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Sport im Nationalsozialismus

Die Wehrhaftigkeit junger Männer

Sowohl im heutigen Kampfsport neonazistischer Organisationen als auch im historischen Vorbild bilden Wehrhaftigkeit und nationalsozialistische Ideologie den Kern. Denn schon die nationalsozialistische Sportpolitik der 1930er Jahre orientierte sich an der zukünftigen Kriegsführung, bekämpfte ihre politischen Gegner und schloss die jüdische Bevölkerung aus. Der Sporthistoriker Lorenz Peiffer hat zu vielen Facetten des Sports im Nationalsozialismus geforscht. Im Gespräch erläutert er den Stellenwert des Boxens im nationalsozialistischen Schulsport, die Bedeutung von Selbstverteidigung in jüdischen Sportvereinen sowie die lückenhafte Aufarbeitung der deutschen Sportgeschichte.

Herr Peiffer, wie gestaltete sich die deutsche Sportlandschaft vor 1933?

Damals existierte eine sehr heterogene Sportlandschaft in Deutschland. Dazu gehörte zum einen die große Masse an bürgerlichen Sportverbänden, z. B. die Deutsche Turnerschaft und der Deutsche Fußball-Bund. Zum anderen gab es eine große Arbeitersportbewegung. Diese wiederum war ab 1928 differenziert in einen eher sozialdemokratisch orientierten und einen eher kommunistischen Teil. Hinzu kommen religiös orientierte Sportverbände, darunter eine marginale Zahl jüdischer Sportvereine. Die Landschaft war also sozial, politisch und weltanschaulich-religiös ausdifferenziert.

Welche Rolle spielte Sport im Programm der Nationalsozialisten nach ihrer Machtübernahme?

Die Nazis hatten nach ihrem Machtantritt zunächst kein Sportprogramm. Wichtig war für sie zunächst, ihre politischen Gegner auszuschalten, und dazu zählte auch die Arbeitersportbewegung. Diese wurde 1933 schnell zerschlagen. Sie wurde aufgelöst, das Vermögen konfisziert und ihre Funktionäre zum Teil liquidiert.

Welche sportpolitischen Ansätze verfolgten die Nazis?

Mit dem Verbot der allgemeinen Wehrpflicht in Deutschland durch den Versailler Friedensvertrag von 1919 war das Militär als die sogenannte Schule der Nation weggefallen. Das bedeutete, man musste schnell Ersatz finden, um die körperliche Fitness der jungen Generation zu trainieren. Ein wesentliches Ziel der Nationalsozialisten war die Erhöhung der Wehrfähigkeit und die Schulung des „Rassebewusstseins“. Zur Wehrerziehung zählte dann auch die Einführung der SA-Kommandosprache im Oktober 1933 im Sportunterricht der höheren Jungenschulen. Dort wuchs der potenzielle Nachwuchs für die Offiziersausbildung heran. Aus dem Grund erfolgte der erste Eingriff in das Schul- und Bildungswesen bei den höheren Jungenschulen. Ob diese Maßnahme flächendeckend im Unterricht umgesetzt wurde, ist leider nicht gesichert.

Wie wichtig waren die sportlichen Leistungen für den schulischen Werdegang?

Für die Schüler an den höheren Jungenschulen wurde ein allgemeiner Ausleseerlass verfügt: Wer den geforderten Fitnessgrad nicht erreichte, der konnte von der höheren Schule verwiesen werden. Zudem gab es in den Zeugnissen eine sogenannte Charakternote: Dafür zählten z. B. Führerqualitäten und das Bekenntnis zur nationalsozialistischen Volksgemeinschaft. Jüdische Kinder waren da schon lange ausgeschlossen.

Welchen Stellenwert hatte Kampfsport im schulischen Programm?

Einen zunehmend großen. Die Erziehung zur Härte war ein zentraler Punkt des nationalsozialistischen Erziehungswesens. Die Jungen sollten lernen, nicht nur Schläge auszuteilen, sondern auch einzustecken.1935 haben die Nazis die sogenannte Dritte Turnstunde eingeführt, für die eigens Personal geschult wurde. Diese Dritte Turnstunde schrieb verbindlich Schwimmen für die Unterstufe vor, weil man bei den Musterungen festgestellt hatte, dass die Quote an Nichtschwimmern groß war. Für die Mittelstufe wurden „Kampfspiele“ vorgeschrieben und für die Oberstufe Boxen. Die ganze Maßnahme – Ausbildung der Lehrkräfte und Anschaffung der notwendigen Ausstattung für den Unterricht – wurde aus den Mitteln des Reichswehrministeriums finanziert. Auf diese Weise konnten Schulen eigene Boxringe anschaffen. Für Hitler war das Boxen auch jenseits des Schulsports wichtig, in seiner Propagandaschrift „Mein Kampf“ hat er mehrfach auf die Bedeutung des Boxens im Rahmen des körperlichen Trainings hingewiesen. Sinngemäß sagte er, dass er aus tausend gut trainierten Männern schnell eine kampffähige Armee bilden könne. Das Boxen wurde auch früh in der Hitler-Jugend (HJ) eingeführt, was zahllose Bilder in ihren Heften belegen. Für den Schulunterricht wurde eine „Methodik des Massenboxens“ entwickelt – mit den entsprechenden Anschauungsmaterialien.

Welche Ziele verfolgten die Nazis damit?

Das Ziel, junge Männer im nationalsozialistischen Sinne für die geplanten Eroberungs- und Vernichtungskriege – den Kampf um Raum im Osten Europas – einsatzfähig zu machen, ist die große kontinuierliche Linie der nationalsozialistischen Politik. Alle Maßnahmen dienten dazu, das männliche Idealbild von Härte, Kampf und Kraft zu verfolgen. Für die Mädchenerziehung wiederum galt das Ideal der „werdenden Mutter“. Wir müssen uns immer wieder bewusst machen: Das Ziel des „Kampfes um Lebensraum für die arische Rasse“ hatte Hitler bereits im Februar 1933 vor seinen Generälen erklärt. Auf dieses Ziel wurden Schulen, Jugendorganisationen sowie Sport hin organisiert und gestaltet.

Welche Sportarten wurden hierfür noch gefördert?

Neben der Schule und den nationalsozialistischen Jugendorganisationen (HJ und Bund Deutscher Mädel) wurde auch in anderen NS-Organisationen wie SA und SS intensiv Sport betrieben. Eine der Paradesportarten in der SS war das Fechten. Reinhard Heydrich zum Beispiel, Leiter des Reichssicherheitshauptamts und einer der Hauptverantwortlichen des Judenmordes, war ein erfolgreicher Fechter. Auch hier lässt sich nachzeichnen: Es wurden vor allem Sportarten betrieben, die sich in militärische Praxis ummünzen bzw. transferieren ließen. Deshalb war das Reiten in beiden Organisationen auch von großer Bedeutung. Dabei ging es aber nicht um die Verbindung zwischen Mensch und Tier, sondern um die spätere Verwendung als Reiterstaffeln an der zukünftigen Front. Hinzu kommt, dass Leichtathletik zur Ausbildung einer Grundphysis genutzt wurde.

Welche Rolle spielten Sportvereine, insbesondere im Kampfsport, im Rahmen der antisemitischen Verfolgung?

Grundsätzlich ist zunächst einmal festzuhalten, dass deutsche Sportvereine und ihre Verbände eine Vorreiterrolle gespielt haben bei der „Arisierung“ der deutschen Gesellschaft. Im vorauseilenden Gehorsam wurden die jüdischen Sportlerinnen und Sportler, Funktionäre und Mäzene bereits wenige Wochen und Monate nach der nationalsozialistischen Machtübernahme aus dem bürgerlichen deutschen Sport ausgeschlossen. Auch der Boxverband ist 1933 schnell auf den antisemitischen Kurs des NS-Regimes eingestiegen und hat zehn Regeln aufgestellt, um jüdische Sportler, Trainer und Funktionäre auszuschließen. Interessant dabei ist: Erst 1940 verabschiedete der „Nationalsozialistische Reichsbund für Leibesübungen“ (NSRL) eine Einheitssatzung für alle Sportvereine. Darin wird in § 5 erklärt: „Mitglieder können nicht Personen sein, die nicht deutschen oder artverwandten Blutes oder solchen gleichgestellt sind.“ Erst hiermit wird der antisemitische Ausschluss systematisch komplett, doch in den Vereinen gab es zu diesem Zeitpunkt keine jüdischen Mitglieder mehr.

Welche Rolle spielten Kampfsport und Selbstverteidigung gegen antisemitische Angriffe in jüdischen Sportvereinen?

Der nach dem Ersten Weltkrieg als Veteranenverband gegründete Reichsbund jüdischer Frontsoldaten stellte mehrfach deutsche Jiu-Jitsu-Meister in den 1920er und 30er Jahren. Jedoch war Jiu-Jitsu zu dieser Zeit in Deutschland noch nicht stark verbreitet. Vor allem das Boxen spielte eine große Rolle, auch schon vor 1933. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten erhielt es weiteren Aufschwung. Boxen wurde noch stärker zur Selbstverteidigung gegen antisemitische Angriffe betrieben. Gerade in Westdeutschland gab es eigene Boxveranstaltungen jüdischer Vereine.

Wie kam es dazu?

Hintergrund ist hier, dass die Selbstorganisation des jüdischen Sports als Antwort auf den Ausschluss der deutschen Juden aus den sogenannten paritätischen deutschen Sportvereinen und -verbänden enorm anstieg und zynischerweise eine kurze Blütephase ab 1933 erlebte. Das ist von der NS-Führung vor dem Hintergrund der Boykottandrohungen der Olympischen Spiele 1936 in Berlin durch westliche Nationen zunächst toleriert worden – bis zu den Novemberpogromen 1938.

Diese Pogrome bedeuteten das vorläufige Ende des öffentlichen, kulturellen jüdischen Lebens in Deutschland. Wie verlief die Aufarbeitung dieser Sportgeschichte im Nationalsozialismus nach 1945?

In den von Westalliierten besetzten Gebieten wurde der Vereinssport rasch wiederbelebt, im Osten der Kommunalsport. Doch politisch betrachtet, setzte auch im Sport – wie in vielen gesellschaftlichen Bereichen – erst einmal eine kollektive Amnesie ein. Eine Aufarbeitung der Rolle der Sportvereine im Nationalsozialismus hat erst in den 1960er Jahren begonnen – ebenso wie die Beschäftigung mit dem Arbeitersport und der jüdischen Sportbewegung. Hajo Bernetts Dokumentation „Nationalsozialistische Leibeserziehung“ 1966 war bahnbrechend.

Wie hat sich die Debatte über die Jahrzehnte entwickelt?

Ein Indiz für den Verlauf der Aufarbeitung sind Festschriften zu Vereinsoder Verbandsjubiläen: Bis in die 2000er Jahre waren die historischen Rückblicke darin oft sehr unpolitisch und haben vor allem die Gründerzeit der jeweiligen Organisationen schillernd erläutert. Die Jahre 1933 bis 1945 hingegen wurden in der Regel knapp abgehandelt und tituliert als „dunkle Zeit“. Über den Ausschluss der Juden wurde sich oft ausgeschwiegen.

Wodurch hat sich dies verändert?

Es hat bis ins neue Jahrtausend gedauert, dass die Geschichte der Sportverbände und -vereine wissenschaftlich fundiert aufgearbeitet wurde – z. B. bei den Turnern und Fußballern. Die entscheidenden Impulse hierfür sind immer von außen gekommen, durch Wissenschaftler*innen, aber gerade auch im Fußball durch engagierte Fans. In den Leichtathletik-, Ringer- und Boxverbänden jedoch ist aus Desinteresse heraus bis heute nichts passiert.

Was ist über die Jahre nach 1945 und Kontinuitäten bzw. Brüche in den Sportverbänden und ihrem Personal bekannt?

Eine ganze Reihe von Hitlers Sportfunktionären sind wieder im deutschen Sport aktiv geworden, übernahmen verantwortliche Positionen und verhinderten auch eine Aufarbeitung. Guido von Mengden beispielsweise war die rechte Hand und Propagandachef des Reichssportführers Hans von Tschammer und Osten und hat unerträglich gegen die jüdische Bevölkerung gehetzt. Nach dem Krieg kehrte von Mengden wieder nahtlos in das deutsche Sportsystem zurück, wurde erster Geschäftsführer des gegründeten Deutschen Sportbundes sowie der so ehrenwerten Deutschen Olympischen Gesellschaft.

Besteht bezüglich solcher Kontinuitäten weiterer Bedarf an Aufarbeitung?

Ja. Auch die Geschichte der Sportmedizin nach 1945 muss kritisch betrachtet werden, denn es gibt viele Hinweise auf Ärzte, die in KZs gearbeitet haben und dann in der Sportmedizin unterkamen. Vieles, was die Zeit nach 1945 anbelangt, ist immer noch nicht ausreichend erforscht oder aufgearbeitet. Dabei sind dies ja entscheidende Jahre für die Entwicklung im Nachkriegsdeutschland!

Prof. Dr. Lorenz Peiffer, Jahrgang 1947, ist deutscher Sporthistoriker und arbeitete bis zu seiner Emeritierung 2017 an der Leibniz Universität Hannover. Seine Forschungsschwerpunkte liegen beim Fußball und Turnen sowie dem Sport in der Zeit des Nationalsozialismus. Er ist der Herausgeber der im Verlag Die Werkstatt erscheinenden sporthistorischen Zeitschrift Sport-Zeiten und veröffentlichte 2016 „Zwischen Erfolg und Verfolgung. Deutschjüdische Fußballstars im Schatten des Hakenkreuzes“.

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