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Geheimnisvolle Briefe

Ganz andere Geburtstagspost

Per sitzt im Wohnzimmer auf dem Fußboden. Um ihn herum liegt alles voller Papier. Geschenkpapier. Dazwischen liegen Schleifen und Geburtstagspostkarten. Und zwischen dem Papier und den Postkarten liegen die Geschenke, die Per von seinen Freunden bekommen hat. Eine Piratenpistole, ein Raumschiff zum Selberbauen, für das sich vier Freunde zusammengetan haben, ein Kartenspiel, ein Buch über Roboter, eine Krimi-CD. Pers Mutter kommt aus der Küche und setzt sich zu ihm.

„Na, war es ein schöner Geburtstag?“, fragt sie.

„Der beste!“, sagt Per.

Seine Mutter hatte für ihn und seine Freunde eine Schnitzeljagd vorbereitet. Sie führte quer durch den Park, in das Gebäude, in der die Firma seiner Mutter ist, wieder raus, rüber über drei Straßen und quer über seinen Schulhof. Auf dem Schulhofspielplatz mussten sie dann einen Schatz suchen, der ungefähr einen Meter tief in der Erde verbuddelt war. Danach gab es zu Hause ein Geburtstagsessen, Schokolade und Kuchen, so viel man wollte, und Limonade! Und dann haben sie in der Wohnung Verstecken gespielt. Dabei ist alles unordentlich geworden, und das Geschenkpapier ist quer durch Raum geflogen. Hier sitzt Per nun. Seine Freunde sind weg. Und ihm ist es ganz schwindelig vor lauter Geburtstagsfeiern.


„Deine Uroma kommt nachher noch“, sagt seine Mutter.

„Oh“, entfährt es Per. Es klingt nicht fröhlich. Das ist Per auch nicht. Seine Uroma mag er nicht besonders gern. Sie ist sehr streng. Ganz anders als seine Oma. Aber die wohnt weit weg, und Per sieht sie nur selten. Ihre Mutter, also seine Uroma, lebt dagegen nur ein paar Straßen weiter.

Wenn sie da ist und Per fernsieht oder YouTube-Videos anschaut, dann sagt sie immer: „Dieses Zeug ist ja fürchterlich. Und überhaupt ist Fernsehen nicht gut. Du solltest lieber Sport machen.“

Wenn Per mit seinem Roller fährt, dann sagt sie: „Diese neue Mode ist ja fürchterlich. Neulich hat mich jemand fast umgefahren!“

Und dass Computerspiele deshalb so toll sind, weil man in ihnen eine Geschichte erleben kann, das kann seine Uroma nicht verstehen.

„Uroma will dir doch auch zum Geburtstag gratulieren. Und sicher hat sie ein Geschenk für dich“, sagt die Mutter.

„Bestimmt selbst gestrickte kratzige Wollsocken“, antwortet Per.

In dem Moment klingelt es. Die Mutter besteht darauf, dass Per aufmacht. Der rappelt sich auf und trottet zur Tür.

„Wer ist da?“, fragt er durch die geschlossene Tür. Natürlich weiß er genau, wer da ist.

Die Urgroßmutter fängt im Treppenhaus an, aus voller Brust ein altes Geburtstagslied zu schmettern. Schnell macht Per die Tür auf. Alle Menschen, die er kennt, singen Happy birthday to you – nur seine Urgroßmutter singt irgendein Lied, das vor hundert Jahren aus der Mode gekommen ist, weil Happy birthday ja Englisch ist und also zu modern. Sie singt es so, als sei sie bei den Pfadfindern und sein Geburtstag ein Wandertag.

„Alles Liebe und Gute zum Geburtstag, Per!“, sagt die Urgroßmutter nun und streckt die Hand aus. Auch das findet Per total komisch, dass sie ihm immer die Hand gibt, statt ihn zu umarmen, so wie seine Oma. Per nimmt die Hand und drückt sie fest. Dabei sieht er seiner Urgroßmutter in die Augen. Das ist ihr sehr wichtig, ein fester Händedruck und dabei in die Augen sehen. Sie ist eine kleine, schmächtige Frau, kaum größer als er. Man würde ihr gar nicht zutrauen, dass sie so laut singen kann. Sie hat ihre weißen Haare zu einem Dutt nach hinten gebunden und trägt einen grauen Mantel. Sie ist sehr braun. Wann immer das Wetter es zulässt, sitzt sie im Park und liest dort ihre alten Bücher. In dem braunen Gesicht blitzen ihre Augen hell.

„Danke“, sagt Per und schielt auf das große Paket, das seine Urgroßmutter unter dem Arm trägt.

„Bleib ein anständiger Junge!“, sagt sie.

„Hmhm“, macht Per.

„Bitte schön!“ Sie gibt ihm das Paket. Per nimmt es und flitzt ins Wohnzimmer, vorbei an seiner Mutter, die jetzt der Urgroßmutter die Hand gibt. Sie ist wirklich sehr altmodisch.

Per reißt das Papier von dem Geschenk. Socken sind es schon mal nicht. Ein Karton kommt zum Vorschein. Per öffnet ihn, während er seine Urgroßmutter sagen hört: „Oh, wie sieht es denn hier aus?“

„Wir hatten Kindergeburtstag und sind noch nicht zum Aufräumen gekommen“, gibt die Mutter schnell zurück.

Per sieht, dass in dem Karton jede Menge Schachteln und ein großes Album sind. Er holt sie heraus. Vielleicht sind es diese Sticker, die alle in seiner Klasse sammeln? Oder Quartettspiele von Autos oder Flugzeugen? Er schlägt eine Kiste auf. Es sind – Briefmarken. Und ein leeres Briefmarkenalbum.

„Oh“, sagt Per wieder. Er hat keine Ahnung, was er mit einem Briefmarkenalbum anfangen soll.


„Das hatten früher alle Jungen!“, erklärt seine Urgroßmutter stolz.

„Danke.“ Per schiebt das Album beiseite und zupft eine Briefmarke aus der Kiste. Auf ihr ist ein Schiff zu sehen, ein merkwürdiges Schiff mit einem hohen Schornstein. „Sind die alt?“

„Ja. Die habe ich noch von früher.“

„Und sind die wertvoll oder was?“

„Der Wert ist, dass man sie sammelt“, sagt die Urgroßmutter bedeutungsvoll. Per hat keine Ahnung, was sie ihm damit sagen will. Vielleicht so etwas wie Früher war alles besser?

„Du kannst ja schon mal alle Geschenke in dein Zimmer bringen. Ich räume das Papier weg“, rettet seine Mutter die Situation.

„Kann der Junge das Papier nicht selbst wegräumen?“, fragte die Urgroßmutter.

„Bestimmt. Aber heute braucht er es nicht. Es ist ja sein Geburtstag“, sagt die Mutter fest.

Und so sieht Per seine Urgroßmutter erst wieder, als sie sich verabschiedet. Während sie mit seiner Mutter in der Küche gesessen hat, hat er erst die Pistole unter sein Kopfkissen gelegt, dann das Raumschiff zusammengebaut. Und dann hat er die Briefmarke, die er aus der Kiste gezogen hat, in das Album gesteckt. Nun zieht Per einen Stapel Briefe hervor. Auf ihnen kleben ebenfalls Briefmarken. Und die Schrift auf ihnen sieht aus wie eine Geheimschrift. Griechen schrieben so ähnlich, weiß Per, oder Ägypter. Er nimmt die Briefe und geht in die Küche. Dort nimmt er sich eine Schere aus der Schublade. Seine Mutter kommt mit einem Berg voll Geschenkpapier im Arm aus dem Wohnzimmer und fragt: „Was machst du?“

„In dem Paket waren noch so Briefe drin. Ich schneide die Marken aus und löse sie ab.“

„Zeig mal“, bittet ihn die Mutter, und Per hält ihr fragend die Briefe hin. „Ist das Griechisch?“

„Nein, das ist Sütterlin“, schmunzelt seine Mutter.

Per blickt sie verwundert an. Er hatte mal eine Krankheit und durfte vierzehn Tage nicht in die Schule gehen. Seine Urgroßmutter hat auf ihn aufgepasst, als seine Mutter beim Arbeiten war. Es war fürchterlich. Die Krankheit hieß so ähnlich wie die Schrift. Er hat das Wort schon wieder vergessen.

„Uroma kann die bestimmt noch lesen“, sagt seine Mutter.

„Na und?“, meint Per.


„Bevor du die Briefe zerschneidest, frag sie doch mal, was da drinsteht.“

„Uroma hat gesagt, der Wert kommt vom Sammeln.“

„Ja, aber nicht das Papier macht den Wert, sondern die Geschichten, die es erzählt“, sagt die Mutter. Und das versteht Per. Vielleicht sind Briefmarken wie ein Computerspiel.

Kleine Helden, große Abenteuer

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