Читать книгу Pikatzo - Rita Janaczek - Страница 5
3. Signatur
ОглавлениеDie Katze schlief in ein altes Handtuch gekuschelt im Karton eines Versandriesens. Pia lag auf der Seite, der Anblick, der sich dort in der Zimmerecke bot, war so beruhigend wie sonst nur die Kombination aus dicker Decke, leiser Musik, Tee und einem Glas Rotwein. Vielleicht sollte sie die Mieze Propofol taufen. Aber das passte eher zu ihrem Kunstdozenten Professor Jadebusch, der war eine Schlaftablette mit Füßen. Wenn der zeichnete, fiel ihm erst der Stift aus der Hand und fünf Minuten später der Kopf aufs Papier. Pia seufzte, sie stand kurz vor einer Entscheidung. Sie hatte das Fund-Tier beim Amt gemeldet, hoffte aber schon jetzt, es würde sich niemand melden, um es bei ihr abzuholen. Die Mieze einfach zu behalten schien ihr nicht mehr so abwegig wie noch am Vorabend. Sie würde das mit ihrem Vater besprechen, er mochte Tiere. Als sie klein war, hatten die gemeinsamen Zoobesuche sie beide immer wieder vollends fasziniert. Am Wochenende hatte sie mit ihrem Daddy auf der Couch Tierfilme gesehen. Und er hatte sich gefreut, wenn die Katze des Nachbarn draußen auf der Fensterbank gelegen hatte. Das hat sowas Gemütliches, hatte er dann immer geschwärmt. Ihre Mutter hatte dann ausführlich über das Viech geschimpft, sie mochte nur Tiere, die man umrühren konnte. Pia zog sich die Decke enger um den Körper und ließ ihren Blick auf dem Katzentier ruhen. Sie hatte keine Ahnung, wie sie den Burschen nennen sollte, dass es ein Kater war hatte die Tierärztin ganz nebenbei erwähnt. Aber das hatte ja keine Eile, zuerst musste sie sich darüber klar werden, ob sie tatsächlich bereit war, ein Dosenöffner zu werden.
Der Tag war ereignisarm vorangeschritten, der kleine Kater hatte viel geschlafen und hin und wieder am Futter geschnuppert. Entweder es ging ihm nicht gut, oder er war wählerisch, sozusagen als lebender Beweis, dass vollmundige Werbeversprechen für Katzenfutter nicht unbedingt mit der Realität konform gingen. Ihren Vater hatte Pia noch nicht erreicht, das machte sie nervös. Sie wurde immer unruhiger bei dem Gedanken, mit der Entscheidung womöglich bis zum nächsten Tag warten zu müssen, es brodelte in ihr. Beim Ordnungsamt der Stadt wollte sie anfragen, ob sich bereits jemand wegen des Katers gemeldet hatte. Der Typ am Apparat hatte sie weiterverbunden zu einer genervten Frau, die sie ebenfalls weiterverbunden hatte zu einem scheinbar unausgeschlafenen Mitarbeiter, der sie weitergestellt hatte zu … Pia hatte es dann aufgegeben. Sie war erleichtert, als das Tier gegen Abend ein paar Happen nahm und die Nase kurz ins Trinkwasser steckte. Und sie freute sich ehrlich, als Dominik und Lennie mit der Ankündigung vor der Tür standen, dass auch Ulla und Dorina auf dem Weg zu ihr waren.
Dorina bezweifelte, ob es gut war, den Kater in einer dermaßen kleinen Studentenbude zu halten. Besonders deshalb, weil das Tier bislang über den Dächern der Stadt zu Hause gewesen war, wild und frei. Pia ließ dieses Argument nicht gelten. Die Begriffe verwildert und ausgesetzt waren vermutlich treffender. Die Tierärztin hatte das kleine Fellknäuel auf höchstens ein halbes Jahr geschätzt, wintergeboren. Vermutlich würde es auch nicht mehr wesentlich wachsen. Stoppelkatzen bleiben meistens klein und zart, hatte sie erklärt. Vielleicht war eine streunende Katze die Mutter. Es gab auch die Möglichkeit, dass eine trächtige Hauskatze einfach ausgesetzt worden war, die draußen völlig überfordert die Jungen mehr schlecht als recht durchgebracht hatte. Traurig fand Pia beide Möglichkeiten. Der geschorene Kater genoss derweil Dominiks Streicheleinheiten und schnurrte leise, während Ulla die beiden mit dem Smartphone festhielt.
Als es klingelte, zückten alle in Erwartung des Pizzaboten ihre Geldbörsen. Pia war sich im Moment des Erkennens bewusst, dass sie ziemlich dumm aus der Wäsche guckte, als Keno mit zwei großen Pizzakartons vor der Tür stand. „Du fährst Pizza aus?“
„Nee“, grinste er. „Als ich hier ankam, stand der Bote gerade vor deiner Tür. Ich hab das mit dem Bezahlen schon mal erledigt.“ Er schob sich an Pia vorbei in die Wohnung und wurde von Dominik und Lennie überschwänglich begrüßt. „Ich lad euch ein“, ließ Keno verlauten und platzierte die Kartons vorsichtig zwischen die Gläser auf dem Tisch. Dann stellte er sich Ulla und Dorina vor.
„Du hast die Katze vom Dach gerettet!“, stellte Ulla fest.
Keno winkte ab. „War nicht so wild.“
Pia legte einen Stapel Servietten in die Mitte und holte sich einen Stuhl ran. Keno quetschte sich auf die Couch neben Ulla und Dorina. Wie er da zwischen den beiden thronte! Pia beäugte ihn unauffällig, während alle sich aus den Kartons bedienten. Was wollte er eigentlich schon wieder hier? Nur weil er die Mieze knappe zehn Meter weit befördert hatte, gab es noch kein Abo auf ihre Wohnung.
„Hast du eigentlich kein Zuhause?“, platzte es aus ihr heraus.
Der irritierte Gesichtsausdruck ihrer Freunde bescheinigte ihr augenblicklich, dass sie sich mit dieser ausgesprochenen Höflichkeit gerade vergaloppiert hatte. Sie stammelte etwas Unverständliches, quetschte dann ein „Tschuldigung“ heraus und zuckte mit den Schultern.
„Ich wollte nur mal nach dem kleinen Racker sehen“, ließ Keno verlauten. „Und ich dachte, dann könnte ich auch das Bild gleich mitnehmen.“
„Das Bild mitnehmen“, wiederholte sie tonlos. „Hast du gedacht.“ Über die Katze hatte Pia alles andere völlig vergessen, selbst Kenos geheucheltes Interesse an ihrem misslungenen Stillleben.
„Was willst du denn mit dem Ding?“
„Mal sehen, ob es einen Markt dafür gibt.“
„Wenn du glaubst, du kannst mich hier veralbern, dann solltest du gleich gehen.“
„Ich meine es ernst, Pia. Ich hab das Bild meinem Onkel gezeigt, er will es in seiner Galerie ausstellen, allerdings erst einmal im Onlinebereich.“
„Ist ja geil“, platzte Lennie heraus. „Zeig mal her.“
„Kennst du schon.“ Pia war alles andere als begeistert. „Keno spricht von dem Bild, mit dem ich durch die Prüfung gefallen bin.“
„Das sieht ja auch richtig toll aus“, befand Dorina. „Nur, dass es eben kein Stillleben ist.“
„Wieso nicht ausprobieren?“, mischte sich Lennie wieder ein. „Du verlierst doch nichts dabei. Und stell dir mal vor, jemand würde es tatsächlich kaufen, vielleicht sogar für nen Hunni.“
Als alle zustimmend nickten, selbst Dominik, bröckelte ihr Misstrauen.
„Das ist völlig unverbindlich“, erklärte Keno. „Es kostet dich nichts und mit ein bisschen Glück verkaufst du bald dein erstes Bild.“
„Ich hab es ja nicht wirklich gemalt“, warf sie beinahe verzagt ein. „Die Mieze hat ja den letzten Schliff gemacht.“
„Genau das ist der Clou.“ Keno setzte wieder sein unwiderstehliches Grinsen auf. „Mein Onkel findet dieses Konzept ausgezeichnet.“
Konzept? Zweifelnd blickte sie in die Runde, doch unter dem Druck erwartungsfroher Gesichter hauchte sie ein „Okay.“
„Du solltest es jetzt auf jeden Fall noch signieren.“ Sein Blick war ernst, Pia erwischte sich dabei, diesen Sportstudenten gar nicht mal so übel zu finden. Sie erhob sich, kramte die Leinwand hinter dem Schreibtisch hervor und hielt sie zur Ansicht hoch.
„Da unten rechts“, schlug Keno vor. „Eine lockere Signatur schräg über dem orangen Pfotenabdruck.“
Pia lehnte das Bild an die Fensterbank und setzte sich wieder zu den anderen. Allmählich leerten sich die Pizzakartons und Lennie philosophierte bereits über die künftigen Erfolge in der Kunstszene. „Bei Picasso war der Erfolg ja auch nicht gleich vorprogrammiert. Aber er hat halt was völlig Neues geschaffen.“
Pikatzo! Es gab nichts anderes, das besser gepasst hätte. Pia plus Katze gleich Pikatzo äquivalent Kunst! Pia sprang unvermittelt auf, nahm einen schwarzen Acrylstift vom Schreibtisch und signierte das Bild, ohne zu zögern, mit leichtem Schwung über die Pfotensignatur hinweg.
Dorina und Ulla verbrachten ein paar Tage an der Ostsee, Dominik und Lennie waren nach Hause gefahren. Pia hatte schon einige Tage nichts von ihnen gehört. Und auch Keno ließ sich nicht blicken, das war ihr sowas von klar gewesen. Bei ihrem letzten gemeinsamen Abend mit der Clique hatte Pia beschlossen, dass der kleine Kater Pikatzo heißen sollte, genau wie die Signatur. Sie gehörten ab jetzt zusammen und nichts hätte das deutlicher nach außen tragen können als die Wahl dieses Namens. Die Entscheidung, das Tier zu behalten, war somit gefallen. Ihren Vater hatte sie am nächsten Tag vor vollendete Tatsachen gestellt, insgeheim hatte sie sich dabei gewünscht, dass er ihre Entscheidung nicht nur respektierte, sondern wohlwollend aufnahm. Genau das tat er, und eigentlich hatte Pia mit nichts anderem gerechnet. Papa, weiche Schale, weicher Kern. Pikatzo hatte inzwischen die kleine Studentenbude völlig in Beschlag genommen, der kleine Kater wuselte in jeder Ecke. Nur das neue Körbchen verschmähte er, sein beliebtester Rückzugsort blieb weiterhin der Karton. Pia hatte das zerfledderte Ding inzwischen mit einer alten Obstkiste von außen verstärkt. Anscheinend begann auch das Fell zu wachsen, der Kater fühlte sich jetzt, nach den wenigen Tagen, schon weicher an. Pia beförderte den Kleinen in die Transportbox, die sie sich günstig im Second-Hand-Shop für Tierzubehör besorgt hatte. Dann erst öffnete sie die Balkontür. Sie hatte sich im Internet schlau gemacht, und die Gefahr, dass Pikatzo sich aus dem Staub machte, war ihr noch zu groß. Jetzt, wo sie sich tatsächlich auf dieses Tier eingelassen hatte, hatte sich ihr Leben innerhalb kürzester Zeit verändert, sie hatte ihr Herz verschenkt. Draußen umfächelte sie ein lauer Sommerwind. Unwillkürlich schnupperte sie genauso wie ihr kleiner Kater und musste lächeln, als sie es bemerkte. Sie stellte die Box draußen auf einen der roten Klappstühle. In der Küche brodelte bereits der Wasserkocher. Sie ging noch einmal hinein, goss sich einen Cappuccino auf und nahm die Tasse, die Keksdose und ein paar Leckerlis für Pikatzo mit auf den Balkon. Das Buch, das sie am Vorabend begonnen hatte, lag noch auf dem Tisch. So ließ es sich aushalten.
Immer, wenn Pia umblätterte, warf sie auch einen kurzen Blick in die Box, hin und wieder lockte sie den Kater mit einem Leckerli an das Türchen. Noch ein paar Tage konnte sie den Sommer genießen, danach musste sie leider die Semesterferien noch für eine schriftliche Seminararbeit nutzen. Außerdem hatte Pia vor, ihren Vater zu besuchen, zusammen mit Pikatzo. Sie ließ das Buch sinken und schaute eine Weile den Wolken nach, die sich wuchtig und weiß am Horizont auftürmten. Pikatzo miaute gelangweilt, dann sprang er plötzlich auf und begann einen wilden Kampf mit dem alten Handtuch, das sein Gefängnis polsterte. „Komm, wir gehen rein“, entschied Pia. „Dann kannst du dich drinnen austoben.“
Als es am frühen Abend an Pias Tür klingelte, stutzte sie kurz. Es konnte niemand aus der Clique sein. Oder gab es jetzt einen Überraschungsbesuch ihres Vaters? Vielleicht wollte sich auch nur jemand was leihen. Sie hatte schon einiges an Nachbarn „verliehen“, ohne es je wiederzubekommen. Aber das war schon okay. Ein Ei, eine angebrochene Tube Zahnpasta, zwei Heftzwecken, eine halbe Tasse Mehl, eine Briefmarke für einen Standardbrief und noch etliches mehr.
Aber das war es nicht. Vor der Tür stand Keno, und er wollte sich nichts ausleihen.
„Hi!“ sagte er nur und wieder ging dieses freche Grinsen über sein Gesicht.
„Hi“, gab sie irritiert zurück. Keno stand ihr wie angewurzelt gegenüber, die Hände hinter dem Rücken und auch sie selbst harrte bewegungslos aus. Sie fragte sich, was er hier wollte, ein Gedankengang, der bei ihren Freunden nie aufkam. Sie konnte einfach kein vertrautes Gefühl in sich wahrnehmen, sie wusste selbst, dass es auch daran lag, weil sie sich innerlich dagegen sperrte.
„Ich brauche deine Kontonummer.“
Erst glaubte Pia sich verhört zu haben, dann stieg Empörung in ihr auf. Was war denn das für eine Masche? Was ging denn jetzt ab?
„Dein Bild ist verkauft“, holte er sie aus ihren Gedanken.
„Was?“
„Dein Bild, es ist schon weg. Es war nur vier Tage online. Mein Onkel braucht die Bankverbindung. Oder willst du kein Geld?“
Sein Körper wankte leicht in Richtung Tür.
„Komm rein“, kam sie ihm zuvor. „Kaffee? Tee? Ich hab auch Bier da, allerdings nur noch eins.“
Er offenbarte die Flasche Sekt, die er hinter sich verborgen hatte. „Vielleicht sollten wir hiermit anstoßen.“
„Dann müssen wir aus den einfachen Weingläsern trinken, Sektgläser hab ich keine.“
Er zuckte nur amüsiert mit den Schultern, setzte sich ungefragt auf die Couch und machte sich am Sektkorken zu schaffen.
„950 Euro, die Galerie bekommt allerdings zweiunddreißig Prozent.“
„Was?“ Beinahe wäre ihr das Glas aus der Hand gerutscht. Sie glaubte sich verhört zu haben.
„950 Schleifen, Pia. Das ist doch schon mal ein guter Einstand.“