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ОглавлениеTraining für den Tag X
Militante Neonazis im Kampfsport
Über die vergangenen Jahre hat sich ein internationales Netzwerk extrem rechter Kampfsportler, Events und Modelabels entwickelt, das sich als Elite einer gesamteuropäischen Bewegung inszeniert. Es steht in der langen Tradition des rechten Terrorismus und will am Wachstum des Kampfsportmarkts sowie am gesellschaftlichen Fitnessboom mitverdienen. Enge Verbindungen bestehen seit vielen Jahren in den RechtsRock sowie die Hooliganszene, was sich sowohl auf regionaler Ebene in Thüringen als auch international am Beispiel der Ukraine nachzeichnen lässt. Es ist die Geschichte der Professionalisierung extrem rechter Gewalt.
Der Spätsommer 2018 versetzt die Republik in Alarmstimmung: Am frühen Morgen des 26. August wird der 35-jährige Daniel Hillig auf dem Chemnitzer Stadtfest erstochen – mutmaßlich von einem irakischen und einem syrischen Asylbewerber. Noch am selben Tag ruft die extrem rechte Hooligangruppe „Kaotic“ aus der Fanszene des Chemnitzer FC über Face-book zu einer Kundgebung am Abend auf. Mehrere Hundert Neonazis nehmen daran teil. Es ist der Auftakt zu einer Reihe an Aufmärschen, die die Republik verändern werden.
Denn über mehrere Jahre war die Debatte um Migration und Flucht eskaliert. Die „Hooligans gegen Salafisten“ randalierten im Oktober 2014 mit 5.000 Teilnehmer*innen durch Köln, die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) mobilisierten im Winter 2014/2015 mehrfach Zehntausende und noch Jahre später vierstellige Menschenmengen zu ihren montäglichen Versammlungen in Dresden. Nicht überprüfbare Gerüchte und gezielte Fake News über Gewalttaten von Geflüchteten kursieren seither in hoher Zahl in den sozialen Medien.
Die extreme Rechte forcierte das Szenario, die deutsche Gesellschaft sei durch Migration fundamental bedroht. Im Zentrum stehen die Kampfbegriffe des „großen Austauschs“ und der „Umvolkung“. Sie bilden die Klammer um die seit Jahren betriebenen Kampagnen von der Alternative für Deutschland (AfD) über die Identitäre Bewegung (IB), die sogenannte Neue Rechte, neonationalsozialistische Kameradschaften und eine schier unübersichtliche Landschaft an extrem rechten Blogs, Facebook- sowie Instagramseiten und YouTubern.
Jede mutmaßlich von muslimischen Migranten begangene Straftat – ob wahr oder nicht – wird auf ihren medialen Kanälen als Beleg für ihre rassistischen Thesen skandalisiert. Zudem schwingt stets eine kaum verhohlene, zynische Freude mit. Denn die Ereignisse auf dem Chemnitzer Stadtfest kamen ihnen bestens zupass. Die Parteien, Bewegungen und Kleingruppen am rechten politischen Rand der Bundesrepublik warten auf solche Anlässe. Sie sind gut darauf vorbereitet.
So kam es zu einem ersten Höhepunkt der extrem rechten Inszenierung am Montag nach dem besagten Stadtfest. In einer 5.000-köpfigen Menschenmasse tummelten sich Mitglieder der IB und militante Neonazis – sowohl aus Sachsen als auch bundesweit angereist. Sie skandierten „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“, „Nationalsozialismus – jetzt, jetzt, jetzt!“, „Merkel muss weg!“ und riefen zum „Widerstand“ gegen die verhasste Republik und ihre liberale Demokratie auf.
Eine Gruppe in der Menge erntete unterstützendes Gelächter und Applaus für den Slogan „Wir sind die Fans – Adolf Hitler Hooligans“. Auch das Leipziger Imperium Fight Team, entstanden aus der rechten Hooliganszene bei Lok Leipzig, hatte zum Aufmarsch mobilisiert. Sein Gründer Benjamin Brinsa postete am Tag darauf grinsend und vielsagend auf Facebook: „Das ballern ging heute gleich weiter ;-) “.
Ein zweiter Höhepunkt der Entwicklung ereignete sich am Abend des 1. September 2018: 8.000 Menschen besuchten die Kundgebung von „Pro Chemnitz“, AfD und Pegida. Pegida-Führungsfigur Lutz Bachmann sowie die AfD-Vertreter Björn Höcke und Andreas Kalbitz versammelten sich in der ersten Reihe des Aufmarsches und steckten sich weiße Blumen ans Revers. Höcke und Kalbitz sind zentrale Akteure am äußersten rechten Rand der Partei. Trotz aller von der AfD beschworenen Unvereinbarkeitsbeschlüsse zur IB und dünn geratener Distanzierungen von Neonazis: Das rechte Großprojekt zur Neuordnung der politischen Verhältnisse in Deutschland, die nationalautoritäre Offensive zur politischen Vereinigung der zersplitterten Szene am rechten Rand hatte ihren lang ersehnten symbolischen Erfolg.
Auch Hitlergrüße wurden gezeigt, vermeintliche Gegner bedroht und angegriffen. Dabei kam es schon in den Tagen zuvor zu Ausschreitungen: Sportlich trainierte Männer randalierten auf den Straßen und griffen die Polizei an. Ein Beamter wurde von einem rechten Hooligan an den Beinen umklammert, kurz angehoben und so zu Boden gebracht. Der Mitschnitt der Szene machte auch deshalb die Runde, weil das extrem rechte Modelabel White Rex des deutsch-russischen Hooligans Denis „Nikitin“ Kapustin ihn auf Facebook verlinkte. Darüber prangte der Kommentar „Check the doubleleg“ mit Coolness-Smiley. „Double Leg Takedown“ ist ein Begriff aus dem Kampfsport: Es werden beide Beine umgriffen, um den Gegner zu Fall zu bringen.
Die Netzwerke militanter Neonazis bejubelten die Bilder als Ausdruck der staatlichen Machtlosigkeit. Die Behörden wiederum versetzten die Bilder in Aufruhr. Denn in dieser kurzen Sequenz versinnbildlichte sich eine zentrale Entwicklung der vergangenen Jahre. Gezielt haben Neonazis in den Kampfsport investiert: eigene Trainingsstudios aufgebaut, eigene Events gegründet und eigene Marken für Ausrüstung und Kleidung etabliert. Sie trainieren für den Straßenkampf. Und sie professionalisieren ihre Gewalt.
Beschwörung wehrhafter Männlichkeit im rassistischen Kampf
Das geht einher mit einer publizistischen Debatte über Sinn und Zweck von Kampfsport für ihre politischen Ziele. Die extrem rechte Partei „Der III. Weg“ beispielsweise hat 2018 einen Text über „Kampfsport als Bestandteil rechter Metapolitik“ veröffentlicht. Der Begriff „Metapolitik“ erlebte in der extremen Rechten über die vergangenen Jahre einen steilen Aufstieg. Er entstammt den theoretischen Überlegungen der sogenannten Neuen Rechten*, die in grobschlächtiger Anlehnung an die Thesen des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci eine eigene Vorstellung kultureller Hegemonie entwickelt hat. „Metapolitik“ ist also kein tagespolitisches Angebot, sondern zielt auf abstrahierte strategische Überlegungen. Deshalb werden in dem Text auch keine konkreten Hinweise zum Aufbau eines eigenen Kampfsportstudios gegeben, sondern generelle Ansätze zu den Themen Männlichkeit, der Rekrutierung von Nachwuchs und letzten Endes Wehrhaftigkeit ausgeführt.
Der III. Weg ist tief in den Strukturen extrem rechter Kameradschaften verwurzelt: 2013 zählten ehemalige NPD-Funktionäre und Kameradschaftsmitglieder des „Freien Netzes Süd“ (FNS) zu den Gründungsmitgliedern. Das FNS wiederum wurde 2014 in einem sich über zwei Jahre hinziehenden Prozess verboten, was den Mitgliedern die Möglichkeit bot, sich vorab neu zu organisieren. So diente die Partei von Beginn als Schutzschild vor weiteren Verbotsverfahren.
Sie versteht sich als national, revolutionär und sozialistisch: „Das Revolutionäre dabei ist die totale Erneuerung auf allen Ebenen des völkischen Lebens“, heißt es auf der Homepage. Die Mitglieder sehen sich als Elite und legen einen hohen Grad an Aktionismus an den Tag. So wird der III. Weg aufgrund seiner knapp über 500 Mitglieder medial oft als Kleinstpartei bezeichnet, was jedoch nicht zur Fehleinschätzung führen sollte, die Partei sei irrelevant. Denn der Verfassungsschutz stuft einen Großteil der Mitglieder als höchst gewaltbereit ein, viele haben Erfahrungen in körperlichen Auseinandersetzungen. Zudem lassen Begriffe, mit denen sich die Partei selbst beschreibt – national und sozialistisch – keinen Zweifel daran, in wessen historischer Tradition man sich sieht.
Nicht zuletzt ist die Partei sehr aktiv im Kampfsport: Sie unterhält eine AG „Körper und Geist“, in der Wanderungen und Kampfsporttrainings durchgeführt werden. Auch auf dem jährlich im Sommer organisierten Tag „Jugend im Sturm“ wird Kampfsport als Begleitprogramm angeboten. Darüber hinaus finden regelmäßig Kurse im Thaiboxen sowie – „kostenlos für Kinder und Jugendliche“ – zur Selbstverteidigung statt. Der Nachwuchs wird über die Gewalt rekrutiert.
Demzufolge steht im Zentrum des Textes „Kampfsport als Bestandteil rechter Metapolitik“ – wie auch allen anderen extrem rechten Publikationen zum Thema – der kriegerische Begriff der Wehrhaftigkeit. In ihm verbinden sich die zwei zentralen Merkmale extrem rechter Ideologie: die sozialdarwinistische Befürwortung von Gewalt mit der Grundüberzeugung der Ungleichwertigkeit menschlichen Lebens. Denn der Begriff der Wehrhaftigkeit funktioniert nur durch die notwendige Beschwörung einer äußeren Bedrohung. Sie dient dazu, die eigene gewalttätige Männlichkeit zu legitimieren.
So beginnt auch der Text des III. Wegs mit einer rassistischen Konstruktion: „Fast täglich muss die autochthone Bevölkerung zuschauen, wie Volksangehörige durch kulturfremde Migranten drangsaliert werden, was sich aufgrund weiteren ungebremsten Zuzuges sog. Flüchtlinge verstärken dürfte“, lautet der zweite Satz. Nicht nur wird die migrationsgeprägte Vielschichtigkeit der bundesrepublikanischen Gesellschaft durch die künstliche Trennung zwischen „autochthoner Bevölkerung“ einerseits und „Flüchtlingen“ andererseits negiert. Auch sollen Begriffe wie „kulturfremd“, „drangsaliert“ und „ungebremst“ den Eindruck erwecken, die deutsche Bevölkerung erlebe die Panik eines unkontrollierten Ausnahmezustands. Mit derlei rhetorischen Mitteln versucht nicht nur der III. Weg stetig, den Rassismus in der gesamtdeutschen Bevölkerung anzufachen.
Im zweiten Schritt wird das elitäre Selbstverständnis gegen den verhassten Liberalismus in Stellung gebracht: „In Zeiten der propagierten Geschlechtsneutralität bzw. der Gleichmacherei ist Kampfsport eins der wenigen Bindeglieder, in der der deutsche und westeuropäische Mann sich seiner Männlichkeit noch bewusst sein darf.“ Es geht um die Beschwörung traditioneller, gewaltvoller Männlichkeit als Ideal der extremen Rechten. Wenngleich es medial weniger Aufmerksamkeit erhält, wettern extrem rechte Gruppen seit Jahren gegen Gleichstellungspolitik, haben in den 2000er Jahren aktiv am rechten Anti-Gender-Diskurs mitgewirkt. Kampagnen gegen die sogenannte politische Geschlechtsumwandlung gehören zu den frühen Vorläufern der AfD.
Und schließlich wird deutlich, worum es extrem rechten Männern eigentlich geht, wenn sie schreiben: „Die Ausübung von Kampfsport innerhalb der Rechten ist schon deshalb unverzichtbar, um deutsche Jugendliche nicht kriminellen Strukturen zu überlassen, bei deren Mitgliedern es sich nicht selten auch um Personen mit Migrationshintergrund handelt und welche sich ihrer Männlichkeit noch bewusst sind.“ Offener kann der extrem rechte Mann den eigenen Neid kaum zugeben: Im Zentrum der Argumentation – mit all ihren rassistischen Zuschreibungen – steht keine Kritik an beispielsweise sexualisierter Gewalt oder patriarchaler Macht, sondern das Gefühl, sich in seiner angestrebten, weißen und männerbündischen Herrschaftsposition gekränkt zu sehen.
Diese Mischung aus Größen- und Verfolgungswahn kommt besonders in den Diskussionen um die Kölner Silvesternacht zum Jahreswechsel 2015/2016 zum Ausdruck. Denn nicht nur im Text des III. Wegs, sondern auch in der extrem rechten Dortmunder Szenezeitschrift Nationaler Sozialismus Heute, kurz N.S. Heute, vom Frühjahr 2019 wird gefragt, „weshalb deutsche Männer in der berüchtigten Kölner Silvesternacht 2015/16 ihre Frauen nicht vor den Angriffen (…) schützen konnten“. In klassisch rassistischer Hetze und entgegen aller empirischen Statistiken wird das Thema sexualisierte Gewalt auf „Fremde“ und Einwanderer projiziert. Letzten Endes aber geht es in den Texten kaum um die leidvollen Erfahrungen der betroffenen Frauen, sondern einzig und allein um die gefühlte Ohnmacht extrem rechter Männer.
Dem könne nur eine gewalttätige deutsche Männlichkeit entgegengestellt werden, schreibt der Autor weiter. Extrem rechte Kampfsportgruppen „erschaffen eine neue Wehrhaftigkeit, die nach außen strahlt“, so die militante Kampfansage in N.S. Heute. Auch im Text des III. Wegs heißt es: „Im Kampfsport treffen oftmals noch Kerle zusammen, die die vier Tugenden der Männlichkeit besitzen, und zwar Kraft, Mut, Kompetenz und Ehre. (…) Zudem werden kampfsporterprobte Identitäre und Volkstreue viele andere junge Deutsche anziehen, denn die unter Migranten zu (sic!) leidende Jugend sucht meistens einen starken Schutz bzw. eine Rückendeckung.“ Dem gesamten Text liegt die grundsätzliche These extrem rechter Ideologie zugrunde, Kampf sei das natürliche Prinzip menschlichen Daseins, nur durch Kampf ließen sich Männlichkeit, Hierarchie und Identität herstellen.
Training für den Tag X
Historisch betrachtet hat eine derart kriegerische Aufladung von Kampfsport eine lange Tradition in der extremen Rechten. Schon Adolf Hitler pries im zweiten Band von „Mein Kampf“: „Boxen und Jiu-Jitsu sind mir immer wichtiger erschienen als irgendeine schlechte, weil doch nur halbe Schießausbildung.“ Zudem lobte er das Boxen, das „den Angriffsgeist (…) fördert, blitzschnelle Entschlusskraft verlangt, den Körper zu stählerner Geschmeidigkeit erzieht“. Auch der Autor Wolfram Werner argumentierte in seinem 1939 erschienenen Buch „Die Waffe Jiu-Jitsu und Judo-Kampf-Sport“, dass Jiu-Jitsu und Judo „Wehrhaftigkeit, Kameradschaft und zielsichere Entschlossenheit“ vermitteln würden. Aus der nationalsozialistischen Ideologie leitete sich ein militaristischer Erziehungsauftrag unter Einsatz von Kampfsport ab.
Heutzutage nehmen Mitglieder des III. Wegs auch an paramilitärischen Ausbildungscamps in Russland teil. „In der Szene ist es natürlich elementar, dass man sich auf einen dubiosen Tag X vorbereitet, wovon die Nazis träumen, dass sie die Macht übernehmen. Deswegen halten sie sich fit mit Kampfsportübungen, mit Kraftsport und mit Wehrsportübungen. Man bereitet sich auf Schlägereien auf Demonstrationen vor und auf Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern und der Polizei“, sagt ein ehemaliger Führungsaktivist der bayerischen Neonaziszene gegenüber BR24. So ist es in Anbetracht des Boxens in der historischen SA sowie der seit den späten 1970er Jahren existierenden Wehrsportgruppen auch keineswegs neu, dass Neonazis in irgendeiner Form das Kämpfen trainieren.
Und doch hat der Kampfsport in der extremen Rechten in den vergangenen Jahren starken Aufwind erhalten: Der extrem rechte „Kampf der Nibelungen“ (KdN) – der 2013 als „Ring der Nibelungen“ begann – wuchs vom kleinen Geheimevent militanter Neonazis vor allem in den Jahren 2017 und 2018 zum internationalen Großevent, sein Merchandise zum Verkaufsschlager der europäisch vernetzten extremen Rechten an. In seinem Windschatten entstanden sowohl das sächsische „Tiwaz – Kampf der freien Männer“ als auch extrem rechte Kampfsportgruppen wie „Knock out 51“ aus dem thüringischen Eisenach und die „Baltik Korps“ aus Mecklenburg-Vorpommern, die nichts anderes sind als neonazistische Kameradschaften. Damit einher gehen strategische Publikationen wie die Texte des III. Wegs oder in N.S. Heute.
Zudem tun sie all das nicht zum Selbstzweck, sondern als Teil einer politischen Strategie. So machen die Veranstalter des KdN aus ihrem Hass auf die liberale Demokratie keinen Hehl: „Während bei den meisten ‚Fight Nights‘ im bundesweiten Raum die Teilnahme des jeweiligen Sportlers allzu oft mit dem abverlangten Bekenntnis zur freien demokratischen Grundordnung steht oder fällt, will der Kampf der Nibelungen den Sport nicht als Teil eines faulenden politischen Systems verstehen“, steht auf der Homepage geschrieben. Angeboten werden Boxen, Mixed Martial Arts und K1 – eine Form des Kickboxens. Auf dem Plakat für ein Selbstverteidigungs-Seminar im März 2019 wiederum stand unverhohlen im Untertitel, worum es geht: Straßenkampf.
Die Szene macht mobil für den in der extremen Rechten viel beschworenen Tag X. Dieser dient als Chiffre für den politischen Umsturz. Wenngleich zumeist undefiniert bleibt, welches politische System danach folgt, ist der Tag X in vielen RechtsRock-Liedern und Neonazichatgruppen als Code präsent. In ihrem Song „Auftrag Deutsches Reich“ beklagte die Band Stahlgewitter schon 2006 auf dem gleichnamigen Album den Untergang des Nationalsozialismus, betitelte die Demokratie als Umerziehung und droht: „Der Tag muss kommen und wir wollen ihn noch erleben / Wo freie Deutsche sich eine Verfassung geben“ sowie „Die Republik ist uns egal, vollkommen gleich / Denn unser Auftrag ist und bleibt das Deutsche Reich“. Die Ungeduld, den Tag X zu erleben, wird von der extrem rechten Kampfsportgruppe Baltik Korps in ihrer Selbstbeschreibung gar noch zugespitzt: „Wir sind die, die nicht auf den ‚Tag X‘ warten müssen, weil wir der ‚Tag X‘ sind!“ Es geht um das Training extrem rechter Gewalt.
Letzten Endes beruht der jüngste Kampfsportboom in der Szene auf drei Entwicklungen, die in den Blick genommen werden müssen: Erstens ist der Kampfsport in der extremen Rechten historisch klar verortet in der Geschichte des extrem rechten Terrorismus in Deutschland. Zweitens ist die internationale Landschaft aus Kampfsport, Kampfkunst und Selbstverteidigung über die vergangenen zwei Jahrzehnte stark gewachsen. Und drittens wurde das durch neoliberale Gesundheitspolitik und den Fitness-boom der frühen 2000er Jahre stark begünstigt. Diese Entwicklungen werden in den folgenden Unterkapiteln erläutert.
1. Kurze Geschichte des extrem rechten Terrorismus
Nach der Selbstenttarnung des NSU im Jahr 2011 hat in den Geschichtswissenschaften eine stärkere Beschäftigung mit der Entwicklung rechter Gewalt – insbesondere des Rechtsterrorismus – nach 1945 begonnen. Denn der NSU war beileibe nicht die erste rechtsterroristische Gruppe in der Geschichte der Bundesrepublik. Vielmehr steht er in einer knapp 40-jährigen Tradition des militanten, rechten Extremismus.
Die Historikerin Barbara Manthe hat die Geschichte des Rechtsterrorismus in Deutschland zwischen 1970 und 1990 aufgearbeitet und bezeichnet die Entwicklung der sogenannten Kühnen-Schulte-Wegener-Gruppe (KWSG) Ende der 1970er Jahre als wegweisend. Die Gruppe hatte ab 1977 Einbrüche und Banküberfälle begangen, um mit dem Geld Waffen zu besorgen. Zudem waren Attentate auf politische Gegner, die Befreiung des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß aus der Haft sowie ein Sprengstoffanschlag auf die KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen geplant. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung. Es war das erste Gerichtsverfahren auf Basis des § 129a StGB gegen rechte Strukturen. Der Paragraf wurde drei Jahre zuvor im Konflikt mit der Roten Armee Fraktion staatlicherseits erlassen.
Manthe sieht die Aktivitäten der Gruppe als Ausdruck einer „Radikalisierung, die die militante Neonaziszene in Westdeutschland seit Mitte der 1970er Jahre durchlaufen hat“. Über die Aktivitäten militanter Neonazis in den Jahrzehnten zuvor ist wenig bekannt – womöglich haben sie nach 1945 eine Phase der Latenz durchlaufen. Die KWSG bezeichnet Manthe deshalb „als entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte des Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik“. Die Reorganisation der militanten Szene in den 1970er Jahren kann ihr zufolge auch als Antwort auf die 68er-Bewegung und in Tradition eines gesellschaftlich weit verbreiteten, aber in den 1970er Jahren an Integrationskraft einbüßenden Antikommunismus betrachtet werden.
Der KWSG folgten weitere Gruppen und Terrorakte, die heute zum Teil in Vergessenheit geraten sind: Die „Otte-Gruppe“ Ende der 1970er Jahre, das Attentat auf das Münchner Oktoberfest 1980, das seither mit der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ in Verbindung gebracht wird, der Mord am jüdischen Verleger Shlomo Lewin und seiner Partnerin im selben Jahr, die „Deutschen Aktionsgruppen“ oder die „Hepp-Kexel-Gruppe“. Der Wehrsport war quasi-militärisch organisiert, es ging um Geländemanöver und Waffentrainings für zukünftige Kämpfe.
Manthe spricht in ihrem Beitrag in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte aus dem Januar 2020 von über 40 rechtsterroristischen Vereinigungen und Einzelpersonen vor 1990. Doch trotz dieser Masse hält sie einschränkend fest: „Rechtsterroristische Gruppen vor 1990 waren meist kurzlebig: Stabile Untergrundstrukturen fehlten in der Regel ebenso wie elaborierte politische Manifeste.“ Dies änderte sich mit der Gründung zweier bis heute tragender rechtsterroristischer Strukturen: „Blood & Honour“ (B&H) sowie den „Hammerskins“.
B&H wurde in den 1980er Jahren in Großbritannien vom Sänger der Band Skrewdriver, Ian Stuart Donaldson, gegründet. Der Name bezieht sich auf den Spruch „Blut und Ehre“, der im Nationalsozialismus die Messer der Hitlerjugend zierte. Das Netzwerk organisiert seit Jahrzehnten – größtenteils geheime – Konzerte extrem rechter Bands mit rassistischen, mörderischen und nationalsozialistischen Inhalten. Mittlerweile ist bekannt, dass sich die Führungsriege am Rande der Konzerte und Festivals traf, um Waffenhandel und Unterstützung für untergetauchte Neonazis zu organisieren und zu finanzieren.
Es ist also nicht allein ein extrem rechtes Musiknetzwerk, sondern eine zentrale Organisations- und Rückgratstruktur des internationalen Rechtsterrorismus. Zudem gab das Netzwerk Schriften mit den Namen „The Way Forward“ (Der Weg vorwärts) und das „Field Manual“ (Kampfhandbuch) heraus, um eine hierarchiearme und in Zellen organisierte Struktur für Anschläge gegen Migranten und politische Feinde zu forcieren. Das international in Divisionen gegliederte Netzwerk wurde in Deutschland 1994 aktiv, zuerst in Berlin. In den folgenden Jahren entstanden 20 regionale Sektionen hierzulande.
Zwar wurde B&H im Jahr 2000 in Deutschland verboten, doch ist das Netzwerk europaweit weiterhin aktiv. Zumal „Combat 18“, der militante Arm von B&H, seinerzeit vom Verbot verschont wurde, was die staatlichen Behörden erst 2020 korrigierten – 20 Jahre später. Militante Kameradschaften bedienen sich dennoch weiterhin der Labels und Codes „28“ für die Buchstaben B&H sowie „C18“. Obendrein wurden zentrale Personen und Netzwerke der B&H-Sektion im Raum Chemnitz zur wichtigsten Unterstützungsstruktur für die rechtsterroristische Gruppe NSU.
Denn das NSU-Kerntrio, bestehend aus Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sowie Beate Zschäpe, gehörte laut LKA Thüringen Ende der 1990er Jahre „zum harten Kern der Blood-and-Honour-Bewegung“ in Jena. Mittels dieser Netzwerke konnten sie zwischen 1998 und 2011 – offiziell untergetaucht – in Chemnitz und Zwickau leben, um in den 2000er Jahren neun Migranten und eine Polizistin zu ermorden, mindestens 15 Raubüberfälle zu begehen, 43 Mordversuche und drei Sprengstoffanschläge zu verüben. Zwar wurde Beate Zschäpe 2018 zu lebenslanger Haft bei besonderer Schwere ihrer Schuld verurteilt. Doch das Unterstützungsnetzwerk und eventuell weitere Mitglieder der Gruppe sind bis heute nicht ausermittelt.
Zumal jenseits von B&H noch eine zweite wichtige Struktur der militanten extremen Rechten in Deutschland existiert: Die Hammerskins wurden ebenso in den 1980er Jahren gegründet, im US-amerikanischen Dallas. Aktivitäten der Hammerskins in Deutschland sind seit 1991 dokumentiert. Sie verstehen sich als Elite der Naziskins und sind ebenso in nationale Divisionen sowie regionale Chapter untergliedert. Auch sie haben eines ihrer aktivsten in Sachsen, das im Rahmen der NSU-Ermittlungen gesteigerte Aufmerksamkeit erhielt.
Im Gegensatz zu Blood & Honour sind die Hammerskins in Deutschland jedoch nicht verboten und achten auf eine geschlossene und elitäre Organisation: Während B&H in der extrem rechten Szene über die Jahre zum gängigen Tattoo- und T-Shirt-Slogan verkam, dürfen nur in einem Prozedere aufgenommene Mitglieder den Schriftzug der Hammerskins verwenden. Auch sie sind auf dem extrem rechten Musikmarkt aktiv und haben ein Stück weit die Nachfolge von B&H in Deutschland angetreten – weniger in Konkurrenz, sondern neonazistischer Vernetzung.
Eine ihrer führenden Personen – der Kampfsportler Malte Redeker aus dem Raum Ludwigshafen – gilt als Begründer des extrem rechten „Kampf der Nibelungen“. Das Event war also von Beginn an eng an die Hammerskins angebunden. So werden sich die Namen der Netzwerke von B&H sowie der Hammerskins durch viele Texte dieses Buchs ziehen, wodurch deutlich wird, wie eng der Kampfsport in der extremen Rechten in rechtsterroristische Strukturen und die Geschichte rechter Gewalt eingebettet ist.
2. Wachstum der internationalen Landschaft aus Kampfsport, Kampfkunst und Selbstverteidigung
Dabei gestaltet sich die Landschaft des Kampfsports in Deutschland für Außenstehende generell sehr unübersichtlich. Das liegt zum einen daran, dass Kampfsport der Oberbegriff für eine Vielzahl an Disziplinen und Regelwerken – vom klassischen Boxen über Karate bis hin zu Taekwondo und Mixed Martial Arts (MMA) – ist und diese sich zum anderen unterschiedlich organisieren. Während einige Verbände Mitglied im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) sind, werden Kickboxen und MMA auf dem freien Markt organisiert. Folglich existieren mehrere Verbände gleichzeitig. Ebenso wie eine ganze Reihe an Veranstaltern eigene Events durchführt – von denen manche auch wieder erklärungslos verschwinden – und eigene Titelkämpfe in den unterschiedlichen Gewichtsklassen austrägt. Man kennt es vom Boxen: Statt eines Weltverbands existieren mehrere, statt eines Weltmeisters gleich eine Vielzahl. Einer dieser Veranstalter mit eigenen Titelträgern auf dem deutschen Markt ist die German MMA Championship (GMC).
Die Schweinwerferwand erleuchtet, vor ihr ist nur noch die Silhouette des Kämpfers zu sehen. Stipe Brčić tänzelt ein wenig auf der Stelle, läuft dann sportlichen Schritts die 20 Meter auf den Stufen zum Käfig hinunter. Krachende Rockmusik schallt auf die 2.000 Zuschauer*innen ein. Sie soll den Kämpfer aufputschen, dem Auftritt eine atmosphärische Mischung aus Underground und Eventkultur verleihen. Es ist der drittletzte Kampf des Abends am 2. Februar 2019 in der Hamburger edel-optics.de Arena. Die GMC hat zu ihrem 18. Event geladen. Ihre Inszenierung orientiert sich am großen Vorbild, der weltweit größten MMA-Promotion – der Ultimate Fighting Championship (UFC) aus den USA. Mit düsteren Mienen starren die Männer auf dem Plakat zum Event, man gefällt sich in kriegerischen Posen.
Brčić tritt für den Zagreber Jiu-Jitsu-Club „Mangetsu“ an. So wird hier kein Gangsterrap gespielt, sondern die kroatische Band Thompson. Sie ist maximal umstritten, seit vielen Jahren werfen ihr Kritiker vor, stramm rechtsnational zu sein und den kroatischen Faschismus im Zweiten Weltkrieg zu verherrlichen. In Kroatien hingegen genießt sie Kultstatus – Sänger Marko Perković durfte im Sommer 2018 gar mit der kroatischen Fußballnationalmannschaft den zweiten Platz bei der Weltmeisterschaft auf dem Partybus feiern. In der Schweiz wiederum wurden diverse Auftritte der Band untersagt.
Brčić wird seinen Kampf deutlich verlieren, doch seine Einlaufmusik war nicht der einzige politisch zweifelhafte Vorfall an diesem Abend. Im Kampf zuvor präsentierte der Tscheche David Marcina stolz ein auf dem Oberarm tätowiertes ornamenthaftes Symbol, das aussieht, als verschlingen sich in ihm mehrere Hakenkreuze ineinander. Die extrem rechte Kampfsportmarke Beloyar aus Russland trägt genau dieses Symbol in ihrem Logo.
Die GMC – was nicht die deutsche Meisterschaft ist, obwohl es so klingt – hat sich über die vergangenen Jahre zu einem der größten Events auf dem deutschen MMA-Markt entwickelt. Sie wurde 2009 in Nordrhein-Westfalen gegründet und trug 2010 ihre ersten Events aus. Für 2020 waren gar sechs Fight Nights bundesweit angekündigt, bevor die Corona-Pandemie die Pläne durchkreuzte. Dabei ist der Weg der GMC – die zu ranFIGHTING und somit zur ProSiebenSat.1 Media SE gehört – von diversen Skandalen gepflastert.
Denn GMC 18 in Hamburg war nicht das einzige Event, das Anlass zur Sorge um den deutschen MMA-Markt gibt. Zur GMC 22 im Oktober 2019 – wieder in Hamburg – lief der Kämpfer Ömer Solmaz mit dem Gruß der faschistischen, türkischen Grauen Wölfe ein. Und schon zwei Jahre zuvor stand Frank Kortz auf der Hamburger Fightcard zu GMC 10. Er wiederum trägt das Kürzel „2Yt4U“ auf dem Bauch, eine „Schwarze Sonne“ auf dem Knie. „2Yt4U“ steht für den extrem rechten Slogan „too white for you“ – zu weiß für dich. Eine rassistische Kampfansage. Seinerzeit musste die GMC Kortz aufgrund von Protesten wieder ausladen. Mehrere Interviewanfragen zum Thema ließ die GMC unbeantwortet.
Doch diese Beispiele zeigen: Was in anderen Sportarten undenkbar wäre, ist in der Eventkultur der MMA kein Einzelfall. Neonazis stehen auf den Abendprogrammen so mancher Topevents, ihre Symbolik ist nur allzu präsent. Jedoch sind nicht alle Kampfsportarten gleichermaßen interessant für Neonazis. Im Judo beispielsweise findet man sie kaum, sondern eher in den Disziplinen, die dem Straßenkampf technisch am nächsten kommen: Die Mixed Martial Arts verbinden Stand- und Bodenkampf, verschiedene Schlag-, Tritt-, Griff- und Wurftechniken. In Deutschland wurde das lange Zeit „Freefight“ genannt und ist über die vergangenen 15 Jahre stark gewachsen.
Zudem ist MMA ohne Migration kaum denkbar. Denn es verbindet verschiedene Kampftechniken aus unterschiedlichen Regionen der Welt: Vom Brazilian Jiu-Jitsu bis zum Muay Thai (dt.: Thaiboxen). Das trifft auch auf den Weltmarktführer – die US-amerikanische UFC – zu. Sie wurde seit den 1990er Jahren in Kalifornien groß, wo viele Schüler von Bruce Lee – einem Sohn chinesischer Einwanderer – lebten, und hat zum enormen, internationalen Wachstum beigetragen. Schritt für Schritt konnte sie das klassische Boxen in den Antrittsgagen und Pay-per-View-Zahlen überholen.
Parallel zu dieser Entwicklung bleibt MMA sportpolitisch und -ethisch in Deutschland stark umstritten. Der DOSB positionierte sich 2009 gegen MMA und bezeichnete es als „Pervertierung der Werte des Sports“. Es ging um die Frage, ob es sportethisch vertretbar ist, dass Kämpfe nicht automatisch abgebrochen werden, wenn ein Kämpfer am Boden liegt oder blutet. Diese Kritik kam auch zum Ausdruck in der Empfehlung der bayerischen Landesmedienanstalt, MMA-Kämpfe nicht im Free-TV zu senden. Dem Wachstum des MMA in Deutschland tat all das keinen Abbruch, zumal der Ausschluss aus dem Free-TV im Zeitraum 2010 bis 2014 mittels Internetmedien leicht zu umgehen war.
So bieten Gyms in Deutschland MMA zunehmend im Windschatten dieser Entwicklung um die UFC an. Es sind mittlerweile mehrere Hundert – wenngleich bei Weitem nicht alle auf Wettkampfniveau. Viele dieser Gyms kommen aus einzelnen Teildisziplinen, z. B. dem Jiu-Jitsu, Boxen, Muay Thai oder Ringen und vermischen ihre Kursangebote zu MMA. Da der Begriff rechtlich nicht geschützt ist, bleibt das legitim. Dementsprechend sind viele Gyms auch Mitglied in den diversen Verbänden und nehmen an verschiedenen Meisterschaften teil. Auf Sherdog.com werden Statistiken der Wettbewerbe veröffentlicht und auf gnp1.de gibt es News aus der Szene. Übersichtlicher wird es dadurch kaum.
Doch muss angemerkt werden, dass sich der Amateursport teils weniger martialisch inszeniert, als es die kommerziellen Fight Nights tun. So sind viele Gyms vor allem durch den Stadtteil oder die Region geprägt, in denen sie liegen. Menschen mit familiärer Migrationsgeschichte trainieren ebenso wie Frauen. In Gesprächen wird oftmals betont, dass MMA als Mischung der Teildisziplinen letztlich die komplexeste und somit interessanteste Kampfsportart sei. Zudem entstehen auch erste Ansätze von MMA mit Menschen mit Behinderungen. Angebote, wie es sie im Judo, Taekwondo, Karate und Boxen bereits länger gibt. Der großen Mehrheit der Sporttreibenden geht es um Fitness, den eigenen Selbstwert und darum, sich verteidigen zu können. Es würde das Ausmaß dieses Textes sprengen, die Landschaft der Kampfsportarten in Deutschland in jedem Detail zu beschreiben. Doch lässt sich eines bereits hier festhalten: Sie ist äußerst heterogen.
Zumal auch zwischen Kampfsport und Kampfkunst unterschieden wird: Während Kampfsport den Wettbewerb beschreibt, in dem sich Kämpfer miteinander messen, geht es in der Kampfkunst eher um das Einüben von Techniken. Dies geschieht oft in tradierten Bewegungsabläufen, die technisch sauber ausgeführt werden. Darüber hinaus wird Kampfkunst oft mit einem philosophischen Überbau und ethisch moralischen Anforderungen versehen. So steht der Begriff des Budō für die japanischen Kampfkünste – von Karate über Aikido bis Judo – und wird mit Selbstverwirklichung und Selbstkontrolle im Sinne eines menschlichen Reifungsprozesses verbunden.
Weiterhin wird auch der Bereich der Selbstverteidigung von Kampfsport abgegrenzt, zählt aber dennoch zum weiten Feld des Kämpfens. Er umfasst das israelische Krav Maga, das russisch geprägte Systema sowie den chinesischen Kung-Fu-Stil Wing Chun, der auch als Kampfkunst gilt. Die Techniken dieser Kampfstile sind darauf ausgelegt, realistische Angriffe möglichst effektiv abzuwehren und sich aus bedrohlichen Situationen zu lösen. Gerade bei militärischen Einheiten sind sie sehr gefragt, da sich mit den dort erlernbaren Techniken auf schlecht vorhersehbare Situationen vorbereiten und reagieren lässt.
Während sich aber Techniken der Kampfkunst auch im Kampfsport finden, existiert nahezu kein sportlicher Wettbewerb in den Disziplinen der Selbstverteidigung. Zugleich deutet sich dadurch bereits an: So vehement diese Bereiche in mancher Theorie auch auseinandergehalten werden, so stark überschneiden sie sich zuweilen in der Praxis. Viele Athleten trainieren nicht allein Kampfsport oder gar nur eine Disziplin, sondern auch Elemente aus den anderen Sektoren – verbinden ihre Kickboxkämpfe mit Zeremonien aus der Kampfkunst und üben zudem Krav Maga. Auch bieten viele Studios die entsprechenden Mischungen an.
Dies alles wird im Laufe des Buchs eine Rolle spielen. Denn letzten Endes ist die im Kampfsport – sowie auch in Kampfkunst und Selbstverteidigung – vermittelbare Gewaltkompetenz für diverse gewaltaffine Szenen interessant. Hier können sie lernen, mit Schlag- und Tritttechniken, mit Offensiv- und Defensivtaktiken umzugehen sowie das eigene Verhalten in Gewaltsituationen zu schulen, ihre Fitness und Reaktionen zu trainieren. Nicht ohne Grund haben sich jüngere Jahrgänge des Rockerwesens in Deutschland von einer Motorradszene zu Kickboxclubs in Kutte entwickelt. Nicht ohne Grund spielte Karate eine wichtige Rolle für die deutschen Zellen des sogenannten Islamischen Staats. Nicht ohne Grund pumpt der maoistisch-sektiererische und antisemitische „Jugendwiderstand“ seine Muskeln in den McFits zwischen Berlin, NRW und Hamburg auf. Nicht ohne Grund nutzt auch der extrem rechte „Kampf der Nibelungen“ zuweilen den Hashtag #UFC. An kaum einem Ort auf dieser Welt kommen sich faschistische Ideologien aller Herren Länder so nahe wie in manchem Gym.
Menschen aus diesen Milieus und Szenen finden sich dann auch auf den kommerziellen Events wieder. Zwischen Schaulustigen sowie Freunden der Kämpfer und Kämpferinnen gehören Neonazis, Hooligans und Rocker – je nach Region auch Islamisten – zum Standardpublikum so einiger Fight Nights – von der „Fair Fighting Championship“ in NRW bis zur „Fight Night Neubrandenburg“ in Mecklenburg-Vorpommern. Dabei unterscheidet sich das politische Bewusstsein über Haus- und Kleiderordnungen, die Auswahl der Kämpfer, zugelassene Sponsoren, Ausrüster und Einlaufmusiken bundesweit enorm:
a) Popkultur
Veranstalter wie der deutsche Marktführer „We love MMA“ wollen ihren im Durchschnitt 3.000 bis 4.000 Zuschauer*innen ein Event bieten, das auch Kampfsportfans jenseits einschlägiger Milieus erreicht, und distanzieren sich deutlich von extrem rechten Kämpfern; vorab werden die Athleten darüber informiert, dass extrem rechte Modelabels sowie diskriminierende Inhalte in der Einlaufmusik nicht erwünscht sind. Es gibt zwar Zwischenfälle, doch scheint den Organisatoren bewusst zu sein, dass der Ruch rechter Gewalt für ein gesellschaftliches Ansehen kaum förderlich ist.
b) Gewaltmilieu
Veranstalter wie die „German MMA Championship“ mit bis zu 3.000 Zuschauer*innen, aber auch kleinere Events weisen durch ihre Fightcards eine starke Nähe zu Milieus aus Türstehern, Hooligans und Rockern auf. Dementsprechend wenig Berührungsängste zeigen sie mit extrem rechten Kämpfern. Sie bilden die größte Gruppe der drei Kategorien. Proteste gegen Neonazis auf den Fightcards haben zuweilen zu deren Ausladung geführt.
c) Extreme Rechte
Der über lange Jahre geheim organisierte „Kampf der Nibelungen“ sowie das „Tiwaz“ stammen aus extrem rechten Subkulturen. Ihre Events werden von Hooligans, Rockern und Neonazis besucht. Sie dienen der Vernetzung, Finanzierung und Rekrutierung für die eigenen Strukturen. Zwar ist der KdN in keinem Verband Mitglied, doch können sie darauf zurückgreifen, dass bundesweit circa 200 extrem rechte Kampfsportler auf Wettkampfniveau trainieren, 100 bis 120 davon aus dem Umfeld des KdN. Für demokratische Diskurse und Prävention sind sie nicht erreichbar, sie verstehen sich als europäische Kämpferelite einer „weißen Rasse“. Die Veranstaltung entwickelte sich über die Jahre zu einem professionellen Event mit dem Ziel, über 1.000 Menschen anzuziehen – also das größte extrem rechte Kampfsportevent in Westeuropa zu sein.*
3. Der extrem rechte Rand der neoliberalen Fitnessbewegung
Zugleich ist dieser ausdifferenzierte Kampfsportmarkt in die enorm gewachsene, neoliberale Fitnesslandschaft integriert. Auch die Akteure des Kampfsports in der extremen Rechten haben dessen Wertekanon zutiefst verinnerlicht. Spielen wir ein kleines Quiz, um das zu verdeutlichen.
1:Wer wirbt mit dem Spruch „Wo ein Wille ist, ist auch ein Gerät“ und fordert dazu auf, den Schweinehund draußen zu lassen?
2:Wer unterstreicht die Werte „Wille, Disziplin und Fleiß“?
3:Welches Unternehmen appelliert: „Fühle den Unterschied“?
4:Wer fordert: „Mach dich wahr“?
Das erste Zitat stammt vom Fitnessstudio FitX, das zweite vom neonazistischen „Kampf der Nibelungen“, das dritte von CrunchFit und Nummer vier vom Marktführer McFit. Mit dieser Auflistung soll nicht im Geringsten angedeutet werden, all diese Unternehmen seien Neonazis. Denn das ist – mit Ausnahme des KdN – nicht der Fall. Ganz im Gegenteil werben die anderen drei Fitnessanbieter mit Schwarzen Models und CrunchFit hebt gar hervor: „Vielfalt ist oberstes Gebot – dadurch findest auch du garantiert deinen Wohlfühlraum.“ Jedoch betonen alle vier durch ihre Werbeslogans einen sehr ähnlichen Ansatz in Bezug auf Fitness und Gesundheit. Im Zentrum steht stets die individuelle Verantwortung für die eigene Leistungsfähigkeit. Es geht darum, sich selbst zu disziplinieren, zu verwirklichen und zu optimieren.
So sind die Werbeanzeigen gängiger Fitnessstudiobetreiber nicht nur ein modischer Trend, sondern Hochglanzausdruck einer tiefen politischen Neoliberalisierung – auch im Gesundheitssektor – seit den 2000er Jahren. Diese umfasst zwei zentrale Aspekte: Zum einen wird der staatliche Eingriff in den Markt auf ein Minimum reduziert, zum anderen die Ausdifferenzierung einer Gesellschaft finanziell verarbeitet: Je mehr spezifische Kundenwünsche es gibt, desto stärker reagiert der Markt mit Angeboten darauf und betont die individuelle Verantwortung, die als Kaufappell in die Werbung verarbeitet wird.
All dies täuscht über die strukturelle Ebene von Gesundheit gänzlich hinweg. Denn Studien weisen seit Jahren auf den Zusammenhang zwischen Einkommen und Ernährung, Beruf und Lebenserwartung, dem Gebrauch von Drogen sowie der sozialen Schicht, letztlich also Vermögen und Gesundheit hin. Diese politische Verschiebung von einem sozialstrukturellen zu einem individualisierten Blick geht auf die zweite Hälfte der 1990er Jahre und die 2000er Jahre zurück. Der Begriff der „Gesundheitsreform“ war ein Dauerbrenner der politischen Debatte, diskutiert wurde vor allem die Privatisierung des Gesundheitssektors, also den Verkauf öffentlicher Einrichtungen – wie Krankenhäuser – an marktwirtschaftliche Unternehmen.
Ullrich Bauer hält in seinem Text über die „Sozialen Kosten der Ökonomisierung von Gesundheit“ der Bundeszentrale für politische Bildung 2007 fest: „Privatisierung ist einerseits Ausdruck einer Intensivierung von Ökonomisierungstendenzen, die privatwirtschaftliche Gewinninteressen im Gesundheitsbereich immer deutlicher hervortreten lassen. Diese Entwicklung verweist auf Veränderungen der Versorgungsorganisation. Privatisierung steht andererseits für eine Entwicklung, durch die jedem Versicherten, Patienten oder Nutzer des Gesundheitswesens ein höheres Maß an Eigenverantwortung übertragen wird.“ Es ist kein historischer Zufall, dass der Boom der Fitnessbranche in diese Zeit fällt. Bei einigen Krankenkassen konnte die Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio als Vorsorgemaßnahme angerechnet werden.
Dabei verbinden nicht wenige Studios Angebote aus Wellness, Fitness und Kampfsport, offerieren beispielsweise Functional Boxing und Yoga. Dementsprechend schreibt das Handelsblatt über die RSG Group (benannt nach Rainer Schaller, den Gründer von McFit) und dessen Expansionspläne im Februar 2019: „Von den Billig-Butzen namens High 5 (Klientel: eher Türsteher und arbeitslose Bodybuilder) über den puristischen Klassiker McFit, die deutlich plüschigere Pop-Variante John Reed und John’s Bootcamp für die Trainings-Masochisten bis zum Yoga-Studio soll dann für jedes Haushalts-Budget und Fitness-Faible etwas Adäquates dabei sein.“ Ganz entlang neoliberaler Vermarktungshoffnungen entstehen Kundenklienten für verschiedene Teilmärkte.
In diesem breit gefächerten Markt versuchen auch Neonazis ihren Platz zu finden. Denis Kapustin – deutsch-russischer Hooligan und führender Kopf der 2008 gegründeten extrem rechten Kampfsportmarke White Rex – sagte im Interview mit der 2017 noch existierenden, ukrainischen Hooligan-Website troublemakers.com: „Meine Aufgabe ist global, ich muss alle Lebensbereiche eines modernen Menschen abdecken. White Rex ist eine alternative Lebenseinstellung, die ich zu 100 % schaffen möchte. Mit Kleidung, Turnieren, Sportnahrung und Fitnessstudios.“ Und er appelliert an seine Kundschaft: „Du musst selbst gesünder und stärker werden.“ Zu seinem Geschäftsnetzwerk zählt auch PPDM Straight Edge, die Kraft-sportsektion in der russischen Neonaziszene, sowie das Label Vandals – Wanderer Division, das den Part Outdoor und Naturabenteuer abdeckt. Dabei wird auch Wandern und Klettern zu einer quasi-militärischen Disziplin erklärt.
Kapustin hat somit eine Strategie formuliert, die extrem rechte Szenen auf lokaler bzw. regionaler Ebene umsetzen. So sind aus der Cottbusser Hooligan-Szene heraus nicht nur Kleidungsgeschäfte und Sportmarken wie Black Legion, sondern auch mehrere Kampfsportgyms und Fitness-studios, ein Anbieter für Outdoor-Survivaltrips sowie ein Vertrieb für Nahrungsergänzungsmittel und Proteine entstanden. Man hat sich im gesamten Sektor etabliert und eigene Geschäftszweige aufgebaut, um die nationalsozialistische Komplettausrüstung zu liefern.
Zumal auch auf internationaler Ebene das Geschäft floriert: Das europäische Sponsoren- und Wirtschaftsnetzwerk des „Kampf der Nibelungen“ vertreibt seine Ware unter anderem über den Internetversand 2yt4u. Der Code hat sich in der Szene etabliert. Dort verkaufen Greifvogel Wear aus Deutschland (gegründet 2014) mit dem Slogan „Strength against the modern world“, Pride France (2013), Sva Stone aus der Ukraine (2010) und Rodobran aus Bulgarien (2018) alles von Alltagskleidung wie Mützen und T-Shirts bis Kampfsportausstattung wie Handschuhe, Mundschutz und Handtücher. Auch White Rex wurde dort lange Jahre angeboten. Jenseits dieser Homepage agieren Firmen wie Jotunheim Nutrition, das von schwedischen Neonazis betrieben wird und Nahrungsergänzungsmittel verkauft. Dessen Chef trat bereits beim KdN im Ring an. Sie alle wollen ein Stück vom großen Kuchen des Fitnessbooms abbekommen und haben sich bestens in den neoliberalen Markt eingepasst.
Lokale Effekte: extrem rechter Kampfsport in Thüringen
Generell sei „Thüringen eine Blaupause für die bundesweite Entwicklung: Der Kampfsport in der extremen Rechten rekrutiert sich aus dem Hooliganismus, lernt vom RechtsRock und ist international vernetzt“, erläutert Felix Steiner. Seit 2013 arbeitet der studierte Politikwissenschaftler und Germanist bei der „Mobilen Beratung in Thüringen“ (MOBIT). Er kennt die regionale Szenerie bestens. Wir treffen uns im MOBIT-Büro, die Wände sind mit Regalen voller Fachliteratur ausgekleidet. An der Tür hängt ein Plakat der Kampagne „Runter von der Matte – Kein Handshake mit Nazis“, das über extrem rechte Kampfsportmarken aufklärt.
Die „Mobile Beratung in Thüringen“ dokumentiert extrem rechte Aktivitäten, veröffentlicht seit über zehn Jahren eine Chronik über Konzerte, Kundgebungen und das öffentliche Auftreten. Hierfür beobachten sie die sozialen Medien und Events wie Konzerte vor Ort und geben dieses Wissen an Kommunen und Schulen in ihren Beratungen weiter. In unserem Gespräch fallen des Öfteren die Namen der genannten Marken, des III. Wegs, der Hooligangruppe „Jungsturm“ sowie der einschlägigen Organisatoren des RechtsRocks.
„Die Szene in Thüringen hat sich in den letzten fünf Jahren enorm gewandelt und schnell an aktuelle Lagen angepasst“, sagt Steiner. Es gab Pediga-Nachahmer als Reaktion auf die ansteigenden Zahlen Geflüchteter 2015 – Sügida und Thügida – die stark aus der regionalen Naziszene kamen, aber auch schnell wieder eingestampft wurden. „Deren Bewegungselite ist agil und versucht, Diskurse aufzugreifen. Sie sorgen für die Kontinuität der Szene. Auch einige der zeitweise abgetauchten alten Kader der 1990er und 2000er Jahre tauchten dort wieder auf.“ Die rassistische Debatte sorgte in der Szene für das Gefühl, der Tag X nahe und es lohne sich nun wieder, stärker aktiv zu sein.
Und die Szene ist breit aufgestellt: In Schwerpunktregionen wie Eisenach agiert die vielerorts in der Versenkung verschwundene NPD noch immer recht aktiv. Zudem ist Thüringen das Kernland des rechten Rands in der AfD um den 2020 offiziell aufgelösten „Flügel“. Hinzu kommt der III. Weg in seinen Schwerpunktregionen Gera und dem Thüringer Wald. Sie bieten – wie eingangs beschrieben – in mehreren Immobilien regelmäßig Kampfsporttrainings an, auch für Kinder.
Gerade am Beispiel der extrem rechten Kleinstpartei lässt sich dabei zeigen, wie wichtig eigene Immobilien für die Szene sind: „Der Volksgemeinschaft e.V. hat in Erfurt vor mehreren Jahren eine Immobilie angemietet, die der ehemalige Hooligan Enrico Biczysko betrieb und die lange Zeit zum III. Weg gehörte“, erläutert Steiner. Es ist ein ehemaliger Supermarkt, der für Feiern vermietet wird. Es gab offene Treffs, man schaute zusammen Fußball. Darüber wurden Jugendliche an die Szene herangeführt. Auch ein Kampfsportraum lag in dem Gebäude. „Sie nutzten ihn, um die Neonaziszene kampfsportlich fit zu machen. Biczysko verkauft dies als Selbstverteidigung gegenüber politischen Gegnern, das ist aber zentraler Teil ihrer eigenen Opferdarstellung.“ Zwischenzeitlich stand „Neue Stärke“ an dem Haus, mit der Abkürzung NS gehörte es zweifellos weiterhin zur Szene. Im Juni 2020 wurde beschlossen, dass die Partei das Gebäude verlassen muss.
Biczysko hat eine lange Geschichte in der Szene, war kurzzeitig auch in der NPD sowie bei der Partei Die Rechte. „Solche Kontinuitäten sind zentral für die Entwicklung der extremen Rechten in Thüringen: Die Labels haben oft gewechselt, die Personen sind größtenteils dieselben seit 20 Jahren, die Inhalte erst recht“, so Steiner. „Man lässt immer wieder durchblicken, dass man mit politischer Gewalt kein Problem hat, auch wenn man es aus rechtlichen Gründen indirekt formuliert oder mit Codes spielt.“
Ähnliche Räumlichkeiten wie in Erfurt gibt es auch andernorts: Im sächsischen Pirna steht das „Haus Montag“, das zum Dunstkreis der NPD gehört. Hier gibt es einen Sportraum mit einem Boxring – N.S. Heute widmete ihm einen ganzen Beitrag. Auch die „Northsidecrew“ aus dem brandenburgischen Lübben in der Lausitz betreibt einen eigenen Kampfsportraum für Trainings, zu denen schon französische B&H-Aktivisten anreisten. In Thüringen wiederum gibt es das Hotel Hufhaus im Landkreis Nordhausen, dessen große Freifläche für Sportangebote genutzt wird. Derlei Immobilien sind eine wichtige Infrastruktur für die Szene, da sie hier selbst die Hausordnung bestimmt, für Veranstaltungen nicht von externen Vermietern abhängig ist, Kongresse, Schulungen und Konzerte also relativ komplikationslos veranstalten kann. Auch im thüringischen Eisenach gibt es mit dem „Flieder Volkshaus“ eine Immobilie der Szene. Hier feierten die Köpfe des „Kampf der Nibelungen“ zusammen mit Thüringer Neonazis ihre Jahresabschlussfeier am 1. Dezember 2018.
Ihre Netzwerke wiederum reichen ebenso in die junge Szene extrem rechter Hooligans bei Rot-Weiß Erfurt. 25 Mitglieder des sogenannten Jungsturms sind im Sommer 2019 zum extrem rechten Kampfsportevent „Tiwaz“ gefahren, das auch vom KdN unterstützt wird. Der Jungsturm wiederum wurde Anfang der 2010er Jahre als Jugendgruppe der Hooligans „Kategorie Erfurt“ (KEF) gegründet und trägt deshalb bis heute manchmal den Namen Jungsturm KEF. Dieser war nicht minder rechts und hat bis zu seiner Auflösung 2012 ein jährliches Fußballturnier, den sogenannten Gewalttätersport-Cup, veranstaltet. Einige der Jungsturm-Mitglieder arbeiten für lokale Securityfirmen.
Über den Fußball und seine Fanszenen entwickeln sich auch andere gefährliche Verbindungen: Der Jungsturm ist eng befreundet mit den bulgarischen Hools bei ZSKA Sofia – den „Animals“. Diese wiederum seien eingebunden in international agierende B&H-Netzwerke, sagt Steiner. „Zentrale Figuren beider Gruppen haben sich gegenseitig besucht.“ Im April 2020 wurden mehrere von der Gruppe genutzte Objekte durch die Thüringer Polizei durchsucht, drei Mitglieder kamen in Untersuchungshaft. Es besteht der Verdacht, sie hätten eine kriminelle Vereinigung gegründet.
So setzt sich die Blaupause, als die Felix Steiner die Thüringer Neonaziszene für den bundesweiten Kampfsport beschreibt, aus extrem rechten Parteien, Hooligan- und Kampfsportgruppen sowie einer Infrastruktur aus Szeneimmobilien zusammen, auf die sie jederzeit zurückgreifen kann. Nicht zuletzt wird diese Szenerie durch extrem rechte Konzerte und Festivals komplettiert, den sogenannten RechtsRock.
„Die Anzahl der RechtsRock-Konzerte in Thüringen hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdreifacht – von 22 auf circa 70 im Jahr 2019. Die Bedeutung hat also zugenommen“, fasst Steiner zusammen. Die Events reichen vom kleinen Liederabend bis hin zum großen Festival. 2009 kamen 4.000 Neonazis zum „Rock für Deutschland“ nach Gera. „Seither hat sich die Organisation der Veranstaltungen professionalisiert: Die szeneeigene Security, die Anlieferung der Getränke, die Toiletten, der Umgang mit den Behörden, das Merchandising mit Eventshirts. Sie haben über 20 Jahre gelernt, wie es funktioniert.“
Diese Erfahrungen wurden für die Entwicklung der Kampfsportevents genutzt. RechtsRock hatte 2016 mit dem Rocktoberfest in der Schweiz und 2017 im thüringischen Themar seine Höhepunkte mit jeweils über 5.000 Teilnehmern, der KdN 2017 und vor allem im Oktober 2018 – wenige Wochen nach den eingangs geschilderten Aufmärschen in Chemnitz – mit mehreren Hundert Zuschauer*innen. In Themar 2017 rekrutierten selbst ukrainische Neonazis für ihre militärischen Einheiten. Es sind die größten Events des extrem rechten Eventkalenders. „Das Training für den Straßenkampf, die Vorbereitung auf den Tag X in der Szene ist nicht neu“, sagt Steiner. Aber die Organisation der Kampfsportevents könne darauf zurückgreifen, dass sich das Eventmanagement des RechtsRocks über Jahrzehnte professionalisiert hat.
Auch wenn die Thüringer Behörden die großen RechtsRock-Konzerte des Jahres 2019 mit diversen Maßnahmen massiv einschränkten, gelten das extrem rechte Musikbusiness sowie der Hooliganismus über Jahrzehnte als die zwei zentralen Säulen einer erlebnisorientierten Rekrutierung der extrem rechten Szene in Deutschland. In den vergangenen Jahren wurden sie durch den Kampfsport ergänzt. Gewalttätige Männlichkeit, ethnische Zugehörigkeit und politischer Hass dienen dabei als niedrigschwelliger Zugang zur Szene, die hochgradig militant ist.
Ein europaweites Netzwerk: das „Regiment Asow” und Sva Stone aus der Ukraine
Es ist eine europaweite Entwicklung, denn die Verbindungen deutscher Hools mit osteuropäischen Neonazis sowie die Verquickung des Kampfsports mit dem extrem rechten Musikbusiness beschränken sich keineswegs auf Thüringen – sondern finden sich geradezu idealtypisch in der Ukraine. Für das Festival „Fortress Europe“ im Kiewer Bingoclub Ende Mai 2020 waren neben italienischen, tschechischen und zahlreichen ukrainischen Bands auch Path of Resistance, Übermensch und die Cottbusser Hooligankombo Frontalkraft aus Deutschland angekündigt. Auch dieses Festival – dessen Plakat ein mittelalterlicher, christlicher und bewaffneter Ritter zierte – musste aufgrund der Coronapandemie abgesagt werden. Doch die sich selbst als Kreuzfahrer inszenierenden Veranstalter haben bereits den neuen Termin im Juni 2021 bekanntgegeben.
„Fortress Europe“ steht somit in einer wachsenden Reihe an extrem rechten Festivals in der Ukraine und ihrer Hauptstadt: So hat sich auch das jeweils im Dezember stattfindende Black-Metal-Festival „Asgardsrei“ etabliert. Über 1.500 Teilnehmer aus ganz Europa reisten dazu 2019 an. Bilder zeigen Hunderte Neonazis dicht gedrängt an den Gittern vor der Bühne des großen Saals, dessen zweite Etage – wie es in älteren Theatern üblich ist – von einer Balustrade abgegrenzt ist. Hitlergrüße werden zu Hauf gezeigt. Es sind Konzerte des sogenannten RaHoWas – des Racial Holy War. Seit 2018 findet vor dem Musikfestival eine Fight Night statt. Einheimische Athleten kommen aus den Hooliganszenen bei Dynamo Kiew und aus Dnipro, auch Kämpfer aus Westeuropa traten an. Die Ukraine hat sich zu einer Art Eldorado für die internationale Szene militanter Neonazis entwickelt.
„Hierfür zeichnen vor allem die Geschehnisse in den Jahren 2013 und 2014 verantwortlich“, sagt Pavel Klymenko. Die damaligen Massenproteste rund um den Euromaidan im Herbst 2013, die Toten im Februar 2014, die Flucht und Absetzung von Präsident Wiktor Janukowytsch sowie die Besetzung der Krim und Teilen des ostukrainischen Donbass durch russlandnahe bzw. russische Truppen haben das Land tiefgreifend verändert. Klymenko arbeitet beim Netzwerk „Football against Racism in Europe“ als politischer Leiter, beobachtet extrem rechte Hooligangruppen in Osteuropa und kennt sich somit bestens auch mit der extremen Rechten in seiner Heimat aus.
In seiner Analyse hebt er hervor, dass unterschieden werden müsse zwischen extrem rechten Parteien einerseits und militant rechten Organisationen andererseits, die die Hegemonie auf der Straße suchten. Denn über die 1990er und 2000er Jahre verteilt, hätten extrem rechte Parteien – mit Ausnahme von partiellen Mandaten der „Sozial-Nationalen Partei“ (heute: Swoboda) – kaum Wahlerfolge zu verzeichnen gehabt. Auch von der Tatsache, dass sich antirussische Positionen seit den Ereignissen vor sieben Jahren im Mainstream wiederfänden, konnten sie nicht profitieren. „Dafür errangen andere extrem rechte Organisationen eine national tragende Rolle“, schildert er die Situation. „Allen voran das Regiment Asow hat sich zum Zentrum der extremen Rechten in der Ukraine entwickelt.“ Auf Fotos posiert man mit Totenkopffahnen der nationalsozialistischen SS. Das Regiment – benannt nach seinem Truppensitz am Asowschen Meer – wurde 2014 von nationalistischen Politikern für den Einsatz im Donbass gegründet, um die ukrainische Armee im Kampf gegen die prorussischen Separatisten zu unterstützen. Noch im selben Jahr wurde es auf Erlass des ukrainischen Innenministers Arsen Awakow in die Nationalgarde eingegliedert. Unter seiner Patronage steht es bis heute.
Schnell zog es aufgrund seiner politischen Ausrichtung und Symbolik international extrem rechte Kämpfer an und wuchs über die Jahre auf ca. 2.500 Mitglieder. Darunter befinden sich Italiener, Griechen, Schweden Russen – schätzungsweise auch eine niedrige dreistellige Zahl an Deutschen. Dieses internationale Kriegssöldnertum hat Tradition in der Szene: Schon in den 1990er Jahren haben sich deutsche Neonazis freiwillig für die kroatische und die irakische Armee in den jeweiligen Kriegen gemeldet.
Darüber hinaus haben die Kriegstätigkeiten der extremen Rechten in der Ukraine einen gewissen Kultstatus in ganz Europa errungen: Sowohl im Boxraum des III. Wegs als auch in den Wohnzimmerhandyvideos von Dortmunder Neonazis finden sich die Flaggen des Regiments Asow und dessen Partei, dem 2016 gegründeten „Nationalen Korps“ sowie der zur Szene gehörenden Jugendbewegung „Ziviles Korps“. 2018 referierte Olena Semenyaka – eine der wenigen Frauen bei Asow und verantwortlich für die internationalen Beziehungen des Regiments – bei der Identitären Bewegung in Halle über „Identität, Geopolitik, Perspektiven“.
„Das Regiment Asow“, sagt Klymenko, „verstand es, schnell die zuvor marginalisierten Neonazigruppen mit Fußballhooligans, jungen Rekruten und solchen mit militärischer Erfahrung zusammenzubringen.“ Zumal derartige Freiwilligenregimente in den ersten Kriegsjahren derart wichtig für das ukrainische Militär waren, dass sie und ihr Umfeld bis heute eine faktische Straflosigkeit als nationale Helden jenseits des Gesetzes genössen. Daraus erklärt sich auch, weshalb neonazistische Großevents restriktionsfrei mit öffentlichem Ticketverkauf in einem der größten Clubs Kiews stattfinden können.
Auch der Ausrichter des Festivals „Fortress Europe“ – die Marke Sva Stone – ist eng mit Asow verbunden: Das Regiment bereitet den Markt und hat selbst schon Parkas und andere Kleidung bei Sva Stone bestellt. „Die 2010 gegründete Marke gehört Arseniy Klimachev, der in den 1990er Jahren versuchte, in der Ukraine eine B&H-Division aufzubauen und bis heute Anführer der dienstältesten ukrainischen RechtsRockband Sokyra Peruna ist“, so Klymenko. Lange Zeit war Sva Stone lediglich durch seine Shirts „White Boy“ und „White Baby“ bekannt. Doch der Krieg habe sie ebenso wie Asow hochgepuscht. Auf den Social-Media-Accounts sowohl von Sva Stone als auch des Festivals finden sich diverse Bilder von Trainings an Schießständen und bewaffneten Militärs. Auch deutsche Neonazis haben an solchen Übungen teilgenommen. Bis hierhin ist der Krieg seit 2014 eine Erfolgsgeschichte des militanten Neonazispektrums in der Ukraine.
Jedoch ging damit auch eine Zäsur für die engen Netzwerke mit russischen Neonazis einher. Denn für die dortige Szene bedeutete der Krieg im Donbass einen politischen Riss: „Teile der extremen Rechten waren entweder schon zerstört oder kontrolliert von Putin und unterstützten somit seine imperialen Strategien“, erläutert Klymenko. „Der andere Teil wertete die Zugehörigkeit zu einer vermeintlich weißen Rasse höher als Nationalismus und hat somit größtenteils ukrainische Neonazis unterstützt, einige gingen gar zu Asow.“
Hier greift das Narrativ einer paneuropäischen „weißen Rasse“ und international verbundenen, wenn nicht gar vereinten extremen Rechten. Frühere nationalistische Konflikte – auch zwischen deutschen und osteuropäischen Neonazis – scheinen somit ein Stück weit überwindbar zu sein. Das äußere Feindbild einer interkontinentalen Migration schweißt die Szene zusammen, vorrangig unter den Symbolen von „White Supremacy“, also der sogenannten Weißen Vorherrschaft, zuweilen auch unter vermeintlichen Zeichen der katholischen Kreuzfahrer im Mittelalter. Manchmal auch beides, wie die Werbung des eingangs erwähnten „Fortress Europe“-Festivals zeigt. Die militante extreme Rechte hat sich europäisiert.
Um die Stellung der ukrainischen Organisationen im europäischen Netzwerk zu festigen, richtete Asow auch zwei Konferenzen unter dem Titel „Paneuropa“ aus: im April 2017 und im Oktober 2018. Das Ziel besteht darin, eine internationale Allianz faschistischer Parteien zu etablieren. Auf dem Plakat zur zweiten Konferenz waren sowohl die NPDJugendorganisation Junge Nationalisten als auch der III. Weg aus Deutschland aufgeführt. Neben Vertretern aus Schweden, Frankreich, den USA sowie der Schweiz nahmen auch russische Neonazis teil. Aufgrund dieser internationalen Szene sprechen manche Beobachter mittlerweile von der Asow-Bewegung, die weit über das Regiment hinausginge.
Zumal mit dieser Bewegung internationaler Neonazis in die Ukraine auch eine Schlüsselfigur der extrem rechten Kampfsportszene fest nach Kiew zog: Denis „Nikitin“ Kapustin. Doch wurde ihm 2019 ein zehnjähriges Einreiseverbot in den Schengenraum – also die Europäische Union und die Schweiz – auferlegt, was seine Aktivitäten im Netzwerk westeuropäischer Hooligans stark einengte. Seine Marke verschwand aus dem Sortiment so manchen Szeneversands – von PC-Records aus Chemnitz bis hin zu 2yt4u.com. Gleichzeitig sitzt er mit seinem aktuellen Wohnort in Kiew quasi am neuen Quell der Szene. Denn dort findet seit Jahren auch die Eventreihe „Reconquista Fight Club“ (RFC) statt, auf der er auch selber kämpfte.
Auf dem „Rock gegen Überfremdung“ im thüringischen Themar 2017 versuchten Asow und der RFC gar, Kämpfer für die Ukraine zu rekrutieren: „Die Asow-Bewegung lädt dich dazu ein, der Erschaffung einer neuen europäischen Bruderschaft, der Gemeinschaft der Zukunft Europas beizutreten“, stand auf einem Flyer, der vielfach auf dem Festival verteilt wurde.
Das Gewaltpotenzial der europäischen Szene soll möglichst stark für die Entwicklung in der Ukraine ausgeschöpft werden. So waren die Kämpfer des RFC auch schon als politische Schläger und Veranstaltungssecurity in Kiew gebucht, wie Klymenko erläutert. „Zudem betreibt Asow mehrere Gyms, Hooligans von Dynamo bekleiden wichtige Posten im Regiment.“ Asow ist der zentrale Knotenpunkt für die gesamte Szene geworden. Über Kapustin ist auch der KdN eng mit der Ukraine verbunden.
Wer also sehen will, wie sich eine extreme Rechte unter internationaler Beteiligung zwischen Kampfsport und Kriegsführung militarisiert, der schaue in die Ukraine. In Anbetracht dieser Militär- und Wirtschaftsnetzwerke warnt Klymenko mit deutlichen Worten: „Asow ist letztlich eine extrem explosive Mischung: Hunderte kriegserfahrene und schlachterprobte Neonazis mit Zugang zu Waffen, internationalen Netzwerken, Jugendcamps, politischen Parteien, Kampfsportstudios und Sicherheitsunternehmen. Es ist die einzige politische Kraft in der Ukraine, die fähig ist, Tausende Neonazis für Straßenkämpfe zu mobilisieren – ohne sie zu bezahlen. Die Frage ist nicht, ob sie dies irgendwann tut, sondern nur: wann?“
Staatliche Beobachtung und späte Verbote
Zugleich hat diese bedrohliche Entwicklung der internationalen Netzwerke militanter Neonazis im Kampfsport über die vergangenen Jahre eine zunehmende öffentliche Kritik sowie staatliche Aufmerksamkeit erhalten. Die Verbote treffen die hiesige Szene zum Teil erheblich. Hierfür kann sowohl das Einreiseverbot für Kapustin als auch das Verbot des „Kampf der Nibelungen“ 2019 als Beleg gelten.
Nachdem das Event binnen weniger Jahre 2018 zur größten Kampfsportveranstaltung der militanten Neonaziszene in Westeuropa herangewachsen war, wollte die Kommune im ostsächsischen Ostritz nicht mehr weiter zuschauen. Denn dort sollte das Event zum zweiten Mal in Folge stattfinden. Selbst in polnischer und tschechischer Sprache hatten die Veranstalter geworben, um Publikum aus dem grenznahen Raum anzuziehen. Doch die Stadt Ostritz ist mittlerweile gut mit anderen Orten in Deutschland vernetzt, die regelmäßig von extrem rechten Veranstaltungen heimgesucht werden – beispielsweise mit dem thüringischen Themar. Man tauscht sich aus. Letzten Endes hob die Stadt in ihrem Verbot hervor, dass eine Gefahr für die Sicherheit und öffentliche Ordnung mit der Ausrichtung des KdN einhergehe. Dies wurde vom Verwaltungsgericht Dresden erstinstanzlich bestätigt.
Auch auf der nächst höheren Ebene, beim sächsischen Oberverwaltungsgericht (OVG) in Bautzen, schloss man sich der Argumentation an, die Vermittlung von Kampfsporttechniken in der extremen Rechten sei gefährlich für die Demokratie in Deutschland: „Es sei insbesondere nicht von Bedeutung, dass bei früheren Kampfsportveranstaltungen ‚nichts passiert‘ sei“, wurde dort erklärt. Das Verwaltungsgericht habe berücksichtigt, dass die Funktionsfähigkeit der grundgesetzlich geschützten staatlichen Ordnung betroffen sei. Ausschlaggebend für das Urteil waren letztlich „eigene Verlautbarungen des Veranstalters“, die „auf eine Bereitschaft deuteten, das ‚abgewertete‘ System mittels der Ertüchtigung und Wehrhaftigkeit aktiv und gewaltsam zu bekämpfen. Die Annahme, dass Kampftechniken gezeigt werden, die auch gegen Polizeikräfte zum Einsatz kommen sollen, sei nicht fernliegend, wie dies die Ereignisse in Chemnitz gezeigt hätten.“ Diese Sätze stammen aus der Medieninformation des OVG Bautzen, gemeint war der zu Beginn des Textes beschriebene Double Leg Takedown.
Inwiefern dieses Urteil Präzedenzcharakter besitzt und somit Folgen für alle weiteren Kampfsportveranstaltungen der Szene hat – von großen Fight Nights bis hin zu öffentlich beworbenen Trainings –, wird in einer Fortsetzungsfeststellungsklage gerichtlich verhandelt. Darüber war bis zum Erscheinen dieses Buchs nicht entschieden. Doch womöglich müssen die staatlichen Behörden ihre Argumentation für die Verhandlung noch etwas schärfen: Denn die KdN-Organisatoren argumentieren bislang süffisant, dass doch nicht jede Person einen Double Leg Takedown durchführen könne, nur weil sie ihn einmal gesehen hätte. Hiermit haben sie wohl recht, doch argumentieren sie damit – zugleich und ungewollt – für ein Verbot des KdN als gesamte Organisation. Denn in dessen Namen werden Seminare veranstaltet und internationale Reisen zu Kampfsporttrainings der Naziszene organisiert. Orte, an denen die Techniken vermittelt und geübt werden.
Doch auch jenseits der konkreten Argumentation kommt in dem Veranstaltungsverbot zum Ausdruck, dass kommunale Verwaltungen und staatliche Behörden den Kampfsport in der extremen Rechten immer ernster nehmen. Das ist auch das Problem der Großevents in der Szene: Einerseits kann damit sehr viel Geld verdient werden, andererseits wird man durch Verbote finanziell umso härter getroffen. Für den KdN ging es seit seiner Gründung fünf Jahre nur bergauf. Das Verbot 2019 hat den Höhenflug vorerst unterbrochen. Es ist der Preis des Erfolgs.
Doch es war ein langer Weg bis zum Verbot. Denn das Thema scheint so langsam bei den Verfassungsschutzbehörden anzukommen. Zumindest taucht das Schlagwort „Kampfsport“ nun häufiger in den Berichten auf als noch vor ein paar Jahren – 2018 über 20-mal in der Publikation des Bundesamts: „Eine Entwicklung, die die Gewaltorientierung eines Groß-teiles der rechtsextremistischen Szene plastisch untermauert, ist das im Berichtszeitraum gestiegene Interesse von Rechtsextremisten an Kampfsport. Die sportliche Betätigung in verschiedenen Disziplinen des Kampfsportes wird ideologisch im Sinne einer Wehrhaftigkeit gegen ‚das System‘ aufgeladen und gezielt als Vorbereitung für den unausweichlichen ‚politischen Kampf‘ beworben“, heißt es dort.
In den Jahren zuvor flackerte das Thema Kampfsport in den Berichten sowohl des Bundesamtes als auch mancher Landesämter hin und wieder auf – ausführlich thematisiert wurde es jedoch selten. Im Jahresbericht aus Brandenburg heißt es 2010 gar süffisant: „Neuerdings wird der Kampfsport als Lockmittel und Szenekitt entdeckt. Hierbei kommen Neonationalsozialisten konspirativ zusammen und verprügeln sich gegenseitig im Glauben, dies diene einer höheren Sinnstiftung.“
2012 widmete die Behörde der Entwicklung jedoch ein ganzes Unterkapitel und blickte dabei vorrangig in den Raum Cottbus zur 2012 verbotenen „Widerstandsbewegung in Südbrandenburg“ als auch der bis heute existierenden Kampfsportgruppe Northsidecrew: „Der dort vorherrschende Elitegedanke forderte von den Gruppenmitgliedern, sich sowohl in geistig-ideologischer als auch körperlicher Hinsicht zu beweisen. Der Kampfsport wurde dazu genutzt, das rechtsextremistische Verständnis von ‚Männlichkeit‘ im Kontext neonationalsozialistischer Ideologie zu vermitteln.“ Die Analyse hatte sich derweil – wohl auch unter dem Eindruck des enttarnten NSU – geschärft. Einige der damaligen Kampfsportakteure in der Brandenburger Szene haben ihre politischen Aktivitäten anschließend etwas unter dem öffentlichen Radar fliegen lassen, um die eigene sportliche Karriere nicht zu gefährden.
Zudem hebt Henry Krentz, stellvertretender Referatsleiter im sächsischen Verfassungsschutz hervor, welche soziale Funktion die Kampfsportabende haben. Diesbezüglich stünden sie in einer Linie mit den lange gepflegten und auch aktuell noch abgehaltenen „Zeitzeugenvorträgen“ von Wehrmachts- und SS-Veteranen über den romantisierten Krieg: „Die Zeitzeugenvorträge wurden immer vom selben Kreis organisiert, bildeten die sozialen Anlaufpunkte für lose der Szene verbundene Personen. Gleichzeitig erzählten die älteren Herrschaften einseitig und verherrlichend vom Krieg. In der letzten Zeit waren sie jedoch von den entsprechenden Alterserscheinungen geprägt. Deshalb wurden solche Veranstaltungen oft verbunden mit Grillen oder Musik. Aber die Attraktivität der Vorträge von Weltkriegsbeteiligten verlor biologisch bedingt zusehends, sodass sich die Szene verstärkt nach Formaten mit aktuellen Bezügen umsah“, sagt Krentz über die Kulturabende der Szene.
Auch der sächsische Verfassungsschutz berichtet bereits seit dem Jahr 2010 unregelmäßig über Kampfsportveranstaltungen in der extrem rechten Szene, seinerzeit über Events wie „Leben heißt Kampf“ und „Sachsen kämpft“. Über deren politischen Gehalt heißt es im Bericht aus dem Jahr 2011 deutlich: Das Ziel sei der „Kampf um eine neue Gesellschaftsordnung, die in der sogenannten ‚Volksgemeinschaft‘ besteht“. Die erwähnten Events können als direkte Vorläufer des kurze Zeit später folgenden Kampfsportbooms in der Szene gelesen werden.
Im Thüringer Verfassungsschutzbericht 2018 wiederum steht über die AG „Körper und Geist“ des III. Wegs: „Die Arbeitsgruppe sieht Kampfsport vor allem als Vorbereitung auf den politischen Kampf und versucht hiermit, die Attraktivität der Partei für Neonazis und Angehörige des subkulturellen rechtsextremistischen Spektrums zu erhöhen.“ Über die Ziele des Kampfsports in all den extrem rechten Kameradschaften und Parteien gibt es in den Behörden also keine zwei Meinungen.
Ebenso spielt der Kampfsport bei der Identitären Bewegung in den Verfassungsschutzberichten wiederholt eine Rolle. Im Bericht über das sogenannte IB-Sommercamp Berlin-Brandenburg 2016 heißt es: „Das Camp galt dem gegenseitigen Kennenlernen, Vermitteln ‚identitärer Ansichten‘, dem Erlernen von Kampfsport-Techniken einschließlich Übungskämpfen.“ Auch die bayerischen Behörden weisen in der Antwort auf eine Kleine Anfrage 2020 auf die IB hin und berichten von Strategietreffen sowie Aktivistenwochenenden der IB Schwaben und Franken, auf denen Kickbox- und Boxtrainings stattgefunden haben.
Leerstellen einer innen- und sportpolitischen Debatte
Doch trotz dieser und anderer Absätze in den jeweiligen Berichten fallen mehrere Aspekte auch kritisch auf: Zum einen ist der Kampfsport in den öffentlichen Dokumenten einiger Landesämter auf wundersame Weise nicht existent – in Rheinland-Pfalz zum Beispiel. Obwohl mit Malte Redeker der Initiator des „Ring der Nibelungen“ dort lebt und seit Jahren tragend für den KdN ist, fällt der Begriff Kampfsport in den Berichten seit 2013 kein einziges Mal.
Zum anderen hat der Verfassungsschutz einen sehr engen Blick auf dezidiert extrem rechte Organisationen, verliert aber kaum ein Wort über militante Neonazis im Kampfsport außerhalb einschlägiger Events sowie dynamisch agierende Netzwerke ohne Gruppencharakter. Henry Krentz erklärt das im Interview mit dem Entstrukturierungsprozess in der Szene, da es immer weniger Kameradschaften im Sinne von Vereinen mit Mitgliedern und Posten gäbe: „Eine Organisation gilt als Personenzusammenschluss, der auf Dauer angelegt ist. Sollte der KdN nur eine Veranstaltung im Jahr machen, dann muss geprüft werden, ob er weitere Organisationsmerkmale erfüllt.“ Erst recht bezüglich extrem rechter, eher loser organisierter Kampfsporttrainings stößt dort die Arbeitsgrundlage an Grenzen.
Außerdem ist seit Jahren höchst umstritten, wen der Verfassungsschutz (VS) beobachtet und mit welchen Mitteln er das tut. Insbesondere der Einsatz von V-Männern steht im Fokus der Kritik. Felix Steiner von MOBIT beispielsweise kritisiert grundsätzlich: „Die intransparenten Methoden des VS sind völlig inakzeptabel.“ Jenseits der generellen Einschätzungen bekäme man „die fundiertesten Informationen zu dem Thema eher auf den einschlägigen antifaschistischen Recherche-Blogs oder von spezialisierten Journalist*innen und Wissenschaftler*innen“, fügt die Grüne Bundestagsabgeordnete Monika Lazar hinzu.
Sie befragt die staatlichen Behörden seit mehreren Jahren regelmäßig und kritisch zu aktuellen Entwicklungen. Mit Kleinen Anfragen übt das Parlament die Kontrollfunktion gegenüber der Regierung aus. „Wir erfragen regelmäßig Kenntnisse der Bundesregierung über die rechtsextreme Kampfsportszene. Damit gewinnen wir zum einen Informationen für unsere Arbeit, zum anderen zeigen wir damit auch politischen Handlungsbedarf auf, etwa wenn die Antworten der Bundesregierung recht dünn sind, was Erkenntnisse über die Szene und ergriffene Gegenmaß-nahmen angeht“, erläutert Lazar ihre Strategie. Die Anfragen hätten das Thema wiederholt auf die Agenda gebracht, die inhaltliche Tiefe der Antworten aus Behördenkreisen sei über die Jahre besser geworden.
Doch immer noch gäbe es deutliche Analysedefizite. So zeigten die Antworten des Bundesinnenministeriums, „dass man quasi keine Erkenntnisse hat, was mit den Geldern passiert, die die rechtsextreme Kampfsportszene über szeneeigene Events oder Labels erwirtschaftet. Auch über die internationale Vernetzung, besonders mit osteuropäischen Rechtsextremen, gibt es seitens der Bundesregierung kaum Kenntnisse“, so Lazar. Zudem macht sie darauf aufmerksam, das Thema nicht auf Verbotsmaßnahmen gegen extrem rechte Veranstaltungen zu beschränken. Auch eine gesellschaftlich verantwortungsvolle Sportpolitik müsse sich explizit mit dem Thema beschäftigen. „Ich hoffe, dass so langsam ein Stein ins Rollen kommt und man sich nun parlamentarisch und fraktionsübergreifend intensiver mit dem Thema beschäftigt. Sowohl innen- als auch sportpolitisch besteht hier Handlungsbedarf“, führt sie aus. Zumal sich auch staatliche Sportpolitik bislang kaum mit Sportarten auf dem freien Markt beschäftigt hat.
Dementsprechend geringe Erkenntnisse gibt es über diese Landschaft: Weder wissen die Behörden, wie viele Kampfsportgyms und Fitnessstudios es in Deutschland gibt. Noch existieren staatliche Zertifizierungen bzw. Regularien für die Trainer*innenausbildung. Zum jetzigen Zeitpunkt darf jeder vorbestrafte, gewalttätige Neonazi ein Kampfsportstudio eröffnen, dort als Trainer arbeiten und Kinderkurse anbieten. Von einer disziplinübergreifenden, staatlich geförderten Präventionsstrategie gegen Gewalt, Diskriminierung und extrem rechte Einflüsse im Kampfsport scheint die Debatte meilenweit entfernt.
Dabei stünde dem die in Debatten zuweilen beschworene Autonomie des Sports nicht entgegen. Denn diese leitet sich aus Artikel 9 des Grundgesetzes ab, der in Absatz 1 das Recht garantiert, sich in Vereinen zusammenzuschließen. Doch in Absatz 2 folgt sogleich die zentrale Einschränkung: „Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.“ Der Staat darf also durchaus Einfluss auf die politische Entwicklung der Landschaft zwischen Athletik und Leibesübungen nehmen.
Denn letzten Endes herrscht über die mittelfristigen Folgen bei meinen Gesprächspartnern keinerlei Illusion: „Kampfsporterfahrene Rechtsextreme sind eine Bedrohung für ihre politischen Gegner, etwa Antifaschist*innen, Migrant*innen und auch die Polizei“, sagt Lazar. Krentz spitzt dies gar noch etwas zu: „Die Militanz- und Konfrontationsbereitschaft der extremen Rechten wird durch die Kampfsportentwicklung in der Szene weiter ansteigen“, sagt er. „Wenn auf kampferfahrene Rechtsextreme zurückgegriffen werden kann, wirkt dies natürlich auf lange Sicht in den Bereich des Rechtsterrorismus.“
Professionalisierung extrem rechter Gewalt
Die Gefahr dieser Entwicklung ist kaum zu überschätzen. Denn wie an all diesen lokalen, regionalen, nationalen und europaweiten Netzwerken sichtbar wird, hat die extreme Rechte begonnen, ihre Gewalt und Organisation im Kampfsport zu professionalisieren. Dabei umfasst dieser Prozess drei Ebenen: die Gewaltkompetenz und technische Kampffähigkeiten, Jobs im Geflecht extrem rechter Firmen sowie das Eventmanagement der Szene.
Erstens haben sich die Kampfsporttechniken generell weiterentwickelt – nicht nur in der extremen Rechten. Vielmehr sind Mixed Martial Arts im vergangenen Jahrzehnt zum international boomenden Sportmarkt geworden. Sie verbinden Techniken und Stile verschiedener Disziplinen im Training sowie Wettkampf miteinander. Neonazis trainieren vor allem Boxen, Kickboxen und MMA, um ihre Gewaltkompetenz weiterzuentwickeln – also den bewussten und befähigten Umgang mit körperlicher Gewalt. Die eingangs beschriebene Szene aus Chemnitz ist der bildliche Ausdruck dessen. Das geht mit qualitativ gestiegenen Standards bezüglich Regeneration und Ernährung einher.
Zweitens haben sich einzelne Neonazis eine berufliche Existenz im Kampfsport aufgebaut. Sie betreiben Gyms bzw. Kampfsportschulen, organisieren Events und gründen extrem rechte Marken für Kampfsportkleidung und -ausrüstung. Wenn man den Blick etwas weitet, gehören auch Hersteller und Verkäufer von Nahrungsergänzungsmitteln für den Kampf- und Kraftsportmarkt dazu: Proteine – oft auch verbotene Steroide – für die Szene. Hier geht die Professionalisierung ein ganzes Stück weit mit Kommerzialisierung einher. Hinzu kommen die Netzwerke im rockernahen Teil der Securitybranche.
Und drittens haben Neonazis auch ihre Kampfsportevents über die letzten Jahre zusehends professionalisiert: die Werbung und den öffentlichen Auftritt, die Organisation der Veranstaltungen weiterentwickelt. Hier hat die Szene vor allem ihre Erfahrungen aus dem RechtsRock nutzen können. Denn viele der Schlüsselfiguren extrem rechter Kampfsportevents können auf eine lange Geschichte in der Organisation extrem rechter Konzerte und Festivals zurückblicken. Sie haben erkannt, welches Potenzial im Kampfsport für die Szene liegt, und nutzen es europaweit.
So kommen im Boom des extrem rechten Kampfsports der vergangenen Jahre ganz verschiedene Entwicklungen und Teile einer fragmentierten Szene zusammen: Ideologisch liegen die Wurzeln im Nationalsozialismus, historisch steht man in einer direkten Tradition der paramilitärischen Wehrsportübungen, organisatorisch orientiert man sich an den Strukturen militanter Kameradschaften der 2000er Jahre. Dabei ist der RechtsRock das Vorbild des Eventmanagements, der Hooliganismus das Rekrutierungsfeld und sportlicher Taktgeber. Extrem rechte Kampfsportfirmen und manche Security-Unternehmen fungieren als Jobbörse. Die Landschaft extrem rechter Immobilien bildet schließlich die Trainings- und Eventstätte, das institutionelle Rückgrat.
Die militante extreme Rechte nutzt den allgemeinen Fitnessboom, um sich für die angeheizten gesellschaftlichen Konflikte zu rüsten. Alles läuft auf Rechtsterrorismus mit internationalen Dimensionen hinaus. Die Szene hat ein professionalisiertes, europaweites Netzwerk im Kampfsport aufgebaut – sie trainiert für den politischen Umsturz. Das Ziel ist eine völkische Gewaltherrschaft.
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*Literaturhinweis: Volker Weiß: Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes. Stuttgart 2017.
*Siehe dazu Kapitel „Kampfsport für weiße Europäer“ auf Seite 55 in diesem Buch.