Читать книгу Würden Sie Gerda Holl verurteilen? - Robert Heymann - Страница 6

II.

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Johanna ist wie eine Mutter um Michael bemüht. Sie flößt ihm Kognak ein. Er kommt langsam zu sich.

Das Denken fällt ihm schwer.

Sein verstörtes Gesicht birgt er an der Brust der einfachen Frau:

„Sagen Sie, Johanna — ist das wahr? Ist das alles Wirklichkeit? Furchtbare Wirklichkeit?“

„Ja, es ist wahr, Herr“, antwortet sie. Ihm fällt auf, wie sonderbar gefaßt sie ist.

„Warum sind Sie so ruhig, Johanna?“ sagt er zornig und bedauert im gleichen Augenblick, daß er seine Nerven nicht besser in der Gewalt hat.

Sie wendet sich ab, denn eben kommt ein Beamter und holt sie zur Vernehmung.

„Schrecklich“, sagt ein anderer Polizist.

„Schrecklich!“ Er sucht den fassungslosen Michael zu trösten. Michael weint. Michael weint stoßweise wie ein Knabe. Die einfachen Worte, die der Beamte findet, tun Michael wohl. Der Polizist gibt der Hoffnung Ausdruck, daß der Erhängte doch noch gerettet werden kann. Er erzählt seltsame Fälle von kaum glaublichen Wiederbelebungen durch Sauerstoff.

„Sie sind immer noch im Bademantel“, fährt der Beamte fort. „Wo sind Ihre Kleider?“

„Ja“, erwidert Michael, ohne den Sinn der Frage gleich zu begreifen. Er fährt sich verwirrt durch das Haar. „Ach so, mein Anzug? Im Badezimmer — ich wollte mich umziehen — da erschreckte mich die Stille“.

Wieder überfällt ihn ein Weinkrampf.

Der Beamte holt ihm seine Sachen und geht hinaus.

Mit zitternden Händen kleidet sich Michael an. Immer muß er an Frau Gerdas rührende Schönheit denken. Und an die fürchterliche Grimasse des toten Malers Holl. Ich war ihm eigentlich nie sehr zugetan, denkt er. Er war ein sonderbarer Mensch, und zu Helen war er nicht gut. — —

Inzwischen hatte die Mordkommission ihre Arbeit begonnen. Frau Gerda Holl war kaum recht bei Besinnung, als sie nach ihrer Mutter rief. Sie wollte in das Wohnzimmer hinabeilen, denn irgend jemand hatte davon gesprochen, daß Frau Leyden sich noch immer unten befände. Aber der Regierungsrat hinderte sie daran, das Zimmer zu verlassen.

„Ihre Mutter befindet sich nicht wohl ..“

Frau Gerda schrie, man dürfe es ihr nicht verwehren, ihre Mutter zu sehen; da trat der Arzt ein und erklärte ihr, daß er es bei dem Zustand, in dem sie sich befände, nicht erlauben könnte, daß sie sich erneut errege.

„Sie ist tot?“ schrie Frau Gerda.

„Nein, ich gebe Ihnen mein Wort, sie ist am Leben“, erwiderte der Arzt. „Beruhigen Sie sich, Sie werden nachher Gelegenheit haben, sie zu sehen.“

„Aber irgend etwas ist geschehen!“

„Sie lebt, das muß Ihnen im Augenblick genügen. Ich gebe Ihnen keinesfalls die Erlaubnis, sich und die Kranke von neuem aufzuregen.“

„Sie ist also krank?“

„Ja, aber sie befindet sich bereits in ärztlicher Obhut.“

„Seien Sie doch vernünftig, gnädige Frau“, sagte Kriminalrat Trettner. „Es handelt sich doch nicht nur um Sie, sondern auch um die Gesundheit Ihrer Frau Mutter. Wollen Sie denn durch eine Szene die unglückliche alte Dame in neue seelische Verwicklungen stürzen?“

Frau Gerda sank auf ihr Bett zurück.

Der Regierungsrat bat sie um Auskünfte.

„Ich bin zu schwach, um jetzt zu sprechen“, erwiderte Frau Gerda. „Ich will, daß man Michael holt.“

Der Regierungsrat sah den Kriminalrat fragend an.

„Michael ist der Legationssekretär, Verlobter der Tochter“, sagte dieser.

Der Regierungsrat schüttelte den Kopf.

„Nein, gnädige Frau, ich kann auch nicht gestatten, daß jetzt Ihr zukünftiger Schwiegersohn geholt wird. Sie stehen unter dem frischen Eindruck der Ereignisse. Ich muß Sie bitten, uns jetzt Rede zu stehen. Sie selbst haben doch das größte Interesse daran, daß wir so rasch als möglich Licht in diese dunkle Geschichte bringen!“

„Ja“, erwidert Frau Gerda und zieht den blauen Morgenmantel, den die Zofe ihr gebracht hat, fester über der Brust zusammen. „Es ist kalt hier, ich friere.“

Der Kriminalrat befiehlt, daß der Ofen im Keller angeheizt wird.

„Ich will Herrn von Riedner hier haben“, beharrt Frau Gerda.

Aber wie der Regierungsrat nun ihrem Wunsche doch nachkommen will, ruft sie lebhaft:

„Nein! Er soll nicht zugegen sein, wenn ich aussage. Ich will es nicht!“

Der Regierungsrat macht eine zustimmende Handbewegung.

„Erzählen Sie also, gnädige Frau. Wie war das gestern abend, nachdem Sie gespeist hatten ...“

„Ich habe mich mit meinem Gatten gestern etwa um 11 Uhr abends zurückgezogen ...“

„Verzeihung“, unterbrach sie Regierungsrat Dr. Hofer, der die Mordkommission führte, während sich Kriminalrat Dr. Trettner vorläufig noch Notizen machte, „verzeihen Sie, gnädige Frau. Wo haben Sie den Abend verbracht? In den unteren Räumen oder im ersten Stock?“

„Im Eßzimmer, hier im ersten Stockwerk. In diesem Flügel liegen: das Atelier meines Mannes, unsere Schlafräume, neben dem meinen noch das Schlafzimmer meiner eben abwesenden Tochter, ihr Arbeitszimmer, ein Fremdenzimmer. In dem anderen Flügel sind das Musikzimmer und das Eßzimmer!“

„Ich danke. Das Verhältnis zwischen Ihnen, Ihrem Gatten und Ihrer Tochter ist stets ein gutes gewesen?“

„Durchaus. Wir lieben Helen, und sie ist die beste und treueste Tochter der Welt.“

„Also, Sie befanden sich im anderen Flügel im Eßzimmer. Bis 11 Uhr abends?“

„Ja. Dann gingen wir in unsere Schlafräume.“

„Die Dienerschaft war bereits fortgegangen?“

„Nein. Erst als wir zu Bett gingen, verließen die Köchin und das Zimmermädchen das Haus.“

„Ist es Ihre Gewohnheit, zu so später Abendstunde noch Ihrem Personal die Erlaubnis zu geben, auszugehen?“

„Die Mädchen wollten noch tanzen. Sie wissen, Herr Regierungsrat, unsere Zeit hat darüber ihre eigenen Ansichten. Ich kann die Mädchen nicht zurückhalten.“

„Sie hatten keinen Gast?“

„Niemanden.“

„Und zwischen Ihrem Gatten und Ihnen hat keine Auseinandersetzung stattgefunden?“

Frau Gerda zögert. Sie schüttelt den Kopf, aber wie sie den durchdringenden Blick des Regierungsrates fühlt, antwortet sie verwirrt: „Doch ja! Eine unbedeutende Meinungsverschiedenheit!“

„Darf ich wissen, wodurch diese Meinungsverschiedenheit entstanden ist?“

„Muß ich es sagen?“

„Unbedingt!“

„Mein Gatte weigerte sich, in die Scheidung unserer Ehe zu willigen!“

„Oh! Das ist wichtig! Sie wollten sich scheiden lassen?“

„Ja.“

„Und Ihr Gatte? Traf ihn irgendein Verschulden? Oder ...“

Frau Gerda schaut zu Boden. Sie denkt nach. Kriminalrat Dr. Trettner hat zu schreiben aufgehört. Er betrachtet Frau Holl mit zusammengekniffenen Augen.

„Mein Gatte ist mir nicht treu gewesen ...“

„Sie haben Beweise?“

„Nicht gerade Beweise. Eine Frau fühlt das.“

„Ihr Gatte verhielt sich Ihren Plänen gegenüber ablehnend?“

„Ja.“

„War die Auseinandersetzung erregt?“

„Mein Gatte wurde immer sehr leicht erregt.“

„Und befand sich in Ihrer Gesellschaft Ihre Frau Mutter?“

„Gewiß. Meine Mutter war zugegen.“

„Haben Sie irgend etwas Auffälliges an ihr bemerkt? Wie nahm sie den Wortwechsel zwischen Ihnen und Ihrem Gatten hin?“

„Ich glaube, ziemlich gleichmütig.“

„Demnach war Ihre Ehe sehr unglücklich?“

„Wer sagt das?“

„Wenn Ihre Frau Mutter der Szene gegenüber gleichmütig geblieben ist, so war dies nicht die erste Auseinandersetzung, der sie beigewohnt hat!“

Frau Gerda schweigt.

„Bitte, wollen Sie uns weiter erzählen, was dann geschah, als Sie sich zurückgezogen hatten? Ging Ihr Gatte gleichzeitig mit Ihnen in sein Schlafzimmer?“

„Ich hörte ihn noch umhergehen. Eben wollte ich mich schlafen legen, als ich in dem Zimmer meines Gatten ein ungewöhnliches Geräusch hörte. Ehe ich aber zur Besinnung kam, mir vorstellen konnte, was das zu bedeuten hatte, hörte ich laute Stimmen und dann ein Toben, als kämpften Männer. Gegenstände fielen zu Boden. Ich eilte ans Fenster, um Hilfe herbeizurufen. Da stürzten zwei Männer ins Zimmer und rissen mich mit brutaler Gewalt zurück. Während der eine mich festhielt, steckte mir der andere einen Knebel in den Mund. Ich war nicht mehr imstande zu schreien. Ich konnte nicht einmal um mein Leben bitten. Die Elenden banden mich mit rohen Witzen an das Bett. Schließlich verlor ich das Bewußtsein.“

„Aber in jenem Augenblick, während die Verbrecher Sie überwältigten und festbanden, haben Sie doch ihre Gesichter gesehen?“

„Nein, sie waren vermummt —“

„Aber man bekommt doch irgendeinen Eindruck, auch wenn sich eine Begebenheit noch so schnell abspielt! Gehörten die Männer einer besseren Gesellschaftsklasse an, oder waren es typische Verbrechergestalten?“

„Ich glaube, mich zu erinnern, daß es einfache Menschen waren.“

„Können Sie sie uns näher beschreiben?“

„Ich fürchte, nein, denn ich verlor, wie gesagt, sehr schnell das Bewußtsein. Als ich wieder zu mir kam, war alles still. Ich konnte nicht rufen, mich nicht bemerkbar machen, mußte viele Stunden in meiner entsetzlichen Lage verharren, bis heute morgen Herr von Riedner, mein zukünftiger Schwiegersohn, kam und mich befreite.“

Auf die Frage des Regierungsrates Dr. Hofer, warum Frau Holl nicht die kurze Spanne Zeit, die ihr geblieben war, ehe die Verbrecher sie vom Fenster zurückgerissen hatten, ausnutzte, um laut zu schreien, antwortete Frau Gerda: „Ich war meiner Stimme nicht mehr mächtig. Ich war wie gelähmt. Mir war zu Mute wie einem Menschen, der Entsetzliches träumt, schreien will und keinen Laut aus der Kehle bringt. Im übrigen waren die Jalousien herabgelassen. Man hätte mich gar nicht gehört.“

„Haben Sie das alles in jenem kritischen Augenblick gedacht, oder erwägen Sie es erst jetzt?“

„Der Gedanke ist mir erst jetzt gekommen. Ich habe in jenen furchtbaren Minuten überhaupt nicht gedacht!“

Dies also war der einfache Tatbestand. Die Verbrecher waren zweifellos durch die offenen Fenster bei dem Maler Holl eingedrungen. Das Gartengelände war an dieser Seite des Hauses stark ansteigend, so daß die Fenster hier etwa nur anderthalb Meter über dem Erdboden lagen. Unter den Fenstern fanden sich zudem von Fußspuren Fragmente im Humus des Gartens. Aber es hatte während der Nacht geregnet, die Spuren waren verwischt, man konnte nicht viel mit diesem Beweismittel anfangen. Zwei angesetzte Polizeihunde liefen ein Stück durch den Park in den Grunewald, machten dann einen großen Bogen und landeten schließlich in der Heerstraße, also auf der entgegengesetzten Seite. Hier versagten sie.

„Die Verbrecher sind von hier ab mutmaßlich in einem Auto geflohen“, sagte Kriminalrat Trettner. Die Beamten hatten, was Michael in seiner grenzenlosen Erregung entgangen war, sofort festgestellt, daß der Geldschrank in dem Zimmer des Erhängten offen stand. Ob und was die Verbrecher geraubt hatten, ließ sich endgültig zunächst nicht feststellen. Frau Gerda war der Meinung, ihr Gatte habe mindestens zehntausend Mark in dem Schrank aufbewahrt.

„Vermögen?“ fragte der Regierungsrat.

„Eine Summe, die mein Gatte erst vor kurzem durch den Verkauf seines letzten Bildes erzielt hatte.“

„Ihr Gatte war Maler von Beruf? Nicht nur aus Neigung?“

„Von Beruf.“

„Der Name Ihres Gatten wurde in den letzten Jahren immer häufiger genannt. Sie lebten in guten Verhältnissen?“

„Ja“, erwidert Frau Gerda zögernd.

„Und wer war der letzte Bilderkäufer? Von wem stammen die zehntausend Mark?“

„Von Herrn Gutsbesitzer Alfred Kürtner.“

„Kürtner — Kürtner, Abgeordneter Kürtner?“

„Ja.“

„Seine Güter liegen bei Prenzlau?“

„Ja! Sie kennen ihn, Herr Regierungsrat?“

„Oberflächlich!“

Frau Gerda konnte nur schwer sprechen. Immer wieder wurde sie von heftigem Schluchzen geschüttelt. Die Beamten, wagten noch immer nicht, ihr mitzuteilen, daß ihre Mutter in dieser verhängnisvollen Nacht einen Schlaganfall erlitten hatte.

Aber Frau Holl kam von selbst wieder auf ihre Mutter zurück.

„Kommt meine Mutter nicht?“ schrie sie plötzlich wild auf. „Was ist denn mit ihr geschehen? Warum sagen Sie mir nicht endlich die Wahrheit? Ich will wissen, wo sich meine Mutter befindet!“ Und mit einem forschenden Blick in die verlegenen Gesichter der Beamten: „Ist denn ein neues Unglück passiert? Sagen Sie es mir! Was ist mit ihr geschehen?“

Sie schlug die Hände vors Gesicht. „Sie ist tot! Sie ist doch tot! Sie sagen es mir nicht! Sie belügen mich!“

„Beruhigen Sie sich doch“, erwidert der Kriminalrat. „Mein Wort, sie lebt. Aber sie ist krank. Schwer krank.“

„Es ist einfach unmöglich, daß Sie Ihre Mutter jetzt schon sehen, gnädige Frau“, setzte der Regierungsrat hinzu.

Frau Gerda sank wieder lautlos weinend in sich zusammen.

„Strangulationsspuren sind beim besten Willen nicht festzustellen“, sagte der Gerichtsarzt achselzuckend, von der Untersuchung in dem Schlafzimmer des Kunstmalers Holl kommend. Er stand unter der Tür und rückte an seinen Brillengläsern. Die Herren gingen wieder in das Mordzimmer und ließen Frau Gerda unter der Obhut ihrer Zofe.

Regierungsrat Hofer und der ihn begleitende Kriminalrat konnten die Feststellungen des Arztes kaum glauben.

„Keine Strangulationsspuren?“ sagte Trettner. „Dann läge doch Selbstmord vor.“

Der Arzt machte eine stumme, verlegene Handbewegung.

„Auch sonst keine Spur einer Anwendung von Gewalt? Keine Wunde? Keine Quetschung? Bluterguß unter der Haut? Nichts?“

„Nichts!“

„Aber Selbstmord ist doch einfach ausgeschlossen!“ sagte Trettner, bestimmt. „Wenn sich der Mann selbst erhängt hätte, müßte er auf irgendeinen Gegenstand gestiegen sein. Er kann sich doch nicht in der Luft hängend den Strick um den Hals gelegt haben!“

„Sicher nicht“, pflichtet der Arzt bei.

„Aber weder der Schemel, noch ein umgekippter Stuhl, noch sonst ein Möbelstück war in der Nähe des Toten zu entdecken! Wir haben das doch sofort festgestellt!“

„Bleibt nur die Lösung, daß der Herr Legationssekretär, der die Leiche abgeschnitten hat, Spuren verwischte, ohne sich seiner Ungeschicklichkeit bewußt zu sein“, bemerkte der Regierungsrat. „Immer wieder der alte Fehler! Das Publikum wird doch hinreichend darüber aufgeklärt, daß am Tatort eines Verbrechens alles unverändert bleiben müsse!“

Der Arzt schüttelt den Kopf.

„Er konnte doch den Mann nicht weiter am Strick hängen lassen, dessen Leben vielleicht noch zu retten war. Es handelt sich doch wirklich oft genug um Minuten!“

„Auch richtig!“ brummt Trettner.

Michael und sein Chauffeur werden geholt. Sie bestätigen, daß sie in der Nähe des Toten kein Möbelstück bemerkt hätten. Daß sie den Toten abgeschnitten hätten — natürlich. Es blieb doch wirklich keine Zeit, darüber nachzudenken, ob Spuren verwischt werden könnten. Aber sie könnten mit vollkommener Bestimmtheit bestätigen, daß die Füße des Toten keinen Stützpunkt unter sich gehabt, und daß sie nichts dergleichen aus dem Wege geräumt hätten.

„Irrtum ausgeschlossen?“ fragt Trettner.

„Vollkommen ausgeschlossen!“ erwidert Michael.

„Also Mord!“ sagt der Regierungsrat. „Der Mann muß sich aber doch gewehrt haben — und hat sich auch gewehrt, wie die Witwe bekundet. Sie hörte doch, wie ihr Gatte Widerstand geleistet hat. Auch Gegenstände fielen um —“

„Aber das kann nicht stimmen“, entgegenet Trettner. „Hier ist alles in schönster Ordnung. Nicht ein Stuhl ist umgeworfen —“

„Seltsam!“

Der Arzt setzt hinzu: „Der Tote weist keine Verletzung auf. Auch sonst zeigt der Körper keine Spur von irgendeiner Gewaltanwendung.“

Das Zimmer wurde von neuem durchsucht. Alle Möglichkeiten eines Selbstmordes mit logischer Schärfe erwogen: Daß etwa doch der Stuhl, auf den der Maler Holl sich gestellt hatte, um sich selbst die Schlinge um den Hals zu legen, von den zappelnden Füßen des Selbstmörders weit hinweggeschleudert sein könnte, ohne umzufallen.

Oder: Daß Holl vom Tisch aus den Selbstmord in Szene gesetzt hätte und dann abgesprungen sei. Aber nach den peinlichsten Berechnungen mußten die erfahrenen Kriminalisten feststellen, daß keine dieser Möglichkeiten in Frage kommen konnte.

Der Arzt ordnete die Überführung der Leiche ins Schauhaus an. Die Beschlagnahme durch die Staatsanwaltschaft war schon telegraphisch ausgesprochen worden.

„Vielleicht wird das Rätsel durch die Obduktion gelöst“, sagt Dr. Hofer.

Der Doktor zuckt die Achseln. „Unwahrscheinlich, Herr Regierungsrat, daß sich noch neue Gesichtspunkte ergeben sollten.“

„Und wann, nehmen Sie an, ist der Tod eingetreten?“

„Vor etwa vier Stunden“, antwortete der Arzt.

Der Regierungsrat sah den Kommissar vielsagend an.

„Die Witwe behauptet doch ...“

„Ja, sie behauptet, der Überfall habe gestern Abend um 11 Uhr stattgefunden. In dieser Aussage liegt, denke ich, der Mittelpunkt des Rätsels. Frau Gerda Holl hat erklärt, sie habe sich um 11 Uhr abends zurückgezogen. Alsbald sei der Überfall erfolgt. Nehmen wir an, sie habe nicht auf die Uhr gesehen und überhaupt keinen rechten Zeitbegriff mehr gehabt — sie war schläfrig — zerstreut —“

„Haben Sie nicht bemerkt. Herr Dr. Trettner, daß im Zimmer der Witwe dem Bett gegenüber eine Uhr steht? Sie soll keinen Blick darauf geworfen haben, als sie sich entkleidete? Und dann, nach der Fesselung durch die Eindringlinge mußte sie ja den Kopf nach jener Seite hin gerichtet halten!“

„Sie verlor doch das Bewußtsein“, erwidert Trettner. Aber er lächelt merkwürdig.

„Wir müssen uns noch Klarheit verschaffen“, sagt der Regierungsrat scharf.

Sie gehen wieder zurück in das Schlafzimmer Frau Gerda Holls.

Würden Sie Gerda Holl verurteilen?

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