm geltende Warnung hatte den noch unschlüssigen Verräter zum festen Entschluß gebracht.
Unterdessen stattete der Lotse Diego im Büro der Hafenpolizei Bericht ab.
„Ich kann nicht dahinterkommen, was sie eigentlich vorhaben“, sagte er. „Sie sind weder Schmuggler, noch Verschwörer, noch Goldsucher und trotzdem steckt irgendein amerikanischer Streich dahinter. Alle Amerikaner sind Betrüger“, fuhr der Schurke, seinen Branntwein trinkend, fort.
„Schon gut, mein alter Kamerad!“ entgegnete der Hafenkapitän. „Es war recht von dir, daß du mich aufmerksam gemacht hast, jetzt geh aber schnell an Bord zurück und sage, du hättest nur dein Weib sprechen und die Hafeninstruktionen einsehen wollen. Wir werden das verdächtige Schiff scharf bewachen. Ist es leicht zu kapern und kennst du die Perlenfischerei, eh?! Wir können vielleicht ein Privatgeschäft machen!“
„Das wäre famos!“ rief Diego, seinen Sombrero aufsetzend. „Das Boot fliegt wie der Westwind, es überholt sogar jedes Dampfschiff unter vollem Dampf.“
„Ich werde Mannschaft nehmen und die Yankees in Eisen schließen lassen, vorher will ich aber gleich morgen den Gouverneur Marquez aufsuchen. Adios, mi amigo!“
Der doppelzüngige Schurke Diego wußte genug; Reue heuchelnd, bot er bei seiner Rückkehr aufs Schiff seine Hilfe bei der Wahl eines sicheren Anlegeplatzes an und schläferte dadurch des Kapitäns Argwohn ein.
Am nächsten Morgen erwachten die Schläfer in der Kajüte der Constance von dem Donner der Kanonen auf dem Ranger und den Hornsignalen, welche die Blaujacken aus ihren Hängematten trieben.
Dort lag sie, die schmutzige alte Stadt, rings von Bergen eingeschlossen. Weit nach Norden ragten die Gipfel der Cabra und nach Süden schloß Kap Haro die Ausläufer der Cochnes Bucht ab.
Hinter jenem Felsen lag das wilde Land der Yaquis und die geheimnisvolle Mine; irgendwo in den amphitheatralisch aufsteigenden Bergen mußte der goldene Schatz der beiden Toten liegen. Die Damen, erschreckt von den unzähligen, plötzlich auftauchenden Kanus, die mit Früchten und Muscheln beladen waren, blieben unter dem Schutze der Zofe, des Stewards und des gewandten Ah Sam, des chinesischen Kochs.
Eine Stunde später saßen die Freunde in Kommandant Wainrights gastlicher Kabine, unter dem sicheren Schutz der amerikanischen Kanonen, während Basils Diener das Aufladen des Gepäcks in ein Boot an der Längsseite der Constance beaufsichtigte.
„Bligh und Hackmüller werden erst etwas später kommen, deshalb lassen Sie uns alle Privatangelegenheiten vorher besprechen“, meinte Wainright. „Der Posten an der Tür schützt uns vor jedem Lauscher, hier ist der einzige sichere Ort für eine Beratung, aber wir dürfen hier zu oft nicht zusammenkommen. Ich habe schon einen Plan.“
„Und der lautet?!“ riefen alle auf einmal.
„Ich werde den Gouverneur Marquez entwaffnen, indem ich ihm ein offizielles Diner gebe. Bligh und der Professor müssen als Ehrengäste figurieren und ihn empfangen. Während sie ihn gesprächig machen, könnt Ihr seine Art beobachten und daraus entnehmen, wie vorsichtig Ihr sein müßt. Ich habe ihn schon durch ehrerbietige Höflichkeisbezeigungen halb gewonnen. Er darf nicht merken, daß ich mich für euer Boot interessiere. Könntest du es nicht ein paar Tage auf eine Fahrt schicken?“ fragte er May.
„Ich mag es den Leuten nicht anvertrauen. Mrs. Lee hängt außerordentlich an diesem letzten Spielzeug ihres Gatten; außerdem würde auch unsere Ausrüstung an Geschützen, Kriegsvorräten und Tauschobjekten Argwohn erwecken.“
„Oh, da kann ich abhelfen“, bemerkte Wainright nach kurzer Überlegung. „Ich will einige Bojen für Lotzwecke auslegen lassen, da mag der Fähnrich Crowninshield mit einer vollzähligen Bootsmannschaft eine Woche rauf- und runterfahren und hierzu die Constance nehmen, dadurch hat mein Kreuzer nicht nötig, Dampf zu machen. Euer Boot wird dann sicher sein, da sie glauben werden, daß ich es für diese Arbeit gechartert hätte.“
„Sehr gut“, sagten May und Goodloe in einem Atem; „und was hast du sonst entdeckt, wie liegen die Sachen hier?“
„Gouverneur Marquez sucht durch öffentliche Schaustellungen zu glänzen. Er ist ein schlauer Intrigant und zwingt die Kaufleute, sich besonderen Zollvorschriften zu unterwerfen. Matea Pesquiera wird sorgsam in dem alten Kastell zu Ures bewacht und sein gesamtes Eigentum ist konfisziert. Marquez residiert in dem alten Gouverneurshaus auf der Plaza. Wir haben nur auf Ihre Empfehlungen gewartet, um uns dem Bischof zu nähern. Fred Bligh war der Ruf eines Kapitalisten vorausgegangen, mit ihm zusammen hat der alte wunderliche Professor die ganze Stadt ausgeforscht, sie sind jetzt der Mittelpunkt aller Minenspekulanten, Landverkäufer und gestrandeten Abenteurer. Bligh bewegt sich als wohlhabender Unternehmer und Reisender überall ungeniert, und hat auch in Erfahrung gebracht, daß Pesquiera in nächster Zeit vor seine Richter gebracht werden soll. Seine Anhänger sind entmutigt, denn Ures hat eine regelrechte Besatzung von Bundestruppen.“
„Dann sind ja auch unsere Pläne alle hoffnungslos“, seufzte Mrs. Delmar.
„Durchaus nicht“, fiel der unternehmende Wainright ein. „Vergessen Sie den hochw. Herrn Bischof und Dolores Pesquiera nicht. Man muß irgendeinen Weg ausfindig machen, um den Gefangenen wissen zu lassen, daß wir in seiner Nähe und bereit sind, alles zu tun; dann muß man seine Wünsche zu erfahren suchen. Denn sobald die verborgenen Gelder in Sicherheit gebracht sind, ist uns jede Kriegslist, sogar Bestechung oder Überrumpelung erlaubt, um ihn zu befreien. Doch da kommen Bligh und Hackmüller schon, denken Sie nur, bitte, immer daran, daß niemand etwas von dem Schatze oder den Minen verlauten lassen darf. Die beiden wissen überhaupt nur, daß wir mit Pesquiera Verbindungen anzuknüpfen suchen. Sie, meine Damen, müssen heute nachmittag den Bischof Dominguez und Dolores Pesquiera aufsuchen, denn es würde uns alle verdächtigen, wenn wir Männer uns dem jungen Mädchen nähern würden. Heute abend versammeln wir uns in Ihrer Kajüte und Sie berichten uns Weiteres. Marquez darf nicht ahnen, daß der Bischof mit dem Gefangenen befreundet ist. Vor allem lassen Sie sich kein spanisches Wort entschlüpfen, damit wär’s um Ihre Sicherheit geschehen. Denken Sie daran, daß Sie heute auf dem Ranger übernachten, handeln Sie vorsichtig und klug.“
Der Eintritt der beiden Herren brachte eine frischere Stimmung in die Gesellschaft. Fred Bligh, dunkeläugig, von der Sonne scharf gebräunt, breitbrüstig und von kolossalem Körperbau, sprach langsam und schleppend, er kannte das abenteuernde, herumschweifende Leben im Westen seit vielen Jahren. In Professor Hackmüllers sinnendem blauem Auge und echt teutonischem Gesichtsschnitt spiegelten sich die Vorliebe für die Wissenschaft und die Sonderbarkeit des deutschen Gelehrten.
Ehe die Sonne im Meridian stand, waren die Damen über alle wissenswerten Ereignisse der Revolution unterrichtet. Die Zeit des Handelns war gekommen.
„Ich muß leider eingestehen, daß mein Plan, nach Ures einzudringen, unausführbar ist“, schloß Bligh seine Erzählung. „Ich hätte dort gar zu gern einige verführerische Minen selbst untersucht, aber der Weg wimmelt von Briganten, Mördern und entlassenen Soldaten. Hackmüller und ich werden warten müssen, bis jene menschlichen Überreste der Revolution verschwunden sind, und dabei brennt der Professor schon jetzt ordentlich auf diese interessante Arbeit.“
Die ganze Gesellschaft schwieg einige Augenblicke nachdenklich, bis Goodloe sagte: „Ich habe eine Idee. Der Professor und Sie selbst müssen dort einen mehrmonatlichen Aufenthalt nehmen. Wenn Sie ein Laboratorium und eine Versuchsanstalt für Zwecke der Goldgewinnung einrichten, entgehen Sie jeder Beargwöhnung und können weitere Forschungen vornehmen. Ihre scheinbare Beschäftigung wird jede Neugierde entwaffnen.“
„Sehr gut“, rief der Professor entzückt aus. „Das ist ein ganz vorzüglicher Plan, dann können wir auch bequem über die Sicherheit der Damen wachen, und die Herren May und Goodloe beurlauben, damit sie versuchen können, sich dem Kerker des Freundes zu nähern.“
„Sobald wir die Erlaubnis zur Niederlassung haben und Sie selbst gerüstet sind, werden wir alles für die nötigen Untersuchungen und Experimente vorbereiten, das wird uns in den Augen des Volkes ungefährlich machen“, fügte Bligh hinzu.
Die Herren konferierten noch eine zeitlang mit Mrs. Delmar, indessen führte Wainright auf dem Vorderdeck Anita auf und ab.
„Ich will das erste Treffen in Ihrem Kampfe zu gewinnen versuchen, indem ich den Champagner bei dem Frühstück, das ich Marquez geben werde, in Strömen fließen lasse!“
„Was hat denn das damit zu tun?“ fragte verwundert das junge Mädchen.
„Wenn Sie mir nämlich einen Brief von der Tochter des Gefangenen und eine lateinische Beglaubigung des Bischofs verschaffen, dann will ich Marquez zu überreden suchen, daß er mir eine Eskorte für eine Visitationsreise nach Ures bewilligt. Wenn dort List oder Bestechung in das Gefängnis Pesquieras führen, dann werde ich ihn zu erreichen wissen. Mein offizieller Charakter sichert mich ja vor jedem Argwohn.“
„Kommandant, Sie sind ein Engel!“ rief Anita aus.