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1 Die praktische Bedeutung der Marktforschung

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In diesem Kapitel soll gezeigt werden, dass Marketingmassnahmen immer Entscheide vorausgehen. Diese werden auf der Basis von Annahmen oder Wissen gefällt. Die Aufgabe der Marktforschung ist es nun, eine Informationsgrundlage zu schaffen, welche die Qualität des Wissens verbessert, das für Entscheide über das zukünftige Verhalten der Unternehmung benötigt wird.

Praktische Marketingaufgaben existieren in jeder Unternehmung, die irgendwelche wirtschaftliche Güter an Personen (an Privatpersonen oder Repräsentanten von Unternehmen und anderen Institutionen) zu verkaufen sucht, welche frei zwischen mehreren Angeboten wählen können. Dies gilt - das sei am Rande bemerkt - unabhängig davon, ob der Ausdruck Marketing im Organigramm einer Unternehmung auftaucht oder nicht. Im Mittelpunkt der Aufgaben jedes Marketingverantwortlichen stehen Entscheide über konkrete Marketingmassnahmen (z.B. über Massnahmen in den Bereichen Produktgestaltung, Verpackung, Preis, Werbung, Kundendienst, Verkäufereinsatz), aber auch über grundsätzliche Marketingstrategien und -ziele und die Marketinginfrastruktur. Um solche Marketingaufgaben wahrnehmen zu können, benötigen die Marketingverantwortlichen möglichst objektive und aussagekräftige Informationen über verschiedene Aspekte des Marktgeschehens.

Die Beziehung zwischen Handeln und Entscheiden sowie die Bedeutung von Informationen in diesem Zusammenhang, wird in einem ersten Schritt theoretisch hergeleitet und anschliessend mit einem Beispiel veranschaulicht.

Jeder Handlung resp. jedem Verhalten, sei es im privaten oder geschäftlichen Umfeld, geht implizit oder explizit ein Entscheid voraus. Er ist die Antwort auf die Frage, wie soll/will ich mich unter den gegebenen Umständen verhalten. Ob ein Entscheid implizit oder explizit ist, hängt davon ab, wie die Antwort zustande kommt. Ein impliziter Entscheid liegt beispielsweise habitualisiertem Verhalten zugrunde. Indem an Gewohntem und Bewährtem festgehalten wird, ist die Frage nach dem zweckmässigsten Verhalten nicht immer wieder von neuem zu diskutieren. Die Antwort ergibt sich aus dem Wissen über das in der Vergangenheit zufrieden stellende Verhalten in vergleichbaren Situationen. Sobald dieses Wissen fehlt oder unzureichend ist, lässt sich die Frage nach dem zweckmässigen Verhalten nicht mehr ohne weiteres beantworten. Zieht das Verhalten zudem bedeutende Konsequenzen nach sich, muss die Antwort auf die Frage wohl überlegt sein. Diese Situation beschreibt ein für die Praxis typisches Entscheidungsproblem, das sich nicht implizit lösen lässt. Die möglichen Konsequenzen zwingen zur Wahl der Verhaltensmöglichkeit mit der besten Zielerreichung unter den gegebenen Rahmenbedingungen. Gleichzeitig lässt sich dies aufgrund der unvollständigen Informationen nicht abschliessend beurteilen.

Demnach ist bewusstes Entscheiden Bewerten von (Handlungs-) Alternativen.1 Die Bewertung geschieht auf der Basis von mehreren Alternativen und Bewertungskriterien. Bereits die Auswahl der Alternativen und Kriterien benötigt Informationen. Gleiches gilt für die Bewertung selbst.

Entscheidungen zu Marketingmassnahmen erfordern typischerweise Informationen

• über das Marktgeschehen, das durch das Verhalten der Produktverwender2 (z.B. zunehmende Nachfrage), der Konkurrenten (z.B. Lancierung neuer Produkte), des Handels (z.B. zunehmender Preiswettbewerb) und des eigenen Unternehmens (z.B. bisherige Marketingmassnahmen) geprägt wird,

• über mögliche Einflüsse von Umweltfaktoren (z.B. Entwicklung des BIP) und

• über potentielle externe Einflüsse (z.B. Auswirkungen von Warentests), die weder zum Markt noch zu den Umweltfaktoren zählen.

Dabei interessieren nicht nur die bisherigen Entwicklungen und der Ist-Zustand, sondern insbesondere auch Trends oder zu erwartende Reaktionen der Nachfrager auf die Marketingmassnahmen der Unternehmung.

Beispiel B 1-1 illustriert die Bedeutung von Informationen über Wirkungszusammenhänge für Marketingentscheide und Marketingmassnahmen.

B 1-1: Massnahmen zur Umsatzsteigerung von IceT

Ende August stellt die Firmenleitung der Food AG fest, dass aufgrund des nasskalten Sommers die Quartalsumsatzziele beim Ice Tea der Marke IceT weit unterschritten werden. Deshalb erhält die Marketingverantwortliche, Frau Jenni, den Auftrag, mit Hilfe geeigneter Massnahmen zumindest im letzten Quartal überdurchschnittliche Verkaufszahlen zu generieren.

Aus einer vorjährigen Marktforschungsstudie geht hervor, dass der Konsument preissensibel ist. Somit bestünde die Möglichkeit, mit einer Preisaktion den Umsatz anzukurbeln (Alternative 1). Frühere Marketingmassnahmen haben gezeigt, dass sich auch mit Produktpräsentationen und Degustationen im Handel, so genannten POS-Aktionen, kurzfristig der Umsatz steigern lässt (Alternative 2). Wüsste Frau Jenni, dass zumindest der Herbst sommerlich warm wird, könnte sie das Ziel vielleicht sogar ohne besondere Massnahmen erreichen (Alternative 0).

Alle Alternativen leiten sich aus Vorstellungen resp. Informationen über Wirkungszusammenhänge ab.3 Bei Alternative 1 geht Frau Jenni davon aus, dass aufgrund der Preissensibilität die Konsumenten bei kleineren Preisen generell mehr Ice Tea oder häufiger die Marke IceT kaufen. Der frühere Erfolg von Alternative 2 impliziert, dass der Konsument bei der Wahl des Getränks und des Anbieters spontan entscheidet und sich von unmittelbaren Reizen beeinflussen lässt. Alternative 0 beruht auf der Annahme, dass zwischen dem Konsum von Ice Tea und sommerlichen Temperaturen ein positiver Zusammenhang besteht. Auf der Basis dieser Vermutung wurden bereits die schlechten Umsatzzahlen gedeutet.

Alternative 0 scheint Frau Jenni zu riskant. Weil sie das gute Image der Marke IceT nicht mit einer Preisaktion gefährden möchte, entscheidet sich Frau Jenni für die POS-Aktion. Damit lässt sich gleichzeitig das Bild von IceT als aufgeschlossene, kommunikative, qualitativ hoch stehende Marke beim Konsumenten festigen.

Sowohl der Wahl der Kriterien als auch der Beurteilung der einzelnen Alternativen liegen Annahmen resp. Informationen über Wirkungszusammenhänge zugrunde. Das Kriterium Unsicherheit führt zum Ausschluss von Alternative 0. Dagegen wird es bei den Alternativen 1 und 2 implizit als positiv beurteilt, weil davon ausgegangen wird, dass sie mit einer hohen Wahrscheinlichkeit den Umsatz von IceT kurzfristig steigern könnten. Das Kriterium übergeordnete Imageziele spricht gegen Alternative 1, weil angenommen wird, dass sich Preisabschläge negativ auf die Vorstellung des Konsumenten bezüglich der Qualität von IceT auswirken könnten. Das Gegenteil wird von Alternative 2 erwartet.

Allen Marketingentscheiden liegen somit immer mehr oder weniger fundierte Annahmen über die Reaktionen der Käufer und anderer Personen, die Kaufentscheide beeinflussen, zugrunde. Die Gewinnung von Vorstellungen über Käufer- und Konsumentenreaktionen wird dadurch erschwert, dass die einzelnen Käufer bzw. Konsumenten als Individuen aus ihrer speziellen Lebenssituation heraus unterschiedlich denken, fühlen, urteilen und handeln. Komplizierend wirkt weiter der Umstand, dass die Marketingmassnahmen einer bestimmten Unternehmung - wie in Abbildung 1-1 dargestellt - nicht die einzigen Faktoren sind, die von aussen auf die Käufer einwirken. Vorstellungen über eventuell erwartete Verhaltensweisen und Reaktionen der Käufer basieren deshalb ihrerseits auf Annahmen bezüglich der bevorstehenden Marketingmassnahmen des Handels und der Konkurrenz sowie des Einflusses irgendwelcher Umweltfaktoren und weiterer “Beeinflusser”. Diese Unsicherheiten und Informationsdefizite zukunftsgerichteter Entscheide lassen sich bis zu einem gewissen Grad mit einem entsprechenden Aufwand verkleinern, jedoch nie verhindern. Ob und in welchem Ausmass sich ein solcher Aufwand lohnt, kann nur abgeschätzt werden, wenn die vorhandenen und potentiellen Informationen bewertet werden.


Abb. 1-1: Für das Kaufverhalten wichtige Einflussfaktoren

Der Wert einer Information hängt ab von den Konsequenzen der Massnahmen, zu deren Planung diese Information notwendig ist. Weil aufgrund der beschriebenen Komplexität der Entscheidsituation selten eine Information nur einen eindeutig richtigen Entscheid zulässt, kann ihr ökonomischer Nutzen nicht ohne weiteres quantifiziert werden. Entscheidträger können trotzdem einen Eindruck des Nutzens von vorhandenen und potentiellen Informationen erhalten, indem sie diese mit Hilfe der folgenden qualitativen Ersatzkriterien beurteilen:4

1. Objektbezug: Je stärker und direkter sich eine Information genau auf den Sachverhalt bezieht, der für eine konkrete Entscheidsituation interessiert, desto ausgeprägter ist der Objektbezug und damit der praktische Nutzen der Information.

2. Aktualität: In der Regel steigt der Wert einer Information mit ihrer Aktualität, weil veraltetes Wissen häufig nur noch beschränkt gültig ist.

3. Vollständigkeit: Je mehr entscheidungsnotwendiges Wissen (potentiell) zur Verfügung steht, desto vollständiger ist die Informationsbasis und desto grösser ist ihr Nutzen.

4. Richtigkeit: Zweckmässige Entscheide lassen sich nur auf der Basis wahrer, also der Realität entsprechenden Informationen fällen. Dass dies keine Selbstverständlichkeit ist, zeigen beispielsweise die Bemühungen, Verzerrungen bei der Datenerhebung und Auswertung zu vermeiden.5

Die bisherigen Ausführungen verdeutlichen, dass im Marketing die Bildung klarer und insbesondere verlässlicher Vorstellungen von den Zusammenhängen zwischen Massnahmen, ihrem Einfluss auf das Käuferverhalten und auf den Erfolg keine leichte Aufgabe darstellt. Um sie zu lösen, können die Marketingverantwortlichen entweder weitgehend auf bereits vorhandene Daten und persönliche Erfahrungen zurückgreifen, oder sie können versuchen, die benötigten Informationen durch Marktforschung systematisch zu beschaffen.

Vorhandene Daten und Erfahrungswissen haben in der Praxis eine grosse Bedeutung, da Marktforschung zusätzliche Kosten verursacht und zeitaufwändig ist. Viele Überlegungen und Entscheide des Tagesgeschäftes basieren deshalb auf persönlicher Erfahrung und Intuition. Das hierfür nötige Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten darf jedoch nicht dazu verleiten, Erfahrung und Intuition als einzige Informationsquellen anzusehen und auf Marktforschung zu verzichten. Eine solche -leider in der Praxis nicht seltene - Einstellung ist aus verschiedenen Gründen problematisch.

Zum einen basiert erfahrungsgestütztes Marktwissen zumeist auf unsystematisch erfassten Fakten und wird deshalb in mehr oder weniger grossem Masse durch subjektive Erlebnisse und Zufälligkeiten verzerrt. Die Gefahr ist gross, dass einige Kunden, die man aus irgendwelchen Gründen häufiger trifft, einzelne Reklamationen, die zufällig gleichzeitig auf dem Schreibtisch landen oder ein an einer Tagung aufgeschnapptes Gerücht über den wichtigsten Konkurrenten ein ungebührlich hohes Gewicht in der Meinungsbildung der Marketingverantwortlichen erhalten. Das bedeutet, solche Informationen sind weder vollständig noch richtig. Zum anderen führen Umweltdynamik und steigender Konkurrenzdruck dazu, dass das Marktgeschehen sich rascher ändert und die Voraussage des künftigen Verhaltens der Marktteilnehmer entsprechend schwieriger bzw. unsicherer wird. Erfahrungen aus früheren Jahren lassen sich unter diesen Umständen nicht mehr ohne weiteres auf die künftige Marktsituation übertragen, weil sie nicht mehr aktuell sind. Zum dritten ist daran zu denken, dass Firmen immer häufiger, z.B. wegen abrupter Änderungen der Umweltfaktoren oder weil sie mit neuen Angeboten in neue Märkte eindringen, Marktsituationen verstehen müssen, die für sie völlig neu sind und zu deren Analyse demgemäss bereits vorhandene Daten und Erfahrungswissen wenig beitragen können, da ihr Objektbezug ungenügend ist.

Alle diese Faktoren führen dazu, dass ein alleiniges Abstützen auf Erfahrungswissen künftig noch gefährlicher wird, als es in der Vergangenheit bereits war. Dies gilt für Marketingverantwortliche, die persönlich ständig in Kontakt mit Kunden und Konkurrenten stehen. Es gilt natürlich noch mehr für Marketingmanager, die aus irgendwelchen Gründen seltener Gelegenheit zu derartigen Kontakten suchen und wegen der Grösse bzw. der Struktur des Marktes nur noch in sehr beschränktem Masse persönliche Kundenkontakte pflegen können.

Die angedeuteten Probleme sollten jedoch keinesfalls zum Schluss verleiten, dass Erfahrungswissen und Intuition im Marketing wertlos seien. Eine solche Folgerung wäre falsch, denn man wird es sich nie leisten können, jede offene Frage durch Marktforschung abzuklären. Die vorgetragenen Überlegungen sollen jedoch dazu führen, dass Erfahrungswissen öfters durch systematische Marktforschung überprüft, ergänzt und korrigiert wird, um das Risiko von subjektiven Fehlschlüssen zu verkleinern. Dies gilt auch für mittlere und kleine Unternehmen, da auch diese risikoreiche Marketingentscheide treffen müssen und durchaus auch weniger aufwändige Marktforschungsmethoden existieren, die bei gezieltem Einsatz interessante, risikovermindernde Marketinginformationen zu liefern vermögen.


1 Diese Definition von Entscheiden basiert auf der Annahme, dass die als beste beurteilte Alternative gewählt wird.

2 Der marktneutrale Ausdruck “Produktverwender” umfasst sowohl die Privatpersonen/Haushalte der Konsumgütermärkte wie auch die in Industriegütermärkten als Nachfrager relevanten Organisationen (Firmen, öffentliche Verwaltungen). Vgl. auch Kühn, R./Vifian, P. (2004), S.29.

3 Ob diese Informationen sicher und zweckmässig sind, ist nicht Gegenstand der Diskussion.

4 Vgl. Berekoven, L. et al. (2004), S. 26ff.

5 Vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel 12

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