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Was ist ein Mezzosopran?

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Cecilia Bartoli ist Mezzosopranistin und von ihrer Ausstrahlung und ihrem Stimmvermögen her eine echte Primadonna. Dadurch und durch ihre stilistischen Erkundungsgänge in das Opernrepertoire des 18. und frühen 19. Jahrhunderts hat sie dem Stimmfach eine neue Geltung in unserer Zeit gegeben.

Vor mehr als 25 Jahren hat Cecilia Bartoli ihre Karriere mit Rossini und Mozart begonnen. Danach hat sie sich um das Barockrepertoire gekümmert und Werke von Gluck, Vivaldi, Caldara oder Alessandro Scarlatti aufgenommen. In ihren Programmen gibt es keinen Verdi, keinen Puccini und auch keinen Wagner. Das gängige romantische Repertoire spart sie aus.

Cecilia Bartoli ist eine historisch überaus interessierte Künstlerin. Ihre Programme sind philologisch genau erarbeitet. Damit steht sie an der Seite der Musiker aus der historisch informierten Aufführungspraxis, mit denen sie regelmäßig zusammenarbeitet.

Ihre CD-Alben mit sprechenden Titeln wie »Opera prohibita«, »Maria«, »Sacrificium«, »Mission«, das Salieri-, Gluck- und Vivaldi-Album haben fast Kultstatus und sind dazu dramaturgisch intelligent zusammengestellt. Mit ihrer enorm ausdrucksstarken Bühnenpersönlichkeit und ihrer charakteristischen Stimme ist es ihr gelungen, die Repertoire-Raritäten, die sich in diesen Programmen verbergen, weit aus dem Bereich eines philologischen Interesses herauszuführen.

Ihre ausgefeilten Programmdramaturgien verfolgt Cecilia Bartoli auch bei den Salzburger Pfingstfestspielen, deren künstlerische Leitung sie seit 2012 wahrnimmt.


Sie singen seit einiger Zeit Rollen aus dem dramatischen Koloratursopran-Fach wie die Amina aus Bellinis »La sonnambula« oder die Titelpartie in Bellinis »Norma«. Eigentlich sind Sie doch eine Sängerin mit einer Mezzosopran-Stimme. Was genau ist denn ein Mezzosopran?

Ein Mezzosopran ist nichts anderes als eine Frauenstimme, weil eine Frau singt. Nein, das war ein Witz! Es ist eine Farbe, eine Farbe zwischen dem Stimmfach eines Soprans und dem eines Alts, so wie ja auch der Bariton eine Stimme zwischen Tenor und Bass ist. Und dann gibt es natürlich viele Arten eines Mezzosoprans: Koloratursopran, dramatischer Mezzo, lyrischer Mezzo. Den Mezzosopran gibt es noch nicht so lange. Im 18. Jahrhundert existierte dieses Stimmfach nicht. Und der Begriff »Mezzosopran« bürgerte sich noch viel später ein. In den Partituren und den Handschriften von Mozart, Haydn und anderen finden wir einfach nur die Bezeichnungen »Erster Sopran« und »Zweiter Sopran«.

Heutzutage bedeutet Mezzosopran ja eher eine Begrenzung. Man denkt an eine Stimme, die eben nicht die Sopranpartien singen kann. Der Mezzosopran ist nicht die Primadonna. Die Mezzosoprane früher, ich denke zum Beispiel an Maria Malibran, deren Rollen Sie ja auf einer CD aufgenommen haben, hatten einen großen Stimmumfang. Fühlen Sie sich eher mit den historischen Mezzosopranen des beginnenden 19. Jahrhunderts verwandt als mit dem Fach, wie man es heute versteht?

Auch schon zur Zeit der Malibran, Anfang des 19. Jahrhunderts, gab es Sängerinnen wie Giuditta Pasta, die Rollen sangen, die man heute als typische Mezzopartien betrachtet. Aber diese Sängerinnen sangen später auch Rollen des Sopranfachs. Wenn wir uns das Repertoire der Malibran genauer anschauen, entdecken wir, dass sie ihre Karriere als Rosina im »Barbiere di Siviglia« und als Cenerentola begann und dann erst zu den großen Rollen von Bellini wie in »La sonnambula« und »Norma« wechselte. Das Gleiche gilt für Giuditta Pasta: Die Amina sang sie zuerst mit dem Timbre eines Mezzosoprans. Für mich war die Reise in die Zeit dieser Sängerinnen sehr aufschlussreich.

Das heißt also, das Spektrum der möglichen Rollen eines Mezzosoprans im beginnenden 19. Jahrhundert war viel weiter. Man konnte sich gar nicht festlegen auf Mezzosopran oder Sopran. Ist das auch Ihr Selbstverständnis? Fühlen Sie sich sozusagen als eine Art universale Sängerin?

Wenn wir uns die Manuskripte von Komponisten wie Bellini anschauen, dann erkennen wir, dass zum Beispiel die Rolle der Amina in »La sonnambula« sich sehr an die Tessitur und den Stimmumfang eines Mezzosoprans anlehnt. Das Gleiche gilt für die Norma. Aber nur, wenn wir der Handschrift Bellinis getreu folgen, finden wir die wirklichen Farben des Mezzosoprans. Wenn man sich allerdings an der Gesangstradition der Vierziger- und Fünfzigerjahre des letzten Jahrhunderts orientiert, bekommt man ein falsches Bild.

Bei der Partie der Norma ist es also so, wenn ich Sie richtig verstehe, dass diese eigentlich im Mezzosopran-Register liegt und dass Sängerinnen wie Edita Gruberová oder Maria Callas sie für unsere Zeit auf eine andere Weise entdeckt haben. Gehen Sie zurück zu den Ursprüngen der Partien?

Die Callas war eine großartige Künstlerin, die viel getan hat, um dieses Repertoire wiederzuentdecken. Sie hat wirklich eine eigene Version der Norma gezeigt. Aber wir dürfen nicht vergessen: Die erste Norma war Giuditta Pasta. Bellini hat die Norma für sie geschrieben. Also schrieb er die Rolle für einen Mezzosopran. Und die großen Sopranistinnen wie die Callas oder auch die Gruberová haben diese Rollen, sei es die Norma oder die Amina, an ihre eigene Stimme angepasst.

Was haben Sie in den Autografen von Bellini entdeckt?

Zunächst einmal habe ich den großen Sängerinnen der Grammophon-Ära zugehört. Ich war und bin noch heute fasziniert von den Interpretationen der Diven von damals. Dann habe ich aber auch viele überraschende Dinge in der Partitur von Bellini entdeckt. Da wurden später viele Noten und geradezu ganze Passagen verändert. Dann entstand bei mir schon bald der Wunsch, zusammen mit einem Orchester auf historischen Instrumenten den Originalen von Bellini nachzuspüren in puncto Dynamik und in puncto Klangfarben. Mir war vorher nicht klar, dass die Amina einmal von einem Mezzosopran gesungen wurde. Das war für mich eine regelrechte Offenbarung. Und überhaupt ist das Studium der Manuskripte ungeheuer aufschlussreich.

Die berühmte Arie der Norma »Casta diva« haben Sie ganz anders interpretiert, als man es sonst hört. Was ist dabei neu?

Eigentlich gibt es da gar nichts Neues. Ich bin nur dem gefolgt, was der Komponist geschrieben hat. Das ist einfach Bellini.

Und was hat er geschrieben?

Bellini hat ein Gebet geschrieben – in Sottovoce. Es gibt ein paar Crescendi, aber vor allem sehr viele Diminuendi. Wir haben versucht, diese vielen, wirklich leisen Stellen zu beachten, die Bellini komponiert hat. Dank der Unterstützung durch die historischen Instrumente ging das auch sehr gut.

Kommen wir zu Mozart. Sie singen die Fiordiligi, die Dorabella und die Despina, völlig unterschiedliche Charaktere. Ich kenne eigentlich keine Sängerin, die alle drei Rollen gesungen hat. Was braucht es dafür?

Die Frauenrollen bei Mozart faszinieren mich schon seit meinem Studium. Ich habe bei Mozart mit der Dorabella angefangen. Das lag auf der Hand, weil die Dorabella ein echter Mezzosopran ist. Aber eigentlich habe ich immer mit der Despina geliebäugelt und alles darum gegeben, diese Rolle zu singen. Sie ist es ja, die die Fäden der Geschichte zusammen mit Don Alfonso in der Hand hält. Und den Schritt zur Fiordiligi bin ich in Zürich mit Nikolaus Harnoncourt gegangen. Er war es, der mich dazu gebracht hat, diese Rolle zu singen, weil Mozart sie für eine bestimmte Sängerin geschrieben hat, nämlich für Adriana Ferrarese del Bene. Sie sang die Susanna aus »Le nozze di Figaro« in einer zweiten Version. Mozart hat eigens für sie zwei Alternativarien geschrieben. Eine Sängerin, die die Fiordiligi und die Susanna sang, besaß offensichtlich eine bemerkenswerte Technik und vor allem eine große Persönlichkeit. Ich denke, dass eine solche Vielseitigkeit auch heute fundamental für einen Künstler ist.

Was ist die größere Herausforderung: die Bewältigung von so ganz unterschiedlichen stimmlichen Anforderungen bei diesen Partien, oder geht es für Sie mehr darum, diese Figuren aus dem Rollencharakter, aus dem Mozart’schen Theaterverständnis heraus zu interpretieren? Anders gefragt: War es für Sie als Mezzosopran mit einer großen Tessitur und großer stimmlicher Variabilität gar keine Frage der Technik, sich mit Dorabella, Despina und dann auch Fiordiligi zu befassen?

Klar ist jedenfalls, dass man, wenn man die Fiordiligi singen will, auch ihren Stimmumfang braucht, rein technisch gesehen. Für diese Rolle ist es aber auch ganz wichtig, den Geist der Figur zu erfassen. Für mich ist die Vielseitigkeit dieser Rolle ganz entscheidend: Anfangs ist es noch eine komische Rolle, oder sagen wir semikomisch, dann im Finale von »Così fan tutte« ist sie eine eher tragische Figur. Ähnlich ist das mit der Despina, die am Ende auch tragisch wird. Auch die Musik wandelt sich im selben Werk! Es ist sehr faszinierend, dieses Stück aus einer Art Dreidimensionalität heraus zu studieren, also das Rollenverständnis, die musikalische Struktur und die gesanglichen Anforderungen zusammen zu betrachten.

Sie haben Ihre Karriere mit Rossini begonnen. In einer Ihrer ersten Aufnahmen, 1989 war das, singen Sie zum Beispiel »Di tanti palpiti« aus »Tancredi« oder ein paar Jahre später »Non più mesta accanto al fuoco«, die Schlussnummer aus »La Cenerentola«. Man erlebt dort eine Sängerin, die ein Höchstmaß an Virtuosität zeigt. Sie singen ohne theatralische und sprachausdruckshafte Einfärbungen, schlackenlos und kultiviert. Würden Sie den Rossini auch heute noch so singen?

Natürlich habe ich zwischen meiner ersten Platte und heute eine Wegstrecke zurückgelegt. Was mir dabei am meisten geholfen hat, ist das Studium des Barockrepertoires und der Musik von Rossini. Ich habe mich also zunächst aus dem eher klassischen Repertoire zu der Musik früherer Epochen bewegt. Heute höre ich Rossini oder seine Zeitgenossen mit ganz anderen Ohren und schätze seine Musik noch mehr, aber auch die der leider unbekannten Komponisten wie Pacini oder Persiani, die alle im Schatten geblieben sind.

Sie haben das Stichwort »Barock« gegeben. Ich möchte ein Beispiel herausgreifen, und zwar die Arie »Anderò, volerò, griderò« aus »Orlando finto pazzo« von Vivaldi, ein kurzes Stück nur. Sie singen das mit großer Ausdruckskraft ganz eng an den Worten, im besten Sinn theatralisch, aber eigentlich nicht in einer Weise, die man im herkömmlichen Sinn als schönen Gesang bezeichnen würde. Es ist eigentlich nicht Belcanto, obwohl es wunderbar klingt. Wie passt denn das zusammen? Bei Vivaldi denkt man doch, das ist reine Gesangsvirtuosität. Aber Sie theatralisieren Vivaldi, fast als hätte man einen Verdi vor sich.

Ob man die Musik von Vivaldi oder von Verdi singt, man erzählt einfach Geschichten. Ob im Theater oder im Konzert, immer erzählt man Geschichten. Und der größte Teil dieser Geschichten erzählt von der Liebe, also von Leidenschaft, von Verlangen, Schmerz, Wut, Eroberung. Die Virtuosität darf dabei nie als Selbstzweck empfunden werden, sie muss immer einem Ausdruck dienen, den der Komponist oder der Dichter vom Stück verlangt. Deshalb gibt es eben auch eine heroische Virtuosität, eine melancholische, eine, die ausschließlich fröhlich ist, aber sie muss immer an einen Ausdruck gebunden sein.

Wenn man dagegen von Ihnen die Schlussnummer aus Rossinis »La Cenerentola« hört oder auch die Partie der Fiorilla in »Il turco in Italia«, da findet der Ausdruck als pure Virtuosität statt. Dasselbe bei Bellini mit der Amina, zum Beispiel in »Ah, non giunge«, dem belcantistischen Schlussstück aus »La sonnambula«. Wie gesagt, anders bei Vivaldi, wo Sie eine deklamatorische, fast realistisch-emotional eingefärbte Virtuosität zeigen.

In »La Cenerentola« bedeutet die Virtuosität bei diesem Rondo im Finale einen Moment der extremen Freude, nachdem Cenerentola drei Stunden lang leiden musste, bis sich endlich ihr Traum erfüllt. Aber eigentlich erträumt sich Cenerentola das noch nicht einmal, das alles erfährt sie wie ein göttliches Geschenk. Das Rondo am Ende ist also ein Stück voller großer Emotionen, voll von überquellender Freude. Die gleichen Momente des großen Glücks durchlebt Amina am Ende mit »Ah, non giunge«.

Was ist eigentlich Belcanto? Man versteht darunter ja auch bestimmte Gesangstechniken wie Messa di voce, Legatissimo, Koloraturenvirtuosität usw. Ist der Belcanto also vor allem ein Repertoire an Techniken?

Das Wort Belcanto sagt schon alles. Es bedeutet einfach, schön zu singen, der Stimme so viele Farben wie nur möglich zu verleihen und nicht nur der Stimme, auch dem Ausdruck. Belcanto bedeutet für mich auch Ausdruckskraft. Es ist die höchstmögliche Art, die Stimme zu beherrschen. Belcanto ist in der Tat zunächst eine sehr anspruchsvolle Technik. Sie erlaubt eine sehr große Dynamik von Pianissimo zu Fortissimo, von Crescendo zu Diminuendo, vom Tenuto zum Staccato, Triller, Koloraturen, Verzierungen, und sie fordert vor allem eine Kontrolle des Atems. Das ist übrigens das Wichtigste: den Atem zu kontrollieren. Das gilt für den Belcanto in der italienischen Oper des frühen 19. Jahrhunderts, aber das gilt auch für das Repertoire davor. Wir müssen uns bewusst machen, dass Maria Malibran zusammen mit dem letzten großen Kastraten aufgetreten ist, mit Giovanni Battista Velluti. Auch er hatte eine ausgezeichnete Technik. Meiner Meinung nach liegen die Ursprünge des Belcanto im 18. Jahrhundert und in der Zeit davor, als die Kastraten die Opernbühnen beherrschten.

Sie sind in Ihrem Repertoire in die Barockzeit zurückgegangen und haben auch ganz viele Kastratenrollen gesungen. Fühlen Sie sich als so etwas wie eine Fortsetzerin der Kastratengesangstradition in unserer Zeit?

Die Welt der Kastraten fasziniert mich. Die großen Kastraten des 18. Jahrhunderts hatten sehr kraftvolle Stimmen und eine unglaubliche Technik. Die konnten mit ihren tragfähigen Stimmen wirklich die großen Heroen darstellen. Sie besaßen eine beachtliche physische Kraft, weil sie eben Männer waren. Dieser Aspekt ist sehr wichtig. Countertenöre gab es auch schon im 18. Jahrhundert. Aber ihnen wurden nicht die großen Rollen gegeben, die die Kastraten sangen. Wir denken ja, die Countertenöre von heute könne man mit den Kastraten des 18. Jahrhunderts vergleichen. Dem ist aber nicht so. Natürlich waren die Countertenöre auch damals große Sänger. Aber die Kastraten hatten einfach eine andere Stimme als die Countertenöre, wie wir sie kennen, die vor allem sakrale Musik sangen. Die Kastraten waren dagegen in jeder Hinsicht wahre Stimmenmonster.

Aber verstehe ich das richtig: Sie fühlen sich in der Rolle, diese Gesangstradition fortzusetzen und für unsere Zeit zu übersetzen? Händel hat ja, wenn ein Kastrat ausfiel, Mezzosoprane eingesetzt, und es gibt auch heute Dirigenten – René Jacobs zum Beispiel, der selbst ein Countertenor ist –, die lieber einen Mezzosopran nehmen, wenn eine Kastratenrolle zu besetzen ist. Wollen Sie also auch dadurch, dass Sie Ihre Repertoireüberlegungen historisch fundieren, die Gesangstradition der Kastraten fortsetzen?

Ich glaube, wie heutzutage die Rollen besetzt werden, hängt in erster Linie von den persönlichen Vorlieben der Dirigenten oder der Produzenten ab. Es gibt gute Mezzosoprane, gute Altstimmen, aber auch gute Countertenöre. Entscheidend ist die Sensibilität eines Künstlers. Ich kenne viele Countertenöre mit einem großen musikalischen Einfühlungsvermögen und mit durchdachten stilistischen Ideen. Es ist also richtig, mit diesen guten Sängern zu arbeiten.

Wenn Sie Musik aus der Barockzeit interpretieren, dann tun Sie das mit einer großen Ausdruckskraft, mit einem geradezu realistischen Darstellungsimpetus. Das Ganze findet aber im Rahmen eines historischen stilistischen Diskurses statt. Welche Konsequenzen kann man daraus für die Interpretation der Musik der Romantik ziehen?

Ihre Fragen zum Belcanto führen mich auch zu Wagner. Wenn wir uns Platten von Wagner-Sängern anhören wie Franz Völker oder anderen, bemerken wir in der Art, wie sie Wagner interpretieren, eine viel weichere Ausführung, eine viel lyrischere Herangehensweise. Diese Sänger sangen einen Wagner ohne Einschränkung, aber eben nicht nur mit diesem kraftvollen Singen, wie man es heute kennt. Das geht ja auch gegen das Instrument, gegen die Stimme. In Wagners Bibliothek standen viele Partituren von Bellini. Man kann sicher davon ausgehen, dass er ein Bewunderer von Bellini war. Und wenn wir an das Bayreuther Festspielhaus – ein phantastisches Opernhaus! – denken, dann erscheint es uns im Vergleich zur Metropolitan Opera oder dem Teatro Colon in Buenos Aires eher klein. Es ist aber ideal für diese Musik. Hinzu kommt, dass es bei den Orchestern mit den modernen Instrumenten eine Tendenz gibt, viel lauter zu spielen als damals. Man kann fast sagen, dass es einen Kampf zwischen den Stimmen und dem Orchester gibt. Die früheren Orchester waren kleiner, und die alten Instrumente waren leiser. Und deswegen konnten die Stimmen viel natürlicher über dem Orchester stehen, ohne zu forcieren.

Wir haben in Köln einmal den Versuch gemacht, Wagner aus dem Geist der Oper des frühen 19. Jahrhunderts aufzuführen, aus dem Geist von Weber, Meyerbeer, durchaus auch Bellini. Das war 2004 der »Fliegende Holländer« mit der Cappella Coloniensis auf historischen Instrumenten. Und das hat gut funktioniert. Können Sie sich denn vorstellen, einmal die frühen Wagner-Opern aus dem Geist des Belcanto zu singen?

Nein, ich denke nicht. Wagner hat zwar schöne Kammermusik geschrieben, schöne Lieder auf Französisch, aber ich kann mir im Augenblick nicht vorstellen, Wagner zu singen.

Das Barockrepertoire hat mit den Jahren bei Ihnen einen immer größeren Stellenwert eingenommen. Sie kümmern sich dabei auch um Raritäten, Arien von Salieri, Gluck, Kastratenarien aus römischen Oratorien während der Zeit, als in Rom aufgrund eines päpstlichen Verbots keine Opern aufgeführt werden durften. Wie kommen Sie auf diese Repertoire-Ideen? Haben Sie Helfer? Gehen Sie selbst in die Bibliotheken?

Die Ideen kommen, wenn ich mich in ein Repertoire einarbeite. Dabei mache ich eine Entdeckung nach der anderen. Als ich die Persönlichkeit der Malibran studierte, lernte ich Komponisten kennen, von denen ich nie etwas gehört hatte, wie Pacini oder Halévy. Halévy war ein ausgezeichneter Komponist und hatte großen Erfolg. Ich konnte zum Beispiel den Intendanten der Zürcher Oper, Alexander Pereira, davon überzeugen, von Halévy die selten gespielte Oper »Clari« aufs Programm zu setzen anstelle des Repertoirestücks »La Juive«. Das hat sich gelohnt. Das Gleiche geschah mit Mendelssohn. Mendelssohn hat diese wunderschöne Konzertarie mit Solovioline »Infelice« für die Malibran und für den Geiger Charles-Auguste de Bériot geschrieben, der später die Malibran heiratete. Mendelssohn ist natürlich bekannt, aber dieses Stück war eine Entdeckung. Diese Ideen kommen ganz allmählich, wenn man liest, wenn man lernt, einfach so.

Wie muss man sich das vorstellen? Reisen Sie in die Bibliotheken, sehen die Kataloge durch, die Handschriften? Wenn Sie auf Reisen sind, quer durch Europa, gehört der Bibliotheksbesuch dazu?

Nein, ich gehe nicht immer in die Bibliothek. Musikwissenschaftler helfen mir, weil ich ja auch ins Theater muss und nicht immer Zeit in der Bibliothek verbringen kann. Wir sind ein Team aus Liebhabern. Ich bin keine Wissenschaftlerin, überhaupt nicht, ich bin Musikerin mit einer großen Leidenschaft für die Musik.

Sie sammeln historische Gegenstände, Handschriften, Manuskripte. Haben Sie eine Sammelleidenschaft?

Beim Projekt über die Sängerin Maria Malibran zum Beispiel habe ich schon Jahre vorher damit begonnen. Mein Produzent, Christopher Raeburn, hat mir ein Porträt der Malibran geschenkt, und ich war sehr berührt von ihrer Persönlichkeit, vor allem von ihrer Familie. Die gesamte Familie der Malibran bestand aus Musikern, die Schwester und der Vater Manuel García, der ein großer Tenor im 19. Jahrhundert war. Ich begann also schon vor langer Zeit, Noten und Briefe zu sammeln, und bis heute mache ich das. Das ist fast schon eine Krankheit.

Oder auch eine Methode, sich den historischen Gegenstand anzueignen?

Natürlich ist das auch eine Methode, viele schöne Dinge zu entdecken. Viele Umstände und wichtige Begebenheiten erfährt man nur durch die Briefe, Briefe von der Malibran, aber auch Briefe an die Malibran von Bellini, von Mendelssohn, von Rossini. Da taucht man in eine andere Welt ein.

Man sagt, dass Sie immer ein kleines Bild der Malibran mit sich tragen, wenn Sie reisen.

Ich trage das Porträt der Malibran nicht immer bei mir, nur ab und zu. Aber ich trage immer Meerwasser bei mir. Mal ganz davon abgesehen, dass ich das Meer liebe und ich deshalb so oft wie möglich ans Meer gehe. Das heißt aber nicht, dass ich das Wasser da am Strand in kleine Flaschen fülle. Nein, aber Meerwasser an sich ist sehr gesund und hilft der Stimme.

Zürich, Januar 2009

Oper - aber wie!?

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