Читать книгу Die Hölle um Maria Giotti - Robert Heymann - Страница 6

2.

Оглавление

Als Gendarmerieleutnant Sonzo den Korridor der Wohnung Martini betrat, warf er sofort einen prüfenden Blick auf das Fenster, das nach dem Hof ging. Es war fest geschlossen. Ein Vorhang verbarg den Eingang in das Arbeitszimmer. Dort sah es wüst aus. Der Schreibtisch war erbrochen, der Boden mit Schriftstücken übersät, Bilder von der Wand gerissen, Bücher von den Regalen gezerrt. „Als ob ein Wilder hier gehaust hätte“, sagt leise einer der Carabinieri.

Im anschließenden Bibliothekzimmer sieht man schon von der Tür aus den Toten.

Er liegt auf dem großen, gelbroten Teppich.

Der weite Raum ist in Halbdunkel gehüllt. Der Tod hat ein ernstes, strenges Milieu gefunden. Längs der einfach grün gestrichenen Wände stehen riesige Schränke mit Büchern wie stumme Wächter. Das Feuer ist aus dem Kamin gerissen worden und hat weitrandige schwarze Brandmale in den Teppich gezeichnet. Wollte der Täter Feuer anlegen?

Der Tisch am rechten Ende des Raumes ist umgeworfen, die Lampe zur Erde gefallen, der Schirm liegt über einen Schemel gestülpt. Zwei breitlehnige, mit grünem Damast bezogene Sessel sind umgeworfen, ein dritter zertrümmert. Ein kleiner, in die Wand gebauter Schrank steht weit offen. Er ist beraubt, Papiere liegen umher, Briefe, Geldscheine, an denen noch die rostbraunen Male der Mörderhände sichtbar sind.

„Raubmord“, sagt Leutnant Sonzo zu den Carabinieri.

„Rufen Sie schleunigst Herrn Inspektor Beghi an! — Straße absperren!“

Auch die Schränke in den angrenzenden Zimmern sind erbrochen, Schubladen aufgerissen, Schreibtische durchwühlt. In dem Schlafzimmer des Grafen sind sogar die Betten zerfetzt. Ein Spiegelschrank in dem Damenschlafzimmer (das offenbar von der Gattin des Grafen bewohnt wird), ist eingestoßen. Dieses Zimmer ist in Weiß und Purpur gehalten, ein Stil zwischen Biedermeier und Empire, mit steifen Möbeln und domartig gewölbter Decke. Es ist ein feierliches Zimmer ohne Freude. Das Speisezimmer dagegen hat eine lilablaue, blumenreiche Tapete mit hellen Vorhängen an den hohen Fenstern. Kostbares Porzellan steht auf der mahagonifarbenen Anrichte. An der Wand hängt ein Bild in lodernden Farben, der Tisch ist von windhundschlanken Stühlen umstanden. Eine gelbe Tür, flankiert von einer kleinen, jonischen Säule, führt zurück in ein Kinderzimmer, das wieder mit dem Schlafzimmer der Gräfin zusammenhängt. Da sind bunteste Bilder, da ist alles hell und rosa und voller Licht und Duft.

Alle Fenster in allen Räumen, auch in der Küche, sind verschlossen.

Nachdem der Leutnant seinen Rundgang beendet hat, stellt sich der herbeigerufene Arzt ein. Er erklärt, daß der Tod schon vor mehreren Tagen eingetreten ist. „Dreizehn Stiche! Drei davon unbedingt tödlich! Ein heftiger Kampf muß stattgefunden haben. Der Überfallene hat verzweifelten Widerstand geleistet!“

Die Beamten treffen ein. Kommissar Grassi, Polizeiinspektor Beghi, ein Stab von Begleitern, der Photograph, Carabinieri. Man hört die kühlen, kräftigen Stimmen durcheinanderklingen.

Leutnant Sonzo geht den Beamten entgegen, erstattet kurz und schnell Bericht. Kommissar Grassi hört zu, die Augen auf den Boden gerichtet. Deutet auf die Kokosmatte: „Hier — da, Herr Inspektor Beghi: Der Mörder ist hier durchgegangen. Wenn Herr Leutnant Sonzo alle Fenster verschlossen gefunden hat, dann gibt uns diese Spur sichere Anhaltspunkte.

Eine deutliche Fußspur! — Sofort photographieren, bitte, Abdruck nehmen, muß in der Kriminalabteilung rekonstruiert werden. Blutspritzer!“ Der Kommissar, dessen Untersuchung der Inspektor schweigend und zustimmend folgt, deutet auf das Parkett im Arbeitszimmer. „Laufspuren! Nach vorne, in der Gehrichtung, immer nochmals ein kleinerer ovaler Spritzer. Der Täter verließ hier das Zimmer, ging zur Tür. Bitte, Herr Inspektor, die zugespitzten, gezackten Ränder der Spuren weisen deutlich die Gehrichtung. Hier —“, der Kommissar geht den Weg zurück zur Wohnungstür — „hier am Fenster blieb der Verbrecher stehen. Bitte, diese runden Spuren — wie Blumendolden — kaum gezackt — Stehtropfen!“

Der Kommissar öffnet die Wohnungstür, blickt hinaus, sein Auge schweift die Treppe empor. Er lächelt, auch der Inspektor hat bereits gesehen, daß die äußere Tür ganz oben Einschnitte eines Messers zeigt.

„Das ist uns in der Dunkelheit des Treppenhauses entgangen! Versuche, die Wohnungstür auszuschneiden“, sagt Grassi. „An der dicksten Stelle! Der Mann hält uns für Narren. Ein Verbrecher schneidet so die Türfüllung nicht aus. Das ist Mache! Wir sollen glauben, ein Berufsverbrecher sei am Werk gewesen. Diese Komödie zeigt uns aber, daß kein Berufsverbrecher die Tat begangen hat.

Avanti, meine Herren! Zu dem Toten!“

Alle Beamten arbeiten bereits. Peinlich werden die Fingerabdrücke festgestellt. Der Inspektor bemerkt, daß der Mörder Gummiabsätze getragen hat. Der Absatz läßt sich rekonstruieren.

Grassi kniet neben dem Toten. „Nie läßt es ein gewiegter Verbrecher auf solch einen ungleichen Kampf ankommen. Und dieser Kampf war furchtbar.“

Die Beamten gehen durch alle Zimmer. Blitzschnell flammt es da und dort auf. Der Photograph macht Aufnahmen.

„Der Täter ist mit einem Nachschlüssel eingedrungen. Er hat die. Wohnung auf dem gleichen natürlichen Wege wieder verlassen und die Tür hinter sich abgeschlossen“, sagt der Kommissar. „Allem Anschein nach war er mit der Örtlichkeit gut vertraut. Kaum anzunehmen, daß niemand ihn gesehen haben soll.“

„Weibergeschichten“, bemerkt Cavaliere Beghi, der Polizeiinspektor, lakonisch. Er steht in dem Schlafzimmer des Grafen, hat in dem Papierkorb gekramt und eine in der Mitte durchgerissene Karte herausgeholt, die noch halb im Briefumschlag, steckt. Die Karte geht von Hand zu Hand, nachdem sie sofort auf Fingerabdrücke untersucht worden ist. Sie lautet:

„27. August

Ich komme um zehn Uhr zu Dir, wie immer,

Carissimo! Laß die Tür offen!

Deine Giulietta.“

„Diese Giulietta werden wir ja wohl bald gefunden haben“, meint Leutnant Sonzo. „Die Art der Handschrift verrät gewöhnlichen Durchschnitt. Eine kleine amica — man kennt diese Art Briefchen —“

Der Inspektor betrachtet finster das entfärbte Gesicht des Toten. Seine Hand streicht langsam über das Kinn.

„Die Gräfin Martini ist eine rührend schöne Frau“, sagt er. Die Bemerkung ist ganz unmotiviert.

Cavaliere Beghi, der mit seinen Gedanken öfters abseits ist, wirft einen schnellen Blick auf seine Kollegen. Aber nur Sonzo fragt: „Kennen Sie die Gräfin, Herr Inspektor?“

„Vom Sehen. Eine Tochter Professor Giottis.“

„Giotti?“

„Ja. Eine berühmte Persönlichkeit. Ein großer Arzt.“ Die Leiche Martinis wird mit einem Teppich bedeckt. Die Portière wird hereingerufen, die Gräfin Scudellari, eine Kusine des Toten — die Cicognani kennt sie —, telephonisch benachrichligt. Sie sagt ihr sofortiges Erscheinen zu, um Aufschlüsse zu geben.

Carabinieri haben das Treppenhaus gesäubert, die Straße ist in weitem Umkreis abgesperrt.

Inzwischen erscheint aufgeregt der bekannte Außenredakteur eines der meistgelesenen Morgenblätter: Erneste Grandi. Ein Berichterstatter, der nicht vorgelassen worden war, hat ihm die Alarmnachricht gemeldet. Grandis Aufsätze gegen die Opposition finden seit Jahren das stärkste Interesse Bolognas. Eine Kampfnatur, ergeht er sich sofort in den wildesten Verwünschungen des unbekannten Mörders.

„Das mußte so kommen! Die Frauen! Die Frauen! Was sollte Martini denn beginnen? Ich kenne die Geschichte seiner Ehe mit der Gräfin. Mit dieser Frau könnte kein Mann leben! Die Familie! Der Vater Atheist, der Bruder hemmungslos, die Mutter unterdrückt, die Tochter Maria eine eigenwillige, sich selbst hofierende Frau, emanzipiert. Der Graf mußte ja schließlich galante Abenteuer suchen!“

Inspektor Beghi mahnt den Redakteur zur Ruhe. Es sei hier nicht der Ort, seinem Temperament die Zügel schießer zu lassen und das Eheleben des Grafen zu schmähen. Trotzdem läßt sich Beghi einige Auskünfte erteilen. Ob die Gräfin etwa keinen gemeinsamen Haushalt mit dem Grafen führte? Es seien getrennte Schlafzimmer in der Wohnung, ferner sei es seltsam, daß der Graf allein nach Bologna komme — oder ob das Ehepaar in Venedig eine zweite Wohnung besitze?“

„Ja! Sie wohnen augenblicklich in Venedig, das ist mir bekannt! Es konnte auch kein Geheimnis bleiben, daß Maria Giotti ihren Gatten bereits einmal böswillig verlassen hat. Dann kehrte sie wieder reumütig zurück. Der Graf, ein Mensch von beispielloser Güte, nahm sie wieder auf. Sie lebten aber bald wieder getrennt in der gemeinsamen Wohnung, und Martini trug sich mit dem Gedanken, die Kinder in einem vornehmen Erziehungsheim unterzubringen, um sie dem Einfluß der Mutter zu entziehen!“

„Das ist alles sehr traurig, für uns aber nicht uninteressant“, entgegnet Beghi nachdenklich. „Sind Sie ein Freund der Familie?“

„Ich? Im Gegenteil. Martini ist mir zwar oberflächlich bekannt. Aber die Familie Giotti! Verkehr mit dieser? Ausgeschlossen! Professor Giotti ist ein Führer der Oppositionspartei. Unser politischer Gegner! Sein Sohn gehört zum extremsten Flügel! Wie sollte ich da der Freund dieser Familie sein?“

„Aber Ihre Informationen über diese Ehe —“

„Man hat sie uns eingesandt! Immer wieder! Seit langem schon werden wir bestürmt, auch einmal gegen Professor Giottis Privatleben zu schreiben.“

Ernesto Grandi macht sich eilig Notizen und entfernt sich schließlich, nachdem er von Grassi einige Auskünfte über den Stand der polizeilichen Feststellungen erlangt hat. Die Vernehmung der Portière durch Leutnant Sonzo hat nichts Neues ergeben.

Lisetta Aldini, eine der Schwestern aus der Wohnung gegenüber, ist von sich aus erschienen. Sie bleibt bei ihrer Aussage, sie habe gesehen, daß Graf Martini am Abend des 28. August noch einmal das Haus verlassen hat. Wann er zurückgekehrt ist, kann niemand sagen, mutmaßlich erst spät in der Nacht. Dann aber meldet sich noch ein Zeuge, der Tabakhändler Nipulos, ein Grieche. Er hat gesehen, daß ein Mann am Abend des 28. August aus der Wohnung des Grafen gekommen ist.

„Wann?“ fragt Grassi.

„Gegen acht Uhr. Ich wollte Herrn Pizotti sprechen, er ist aber verreist. Ich sah zufällig auf meine Uhr, weil ich noch eine Verabredung hatte. Wenige Minuten später also sah ich den Menschen.“

„Das muß ein Irrtum sein“, erwidert Inspektor Beghi. „Wenn Graf Martini am 28. abends in Bologna eingetroffen ist, dann kann er nicht um acht Uhr aus der Wohnung gegangen sein. Der Expreßzug trifft, ich weiß das zufällig genau, erst nach acht Uhr in Bologna ein, der Graf kann also in Minuten nicht den weiten Weg vom Bahnhof hierher zurückgelegt haben und wieder ausgegangen sein! Übrigens wird er auch einige Minuten auf dem Bahnhof aufgehalten worden sein. Alles Umstände, die es ausschließen, daß Graf Martini um acht Uhr in seiner Wohnung war oder sie etwa schon wieder verlassen hat!“

Der Grieche kann kaum erwarten, daß er zu Worte kommt.

„Es war ja gar nicht der Herr Graf, den ich sehr gut kenne. Es war ein Fremder, den ich gegen acht Uhr aus der Wohnung treten sah.“

„Am 28. August?“

„Si, Signore!“

„Wie sah er aus? Gewöhnlich?“

„Nein! Er machte den Eindruck eines gebildeten Mannes, war schlank und nicht schlecht gekleidet. Mir fiel aber sein verstörter Blick auf, die Eile, mit der er fortlief.“

Der Polizeiinspektor schüttelt den Kopf. „Vor dem Mord? Verstört? Sie werden sich in der Zeit irren! Es war später. Vielleicht neun Uhr!“

„Wo denken Sie hin, Herr Inspektor!“ ereifert sich der Händler „Ich bin doch bei Sinnen! Ich sagte schon, es war zehn Minuten vor acht, meine Uhr ist durchaus verläßlich! Im übrigen hatte mich Herr Pizotti um acht Uhr bestellt. Ich bin eine Viertelstunde früher gekommen, aber, wie gesagt, ich habe meinen Kunden nicht angetroffen!“

„Wer ist Herr Pizotti?“ wendet sich der Inspektor an die Portière, die noch immer im Zimmer ist.

„Herr Pizotti?“ Die Alte zieht die schmalen Schultern hoch.

„Uno straniero — ein Fremder, Herr Inspektor, fast nie zu Hause!“

„Wieso? Er wohnt doch schräg über dieser Wohnung?“

„Si! Si! Aber er kommt oft wochenlang nicht — ist viel auf Reisen, ich habe ihn schon lange Zeit nicht gesehen!“

„Seit dem 28. August nicht?“

„Länger nicht! Wochen nicht!“

„Das stimmt nicht!“ wirft Nipulos ein. „Ich habe ihn vor vierzehn Tagen besucht!“

„Ein Beweis, daß Sie nicht alle Leute sehen, die aus und eingehen“, sagt der Kommissar zur Portière. „Graf Martini kann also doch noch abends ausgegangen sein! Es ist nun von ungeheurer Wichtigkeit, daß wir feststellen, welcher Mann um acht Uhr aus der Wohnung des Grafen Martini gekommen ist. Verstört, wie Herr Nipulos behauptet.“

„Ja, Herr Inspektor. Mit irrem Blick, ich sah ihn vorbeirennen, aber er bemerkte mich nicht. Raste die Treppen hinab, verschwand — wie ein Wahnsinniger!“

Die Beamten lassen bei Herrn Pizotti nachforschen. Die Wohnung ist verschlossen, an der Tür ein Schild: „Verreist!“

Die Bewohnerin der Räume über dem Grafen Martini, Signora Santoni, hat auf ihre Vernehmung gewartet. Sie erklärt mit Bestimmtheit, daß sie schon in der Nacht vom 27. zum 28. August Lärm in der Wohnung gehört habe.

„Ich leide an Schlaflosigkeit. — Der 27. August bedeutet für mich ein besonderes Ereignis — eine Jugenderinnerung —“ sie macht eine kleine Pause —, „ich weiß also, daß es die Nacht vom 27. zum 28. August war, da hörte ich deutlich ein Möbelstück fallen, dann die Stimme einer Frau und eines Mannes. Und die Nacht darauf, vom 28. zum 29. August, vernahm ich einen Schrei. Aber ich habe ihm, obwohl ich sehr erschrocken war, keine weitere Bedeutung beigemessen!“

Die Gräfin Scudellari wird gemeldet.

Der Polizeiinspektor geht ihr entgegen, will sie schonend über das Verbrechen, dem ihr Vetter zum Opfer gefallen ist, aufklären. Aber sie weiß schon alles. Sie ist sehr blaß, erregt, doch bleibt sie seltsam kühl, will den Toten nicht mehr sehen und bedauert in bewegten Worten die Witwe und die beiden Kinder, die der Tote hinterläßt. Den Beamten fällt diese Teilnahmlosigkeit auf, sie beobachten die Gräfin. Eine Frau von vierzig Jahren, schon etwas stark geworden, eine interessante Erscheinung mit großer, edler Nase und guter Haltung, kann sie noch immer für schön gelten. Aber der wohl einmal lebensfreudige Mund hat eine seltsame Starre, die Pupillen sind erweitert wie unter der Einwirkung von Belladonna. Alles in allem das Antlitz einer Aristokratin, doch nicht ohne Geheimnisse. Der ironische Mund scheint sich über die Beamten lustig zu machen. Sie weiß nichts Neues zu sagen. Ihrer Meinung nach ist es ausgeschlossen, daß vor dem 28. August Leute in der verschlossenen Wohnung waren.

„Sie brauchen nicht weit zu suchen, meine Herren! Die Korrespondenz des Grafen wird Ihnen genügend Aufklärung geben!“

„Sie glauben also auch, Frau Gräfin, daß ein galantes Abenteuer der Hintergrund dieser Tragödie war?“

„Was sonst? Nur eine derartige Affaire! Mein Vetter hatte sich durch seine Torheiten viel Sympathien verscherzt.“

„Sie sind mit der Frau Gräfin Martini befreundet?“

„Sehr!“

Der Inspektor beendet die kurze Aussprache mit einer Verneigung. Die Gräfin wirft einen kurzen Blick durch halbgeschlossene Augen ins Arbeitszimmer, wo die Leiche unter dem Teppich liegt. Der Kommissar beobachtet sie. In seinem kalten Gesicht ist nicht zu sehen, welche Gedanken ihn bewegen.

Unten wartet schon der Wagen, die Leiche zu überführen. Vom Gericht ist Richter Castel gekommen, von den Beamten ehrerbietig begrüßt. Er hat keine Funktion hier, nur Berufsinteresse hat ihn an den Schauplatz dieses Verbrechens getrieben. Er geht stumm umher, den runden Stockgriff gegen das Kinn gepreßt, alles beobachtend, mit dem steinernen Blick der Gorgo.

Irgendein Gedanke treibt ihn von Zimmer zu Zimmer. Vor dem Bildnis der Gräfin Martini bleibt er stehen. Ein unbekannter Künstler hat es gemalt, aber er hat den Ausdruck der jungen Frau überraschend getroffen. Ein Mädchen blickt aus dem Rahmen herab, ein zartes Mädchenantlitz, rührend in einer leidenden Zärtlichkeit, die mit schwärmerischen großen Augen sich dem unbekannten Leben hingibt, mit dem Wissen um das Leiden des Weibes.

Richter Castel zeigt bei der Betrachtung dieses Bildes keine Bewegung. Sein regelmäßiges Gesicht bleibt starr wie eine Maske, seine Augen sind überschattet von den starken Brauen, die sich langsam zusammenziehen, bis sie einen einzigen drohenden Strich bilden, eine schwarze Warnung. Sein geschliffener Mund, eine Degenklinge in rhetorischen Duellen, der Mund eines Asketen, an dem zurückgehaltene Leidenschaften um Entfesselung ringen, zieht sich spitz zusammen und verrät Hohn, Ablehnung, Haß.

Inzwischen ist es Richter Castell entgangen, daß die Beamten, eigentlich Leutnant Sonzo, eine wichtige Entdeckung gemacht haben, die für die Ermittlungen den Kriminalisten das bedeutet, was der Schöpferrausch dem Dichter ist, für den Diplomaten die Schwäche des Gegners:

Die Spur.

Sonzo hat unter dem Teppich im Mordzimmer einen zerknitterten Zettel gefunden. Er lautet:

„Für fünfhundert Lire ärztliche Instrumente in Pfand genommen.

Strozzi.

Bologna, 20. August.“

Die Bestätigung ist mit kräftiger Handschrift niedergeschrieben.

„Strozzi“, sagt der Kommissar. „Unbekannt. Einen solchen Pfandleiher gibt es in Bologna nicht.“

„Wir müssen ihn in den Kneipen suchen“, erwidert der Inspektor. Sein Fingernagel deutet auf zwei Worte auf der Rückseite. Der beschmutzte Zettel ist das Stück einer Speisekarte. Uova con — das Weitere ist abgerissen. „Soll heißen: Uova con prosciuto, Eier mit Schinken. Hektographiert! Ein kleines Restaurant also.

Meine Herren, wir haben die Spur des Verbrechers.“

Die Hölle um Maria Giotti

Подняться наверх