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ABSCHNITT 1
DAS JAHR DER ANSTECKUNG

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In Charles Baudelaires »Les Fleurs du mal« gibt es das Gedicht »À une passante« (»Auf eine Vorübergehende«). Tobender Straßenlärm, städtische Menge. Die Erzählerposition hat ein Mann der Menge inne, die Ich-Figur, an ihm geht eine Passantin vorbei, Blicke, die einander treffen, kurz, wie ein Blitz. »Werd ich in Ewigkeit dich erst wiedersehen? / (…) Ich weiß nicht, wohin du gehst, du nicht, wohin ich / Dich hätte ich geliebt und du hast es gewusst.« Für Walter Benjamin war Baudelaire der erste große Dichter des großstädtischen Lebens, einer neuartigen Existenzform, die sich durch Eigenarten auszeichnet wie: Lautstärke, Lebendigkeit, ein Feuerwerk der Eindrücke und flüchtiger Wahrnehmungen, Blicke, Sehen, Gesehenwerden, anonyme Begegnungen, Überreizung der Sinne.

Für einen Augenblick erregt die Vorübergehende die Aufmerksamkeit, doch man weiß, man wird einander nicht wiedersehen. Wir kennen das. Womöglich spielen wir in Gedanken die Möglichkeiten durch. Womöglich hätte sie die Liebe erwidert. Modernes Leben, das sind Begegnungen, Kennenlernen und vergebene Möglichkeiten, Fantastereien über andere. Ein paar Sätze, die man mit Unbekannten wechselt. Die Leute, die man vom Sehen, jene, die man vom Wegsehen kennt. Zugleich alleine und doch in Gesellschaft sein. Geräusche, Maschinengetöse manchmal, das Gerumple der Tramways, Gehupe der Autos, schnurrende Motoren, das Quietschen, wenn einer zu schnell um die Ecke fährt, der Geruch aus der Bäckerei, Gewurl der Leiber, die Menschentrauben vor den Lokalen, die Raucher in den Hauseingängen. Hunderttausende, die zu Freunden werden könnten, aber Unbekannte bleiben, weil wir an ihnen vorübereilen. So lebten wir.

Im Jahr der Ansteckung war dieses städtische Leben zeitweise völlig stillgelegt und auch ansonsten schmerzhaft ausgedünnt. Als hätte jemand die Pausetaste gedrückt.

Die neue (Ab)normalität

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