Читать книгу Die Hölle um Maria Giotti - Robert Heymann - Страница 7
3.
ОглавлениеAm Abend des 24. August, zwei Tage also vor der Abreise des Grafen Martini aus Venedig, war es zur letzten Auseinandersetzung zwischen ihm und seiner Gattin gekommen.
Die Szene war so furchtbar, daß Ferdinand Pichi, der Kammerdiener, schreckensbleich nach dem Schlafzimmer der Gräfin stürzte, um ihr zu Hilfe zu kommen. Aber vor der Tür blieb er stehen. Sie war angelehnt, man konnte jedes Wort im Korridor verstehen. Frieda, die Köchin, stand in einem Winkel, Adele, die Zofe, war zu den weinenden Kindern geeilt.
Der Graf war, von einigen angezechten Freunden begleitet, nach Hause gekommen. Vor dem Tor des alten Palazzo hatten sich die Freunde verabschiedet.
Mit schweren Schritten war Francesco Martini die Marmorstufen emporgestiegen. Dieser Palast stammte, wie so viele andere aus der Umgebung des Canal Grande, noch aus den Glanzzeiten der venezianischen Adelsgeschlechter. In den mächtigen Räumen des Inneren versanken förmlich die Menschen, wie die Jahrhunderte in ihnen versunken waren. Nur die Schatten blieben …
Vor dem Gemach der Gräfin blieb Martini stehen.
„Maria“ — er klopft an die schwere Eichentür — „Maria, schläfst du?“
„Nein, Francesco“, tönt die helle Stimme der Gräfin zurück. „Schlafe wohl! Buona notte!“
„Der Teufel soll — —“ brummte Francesco. Und laut: „Öffne, angelo mio!“
„Nein, Francesco, ich bin müde!“
„Aber meine Liebste! Carissima! Nur ein paar Minuten! Ich möchte noch mit dir plaudern!“
Die Gräfin stand vor dem großen Spiegel. Sie trug bereits ihr seidenes Nachtkleid, an den kleinen Füßen bunte Pantoffel. Eher klein als groß, glich sie nicht den norditalienischen Frauen, von denen die Turinerinnen die schönsten sein sollen. Das zarte Gesicht ist nur Hintergrund für die großen, ovalen Augen. Sie können durch Wände und Türen sehen, durch Häuser und Städte, weithin zum Meer, zu fremden Gestaden und Blumen. Sie sind voll Verträumtheit, und die Stirne blüht hell und weiß.
Wieder pochte Martini. Sie fuhr zusammen und raffte die Seide über der mädchenhaften Brust. Mit zuckenden Brauen schaute sie hochmütig zur Tür.
„Wir haben vereinbart, Francesco …“
„Aber nicht, daß ich kein Recht habe, dich zu sehen!“
„Du hast versprochen — geschworen —“
„Alles, Liebste! Nur sehen —“
„Zu so später Nachtstunde“, sagte sie tonlos bittend, legte dann den Kopf zurück. „Nein, Francesco, ich öffne nicht!“
Er hatte auf dies Stichwort gewartet. Vom Wein erhitzt, berauscht von Gesprächen mit den Freunden, erotischen Aufschneidereien, wüsten Phantasien, warf er sich plötzlich mit seinem schweren Körper gegen die Tür, die in ihren Angeln krachte. Sein Brüllen dröhnte durch das ganze Haus. Ein Schwall von Worten folgte. Er sei Herr hier. Nicht nur Mann, — Herr! Was sie sich denke? Ob er etwa noch mit Puppen spiele? Er habe nicht einmal als Knabe dazu Lust gehabt. Sie mache ihn lächerlich, ihn, den Grafen Martini! Vor den Domestiken! Ihr liege eben nichts daran, was Dienstboten denken! Sie mache sich gemein mit ihnen, seine Frau! Die Gräfin Martini! Ihm sei es aber nicht gleichgültig! In seinen Adern fließe — —
Aber da merkt er, daß Marias Hand schon den Riegel zurückgezogen hat.
Die Kinder sind erwacht von dem Lärm und weinen. Maria steht mitten in dem kalten Raum. Es war keine Zeit, diesen runden Turm mit Geschmack auszustatten, sie wohnt ja nur vorübergehend hier. Ein heftiger Sturm weht durch die schlecht schließenden Fenster und läßt die Vorhänge aufwallen, rüttelt an allen Türen im Hause.
Wie zerbrochen steht die junge Gräfin, mit schmerzhaft hochgezogenen Brauen, die Augen voll Erstaunen und Armut. So sind die Männer?
Kalt, frierend, das Unverständliche mit Ekel ablehnend, tritt sie zurück. Er wuchtet ihr nach mit seinem hünenhaften Körper, das Gesicht rot, mit Blicken dem Weib die Hüllen abreißend, sich an vorgefühlter Nacktheit, an ratloser Ablehnung weidend. Seine Hände reißen sie zu sich, betasten sie, ergreifen Besitz.
Sie stöhnt auf, entwindet sich, entkommt, flüchtet leichtfüßig, wirft Raum zwischen ihn und sich, Abgründe schimmern in ihrem Antlitz, ihr roter kleiner Mund zittert vor Entschlossenheit und Gegenwehr.
Ernüchtert starrt er. Schmeichelt. Noch fremder ist er ihr als Bettler. Sie entgegnet zornig. Ihre Nase ist schmal, aber die Flügel beben, hohnvoll wird ihre Abweisung. Sie entflieht ihm wieder, weicht aus, — er taumelt über den Fußschemel, sein Zorn raucht aus Schmerz und Mannqual. Er beugt sich vor, ganz nahe ihren bösen, grüngoldenen Augen. Der Hauch ihres jungen Körpers schlägt über ihn. Er sagt furchtbare Worte. Sie sind nie wieder gut zu machen. Er schleift alles durch den Schmutz: Die Liebe der ersten Zeit ihrer Ehe — ihre Kinder — ihre Familie (ein besonders beliebtes Thema) — und dann fliegen Gegenstände durcheinander. Selbst der Sturm über dem Meer verstummt vor dem Toben dieses Rasenden. Seine Stimme überschlägt sich: „Zu zart bist du? Zu zart für die Liebe? Für meine Liebe? Du Heuchlerin! Du Weibsbild! Ja, ich weiß! Ich habe vor dem Kardinal geschworen, dich nicht zu berühren! Aber man hat mich getäuscht! Man hat mich erpreßt! Du warst aus meinem Haus geflohen! Was sollte ich tun? Man hat mir von deiner schwachen Gesundheit vorgeredet! Ecco! Du bist gesund wie der Fisch im Wasser! Du bist schön, blühst, bist jung! Ich, ein Mann, kraftvoll, die Weiber drehen sich nach mir um, ich soll an dir vorbeischleichen wie ein Aussätziger! Ich will nicht! Nein! Ich will nicht!“
Er schweigt. Wartet auf eine Antwort. Fühlt sich schon besiegt durch ihre unerschütterliche Festigkeit, will parlamentieren. Sie sagt leise:
„Setze dich, Francesco. Ich will dir antworten. Als ich dich heiratete, sagte meine Mutter: ‚Gehorche deinem Gatten in allen Dingen! In allen!’ — Ich gehorchte. Aber du hast meine Schamhaftigkeit verletzt. Immer wieder. Ich glaubte, die Liebe sei so — —. Aber auch in der Liebe, — dieser Liebe, — gibt es eine Würde. Nicht alles ist erlaubt! Nicht alles Pflicht für die Frau. Das habe ich allmählich begriffen. Hingabe wurde mir zur Marter. Du sagst: Gesetz und Kirche! Du bist der Herr! Ich bin dein Eigen!
Nein! Francesco. Mag das Gesetz es so wollen: Ich will nicht! Du hast mich wieder zur Rückkehr in dein Haus bewogen, indem du einem Vertrag zugestimmt hast, der mir Sicherheit und Unantastbarkeit durch Eide sicherte.
Ich ließ dir deine Freiheit. Du willst den Vertrag brechen! Das ist unmännlich! Das macht dich verächtlich!“
Er schnellt hoch. Er, Martini, Graf Martini, verächtlich!
„In deiner Familie sind ja die Advokaten zu Hause! Rede nur! Rede! Ich werde handeln! Ich fahre nach Bologna! In einigen Tagen, si! Ich werde die Wohnung dort auflösen. Auflösen! Wir ziehen nach Padua! Nichts mehr von Bologna! Kein Wort mehr! Da wohnt der Herr Papa, der Obermufti! Der Herr Bruder! Die Frau Mama! Man geht täglich mit den Kindern hin. Man hetzt gegen den Aristokraten! Man bringt den Kindern unwürdige Ansichten bei! Man konspiriert in dieser Bürgerstube!
Schluß! Aus! Ende! Die Wohnung in Bologna wird aufgegeben. Wir ziehen nach Padua: du und ich. Nur du und ich. Sofort nach meiner Rückkehr aus Bologna kommen die. Kinder fort! Jawohl! Ins Internat! Du bist nicht würdig, sie zu erziehen! Schreie! Wüte! Klage an! Der heilige Bischof hilft dir nicht! Auch dein Vater nicht! Kann nicht! Ich bin der Herr! Ich bin der Vater deiner Kinder! Ich habe Freunde! Ich will! Ins Internat kommen sie! Ich will sehen, ob ich dich in Padua nicht zähme, du blasse Lucrezia!“
Ein höhnisches Lachen, Zuschlagen der Tür.
Pichi ist vorher schon geflüchtet. Der Graf geht mit dröhnenden Schritten durch die Zimmer. Macht überall Licht. Sieht die junge Köchin Frieda. Den Regenmantel übers Nachthemd geworfen, steht sie da in einem Winkel. Überrascht in ihrer Neugierde, sprachlos vor Schrecken, verlegen sich in den starken Hüften wiegend, lächelnd, mit gespreizten Bewegungen, in komödienhafter Geziertheit, sucht sie die Tür.
*
Die Gräfin ist zu ihren Kindern geflüchtet.
Ninetto, der Kleine, Maria, die Ältere, klammern sich bleich an die heißgeliebte Mutter.
„Keine Angst! Keine Angst, meine Engelchen“, stammelt die Gräfin. „Ich bin da! Ich kämpfe um euch! Nichts darf euch geschehen! Schlaft still! Schlaft, meine süßen Kleinen!
Ihre Stimme lullt sie ein. Ihre Augen schließen sich. Sie schlafen. —
Aber Gräfin Maria schläft nicht. Mit weiten Augen schaut sie ins Dunkel. Horcht auf den Sturm, der wieder eingesetzt hat, macht sich leise frei aus der Umarmung der Kinder. Am Fenster stehend lauscht sie auf das Aufklatschen der Wellen an der Landungstreppe.
Unendlich traurig ist Venedig im Herbst! Eine weinende Stadt! Venedig ist die einzige Stadt der Welt, die ihr Leid in die Herbstnächte schluchzt — — —
Am Morgen ist Francesco frühzeitig fort. Maria eilt selbst zur Post und gibt Depeschen auf. Der Tag schleicht bleiern hin.
„Gnädigste Frau Gräfin,“ sagt Pichi, der Diener, „ich habe alles gehört — ich wollte helfen —! Der Herr Graf hat nicht erst heute nacht den Entschluß gefaßt, nach Padua zu ziehen. Nein! Ich hatte schon längst Auftrag, wenn Sie mit ihm in der Schweiz zur Erholung weilten, die Wohnung in Bologna in aller Stille aufzulösen, die Möbel nach Padua zu schaffen …
Auch wegen der Kinder verhandelt er schon länger mit Internaten — —“
„Es ist gut, Pichi! Ich danke Ihnen!“
„Der Herr Graf darf um Gottes willen nicht erfahren, daß ich …“
„Keinesfalls, Pichi! Ich danke Ihnen für Ihre Anhänglichkeit.“
Aber die Ruhe, die Gräfin Maria zur Schau trug, war nicht echt. Die Erklärung des Kammerdieners hatte einen furchtbaren Sturm in ihr wachgerufen. Im ersten Augenblick fühlte sie sich unfähig, etwas zu unternehmen. Wie eine Verratene, wie eine Gefangene ging sie in den Zimmern auf und ab, Selbstgespräche führend. Es war nicht das erstemal, daß Pichi sie über Beschlüsse, ja, über Stimmungen seines Herrn unterrichtete. Es waren immer Schmähungen und Drohungen, Schändlichkeiten, die die Gräfin im Innersten erschütterten.
Was soll ich tun? Mein Gott, was soll ich tun? stöhnte Maria. Sie hatte auf den Wunsch ihres Gatten den Scheidungsakt zerrissen, der seinerzeit die Grundlage für die endgültige Trennung bilden sollte. Alles mußte nun wieder neu aufgebaut werden. Sie dachte an den Tod — aber der Gedanke an ihre Kinder riß sie sofort wieder in die Wirklichkeit zurück.
Schließlich nahm sie an ihrem Schreibtisch Platz, ihre Verzweiflung in Briefen auszuschütten. Sie schrieb an die Mutter, an den Vater. Sie schrieb an Freunde in Bologna.
*
In der folgenden Nacht kam Francesco nicht nach Hause.
Aber dann wurde zeitig am Morgen die Glocke gezogen. Ehe Adele noch auf war, stand Frieda schon am Tor. Ein Mädchen wartete draußen. Jung, nicht eben schön, aber sehr freundlich, mit zärtlichen braunen Augen, einem lieblichen Mund.
„Ich muß die Frau Gräfin sprechen.“
„So früh? Frau Gräfin schläft noch.“
„Sagen Sie ihr, die Angelegenheit ist dringend.“
„Um was handelt es sich?“
„Ich muß es persönlich ausrichten.“
„Wen melde ich?“
„Rosina Bonetti.“
Mißtrauisch ging Frieda nach oben. Sie haßte die Gräfin. Aus Instinkt. Aus Auflehnung. Aus ihrer sinnlichen Seele heraus. Die Gräfin hatte schon vor längerer Zeit ihre Entlassung verfügt.
Die Zofe kam Frieda entgegen. Sie mußte berichten.
„Ich melde Sie“, sagte Adele zu Rosina Bonetti. Wechselte einen raschen Blick mit ihr.
Mich täuscht ihr nicht, ihr Schlangen, dachte Frieda. Ihr seid im Einverständnis.
Rosina Bonetti wartete. Die Gräfin kam bald.
Frieda machte sich im Nebenzimmer zu schaffen. Die Fremde erzählte krauses Zeug. Von einem Kleid, das sie hätte besorgen sollen — sie wisse nicht: grün oder gelb oder schwarz — und wann der Herr Graf nach Bologna komme?
„Er ist in einigen Tagen dort!“ erwiderte die Gräfin.
Durch die halboffene Tür sah Frieda, wie die Fremde Maria Martini einen Zettel in die Hand drückte. Die Gräfin öffnete das Papier, las, nickte dieser sonderbaren Rosina lebhaft zu.
„Wohin? Ins Café Florian?“
„Nein! In den öffentlichen Garten!“
„Sage ihm, ich komme“, sagte die Gräfin leise.
Die seltsame Person eilte fort.
Nach einer Stunde verließ die Gräfin das Haus. Frieda folgte ihr heimlich. Wenn sie ein Geheimnis in die Hände bekäme! Der Graf wäre damit gefügig zu machen! Wer konnte wissen, welche Möglichkeiten sich da eröffnen würden!
Sie folgte Maria bis in den öffentlichen Garten. Um diese Zeit war kein Mensch hier.
Nur ein eleganter Herr ging in sichtlicher Erregung auf und ab. Frieda verbarg sich rasch.
Kaum hatte der Herr die Gräfin gesehen, eilte er ihr entgegen. Sie sank fast in seine Arme. Er küßte sie auf das Haar.
„Liebste! Du Arme! Du siehst aus wie ein Leichnam!“ rief er.
„Ich bin sehr, sehr unglücklich“, erwiderte die Gräfin.
Frieda konnte jedes Wort verstehen. Sie kamen beide ahnungslos näher. Aber sie konnte den Herrn nicht erkennen, sie verwünschte ihre Kurzsichtigkeit.
„Mache dir keine Sorgen“, hörte sie die Gräfin sagen. „Alles wird in Ordnung kommen. Aber du, weshalb bist du gekommen?“
Der Herr ging wieder nervös hin und her. Maria neben ihm. Er schwieg eine Weile. So wandelten sie beide auf und ab, als wollten sie ihrer fiebernden Erregung Luft schaffen.
„Ich habe deinen Expreßbrief bekommen,“ sagte er, „kurz vor der Abfahrt. Du hast auch an Mama geschrieben. Du willst mit den Kindern fliehen? Unglückliche, weißt du nicht, daß dein Mann dich dann ins Verderben stürzen kann mit der Anklage, daß du die eheliche Wohnung verlassen hast? Das Gericht würde die Scheidung aussprechen und dich als Schuldige erkennen. Man würde dir deine Kinder entreißen!“
Aber Maria schüttelte den Kopf. „Das Unrecht ist nicht auf meiner Seite! Mein Mann hat die beschworenen Bedingungen nicht erfüllt. Bin ich da nicht berechtigt, mich zunächst in das Haus meines Vaters zu flüchten?“
Der Herr war anderer Meinung. Sicher ein Advokat, dachte Frieda. Warum aber behandelt er die Gräfin so vertraulich? Und sie ihn? Ein Liebhaber? Sollte die keusche, stolze Gräfin Maria Martini einen Liebhaber besitzen?
Das Gespräch mit dem Fremden wurde unverständlich, Frieda konnte nichts weiter hören. Die Gräfin schien müde, nervös und mutlos zu sein. Sie brach in Tränen aus. Aber dann kamen sie wieder näher.
„Was soll ich tun?“ rief Maria. „Ich habe nicht mehr die Kraft zu kämpfen! Wenn ich nicht für meine Kinder leben müßte, würde ich dieses jammervolle Dasein beendigen!“
Sie standen nun dicht vor Frieda. Die duckte sich hinter einem Rhododendronstrauch.
„Maria,“ stammelte der Fremde, „wie darfst du dich mit solchen Gedanken abgeben! Meine liebe, arme Maria! So weit ist es also gekommen!“ Die Stimme des Fremden klang plötzlich hart, entschlossen und wutentbrannt. „Gut! Machen wir ein Ende! Glaubt er dich schutzlos? Er wird sich irren! Jetzt werde ich eingreifen!“
Sie entfernten sich wieder, Frieda hörte die Gräfin aufgeregt sprechen, ohne den Sinn der Worte zu verstehen. Dann, in die Nähe kommend, wieder den Mann, laut, vernehmlich:
„Ich will sofort mit ihm sprechen!“
Darauf die Gräfin: „Er ist nicht in Venedig. Ich will auch nicht, daß du hier mit ihm zusammenkommst.“
„Dann richte es ein, daß ich ihn an einem anderen Ort treffe!“
„Es hat noch einige Tage Zeit! Wie glücklich bin ich, zu wissen, ich stehe nicht allein auf der Welt! Ihr werdet mir helfen, Ich werde nicht den Mut verlieren!“
„Ja,“ antwortete der Unbekannte, „wir helfen dir! Die Entscheidung muß fallen! Du mußt von ihm befreit werden! Wann ist er in Bologna?“
„Am 28. abends, vielleicht schon am 27.“
„Dieser Schuft!“
Der Wind verwehte das Weitere. Sie hatten sich wieder entfernt, Frieda schlich sich fort und eilte nach Hause. Aber sie kam nicht mehr dazu, dem Herrn zu berichten, was sie beobachtet hatte. Der Graf war für eine Stunde wiedergekommen und dann gleich abgereist. Pichi erzählte, er wollte erst nach Mailand fahren, dann nach Bologna.
„Ich muß dich allein sprechen“, stammelte Frieda, zog ihn in ihre Kammer. „Hat die Gräfin einen Liebhaber?“
„Du bist verrückt! Ich antworte gar nicht auf solche Fragen!“
„Sie hat ein Rendezvous gehabt mit einem Herrn!“
„Sie hat viele Freunde!“
„Du Narr! Sie planen etwas gegen den Grafen! Ich sage dir, sie werden ihn ermorden!“
Pichi tippte dem Mädchen, das als Verleumderin und Zwischenträgerin im ganzen Hause bekannt war, auf die Stirn: „Du hast einen Vogel, Frieda!“
Ohne weiter auf sie zu hören, ging er.
Er fand die Gräfin schon zu Hause. In allen Zimmern wurde fieberhaft gepackt. Maria machte kein Hehl mehr aus ihren Absichten.
Sie floh!
Wohin? Wann?
Niemand wußte Näheres. In die Schweiz, hieß es. Alles war bereit. Die Gräfin wartete nur die ersten Nachrichten ihres Gatten ab, um sicher zu sein, daß er in Bologna angekommen war. Dann wollte sie mit ihren Kindern fort.
Selbst Pichi schüttelte den Kopf. Überlegte, ob er dem Grafen Mitteilung nach Bologna machen sollte. Aber er unterließ es. Die abscheuliche Nachrede Friedas erfüllte ihn mit Ekel. Sollte auch er die Gräfin preisgeben? Sein Herz sprach für sie. Wenn sie den Quälereien ein Ende setzte — er konnte sie nicht tadeln.
Plötzlich erklärte die Gräfin, sie reise nach Rimini. Allein. Für zwei Tage. Die Kinder blieben unter Adeles Obhut.
Pichi war verwirrt. Er wagte einzuwenden: „Wenn der Herr Graf zurückkehrt, die Frau Gräfin nicht vorfindet —“
„Mein Mann ist in Bologna, Pichi! Ich bin rechtzeitig wieder dal“
Er wagte nicht, weitere Fragen zu stellen.
Frieda erzählte ihm, die Gräfin hätte eine Depesche erhalten und sie sofort verbrannt.
Die Gräfin reiste fort, blieb zwei Tage aus, kam zurück. Sie schien verjüngt, war frisch, bester Laune, scherzte den ganzen Tag mit den Kindern. Inzwischen waren fünf Tage seit der Abreise des Grafen Martini verflossen, ohne daß er Nachricht gegeben hätte.
„Ist das Schweigen des Herrn Grafen nicht auffallend?“ fragte Pichi die Gräfin. „Ich sollte doch noch verschiedene Dispositionen von dem gnädigen Herrn erhalten! Das ist noch nie vorgekommen, daß der Herr Graf so lange nichts von sich hören ließ!“
„Warten wir“, antwortete Maria gleichmütig, fast heiter.
Pichi verstand das nicht.
Wußte sie denn etwas? Was wußte sie? Die Bemerkung Friedas fiel ihm ein, die in wenigen Tagen das Haus verlassen sollte. Aber ebenso schnell strich er die abscheulichen Worte dieser Intrigantin aus der Erinnerung.
Doch am nächsten Tage konnte er seine Unruhe nicht mehr meistern.
Es war der 1. September, am 23. August war der Graf abgereist. Pichi telephonierte nach der Wohnung in Bologna. Aber das Gespräch konnte nicht zustande kommen. In der Wohnung antwortete niemand. Die Unruhe des Kammerdieners wuchs.
Warum reist die Gräfin nicht? dachte er. Sie wollte fliehen — der Graf müßte längst zurück sein — worauf wartet sie?
„Der Herr Graf wollte doch von Bologna aus noch nach Carvarzere reisen“, erklärte ihm die Gräfin. „Kann er sich nicht verspätet haben?“
Aber ganz plötzlich überfiel Bestürzung auch die Gräfin Maria.
Ist sie über Nacht zur Besinnung gekommen? dachte Pichi.
Wie dem auch war: Sie befahl, nach allen Seiten, an alle Freunde Depeschen zu senden. Pichi rannte aufgeregt zur Post. Noch zweimal versuchte er, mit der Wohnung in Bologna telephonisch zu sprechen. Schließlich alarmierte die Gräfin die Polizeibehörde von Bologna.
*
Inzwischen war Marias Mutter in Venedig eingetroffen.
„Was soll das alles bedeuten?“ fragte sie. „Du depeschierst, du willst fliehen, erst zu uns, dann in die Schweiz, und jetzt kehrt dein Gatte nicht zurück zu dir, und du bist noch hier? Francesco ist doch in Bologna eingetroffen, die Bonetti, die ich auf der Straße getroffen habe, hat telephonisch mit ihm gesprochen!“
Frau Professor Giotti war noch viel unruhiger als ihre Tochter. Sie war immer noch eine schöne, mädchenhafte Erscheinung, eine Eigenart, die Maria von ihr geerbt hatte. Trotzdem — wie verschieden waren diese beiden Frauen! Die Mutter düster, melancholisch, den meist abwesenden Blick mit schmerzlichem Ausdruck ins Leere gerichtet, als lese sie im Buche des Schicksals.
Sie ist nervös und reizbar. Seitdem sie eines ihrer Kinder in sehr jugendlichem Alter unerwartet verloren hat, neigt sie dazu, den kleinsten Begebenheiten die schlimmste Bedeutung beizumessen.
Anders Maria! Trotz der unglücklichen Ehe, die sie bisher geführt hat, ist sie heiter, schwärmerisch. Obgleich von zarter Gesundheit, ist sie keinen Launen unterworfen, allem Schönen zugeneigt. Von schlankem Körperbau, schmalhüftig, mit edlen, hohen Beinen und sehr kleinen Füßen, gleicht sie eher einem schönen Knaben als einer Frau von dreißig Jahren. Erst in letzter Zeit hat die Furcht, ihre über alles geliebten Kinder zu verlieren, einen Zug schmerzlicher Erwartung um ihren frischen Mund gelegt.
Die Zerwürfnisse der Ehe Marias waren der Mutter nur zu wohl bekannt. Die Katastrophe schien unabwendbar — war es nun da, das Ende mit Schrecken?
„Vielleicht ist er auf dem Wege, für die Kinder ein Institut ausfindig zu machen, um sie dir zu nehmen. Vielleicht ist er noch in Bologna und verbirgt sich, um seine Pläne zu verschleiern!“
Maria war bei diesen Worten der Mutter totenblaß geworden.
„Du hältst es für möglich, Mama, daß Francesco noch in Bologna ist? Hinter welche Geheimnisse will er kommen?“
Maria wandte sich ab. Sie preßte die Stirn gegen die Fensterscheibe. Ihre schmale Hand irrte wie eine arme Seele in der Luft umher, um schließlich matt und hilflos auf ihre Brust niederzusinken.
Frau Giotti beobachtete ihre Tochter.
„Fürchtest du etwas, Maria?“
„Fürchten? Ich habe die Furcht verlernt!“
Maria wandte sich um. Ihre großen Augen irrten unruhig über das ewig ernste Gesicht der Mutter. Wie dürfte ich es ihr jemals sagen? Sie ist meine Mutter. Eine gute Mutter, aber mir völlig entfremdet.
Maria warf den Kopf qualvoll hin und her. Ihre Hände zerknüllten ein feines Taschentuch. Nein, nie werde ich eine Vertraute an ihr haben, ewig wird das Geheimnis in meinem Herzen verschlossen sein. Wie sollte sie mich verstehen? Niemand würde mich verstehen! Steinigen würden sie mich, von der Seite meiner Kinder würde ich gerissen, in den Abgrund geschleudert!
Die Mutter sprach nicht aus, was sie dachte. Daß sie die Unruhe ihrer Tochter nicht nur dem Ausbleiben jeder Nachricht von Francesco zuschrieb.
„Ich habe an alle, die ihn kennen, depeschiert!“ sagte Maria endlich. „Auch an die Polizei in Bologna. Wir werden so am schnellsten erfahren, wenn Francesco — etwas zugestoßen sein sollte.“
Aber die Antworten, die einliefen, lauteten alle unbefriedigend. Niemand hatte Francesco gesehen. Inzwischen verging die Zeit. Stunden wurden zu Ewigkeiten. Die Wohnung in Venedig war nur bis zum 31. August gemietet, die Gräfin konnte täglich damit rechnen, daß sie das Haus verlassen mußte. Sie lagerte einen Teil des Gepäcks auf dem Bahnhof in Venedig ein, bereitete ihre Abreise vor. Bestimmte, daß Pichi nach Bologna in die Wohnung zurückkehren sollte.
Plötzlich traf eine Depesche von Professor Giotti aus Bologna ein:
„Bleibe unbedingt in Venedig! Erwarte dort weitere Nachrichten!
Dein Vater.“
Was bedeutete das? Jetzt wuchs Marias Unruhe ins Unerträgliche, die Spannung war kaum mehr zu ertragen. Sie wanderte von Zimmer zu Zimmer. Die Köchin Frieda beobachtete ihre Herrin mit wachsendem Mißtrauen.
„Wie kann sie nur so tun, als ob sie sich wegen der langen Abwesenheit des Grafen solche Sorgen machte“, sagte sie zu Pichi. „Wir werden ja wieder ein Theater erleben! Anfälle! Verzweiflung, Schreie!“
Pichi zuckte die Achseln. Er verhielt sich reserviert.
„Warum soll sie heucheln? Der Graf ist immerhin ihr Mann!“
„Hat sich was! Ist er ja nicht! Nimmt sich doch immer andere!“
„Das geht dich nichts an, Frieda!“
„Los sein will sie ihn. Erinnerst du dich, was ich dir erzählt habe? Wer weiß, ob sie ihn nicht hat umbringen lassen!“
Das war zu viel für Pichi. Er packte die Verleumderin wütend am Arme und zerrte sie in ihre Kammer.
„Pack dich! Es ist Zeit! Du weißt, daß du das Haus morgen zu verlassen hast! Vorwärts! Scher dich raus!“
*
In dieser Nacht vom 2. zum 3. September brennt die ganze Nacht hindurch Licht im Zimmer Marias.
So wird es morgens gegen fünf Uhr. Der Himmel liegt noch in der sanften Röte des eben angebrochenen Tages, die Stadt schläft noch in einem violetten Hauch des Friedens. Da schrillt die Klingel durch das ganze Haus.
Gleich hinter dem Diener eilt Maria die Treppe hinab. Riccardo Giotti, der Onkel, und Nino Giotti, ihr Bruder, sind bereits eingetreten. Sehr erregt, bleich, Riccardo noch mehr als Nino, der schweigend stehen bleibt und seine Schwester groß und mitleidig ansieht —. Pichi, in der Ecke des Raumes, weiß schon, daß ein Unglück geschehen ist. Er liest es deutlich genug in den Gesichtern der Besucher.
„Onkel!“ stammelt Maria bestürzt, die Worte hervorpressend. „Onkel! Was ist vorgefallen? Was ist mit Francesco?“
„Francesco ist nicht wohl und konnte deshalb nicht zurückkehren!“
„Warum hat man mich nicht benachrichtigt?“
„Er konnte nicht sprechen —“
„Was heißt das: Er konnte nicht sprechen?“
Warum nur, denkt Pichi, will sie nicht begreifen, daß er tot ist?
„Er wurde gefunden, man wußte zunächst nicht, wer er war“, fährt Riccardo Giotti fort. „Er hatte keine Visitkarten bei sich! — Doch nein, was erzähle ich da! Er war allein zu Haus! Ich irre mich! Er konnte sich nicht bemerkbar machen. Ein Schlaganfall hat ihn vor vier oder fünf Tagen getroffen!“
„Ein Schlaganfall? Nein, ihr sagt nicht die Wahrheit! Ich flehe dich an, Riccardo —“
Bei diesen Worten blickt Maria Pichi an, der mit gesenktem Kopf dasteht und längst alles erraten hat. Der Schrecken raubt ihm die Sprache. — Sollte Frieda recht haben? denkt er. Sollte das eine Komödie sein? Sollte die Gräfin noch nicht begriffen haben? Aber wenn sie Komödie spielte, dann müßte sie doch schon längst wissen, was geschehen ist!
Auf welche Ideen bringen einen die klatschsüchtigen Weiber!
Aber dann werden seine Gedanken unterbrochen durch einen lauten Aufschrei der Gräfin.
Riccardo hat endlich die Wahrheit ausgesprochen.
„Ja, Francesco Martini ist tot!“
Alle begeben sich in das große Empfangszimmer des Hauses. Pichi beeilt sich, ein kleines Frühstück aufzutragen. Frieda horcht an der Tür.
Sie hört, wie der ältere Giotti, gleich Nino Advokat, an die Gräfin die Frage stellt:
„Hast du deinen Schmuck mit nach Venedig genommen, Maria, oder ist er in Bologna zurückgeblieben?“
„Schmuck? Mein Schmuck ist in Bologna, der wertvollste wenigstens. Auch Silberzeug. Geld? Nein, ich glaube nicht, wenigstens waren es nicht nennenswerte Beträge. Warum fragst du mich nach solchen Dingen — in diesem Augenblick?“
Der Onkel überhört die Frage. „Kannst du den Wert dieser Schmuckstücke angeben? Weißt du ungefähr, wie kostbar sie waren?“
„Warum richtest du nur so sonderbare Fragen an mich, Onkel Riccardo? Francesco ist gestorben, es ist vorbei, was hat mein Schmuck mit seinem Tode zu tun?“
„Weil zur selben Zeit, in der er starb, Diebe im Hause gewesen sind. Ich schätze den Wert der Schmucksachen auf wenigstens 5000 Lire. Mag das stimmen, Maria?“
„Das mag stimmen, Onkel!“
Mit diesen Worten begibt sich Maria, heftig weinend, in das Schlafzimmer der Kinder. Sie sind durch die Stimmen im Nebenzimmer erwacht.
Frieda, die hinter der Tür steht, hört die Kinder laut aufjauchzen. Sie haben erfahren, daß sie sofort abreisen sollen, daß die Reise nach Bologna geht, sie wissen nichts von dem Tod ihres Vaters, für sie ist dieser Tag voll Freude und Jubel. Maria klingelt. In ihrer Verwirrung kommt Frieda in das Zimmer. Sie stellt mit innerer Befriedigung fest, daß die Gräfin ganz ruhig ist, keineswegs fassungslos, wie eine Frau, der man eben, ohne jede Vorbereitung, den Tod ihres Mannes mitgeteilt hat.
„Rufe Adele!“ sagt die Gräfin, ohne das Mädchen anzusehen.
Die Zofe kommt. Maria beauftragt sie, ihr sofort ein schwarzes Kleid zu besorgen. „Ich besitze keins. Gehe zu Bocconi!“
Adele hat schon die näheren Umstände des Mordes erfahren. Die ersten Morgenblätter sind voll davon. Der Milchmann kolportiert bereits alle Einzelheiten.
Die Gräfin will um 8 Uhr nach Bologna reisen.
„Aber dann kann ich unmöglich ein schwarzes Kleid besorgen, Frau Gräfin. Bocconi öffnet nicht vor 8 Uhr, wenn wir auf das Kleid warten, werden wir den Zug versäumen!“
„Aber ich muß ein Trauerkleid haben! Soll ich etwa in einem meiner hellen Kleider in Bologna ankommen?“
Adele fragt schüchtern, ob die Frau Gräfin sich nicht einstweilen mit einem Kleid von ihr selbst begnügen wolle. Maria nimmt es an.
Frieda, die mit Adele zurückgekommen ist, hat, von niemand beachtet, eine Weile herumgestanden. Sie geht mit Adele wieder hinaus und stößt auf Pichi, der eben mit dem Frühstück kommt.
„Was habe ich dir gesagt? Was habe ich dir prophezeit? Sie hat ihn umbringen lassen. Ihr größter Schmerz ist, daß sie nicht gleich eine schwarze Toilette zum Anziehen hat!“
Pichi stellt das Tablett mit dem Frühstück in eine Fensternische und schlägt Frieda heftig ins Gesicht. Sie schreit wie eine Irrsinnige, er schleift sie, während Nino und Riccardo Giotti entsetzt hinausstürzen, zum Haustor.
„Raus! Canaille! Immer raus!
Adele! Den Koffer Friedas! Den Mantel! Den Hut!“
Adele, froh, die Person los zu werden, eilt in Friedas Kammer, schleppt den Handkoffer, Hut und Mantel herunter. Pichi wirft die Verleumderin kurzerhand aus dem Haus. Draußen steht sie noch eine Weile vor dem verschlossenen Tor und wartet schimpfend auf die Gondel, die sie zum Bahnhof bringen soll. Sie fährt nach Ala zu ihrer Mutter.
Was soll die Gräfin? denkt Pichi, nach oben gehend. Schreien? Alles ist so unerwartet gekommen! Sie ist betäubt von dem Schmerz. Ist der Graf nicht der Vater ihrer Kinder? Sie betrauert ihn, das ist sicher. Freilich! Warum denkt sie jetzt nur an Kleider?
Er tritt in das Zimmer. Es kommt ihm vor, als wären Riccardo und Nino Giotti weit mehr erschüttert als die Witwe. Ninos Gesicht ist spitz, die Farbe fast grün. Durch die Mattscheibe der Verbindungstür sieht Pichi die Silhouette der Gräfin. Sie probiert Adeles Kleid an, ihre Bewegungen sind ruhig, er hört sie sagen:
„Es sitzt sehr schlecht, Adele! Wie sehe ich bloß darin aus!“
Adele antwortet nichts. Aber nach einer Weile hört Pichi, der die Herren am Frühstückstisch bedient, die Zofe sagen:
„Ist es nicht ganz entsetzlich, Frau Gräfin? Dreizehn Messerstiche?“
Im nächsten Augenblick wird die Tür aufgerissen, Gräfin Maria steht mit großen, erschreckten Augen vor den Männern.
„Dreizehn Messerstiche? Diebe? Schmucksachen? Was soll das heißen? Oh, mein Gott, er ist ermordet worden!“
Riccardo Giotti, der aufgesprungen ist, antwortet leise:
„Ja, Maria! Dein Gatte wurde ermordet!“
Pichi fühlt: Ich bin durch Friedas Gemeinheiten unsicher geworden. Er beobachtet die Gräfin. Auch ihm fällt ihre Ruhe auf. Sie schreit nicht auf. Sie sieht ihn an, Pichi, ja, merkwürdigerweise schaut sie gerade auf ihn! In ihrem Gesicht ist keine Bewegung. Es gleicht dem Marmor. Sie atmet schwer. Schließlich senkt sie den Kopf, ihre Augen treffen Nino. Ohne ein Wort zu sagen, dreht sie sich um und verschwindet in dem Ankleidezimmer.
Pichi geht kopfschüttelnd hinaus. —
Zwei Stunden später reist die Gräfin Martini mit ihren Kindern nach Bologna.
Die Mutter versuchte, Maria zu trösten. Aber sie hatte ein starres Gesicht und schien nichts zu hören.
Als sie in Bologna ausstieg, überkam sie eine Schwäche. Die Freunde, die sie erwarteten, mußten sie in das Auto heben. Man nannte dem Chauffeur die Via Mazzini als Adresse.
Die Gräfin, mit verstörtem Gesicht, gleichsam als erwachte sie jetzt erst aus einem dumpfen Traum, schreit:
„Nein! Nicht in dieses Haus! Nicht in das Haus des Schreckens! Ich will ihn nicht mehr sehen! Ich will diese Wohnung nicht mehr sehen! Ich will das Haus nicht mehr sehen!“
Das Auto macht einen großen Umweg rund um Bologna und bringt Maria mit ihren Kindern in das Haus ihres Vaters, des Professors Giotti. Er selbst ist erst vor wenigen Tagen in Bologna eingetroffen und empfängt seine Tochter.
„Arme Maria! Wie warst du immer unglücklich!“
Die Gräfin wirft sich schluchzend an die Brust ihres Vaters.