Читать книгу Pikatzo - Rita Janaczek - Страница 3
1. Stillleben
ОглавлениеKünstler sein ist kein Beruf, hatte Pias Vater mehr als einmal gewarnt, Künstler sein ist eine Fehlentscheidung. Aber Pia Lindefeld war ein kreatives Individuum, auch ein kämpferisches und besonders ein sehr bockiges. Nachdem sie sich ein Jahr nach dem Abi die Zusage der Uni für Bildende Künste erkämpft hatte, war sie mit ihrem Dickkopf so lange gegen die väterliche Wand gerannt, bis der Ytong zerbröselt und er seufzend in die Planung für das kommende Studium mit eingestiegen war. Er hatte ihr geholfen, eine Wohnung zu finden und zu renovieren. Auch beim Umzug in die Stadt hatte er mit angepackt. Wenn sie ganz ehrlich war, dann musste sie zugeben, dass er eigentlich alles allein gemacht hatte. Pia war froh, dass wenigstens er für sie da war. Ihre Mutter ließ sich nur selten sehen, seit sie direkt nach der Scheidung zu ihrem neuen Partner nach München gezogen war.
Der Start ins Studentenleben war super gewesen, aber inzwischen quälte sich Pia durch das zweite Semester. Manchmal war es genauso ätzend wie in der Schule. Schon da hatte sie die Vorgaben im Kunstunterricht mehr als flüssig gefunden, doch die gab es hier leider genauso. Sie war sich darüber im Klaren, dass auch die Kunst Technik brauchte, Kenntnis von Perspektiven, Farblehre und noch endlos mehr Wust, auf den sie gern verzichtet hätte und der sie in letzter Zeit immer häufiger panisch machte. Die Grundlagen und Vorschriften entsprachen einfach nicht ihrem intuitiven Verständnis von Kunst. Wie sollte sie bloß die anstehenden Prüfungen überstehen? Das geforderte Werkstück, Acryl auf Keilrahmen 100 x 100, stand immer noch klinisch weiß in ihrer kleinen Wohnung hinter dem Schreibtisch. Da sollte ein Stillleben entstehen, ausgerechnet ein Stillleben! Das war sowas von öde! Alles andere hätte sie lieber gemalt.
Frau Professorin Grell-Sebses schritt durch das Atelier der Uni, ihr Gesichtsausdruck immer gleich zitronensauer. Unter den Studenten kursierte das Grücht, sie sei schon mit nach unten weisenden Mundwinkeln auf die Welt gekommen. Ihr schwarzes, knöchellanges Kleid raschelte aufdringlich bei jedem ihrer Schritte. Alle hier fürchteten ihre bitterbösen Kommentare. Ihr Seminar schrammte nur knapp am Prädikat seelische Folter vorbei. Grell-Sebses konnte einem mit einem einzigen Blick das Gefühl geben, null Talent zu haben. Pia blickte unauffällig von ihrer Staffelei auf. Sie liebte es, frei zu malen und zu zeichnen, das war ihre wirkliche Stärke. Jetzt schlug die Professorin einen Bogen. Pia zuckte zusammen. Sie hoffte inständig auf ein Ende der Stunde, bevor die schwarze Gefahr ihr Machwerk erreichte. Aber heute war nicht sie das Ziel, denn gerade schoss sich Grell-Sebses auf Dominik ein, ausgerechnet Dominik. So laut, dass es auch ja jeder hören konnte, schüttete sie ihre Häme über ihm aus.
Als Pia am Abend von der Uni kam, gähnte ihr die weiße Leinwand frech entgegen. Missmutig hängte sie den alten, abgewetzten Trenchcoat ihrer Mutter an die Garderobe und schob die Vans von den Füßen. Sie öffnete die Tür zur kleinen Dachterrasse und ließ es eine Weile von draußen hineinwehen, während sie sich an der kleinen Küchenzeile einen Toast schmierte und Tee aufgoss. Als sie anschließend kauend an dem kleinen Tisch hockte, fiel ihr Blick nach draußen. Da saß sie wieder auf dem Nachbardach, die kleine, weiße, struppige Katze. Ob die niemandem gehörte? Ein wenig verkommen sah sie schon aus, auch ziemlich mager. Pia nahm den letzten Schluck Tee, seufzte und schob die Tür wieder zu. Sie wusch lieber ihr Geschirr ab, anstatt sich mit dem Stillleben zu befassen, das war definitiv.
Nach einem weiteren Tee und zwei Stunden büffeln für Kunstgeschichte kroch sie ins Bett. Morgen würde eine weiße Leinwand sie wie jeden Tag anklagend begrüßen.
Die Stimmung in der kleinen Studentenclique war gelöst. Die letzte schriftliche Prüfung hatten sie heute hinter sich gebracht, der Sommer kündigte sich mit T-Shirt-Temperaturen an und in ein paar Tagen würden die Semesterferien beginnen. Die kommenden Ergebnisse interessierten im Moment niemanden. Sie saßen zu fünft auf der Terrasse des Bistros, hatten Flammkuchen und Wein bestellt und redeten ausgelassen. Bereits in den ersten Wochen des Studiums hatte sich die kleine Gruppe nach und nach zusammengefunden, und in den letzten Wochen hatten sie dann festgestellt, dass nicht nur Pia Stillleben hasste.
„In der neunten Klasse hat unser Kunstlehrer mal Obst von zu Hause mitgebracht“, erzählte Dorina, „dann hat er ´nen Apfel, ein paar Trauben und eine Banane auf das Pult gelegt und wir sollten das Ganze malen. Die Banane hatte schon braune Flecken. Zuhause sieht mein kleiner Bruder das Bild und fragt mich, was das für eine hässliche Giraffe wäre.“
Alle lachten und Pia verschluckte sich beinahe an ihrem Wein.
„Ich denke im nächsten Semester wird es entspannter“, sagte Ulla.
„Glaub ich nicht dran“, wandte Dominik ein. „Jeder redet immer von Kunst als Ausdruck des eigenen Selbst, von Freiheit, Kreativität, und wie läuft es hier? Du sperrst ein wildes Tier in einen engen Käfig – und dadurch soll es lernen, wild zu sein?“
„Is klar“, grinste Dorina, „und das wilde Tier bist du.“
Lennie ließ ein tierisches Knurren hören und zeigte die Zähne.
„Man, das ist `ne Metapher“, beschwerte sich Dominik.
Die anderen vier nickten brav und gleichzeitig, dann gab es wieder gemeinsames Gelächter. Pia mochte Dominik, er war rein optisch zwar nicht ihr Typ, aber er war kreativ und intelligent, außerdem alles andere als oberflächlich.
„Morgen noch das Werkstück vorlegen, und wenn wir Glück haben, ist das dann unser letztes Stillleben“, konstatierte Dominik.
„Wie? Morgen?“, fragte Pia fassungslos. „Ich dachte, wir müssen Mittwoch abgeben!“
„Morgen ist Mittwoch“, warf Ulla trocken ein.
„Nicht nächste Woche?“ Die Hoffnung stirbt zuletzt.
„Neehee“, Dorina zog das ausführliche Statement in die Länge und sah Pia aus den Augenwinkeln an.
Die Hoffnung ist gerade auf dem Weg zum Container. Pias Körper spannte sich unangenehm.
„Definitiv morgen!“, bestätigte Dominik nochmal und alle nickten. „Sag bloß, du bist noch nicht fertig? Da kennt Grell-Sebses kein Pardon, Frist ist Frist“, ergänzte er besorgt.
„Doch natürlich, es fehlen nur noch ein, zwei Pinselstriche, Fünfminutensache.“ Das war natürlich gelogen. Die Leinwand stand noch immer so jungfräulich wie eh und je hinter dem Schreibtisch. Pia spürte, wie ihr der Puls bis zum Hals schlug, sie musste unbedingt nach Hause, und zwar sofort. Das war jetzt sowas von peinlich. Um keinen Verdacht zu erregen wartete sie noch ein paar Minuten, bis die imaginären Kopfschmerzen kamen, dann verabschiedete sie sich und sprintete zur U-Bahn. Das durfte nicht wahr sein, wie hatte sie sich mit dem Termin so versehen können? Eigentlich konnte sie unter Druck wesentlich stringenter arbeiten, doch das hier war mehr als Druck. Sie würde die Nacht durchmachen müssen. Trocknen würde das blöde Ding dann auch nicht mehr rechtzeitig.
Als sie in der Wohnung ankam, warf sie Schuhe und Mantel vom Leib, streifte sich das alte Oberhemd ihres Vaters über, das sie als Malkittel nutzte, und legte den Küchentisch mit Folie aus. Die Leinwand war natürlich größer als der Tisch, das Teil wackelte, die Farben und Utensilien stellte Pia auf die Anrichte. Eine Staffelei wäre jetzt ideal gewesen. Sie hatte oft darüber nachgedacht, sich eine anzuschaffen, aber wo hätte sie die in der kleinen Wohnung aufstellen sollen? Sie verschwendete keinen weiteren Gedanken an hätte, könnte oder wäre und legte los. Etliche Stunden arbeitete sie mit wachsender Unzufriedenheit, das Ergebnis überzeugte sie überhaupt nicht, maximal Obertertia. Gegen fünf Uhr morgens legte sie das Machwerk entnervt auf den Balkon. Bei der lauen Vorsommerluft würde es draußen sicherlich schneller trocknen als in ihrer kleinen Bude. Auch ihre Utensilien stellte sie einfach nach draußen, lediglich die teuren Pinsel wusch sie sorgfältig aus und legte sie auf ein altes Tuch neben die Spüle. Dann kroch sie völlig übermüdet ins Bett.
Sie hätte heulen können. Das Bild in ein Laken gewickelt saß sie in der U-Bahn und starrte auf den Boden. Das war‛s dann wohl, womöglich war ihr das dritte Semester jetzt versperrt. Die Blicke von Professorin Grell-Sebses allein hätten schon gereicht, der Redeschwall danach hätte nicht nötig getan. Zuletzt hatte Pia gar nicht mehr zugehört, the Person you have called ist überhaupt nicht mehr available. Wie sollte sie dieses Desaster nur ihrem Vater beibringen? Er tat alles für sie, unterstützte sie wo er nur konnte, auch finanziell, obwohl er selbst Probleme hatte, über die Runden zu kommen. Außerdem wollte sie mit den anderen zusammenbleiben und auf keinen Fall dieses verdammte zweite Semester wiederholen. Ihre Hand krallte sich um den Rand des Keilrahmens. Irgendwie sah das Bild ja jetzt richtig gut aus, über Nacht gereift, nur war es alles andere als ein Stillleben, und das war das Problem. Als sie am Morgen nach zwei Stunden Schlaf wieder aufgestanden war, hatte das Bild völlig anders ausgesehen, die Joghurtbecher mit den Farbresten hatten kreuz und quer auf dem Balkon gelegen. Die verschiedenen Flaschen und die Schale, die sie gestern mehr schlecht als recht auf die Leinwand gebracht hatte, waren nur noch in Fragmenten zu erkennen. Die Acrylfarbe, die völlig abstrakt darüber gearbeitet wurde, machte das Bild zu einem surrealistischen Traum. Hätte sie dieses Machwerk in einer Galerie entdeckt, sie hätte sich gewünscht, so malen zu können. Sie hatte einen dunklen Verdacht, wer ihr das eingebrockt hatte, eine verräterische orange Signatur war am unteren rechten Rand zu erkennen, der Täter hatte vermutlich weißes Fell und vier Pfoten.
„Ist der Platz noch frei?“ Der dunkelhaarige Typ setzte sich, bevor sie geantwortet hatte. Sie nickte nachträglich und wandte ihren Blick, um nach draußen zu sehen.
„Sie malen?“, quatschte er sie von der Seite an. Pia hatte so gar keine Lust auf Konversation, aber er machte einen netten Eindruck und zickig rüberkommen wollte sie auch nicht.
„Ich studiere Kunst“, das klang gerade so hochtrabend, dass sie die Antwort am liebsten gelöscht hätte.
„Ich studiere Sport“, schob er nach. „Kann man auch nichts mit anfangen.“ Er grinste wie ein Schuljunge und schob seinen Rucksack zwischen den Füßen zurecht.
Sie sah hinaus auf die Tunnelwände, die an ihr vorbeizogen, und war überzeugt, die kurze Unterhaltung dadurch beendet zu haben.
„Darf ich mal sehen?“
Pia wusste nicht, ob sie seine Hartnäckigkeit interessant oder lästig finden sollte. Sie drehte sich zu ihm, erst jetzt wurde ihr bewusst wie dicht sie nebeneinandersaßen, und zog das Laken ein Stück zur Seite. Er pfiff durch die Zähne. „Das haben Sie gemalt? Also wenn ich so malen könnte, würde ich mir die Uni sparen.“ Er grinste wieder.
„Das sagen Sie nur so.“ Sie konnte nicht leugnen, dass sein Kompliment sie verlegen machte.
„Nein, ehrlich. Das sieht richtig gut aus.“
Sie spürte, wie ihr die Hitze in den Kopf stieg. „Ich hab es nicht allein gemalt“, gab sie ehrlich zu. „Die Basis kommt von mir, und ein … ein Freund hat daran weitergearbeitet.“
Er nickte und fuhr sich mit der Hand durch das wirre, halblange Haar. „Ich würde es gern jemandem zeigen.“ Er kramte ein Smartphone aus der Jackentasche. „Darf ich?“
Pia zuckte mit den Schultern, er nahm das sofort als Zustimmung und brachte sein Handy in Position. Sie nahm das Laken komplett herunter, positionierte das Bild so, dass er genug Abstand hatte und ließ es von ihm ablichten. Sie gab ihm auch noch ihre Handynummer, als er sie darum bat und eine Station danach stieg er aus.
Als sie in ihrer Wohnung war, hatte Pia keine Ahnung mehr, warum sie sich dazu hatte hinreißen lassen. Sie kannte diesen Mann überhaupt nicht und der hatte jetzt ihre Nummer. Sicherlich konnte er problemlos herausfinden, wo sie wohnte. Womöglich war er ein Hacker und würde sie jetzt über das Smartphone ausspionieren und irgendwann beginnen, sie zu stalken. Sein Interesse an dem Bild war sicher nur ein Vorwand gewesen. Wie bescheuert kann man sein? Sie schob das Bild hinter den Schreibtisch und wünschte sich, die Leinwand wäre noch immer unberührt und weiß und sie könnte den heutigen Tag einfach aus ihrer Biografie streichen.