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Dichter und Leutnant.

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Der Hauptmann las den Brief in Flandern. Er sass im Hauptquartier und arbeitete. Der Himmel hing voller Regen.

Oberstdorf war voll von Verwundeten und Rekonvaleszenten.

Die Rätin machte eines Tages die Bekanntschaft eines Oberleutnants, der hier von einer schweren Verletzung genas. Er hatte ihren Namen im Fremdenbuch gelesen und war auf der Promenade an sie herangetreten.

Ob die gnädige Frau mit einem gewissen Hauptmann Scholz in Berlin verwandt sei? Er habe ihm oft von seiner Mutter, der Rätin, erzählt ...

Freilich, sie sei seine Mutter.

Dann wollte er ihr seine Ehrerbietung ausdrücken. Er und Franz, der Hauptmann, seien in Russland gute Freunde geworden. Die Rätin freute sich sehr. Über was hätte sie sich lieber unterhalten, als über ihre Söhne?

Am nächsten Tage lernte auch Violet den bayerischen Oberleutnant Rurk kennen. Er war ein stiller Mann mit einem blassen Gelehrtengesicht. Die Verwundung hatte ihn arg mitgenommen. Granatsplitter im Unterleib.

Doch nun ging er seiner Genesung entgegen. Violet überwand bald ihre anfängliche Schüchternheit. Sie fühlte, dass sie ihm gegenüber aus ihrer Zurückhaltung heraustreten durfte.

Die Tage gingen hin in stillem Frohsinn. Violet begann Oberleutnant Rurk zu lieben.

Und Dr. Rurk stand Abend für Abend an seinem Fenster und zerquälte sein Herz mit bangen Fragen.

Es war längst ihr Wunsch, die Umgegend kennen zu lernen. Da die Rätin keine Fusstouren machen konnte, so nahm Violet gerne die Einladung Rurks an, sich von ihm begleiten zu lassen.

Sie stiegen zusammen den Weg nach Reute empor. Violet war nicht müde, die Natur zu bewundern, die sich in reichster Schönheit gab.

„Hier sind Veilchen, Herr Doktor! Ach, ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass ich hier Veilchen finden würde!“

„Bergveilchen, Fräulein von Königsmark!“

„Welch zartes Blau! Und diese — — was ist das für eine Blume, Herr Doktor? Tiefblau mit stolzen Glocken?“

„Enzian; der Bergwelt herrlichste Perle neben Alpenrose und Edelweiss.“

Sie stiegen höher und höher. Manchmal musste Violet rasten. Sie atmete schwer.

„Fühlen Sie sich nicht wohl, gnädiges Fräulein?“

„O doch ... nur mein Herz klopft so sehr ... ich glaube, das macht das neue Klima.“

Er blickte sie fast bestürzt an. Langsam sank Oberstdorf in die grünen Felder zurück.

„Sehen Sie nur, Herr Doktor, wie die Schneeglöckchen schiessen!“

Er nickte. „Man hört sie läuten, wenn man nur den Sinn für lebendige Schönheit hat!

„In dieser Einsamkeit? Vielleicht. Ich weiss nicht. Doch ich fürchte, der Kampf würde mir fehlen. Ich brauche ihn, den Kampf mit der Zeit, mit dem Leben, mit Problemen, die ich zu beherrschen suche. Einstweilen beherrschen Sie mich.“

Sie waren höher gestiegen. Tief unten lag die gewundene Strasse nach Loretto. Eine Glocke klang im Tal. Vor ihnen stand, hingelehnt an den fruchtbaren Hang, eine kleine Kapelle. Just so gross, dass ein paar Menschen darin Platz finden konnten. Durch die offene Tür fiel das Sonnenlicht. Schätze hatte hier die Frömmigkeit der Allgäuer Bauern gehäuft.

Das Kirchlein gehörte zu Reutte. „Wollen wir eintreten, Fräulein von Königsmark?“

Sie nickte. Vor ihnen stand ein Tisch als Altar. Darauf die holzgeschnitzte Madonna, von allen Heiligen und alten Bildern umgeben.

„Sie mag 200 Jahre alt sein, gnädiges Fräulein. Sehen Sie die Schnitzart, die primitive Malerei! Und doch — — — Wie erhaben wirkt das in dieser Bergwelt! Vielleicht hat die Madonna noch das Blut der Bauern vom Walsertal gesehen, mit dem sie die Heimat gegen die Schwedenreiter verteidigten.“

Sie sassen in dem engen Betstuhl. Über ihnen der heilige Geist, aus Holz geschnitzt, mit zwölf vergoldeten Strahlen.

„Die Frömmigkeit Ihrer Worte ist wohltuend, Herr Doktor!“ sagte Violet.

Er lächelte. „Ja ich bin fromm. Nicht gläubig. Ich könnte sagen: konfessionslos. Aber doch ... ich bin fromm. Wie alle Menschen sein sollten. Dann würden sie sich eher mit dem Schicksal zurechtfinden.“

„Was ist das, das Schicksal, Herr Doktor?“

Sie hatte das Köpfchen auf die Hände gestützt und sah zu der Madonna hinauf. Draussen sank die Sonne tiefer. Ein goldener Strahl glitt durch die offene Türe und legte sich liebkosend in ihr Haar.

„Das Schicksal? Das ist ... die dunkle Macht, Fräulein von Königsmark. Manche sagen: Gott. Da mir aber das Persönliche in diesem Begriff nicht gefällt, so sage ich: die dunkle Macht. Die uns alle, Menschen und Dinge, zu ewigem Reigen zusammenwürfelt. Sei es, dass wir Willkür oder Zufall, Zwang oder Notwendigkeit in dem steten Ausgleich vermuten, der sich ganz natürlich gibt und den wir, je nachdem, gerechte Vorsehungen oder Sühne nennen. Die dunkle Macht ist des Dichters erhabenste Lehrerin. Denn wir können die Wahrheit doch nicht erfinden; nur umformen.“

Der Abend brach herein, als sie niederstiegen. In dem Dorfe flammten einzelne Lichter auf und lugten mit warmem Blick zu den beiden Menschen empor. Glockenklingend ging das Vieh zur Tränke. In letztem Purpur standen die Berggipfel, ehe die Nacht die letzten roten Tinten der Sonne auswischte. Der Wald reckte sich geheimnisvoll mit wunderlich geschnitzten Baumkronen in die Dämmerung hinein. Sie schritten den Wiesenweg entlang. An dem Feldkreuz hing ein Rest von Goldflimmer und tauchte die Gestalt des Heilands in Purpur und Glanz.

„Ich liebe dieses Tal,“ sagte Rurk, während er neben Violet herschritt. „Ja ich liebe es. Die Sehnsucht treibt mich immer wieder hierher. Ein tiefer, heiliger Frieden geht von diesen Bergen aus. Ihr Atem ist Gesundheit — — — auch seelische. Der Duft dieser Erde ist voll Kraft. Und nirgendwo hat die Sonne solchen Spielraum wie hier. Das Herz ist frei, die Gedanken werden bergstark. Man ist so gross, gesund und stolz in der Reinheit dieses Tales.“

„Wie Sie es lieben!“ sagte Violet bewundernd. „Ich liebe es wie Sie. Vielleicht, weil Sie es so voll Schönheit umfassen. Sie kommen oft hierher?“

„Jeden Sommer. Ich stamme aus Oberstdorf. Mein Grossvater war ein armer Holzschnitzer. Mein Vater lebte bereits in der Stadt. Er war Beamter. Meine Mutter war zugewandert aus Welschland. So bin ich aus mancherlei Extremen zusammengesetzt.“

„Und wurden Dichter?“

„Suche es zu sein. Ich liess die sichere Karriere und tauschte heldenmütigen Kampf und schweres Ringen, aber auch herrliche Zuversicht dagegen ein. Doch auch düstere, graue Bohème. Man erzählt Märchen davon. Mein Gott, die Geschichte der Hungernden ist so hässlich, weil die Not etwas Schreckhaftes ist.“

Er richtete mit einem Ruck sein Haupt auf, um sich loszureissen. Er hatte mehr zu sich selbst als zu Violet gesprochen.

„Morgen kommt mein Freund, Siegurt Holm. Darf ich ihn vorstellen?“

„Ich freue mich jederzeit, Menschen kennen zu lernen, die Ihnen nahe stehen.“

Sein Blick liebkoste ihr warmes Gesicht. Das dichte, schöne Haar. Das weiche Kinn und das innerliche Lächeln.

„Sie sind so gut.“

Violets Lächeln erlosch.

„O nein,“ sagte sie schnell. Dann wurde sie verwirrt, ihre Finger zuckten, ihr Atem ging rascher. Ihr glänzender Blick verlor sich in der Ferne, um mit heisser Sehnsucht wieder zu seiner Gestalt zurückzukehren. Das Schweigen bedrückte sie. Um ein Thema zu finden, fuhr sie fort:

„Sie sehen alles nur schön — — —“

„Sie können es, Fräulein von Königsmark,“ sagte Rurk. „Alle können es. Man sollte nur lernen, sich wieder zu begeistern. Weh dem, der ohne Begeisterung ist: seine Seele hat ihre Heimat verloren, und sein Geist irrt unstet zwischen haltlosen Voraussetzugen. Es ist doch alles perspektivisch, das Gute und das Schlimme. Wir ordnen zu sehr unsere Ideale dem Realismus unter. Darum nennen wir uns unglücklich. Wir dürfen nicht warten, bis uns von aussen das Glück kommt. Das entpuppt sich dann hinterher oft ganz anders, als wir es sahen. Die Kraft, es uns zu geben, muss in uns liegen. So werden wir des Schönen im Leben am ehesten teilhaftig, indem wir uns bemühen, schön zu sein.“

Sie hatten den Gipfel des Hügels erreicht. Vor ihren Augen lag in saphirblauer Reinheit der See. Ein dunkler Tannenkranz, von mattgrünen Teppichflächen durchbrochen, rahmte ihn ein.

Violet atmete rasch und sie blieben eine Weile stehen.

„Nun verstehe ich Ihr philosophisches Buch“, sagte sie nach langem Nachdenken.

Sie setzte sich auf einen Baumstumpf. Rurk stand neben ihr. Rings um sie wuchs das gewaltige Gebirgspanorama empor. Ein Summen und Surren war in der Luft.

„Sie — ... Sie sind ... nicht glücklich?“ fragte Johannes Rurk hastig, fast atemlos. Ein Aufhorchen war in ihm. Violets Blick drängte nach innen.

„Glücklich ... nein ... ich bin es nicht. Kann ein junges Mädchen, dessen Sinn nicht bloss nach Tennis- und Schlittschuhpartien steht, glücklich sein? Ich habe so oft darüber nachgedacht. Ich möchte noch studieren. Um in dieser kommenden, gewaltigen Zeit etwas sein zu können. Ich meine, anderen. Um etwas auszufüllen, irgend eine Notwendigkeit zu ersetzen ... ein Leid, einen Schmerz zu lindern ... Jemandem etwas zu sein ... mit ganzer Seele ... das ist ja die Glückseligkeit der Frau.“

Rurk war sehr bleich geworden.

„Sehen Sie, wenn sie von einer sozialen Notwendigkeit sprechen würden, könnte ich schweigen. Dann hätten Sie vielleicht Recht. Trotzdem — man soll solchen Schlagworten auf den Grund gehen. Da bleibt dann eine sehr schlimme Erscheinung übrig. Gibt es denn einen heiligeren Beruf für eine Frau, als Geliebte und Mutter zu sein? War die Frau nicht ewig der Inbegriff heiliger Vorstellungen, in denen sich alle hohen geistigen Erscheinungen glorifizieren? Ohne sie wären wir alle so arm an Schönheit, Grösse und Wünschen. So viel Schätze bergen sich in des Lebens Schoss, Fräulein von Königsmark und Sie sagen, Sie hätten nichts auszufüllen im Leben? Sie?“

Er hatte sich in Hitze geredet. Über sie gebeugt sprach er. Seine Augen waren, hell seine Rede Glockenschlag. Sein Herz ging hörbar laut und seine Brust dehnte sich ...

Eine feine Röte spannte sich um Violets Wangen. Rurk hielt erschreckt inne und sah auf. Auch Violet blickte empor.

Da wurde Doktor Rurk purpurrot und ging rasch weiter. Das junge Mädchen folgte. Aber sie sprach fast nichts mehr.

Der Fluch der Welt

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