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Ordnung und Unordnung

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Ist das System so überaktiv, dass es keine Ordnung hat, kann es keine nützliche Form von Verhalten zeigen. Man könnte Manie und Rage als chaotische Zustände bezeichnen. Am anderen Ende der Skala, wo ein Übermaß an Ordnung angesiedelt ist, ist eingeschränkte Aktivität möglich, der betreffende Klient ist in Erstarrung gefangen, und das System vermag keine funktionalen Formen und Verhaltensweisen zu demonstrieren. Depression und Zwangsverhalten könnte man als Erstarrungszustände bezeichnen. Nach Daniel Siegels Auffassung könnte man fast alle im DSM-5 beschriebenen psychischen Störungen als chaotische oder starre Zustände einordnen (Siegel 2007, S. 198–199, dt. 2007: Das achtsame Gehirn; American Psychiatric Association 2013). Allerdings gibt es insbesondere in offenen lebenden Systemen eine natürliche Neigung zur Ordnung, weil Chaos und Erstarrung eine adäquate Funktionsweise unmöglich machen und sogar zu völliger Funktionsunfähigkeit führen können. Wir halten von Natur aus ein gewisses Maß an Ordnung aufrecht, um überleben zu können. Am Rande von Chaos oder Erstarrung befindet sich eine abstrakte Grenze zwischen Ordnung und Unordnung. In diesem Bereich kann ein Übergang von einer chaotischen oder starren Phase zu einer geordneteren und funktionsfähigen Phase stattfinden.

Dieser Bereich ist der Punkt des Phasenübergangs im Raum zwischen den Rändern des Chaos oder der Starrheit. In dieser Zeitspanne kann eine Therapie besonders effektiv sein, weil das System des Klienten sich unter dem größten »Druck« befindet, sich in Richtung eines geordneteren oder ungeordneteren Zustandes zu bewegen. Dies bedeutet, dass die Volatilität für eine Veränderung ausreicht. Man kann das am Verhalten von Wasser beobachten. Wir alle wissen, dass Wasser normalerweise bei einer bestimmten Temperatur zu kochen beginnt und dass es bei einer bestimmten anderen Temperatur gefriert. Obwohl sich die Wassertemperatur zwischen den Zuständen Eis, Flüssigkeit und Gas fließend verändert, setzt der Übergang von einem Zustand in einen anderen erst ein, wenn das Wasser eine Temperatur erreicht hat, die sich nur wenige Grad von der Temperatur bei Zustandsveränderung unterscheidet. Dann geht die Veränderung sehr schnell und dramatisch vonstatten. Dieser kleine Temperaturbereich ist der Bereich des Phasenübergangs (Rosen 2004, S. 243–245; Olander 2007). Bei allen Temperaturen zwisüchen den Korridoren der Phasenübergänge bleibt der Zustand des Wassers stabil, weil er sich an Temperaturveränderungen anpassen kann, um den aktuellen Zustand aufrechtzuerhalten d. h., dass dort Wasser eine stabile Flüssigkeit ist). Wasser befindet sich dann in einem Zustand harmonischer Balance, obwohl sich die Temperatur in einem bestimmten Bereich verändern kann. Nähert sich das flüssige Wasser dem Zustand des Gefrierens, reicht ein wenig stimulierende Wärme aus, um die harmonische Balance des flüssigen Zustands aufrechtzuerhalten. Ebenso braucht man, wenn sich die Wassertemperatur dem Kochpunkt nähert, nur die Wärme zu verringern, damit sich die Wassermoleküle wieder so weit beruhigen, dass der flüssige Zustand erhalten bleibt. Charakteristisch für einen Zustand harmonischer Balance ist nicht, dass das Wasser im flüssigen Zustand immer eine bestimmte Temperatur hat, sondern der Zustand harmonischer Balance besteht darin, dass das Wasser eine Flüssigkeit bleibt. Nachdem wir uns nun schon so lange mit diesem Vergleich beschäftigt haben, können wir an die Stelle des »Wassers« den menschlichen »Zustand der Gesundheit und des Wohlbefindens« setzen und so den Vergleich auf die menschliche Situation übertragen. Das erlebensbasierte Feld zwischen den Bereichen des Phasenübergangs ist das »Feld der Harmonie«. Die »Temperatur« mag sich verändern, doch der Seinszustand bleibt relativ stabil (s. Abb. 2.1).

Klienten erscheinen oft zur Therapie, wenn sie sich in der Nähe eines Phasenübergangs oder bereits in einem solchen befinden. Sie können auch während der Therapie einen Phasenübergang erleben. Ob dies der Fall ist, kommt im Verhalten des Klienten zum Ausdruck. Das kann in Form von Tränen oder eines Anstiegs der Energie wie Stress oder Angst in der Sitzung geschehen. Es ist weder ungesund noch unnatürlich, sich an den Rand des Chaos oder der Erstarrung zu begeben, weil Sensibilität gegenüber Punkten des Phasenübergangs oder eine Reaktion auf diese Punkte es lebenden Systemen ermöglicht, auf die Welt zu reagieren, spontan und adaptiv zu sein und das Leben zu erhalten.

Abb. 2.1: Das »Feld der Harmonie«

Diese Abbildung repräsentiert unser postuliertes »Feld der Harmonie« zwischen desintegrierendem Chaos und zerstreuender Erstarrung. Die Harmonie wird nicht durch eine gerade Linie repräsentiert, sondern durch einen Fluss der Aktivität zwischen den sicheren Rändern des Chaos und der Erstarrung. In Zeiten des Chaos ist eine gewisse Zügelung der Kreativität erforderlich, die beruhigend wirkt und expansive Kreativität in etwas Praktikables verwandelt. Zeiten der Erstarrung erfordern kreative Stimulation, damit Energie mobilisiert und aktiviert wird. Nähert sich die weiße Linie dem Rand, muss eine Veränderung stattfinden, die »Phasenübergang« genannt wird. In unmittelbarer Randnähe spricht man von einem kritischen Phasenübergang. Eine adaptive Reaktion erhält den harmonischen Fluss aufrecht. Eine maladaptive Reaktion erzeugt exzessives Chaos oder entsprechende Erstarrung. Beide erzeugen Probleme und Schwierigkeiten, die häufig als psychische oder emotionale Störungen erlebt werden.

Ordnung und Unordnung treffen an einer abstrakten Grenze am Rand des Chaos (oder der Erstarrung) aufeinander, wo eine Phase des Übergangs von der Unordnung zur Ordnung oder umgekehrt stattfinden kann. In Perioden des Phasenübergangs ist therapeutische Veränderung am effektivsten möglich; ebenso kann es in diesen Zeiten zu disruptiven Wechseln hin zur Unordnung kommen.

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