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EIN SINGENDER SCHAMANE, DER VON DER EULE UND TRÄUMEN GERUFEN WIRD
ОглавлениеEine klassische Schilderung, wie Schamanen durch Träume zu ihrer Tätigkeit berufen werden, stammt von Isaac Tens, einem halaait (Schamanen) des Gitksan-Volkes im Nordwesten des Pazifiks. Der französisch-kanadische Wissenschaftler Marius Barbeau schrieb 1920 Tens’ Erzählung und seine Lieder in Hazelton, British Columbia, nieder. Es ist eine wilde Geschichte, in der Träume in die physikalische Welt überschwappen und in der sich Vögel und Tiere wie Geister benehmen (so wie Schamanen es von ihnen kennen).
»Dreißig Jahre nach meiner Geburt«, berichtet Tens, hätte er in der Dämmerung Holz gehackt, als eine riesige Eule auf ihn zugeflogen sei. »Die Eule hat mich gepackt, mein Gesicht ergriffen und versucht, mich hochzuheben.« Tens verlor das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, stellte er fest, dass er im Schnee gestürzt war und ihm das Blut aus dem Mund rann. Seine Welt wurde immer seltsamer. Während er sich nach Hause schleppte, schienen die Bäume sich über ihn zu beugen und ihm dann wie Schlangen hinterherzuschlängeln. Zu Hause im Bett verfiel er in einen wirren Zustand. Ihm war, als wäre er in eine starke Strömung gefallen.
Seine Familie holte zwei Schamanen herbei, die in diesem spirituellen Notfall eine mögliche Berufung sahen. Sie sagten Isaac Tens, er sei dazu bestimmt, ein Schamane wie sie zu werden. Doch das wollte er nicht hören. Als er sich wieder erholt hatte, ging er auf die Jagd. Er schoss und rupfte ein paar Eisvögel. Dann erblickte er wieder eine riesige Eule. Er schoss sie ab und sah, wie sie zu Boden fiel. Doch als er an die Stelle ging, um den Kadaver zu holen, war die Eule spurlos verschwunden. Als Tens in seine Hütte zurückkehrte, hatte er den Eindruck, als würde eine ganze Reihe von Geistern ihm folgen. Er fiel in Trance in den Schnee.
Als er sich wieder aufgerappelt hatte und über einen eingefrorenen Fluss nach Hause zurückging, schien sein Körper zu kochen und ein Lied stieg in seiner Kehle auf. »Gesang kam aus mir heraus, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte.« Um ihn herum und nur für ihn sichtbar waren Geistertiere. »Visionen wie diese tauchen auf, wenn ein Mensch dabei ist, ein halaait zu werden. Die Lieder steigen vollendet in ihm hoch, ohne jegliche Bemühung, sie zu komponieren.«
Die Schamanenlieder strömten weiterhin aus ihm heraus. Jetzt nahm er seine Berufung an. Ihm wurde geraten, zu ihrer Erlernung abgeschottet zu leben und nur mit vier Cousins in Verbindung zu bleiben. Sie waren Mitglieder des Wolfclans, die über ihn wachten. Das Schlüsselelement in dieser Trainings- und Vorbereitungsphase war das Träumen. »Um handeln zu können, musste ich träumen.«
Etablierte Medizinmänner teilten ihr Wissen mit Tens, als er anfing, mit eigenen Patienten zu arbeiten. Doch am stärksten wurde er von Träumen und Visionen geleitet. »Ich fing an, die Krankheitsfälle durchs Träumen zu diagnostizieren.« Seine Träume zeigten ihm, welche Lieder, Talismane und Tiergeister er in einem bestimmten Fall verwenden sollte. Um eine Krankheit - oder genauer gesagt, den bösen Geist, der die Krankheit in den Körper des Patienten getragen hatte - auszutreiben, legte er einen Talisman auf sich und verlängerte ihn, um den Patienten zu erreichen oder zu bedecken. Der Talisman »war nie ein realer Gegenstand, sondern immer einer, der mir in einem Traum erschienen war.«
Im Traum erhielt Tens ein Geistkanu, das er als Heilmittel einsetzte. »In einem Traum, den ich einmal über den Hügeln hatte, sah ich ein Kanu. Es erschien mir in vielen Träumen. Manchmal schaukelte das Kanu auf dem Wasser und manchmal auf den Wolken. Immer wenn irgendwo ein Problem auftauchte, konnte ich in Visionen mein Kanu sehen.«
Schließlich hatte er dreiundzwanzig Lieder der Energie und Heilkraft zusammen; die meisten wurden ihm unmittelbar in Träumen und Visionen überliefert. Er träumte ein Lied vom Lachs:
Das Dorf wird geheilt sein, wenn mein Lachsgeist hineinschwimmt.
Er träumte, dass seine beiden verstorbenen Onkel ihm für beide Hände Rasseln gaben und dass ein Grizzlybär durchs Haus rannte und sich dann hinauf in die Lüfte und zwischen die Wolken schwang. Er schwenkte die Rasseln in den Händen und machte die Geräusche des Bären nach, der es auf der Erde hatte donnern lassen und dann hinaufgeschwebt war.
In einer Vision reiste er in ein fremdes Land voller Bienen. Die Bienen zerstachen seinen ganzen Körper. Danach half ihm eine uralte Frau zu wachsen. Er sang:
Ein Bienenschwarm zerstach meinen Körper. Großmutter bringt mich in meiner Vision zum Wachsen. Eyiwaw!
In einer anderen Vision fiel er aus großer Höhe in ein Kanu, das ihn hinauf zwischen die Gebirgshöhen trug. Dort hörte er die Gebirgsgeister, die sich mit Stimmen unterhielten, die wie Glocken klangen. Er sang:
Die Berge sprechen miteinander.
Wenn er seine ernstesten Fälle behandelte, trug Isaac Tens ein Bärenfell mit einer Kapuze aus einer Bärenklaue und eignete sich die Kraft des größten Medizintiers in Nordamerika an, dessen Lied er in seinen eigenen Träumen übernahm. Bei solchen Anlässen versammelten sich die Familie, die Freunde und andere Schamanen, um eine heilende Gemeinschaft zu bilden.
Häufig ging es um die Rückführung einer Seele. »Wenn der Patient sehr geschwächt ist, fängt der Schamane seine Seele mit den Händen ein und bläst sanft darauf, um ihr mehr Atem einzuflößen. Bei einem noch geschwächteren Patienten nimmt der halaait einen heißen Stein von der Feuerstelle und hält die Seele darüber. Er kann auch ein wenig Fett auf dem heißen Stein zum Schmelzen bringen. Seine Hände drehen den Stein von einer Seite auf die andere und nähren so den kranken Geist.« Zum Schluss wird die Seele in den Kopf des Patienten geleitet.9