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1. Schamanen als Träumer

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Um handeln zu können, brauchte ich Träume. - Isaac Tens, Gitksan-Schamane

Was ist ein Schamane? Das Wort wurde Anthropologen des Volkes der Tungus in Sibirien entliehen. Seine ursprüngliche Bedeutung ist unklar. Manche glauben, es bedeutet »Priester«, doch Schamanen, schamanische Heiler, die sich unmittelbar mit der Erleuchtung beschäftigen, sind etwas ganz anderes als Priester, die Hüter von empfangenen Doktrinen und Ritualen. Der Begriff Schamane wurde durch die Veröffentlichung von Mircea Eliades Klassiker Schamanismus und archaische Ekstasetechnik bekannt. Nach Eliades Darstellung ist ein Schamane ein spiritueller Meister in der Kunst des Reisens außerhalb des irdischen Körpers. Er reist auf diese Art, um mit den Geistern zu kommunizieren, die Seelen der Lebenden und der Toten zu lenken und ihnen Heilung zu bringen.

Hier sind einige der Merkmale, die Schamanen definieren:

 Sie können in versteckte Dimensionen der Realität reisen.

 Sie arbeiten mit Krafttieren und Geisthelfern.

 Ihr Aufgabengebiet ist die Fürsorge und Führung der Seele.

 Sie sind über den Tod hinausgegangen und zurückgekommen.

 Ihre Fähigkeiten und Dienste werden von ihrer Gemeinde geschätzt.

Bei den Völkern in Zentralasien ist die wichtigste Reiseausrüstung eines Schamanen die eingefasste einköpfige Trommel, die wir in Kreisen des aktiven Träumens verwenden. Es gibt eine Geschichte aus Buryat (der Mongolei) darüber, wie der Schamane zur Trommel gekommen ist. Vor langer Zeit beschwerte sich der Tod beim Hohen Gott darüber, dass ein mächtiger Schamane das Gleichgewicht aller Dinge stören würde. Dieser Schamane war in seinen Bemühungen, die Seelen der Sterbenden in den Körper zurückzuholen, so erfolgreich, dass der Tod um seinen Anteil betrogen wurde. Daraufhin griff der Hohe Gott hinunter auf die Erde, pflückte die lebendige Seele eines völlig gesunden Mannes aus dessen Körper, verbannte sie in eine Flasche und setzte sich wieder auf seinen hohen Thron. Dort wartete er ab, was der Schamane tun würde. Der Schamane, der von der Familie des unglücklichen leblosen Mannes aufgesucht worden war, bestieg seine Trommel - die er sein »Pferd« nannte - und ritt auf der Suche nach der vermissten Seele durch die Untere Welt und die Mittlere Welt. Um sein Ziel zu erreichen, musste er höher als je zuvor bis hinauf in die Obere Welt reisen, bis er schließlich den Hohen Gott auf seinem hohen Thron erblickte, der die Seele in einer Flasche festhielt. An diesem Punkt hätte wohl selbst der abgebrühteste Schamane aufgegeben. Doch unser Schamane weigerte sich, seine Mission abzubrechen. Er verwandelte sich in die Gestalt einer Wespe und stach den Hohen Gott in die Stirn. In seinem Schock und Schmerz ließ der Hohe Gott die Flasche los. Der Schamane griff nach der gefangenen Seele und galoppierte mit ihr zurück zu seinem Dorf. Zornig schleuderte ihm der Hohe Gott einen Blitz hinterher. Der Blitz schlug in die zweiköpfige Trommel des Schamanen ein und zerbrach sie in zwei Stücke. Daher kommt die klassische Form der Trommel, wie wir sie heute kennen.

Diese ungestüme archaische Geschichte zeigt mehrere ganz wichtige Aspekte, wie ein Schamane arbeitet. Er arbeitet mit Seelen. Er hat die Fähigkeit, durch ein dreischichtiges Universum zu reisen - die Untere Welt, die Mittlere Welt, die Obere Welt -, das sich in einen multidimensionalen Kosmos öffnet. Der Schamane übt die Kunst des »Shapeshifting« aus. Er ist mit dem Tod vertraut. Er ist bereit, die Grenzen des Möglichen zu testen. Und er dient der Gemeinschaft.

Diese Aussagen treffen auf echte Schamanen in vielen verschiedenen Kulturen zu. »Das einzig Wichtige am Menschen ist seine Seele«, sagte ein Schamane der Inuit, auch angakok genannt, zu dem Forscher Knud Rasmussen. Die alten Taoisten in China haben das Herzstück ihrer schamanischen Tätigkeit als »die Kunst, bei hellem Tageslicht vom Himmel zu steigen« beschrieben und sich in der Technik des »Kranichreitens« versucht - auf den Flügeln des Kranichs oder der Wildente, des Drachens oder des fliegenden Tigers zum Himmel aufzusteigen.1 Ein Geist der Aborigines, der gefragt wurde, wie er andere heilte, erklärte dem Jungianer Robert Bosnak: »Ich werde zum Adler«.2 Wie Holger Kalweit festgestellt hat, balanciert der Schamane am Rande des Todes. Er kennt die Wege des Jenseits, weil er sie selbst bereist hat. »Er stirbt tatsächlich und wird tatsächlich wiedergeboren.«3

In Kulturen der Naturvölker können Schamanen in eine bestimmte Blutlinie hineingeboren werden und eine rituelle Ausbildung, Prüfung und Einweihung absolvieren. Doch die Berufung zum Schamanen enthüllt sich gewöhnlich durch eine höchst individuelle Krise. Dies könnte beispielsweise eine ernste Krankheit oder ein Nahtoderlebnis sein. Meistens kündigt sich die Berufung zum Schamanen jedoch in Träumen und Visionen an. Bei den Ojibwa ist die Enthüllung der Berufung zum Schamanen - oder was immer die Aufgabe der Seele sein mag - häufig die Begabung zum Traumführer oder pawauganuk.

In allen Beschreibungen des Schamanen in der Literatur - als verwundeter Heiler, als Seelenführer, als Pendler zwischen den Welten, als einer, der mit Geistern verhandelt - findet sich ein wesentliches Element, das nur selten stark genug hervorgehoben wird und das manchmal sogar ganz übersehen wird. Der Schamane ist vor allem eines: ein Träumer. Schamanen werden in Träumen ihrer Berufung zugeführt. Sie werden in der Traumzeit eingeführt und ausgebildet. Der Kern ihrer Tätigkeit ist die bewusst gewollte Traumreise. Sie können Träume ausbrüten, um eine Diagnose zu stellen und die richtige Behandlung für den Patienten auszuwählen. Sie gehen - hellwach und bewusst - in ihren Traumkörpern auf die Reise, um verlorene Seelen wiederzufinden, mit den Geistern zu verhandeln, gegen Zauberer anzukämpfen und den Geist der Verstorbenen auf den richtigen Weg zu bringen.

Ja, Halluzinogene oder Entheogene sind in manchen Teilen der Welt - vor allem in Südamerika - charakteristische Merkmale schamanischer Traditionen. Doch die Meisterschamanen produzieren ihre eigenen Chemikalien im Körper und wirklich mächtige Träumer brauchen keine Halluzinogene. Ich selbst habe sie noch nie angewandt, aber ich wurde schon in früher Kindheit von Träumen berufen und habe die Realität anderer Welten während meiner lebensbedrohlichen Krankheit kennen gelernt. Daher verurteile ich andere nicht, die Hilfe suchen, indem sie das scharfe Auge der Vision öffnen.

Schamanen werden nicht nur durch Träume berufen, sondern das Träumen bildet auch den Kern ihrer Tätigkeit. Eine geläufige Beschreibung für Schamanen in der westlichen Hemisphäre ist ganz einfach »jemand, der träumt«. In der Sprache der Mohawks ist eine Schamanin, wie schon erwähnt, eine atetshents, »adze-edze-ots« ausgesprochen (die männliche Form lautet ratetshents). Das bedeutet »Träumer/in« im Sinne von jemandem, der lebhaft träumt, der die Wahrheit träumt, der im Traum reisen und andere im Traumraum heilen kann. Außerdem bedeutet es auch noch »Doktor« und »Heiler«. Hier findet sich das uralte Verständnis, dass man in den Traumwelten zu Hause sein muss, um ein Schamane, Arzt oder Heiler sein zu können.

Bei dem Daur-Stamm der zentralen Mongolei ist der Schamane (yadgan) ein starker Träumer, der in seinen Träumen sicher und effektiv Seelenwege beschreiten kann, auf denen andere sich verlaufen würden. Wenn die Vermutung eines partiellen Seelenverlusts naheliegt, versucht der Schamane, in einem besonderen Traum (soolong) die Wahrheit herauszufinden. »Der Soolong-Traum war die wichtigste Methode der Weissagung vor einer schamanischen Séance, und der Schamane konnte durch diese Methode den Leuten sagen, welcher Geist aktiv war, wo im Universum er sich befand und an welchem Tag die Zusammenführung stattfinden sollte.«4 Schamanen handeln mit ihrer Traumgabe wie mit einem kostbaren Gut, und es kann passieren, dass sie sich weigern, für andere zu träumen, solange sie nicht mit Geschenken und Anerkennung dazu bewogen werden. Die Familienangehörigen eines Sterbenden bitten einen Schamanen, »über seinen Traum zu wachen«, um herauszufinden, ob eine Nachtreise (dolbor) durchgeführt werden muss, und wenn ja, welcher Weg zu gehen ist.5 Der Daur-Schamane fordert seine Patienten auch auf, selbst zu träumen. »Wenn du keinen Traum hast, kann das Ritual nicht durchgeführt werden«, erklärte ein mongolischer Schamane einem Gast, der ihn wegen eines Magenleidens um Hilfe anflehte.6 Interessanterweise ist das mongolische Wort für den Traum des Schamanen, soolong, mit dem Wort für »Regenbogen« (solongo) verwandt. Daraus ergibt sich der Hinweis, dass ein Traum eine Regenbogenbrücke zwischen den Welten ist.

Unter den Worora in Australien heißt es: »Wenn ein Schamane mit den Geistern der Toten spricht, geschieht das, indem seine Seele seinen Körper im Schlaf verlässt.« Dann begegnet der Schamane dem »Schatten« des Verstorbenen, der ihn ins Reich der Toten und wieder hinaus führt. Der Schamane bringt heilige Tänze und Lieder (von seiner Reise) mit.7

Die Aborigines in Walcott Inlet, Australien, glauben, dass der Schlangengott Unggud potenzielle Schamanen in ihren Träumen zu sich ruft. Die Einweihung hängt von der Fähigkeit des Einzelnen ab, Mut zu beweisen und sich einer Reihe von beängstigenden Prüfungen zu unterziehen. Am Schluss wird er in einem neuen Körper und mit einem neuen Gehirn wiedergeboren, das mit Licht angefüllt ist. Nun besitzt der Schamane die Fähigkeit, ein Traumdouble zu projizieren. Seine Fähigkeiten werden miriru genannt. In Aboriginal Men of High Degree schreibt A. P. Elkin, dass miriru im Grunde genommen »die Fähigkeit eines Medizinmannes ist, sich in einen Traumzustand oder eine Trance mit all ihren Möglichkeiten zu versetzen«.8 In der Sprache des ältesten Menschenstamms findet sich das Verständnis, dass die Kraft eines Schamanen oder einer Schamanin in seiner oder ihrer Fähigkeit zu träumen liegt.

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