Читать книгу Würden Sie Gerda Holl verurteilen? - Robert Heymann - Страница 8
IV.
ОглавлениеEin seltsames Knurren ließ sie alle umblicken.
Da stand wie aus dem Boden gewachsen, mit heraushängender Zunge, ein Schäferhund. Ein schönes Exemplar aus edler, schottischer Rasse. Er zeigte die Zähne, sträubte das Fell und sah sich mit derselben Erregung um, die in allen diesen Menschen zitterte.
„Was soll das?“ fragt Kriminalrat Trettner, der mit dem Regierungsrat eben aus Frau Gerdas Zimmer kommt. „Wie kommt der Hund hierher?“
Niemand hat ihn hereingelassen. Der Hausarzt lockt das Tier. „Wolf, komm hierher! Was fehlt dir, Wolf? Wo bist du gewesen?“
Das Tier zieht die Rute ein, regt sich aber nicht von der Stelle.
„Holls Hund“, sagt der Arzt.
„Aber wo war der Hund?“ fragt der Regierungsrat. „Wie ist er aus dem Hause gekommen? Wie kam er wieder herein?“
Niemand hat den Hund bisher bemerkt. Von den Polizisten, die die Absperrung des Hauses durchführen — und die ganze Straße steht unter Bewachung — wird Auskunft eingeholt. Sie haben den Hund gesehen — er ist mit einem Menschen hereingekommen, der sich legitimiert hat. Ein schmächtiger, hochgewachsener Mann mit eingefallenem Gesicht löst sich aus einer dunklen Ecke der Galerie und tritt in das Zimmer.
„Ich habe den Hund hereingelassen“, sagt er lachend, im Berliner Jargon. „Die Herrschaften haben Rätsel geraten, was?“
„Wer sind Sie?“ fragt Trettner ärgerlich.
„Alexander Kargiewicz.“
„Ah! Alexander. Wo waren Sie in dieser Nacht?“
„In verschiedenen Lokalen. Weiß nicht mehr so genau!“
„Kommen Sie näher! Wir haben dringend mit Ihnen zu sprechen!“
Alexander gähnt, während er näher in den Kreis der Personen tritt.
„Sagen Sie mal, Menschenskind“, redet ihn der Kriminalrat an, „Sie kommen mit einem Witz hier herein! Wissen Sie denn nicht, was sich hier ereignet hat?“
Alexander, der die Gelähmte schon bemerkt haben muß, wirft der alten Dame einen kurzen Blick zu:
„Schlaganfall, was?“
„Ja, ahnen Sie denn wirklich nicht, daß hier ein Verbrechen geschehen ist?“
„Die Leute am Bau da drüben haben mir so etwas erzählt, als ich vorbeikam, ja!“
„Die Leute haben Ihnen doch sicher gesagt, daß Herr Holl ermordet wurde!“
„Ja, das haben sie gesagt. Und daß Frau Holl verhaftet wurde. Die hat doch den Mann schon lange über gehabt!“
„So! So! Also Sie wissen, daß sich hier etwas Furchtbares ereignet hat, und dann kommen Sie in einer Art herein, als ob hier ein Cabaret wäre! Mann! So betrunken sind Sie doch wohl nicht mehr!“
Alexander holt sich eine Zigarette aus der äußeren Brusttasche, aus der ein spitzenbesäumtes Taschentuch hängt. Dies, sein Gehabe, seine Haltung, alles wirkt feminin an ihm. Umsomehr fällt die Roheit seines Wesens auf. Der Kriminalrat nimmt ihm die Zigarette fort.
„Lassen Sie das! Beantworten Sie meine Frage: läßt Sie das vollkommen kalt, was hier geschehen ist?“
Alexander zieht einen schiefen Mund.
„Das sind Leuteschinder hier, verstehen Sie? Der Alte war so einer und die Gnädige ist auch so eine hochmütige Neureiche. Kann mich nicht berühren, wenn die auch mal unter die Räder kommen.“
Der Hund kam näher, sträubte das Fell und gab einen kurzen knurrenden Laut von sich.
Alexander versetzt ihm einen Fußtritt. Aufheulend weicht der Hund zurück, kommt aber sofort mit drohendem Knurren wieder näher. Bleibt in seiner rätselhaften, gespenstischen Stellung vor dem Beamten stehen und zeigt Alexander die Zähne. Seine Augen glühen unheimlich, und ganz plötzlich bricht er in ein wildes, feindseliges Bellen aus.
„Wo schläft der Hund für gewöhnlich?“ fragt Trettner sichtlich erregt die Zofe.
„Im Zimmer des Herrn Holl!“
„Was hat der Hund gegen Sie?“ wendet sich Trettner an Alexander. Ohne eine Antwort abzuwarten geht er wieder auf die Galerie hinaus und sagt nur:
„Folgen Sie mir!“
Der lange schmächtige Mensch leistet der Aufforderung sichtlich widerwillig Folge. Er schaut sich um. Überall stehen Polizeibeamte und beobachten ihn. Kopfschüttelnd geht er weiter.
Auf Befehl des Regierungsrates führt die Zofe, der das Tier das meiste Zutrauen bezeigt, den Hund hinterher.
Nun befinden sich der Regierungsrat, der Kriminalrat, der Kommissar und die Ärzte mit Alexander im Zimmer des Toten. Der Sanitätswagen, der die Leiche abholen soll, ist noch nicht eingetroffen. Der Tote liegt unter einem Leintuch auf dem Bett.
Trettner tritt an das offene Fenster und blickt hinaus. An der Mauer sind Spaliere mit wildem Wein angebracht.
„Klettern Sie einmal hier hinaus“, sagt der Kriminalrat zu Alexander.
„Hier hinaus? Nanu? Da müßte ich‘n Vogel haben!“
„Sie sind doch in dieser Nacht auch hier herausgeklettert!“
Alexander schaut den Beamten unsicher an und wird kreidebleich.
„Ich? Hier? Aber das ist ja ‘ne Erfindung!“
Der Hund neben ihm knurrt unausgesetzt.
„Versuchen Sie’s“, beharrt Trettner. „Steigen Sie wenigstens auf das Fensterbrett, ich will sehen, welchen Weg der Einbrecher genommen hat, als er das Haus verließ.“
Alexander setzt einen Fuß mühsam vor den anderen. Kaum steht er auf dem Fensterbrett, da reißt sich der Hund mit wütendem Geheul von der Hand des Mädchens los, das ihn am Halsband festhält. Sein Heulen geht in ein infernalisches Bellen über, und mit dem Ausdruck der höchsten Wut stürzt er sich auf Alexander Kargiewicz, der vom Fensterbrett förmlich heruntertaumelt und zu Boden stürzt. Der Ansatz des Hundes aber ist so stark und wild gewesen, daß er in weitem Bogen aus dem Fenster in den Garten geflogen ist.
Das Mädchen schreit auf. Aber der Kriminalrat beugt sich ruhig aus dem Fenster.
„Ein guter Springer. Eben biegt er wieder um die Ecke und jagt um das Haus herum. Nun wissen wir, wie das Tier in dieser Nacht aus dem Fenster kam! Es verfolgte den oder die Verbrecher, als sie den Rückweg antraten!“
Er wendet sich Alexander Kargiewicz zu:
„Sieht es nicht ganz so aus, als ob das Tier in Ihnen den Mann wiedererkannt hätte, der heute Nacht hier eingedrungen ist — der mindestens aus diesem Zimmer geflohen ist?“
„Unsinn“, stammelt Alexander. „Reiner Unsinn!“
Ein Beamter tritt ein. Er hat die Angaben Alexanders über seine nächtliche Bierfahrt in verschiedenen Lokalen telephonisch nachgeprüft.
Nach den ersten Informationen scheint nur ein Teil dessen zu stimmen, was Alexander Kargiewicz behauptet.
„Heben Sie die Arme hoch“, sagt Trettner und wirft dem Schutzpolizisten, der immer zur Verfügung steht, einen Blick zu.
Mit geschmeidigen und geübten Handgriffen durchsucht dieser den jungen Mann. Er fördert eine Menge Gegenstände zu Tage. Einen Dolch, eine Schußwaffe, Liebesbriefe, die auf den ersten Blick nach Handschrift und Orthographie als Absenderinnen Damen der Unterwelt verraten.
Schließlich eine dicke Brieftasche.
Trettner reißt sie auf.
Sie ist unnatürlich prall gefüllt und enthält in großen Scheinen viertausend Mark. Dazu kommen noch einige hundert Mark, die sich lose in der Seitentasche Alexanders vorfinden.
Über Trettners Gesicht geht es wie Wetterleuchten. Aber er legt die Brieftasche zunächst scheinbar achtlos beiseite.
„Wozu brauchen Sie einen Dolch, junger Mann?“
„Die Gegend ist unsicher, Herr Kriminalrat.“
„Und wozu brauchen Sie einen Browning? Wissen Sie nicht, daß es in Deutschland verboten ist, Waffen zu tragen? Sie haben sich bereits dadurch strafbar gemacht.“
„Aber wenn ich angefallen werde, soll ich mich mit Vergnügen killen lassen?“ erwidert Alexander frech. „Hier in der Gegend geht allerhand vor.“
„Das scheint mir auch“, entgegnet Trettner ironisch. „Sagen Sie mal: Sie haben bereits drei Schuß irgendwann abgegeben... wo war das? Wann war das?“
„Es ist lange her. Bei einen Ausflug im Grunewald.“
„Lügen Sie doch nicht so dumm, Mann“, erwidert Trettner zornig. „Wenn Sie im Grunewald dreimal schießen, sind Sie innerhalb einer halben Stunde festgenommen, darauf können Sie sich verlassen.“
„Es war aber doch im Grunewald, und ich wurde nicht festgenommen“, erwidert Alexander gereizt. „Es war nachts und da war weit und breit keiner zum Festnehmen zu sehen.“
Browning und Dolch wandern in die Hände des Polizisten.
Der Kriminalrat wiegt die Brieftasche, in die er die Scheine wieder zurückgeschoben hat, in der Hand.
Dann gibt er sie Alexander zurück.
Mit einer hastigen Bewegung steckt dieser die Tasche ein. In dem Gesicht des Regierungsrates steht das Staunen sichtlich und für jeden zu lesen. Aber auch der Schutzpolizist starrt seinen Vorgesetzten verständnislos an.
Aber niemand spricht ein Wort. Dr. Hofer greift mit keiner Bewegung in die Vernehmung ein.
„Setzen Sie Ihren Hut auf“, sagt Trettner streng.
Mit einer fremden Bewegung kommt Alexander diesem Befehl nach.
„Der Hut ist Ihnen ja zu groß! Ist das überhaupt Ihr eigener Hut?“
„Es ist ein alter Hut. Irgendwer hat ihn einmal bei uns zurückgelassen!“
„Warum tragen Sie einen fremden Hut?“
„Ich habe ihn in der Eile erwischt. Ein Zufall!“
„In der Eile? So eilig hatten Sie es, auf Ihre Bierfahrt zu kommen? Setzen Sie mal den Hut tief in die Stirne! Schlagen Sie den Rockkragen hoch!“
„Ich denke nicht daran, mich hier zum Narren machen zu lassen!“
„Ich rate Ihnen, sich diese Sprache abzugewöhnen! Gehorchen Sie!“
Widerwillig gehorcht Alexander.
Trettner geht wieder in das Zimmer Gerda Holls.
Sie ist aufgestanden und hat Toilette gemacht.
Der Kriminalrat betrachtet sie einige Augenblicke überascht. Sie wirkt wie ein junges Mädchen, denn sie beherrscht die kleinen Kunstgriffe der Kosmetik vollkommen, ohne sie zu übertreiben.
„Wollen Sie mir folgen, Frau Holl?“
„Gern, Herr Kriminalrat!“
Kaum hat sie das Zimmer, in dem ihr Mann gestorben ist, zögernd betreten, da stößt sie einen Schrei aus.
Ihre Augen haften auf dem Mann, den sie nicht erkennen kann, den sie mit hochgeschlagenem Rockkragen und mit tief in die Stirne gedrücktem Hut sieht.
„Ist das einer der Männer, die heute nacht hier eingedrungen sind?“ fragt der Kriminalrat und setzt in einem Tone, den man als Beeinflussung auslegen konnte, hinzu: „Ich bin überzeugt, wir haben den Richtigen.“
„Ja“, erwidert Frau Gerda tonlos. Ich glaube auch“ —
Alexander reißt den Hut vom Kopf und schreit Frau Gerda Holl eine unflätige Redensart ins Gesicht.
„Ich nehme Sie fest“, sagt Trettner und winkt den Schutzpolizisten näher heran.
Der stellt sich hinter Alexander. Frau Holl senkt vor den funkelnden Augen dieses jungen Mannes die ihren.
„Bitte, Frau Holl“, sagt Trettner nachdrücklich. „Sehen Sie sich den Mann an. Ist das einer der Eindringlinge von heute nacht?“
Frau Gerda hebt den Kopf. „Ich habe weder das Gesicht des einen noch des andern gesehen, Herr Kriminalrat.“
Trettner setzt Alexander den Hut wieder so auf, daß das Gesicht unkenntlich wird. Alexander reißt den Hut wieder herunter. Ein Wink Trettners, und schon sitzt die eiserne Acht an dem Handgelenk des Festgenommenen.
„So,“ sagt der Kriminalrat aufatmend, „junger Mann, nun werden Sie sich hoffentlich ruhiger verhalten.“
Er schlägt Alexander wieder den Rockkragen hoch, drückt ihm den Hut von neuem ins Gesicht.
„Sahen so die Leute aus, die bei Ihnen eindrangen?“ wiederholt er seine Frage an Frau Gerda.
„Ja, Herr Kriminalrat, so sahen die Leute aus.“
„Würden Sie also in diesem Menschen einen der Leute wiedererkennen, die Sie überfallen haben?“
„Ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, dieser und kein anderer ist der Mann, der mich mit einem Komplizen überfallen hat. Aber ich kann sagen: genau so sahen die Leute aus!“
Alexander ist ruhig geworden. Er gibt keinen Ton mehr von sich. Die Stahlfessel, an der der Schutzpolizist sein Handgelenk festhält, hat einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht. Er steht niedergeschlagen da und scheint sich in sein Schicksal zu ergeben. Von seiner Frechheit ist keine Spur mehr zu bemerken. Frau Holl hat sich wieder in ihr Zimmer zurückgezogen.