Читать книгу Eine Geschichte der Menschen mit Behinderung Dis/abled in 500-1620 - Robert Ralf Keintzel - Страница 8

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3. MITTELEUROPÄISCHE HERRSCHAFTSSTRUKTUREN / (DIS)ABLED RULERS

Die Zeit des Mittelalters ist eine Zeit von wechselnden Herrschaftsverhältnissen sowie -strukturen, der Autor möchte dabei die wichtigsten mitteleuropäischen Herrschaftsverhältnisse und -strukturen im Zeitalter des Mittelalters sowie der Renaissance aufzeigen.

Das Römische Reich teilte sich im Jahr 395 n. Chr. in ein westliches und östliches Reich. Später, im Jahr 410 n. Chr., wurde Rom, die Hauptstadt des Weströmischen Reichs, durch die Westgoten erobert und letztendlich fand im Jahr 476 n. Chr. die Absetzung des letzten Weströmischen Kaisers durch den Ostgotischen König Theoderichs des Großen statt.9 In der Zeit der Königsherrschaft von Theoderichs des Großen vom Jahr 476-526 waren germanische Stammesgruppen sowie das Fränkische Reich in Mitteleuropa vorherrschend, zu dieser Zeit war Burgund mit Theoderichs des Großen verbündet. Im Jahre 498 fand ein ereignisreicher Tag am Ort der heutigen Kathedrale Notre Dame statt. Der fränkische König Chlodwig ließ sich taufen und nahm damit gemeinsam mit seinen Untertanen den römisch-katholischen Glauben an. Chlodwig war der erste Germanenherrscher, welcher den römisch-katholischen Glauben annahm, dieses Ereignis war die Voraussetzung für die Verschmelzung von römischer sowie germanischer Kultur und auch Bevölkerung. Mit der Taufe Chlodwigs sicherte er den Aufstieg des Frankenreiches, versöhnte Germanentum und römische Tradition und legitimierte eine spätere expansive Machtpolitik Karls des Großen.10 Die Wahl des Königs war bei den Römern der Spätantike wie auch bei den Germanen die traditionelle Form der Einsetzung eines Königs. Erst die Geblütsheiligkeit begründete eine Vererbbarkeit des Königtums, was im Frankenreich den Merowingern gelang.11 Die Geblütsheiligkeit besagt, wie der Name schon sagt, die hohe Qualität des Geblüts einer Person und einer Familie, da in der damaligen Gesellschaft verbreitet war, dass Charaktereigenschaften sich vererben.


Abbildung 1:

Die Ausdehnung des fränkischen Reiches in den Jahren 481-814

Später, im Jahr 531, eroberte das fränkische Reich sowohl Thüringen als auch im Jahr 532 Burgund. Das Herrschaftsgeschlecht der Merowinger, welches Chlodwig angehörte, dehnte ihr Herrschaftsgebiet immer weiter aus, sodass das Frankenreich bald eine Vormachtstellung in Mitteleuropa innehatte.12 Nach König Chlodwig wurde das fränkische Reich unter seinen Söhnen und Nachfolgern aufgeteilt. Erst ab dem Jahr 558 unter König Chlothar I. fanden die drei Reichsteile (Neustrien, Austrien und Burgund) wieder zusammen. Die Herrscher setzten bei der Verwaltung der Reichsteile sogenannte Hausmaier ein. In der Funktion von Hausmaiern gewann das Geschlecht der Pippiniden an Bedeutung. Karl Martell (686–741) konnte sich schließlich als Hausmaier im gesamten fränkischen Reich durchsetzen.13 Mit Karl Martell gründete sich der Hausname eines Herrschergeschlechts, das lange herrschen sollte: die Karolinger. Im Jahr 751 setzte die Adelsfamilie der Karolinger in Person von Pippin III die fränkische Herrschaftsfamilie der Merowinger ab. Pippin III übernahm 751 den fränkischen Königsthron auch mit Hilfe des Papstes,14 welcher im Jahr 756 mit der sogenannten Pippinischen Schenkung für seine Unterstützung belohnt wurde. Hierbei handelte es sich um Territorien in Mittelitalien, worauf sich der Kirchenstaat gründete.15 Pippins Sohn Karl der Große dehnte das fränkische Königreich immer weiter aus und erlangte im Jahr 800 durch den Papst gekrönt die Kaiserwürde.16 Mit der Kaiserwürde trat der Kaiser des Römischen Reiches nun aber, wenn vielleicht auch ungewollt, in Konkurrenz mit dem byzantinischen Reich und seinem Kaiser, was zu 400 Jahre währenden angespannten Verhältnis führte.

Karl der Große zeugte nachweislich 18 Kinder, wobei die tatsächliche Zahl darüber liegt, sodass mancher Deutsche oder Österreicher die Gene Karls des Großen in sich trägt.17 Sein ältester Sohn war Pippin der Bucklige, dessen Beiname auf einen sogenannten körperlichen Defekt (gibbo deformis) anspielte. Seine Beeinträchtigung führte dabei zum Ausschluss in der Thronfolge.18 Er ging aus der Ehe zwischen Karl dem Großen und Himiltrud hervor, diese Ehe wurde später als nicht vollwertig bezeichnet, sodass Pippin der Bucklige aus der Reihe der „vollwertigen Nachfolger“ von Karl dem Großen verdrängt wurde. Pippin der Bucklige rebellierte im Jahre 792, wurde besiegt und später in ein Kloster verbannt.19 Mit Karl dem Großen verlagerte sich der Mittelpunkt der Macht vom Mittelmeerraum in den Raum nördlich der Alpen. Dennoch zeigte sich das Frankenreich gegenüber der islamischen Herrschaft auf der iberischen Halbinsel als auch Byzanz im Hinblick auf die Bildung sowie Wissenschaft als unterlegen. Diesen Mangel versuchte Karl der Große durch die sogenannte karolingische Renaissance auszugleichen, hierbei bemühte er sich um die antiken römischen Traditionen sowie um die Zentralisierung und die Angleichung andererseits. So geht etwa die Vereinheitlichung der Verwaltung, der Liturgie als auch der Schrift (karolingische Minuskel) auf Karl den Großen zurück.20 Ziel der Karolinger bereits vor Karl dem Großen war es, eine zentralistische sowie einheitliche Herrschaftsstruktur auszubilden. Dabei sollte eine fränkische Grafschaftsverfassung an die Stelle der germanischen Stammesherzogtümer rücken. Dies konnte aber im westlichen Teil des Frankenreiches besser umgesetzt werden als im östlichen Teil. Im fränkischen Herrschaftsgebiet rechts des Rheins konnten sich die älteren Stammesherzogtümer verstärkt halten, um sich auch unter den Nachfahren Karls des Großen ab Anfang des 10. Jahrhunderts wieder zu entfalten.21 Die Tatsache, der Differenz in der Durchsetzung des Zentralstaats unter Karl dem Großen, hatte weitreichende Folgen. Darin kann auch der Grund gesehen werden, warum sich später Frankreich zu einem zentralistischen Staat und Deutschland zu einem Staat mit vielen verschiedenen einzelnen Kräften im Bund entwickelte. Dieses riesige Reich von Karl dem Großen begann bereits nach ihm zu zerfallen und wurde schließlich unter seinen Enkeln im Jahre 843 in einen romanischen Westen, einen germanischen Osten als auch ein „Mittelreich“ aufgeteilt. Im Vertrag von Verdun wurde die Reichsteilung beschlossen, unter Lothar I., Karl dem Kahlen und Ludwig dem Deutschen. Ludwig der Deutsche bekam das Gebiet östlich des Rheins und der Aare, Karl dem Kahlen wurden die Länder westlich von Schelde, Maas, Rhône sowie Saône zugesprochen und Lothar I. erhielt das heute nach ihm benannte Gebiet Lothringen, Italien wie auch die Provence. Die Herrschaftsgebiete verschoben sich später auch mit den Verträgen in den Jahren 870 sowie 880.22 Einer der Gründe war der Tod Lothar II. Im Jahre 855 übernahm Lothar II. die Herrschaft über Lothringen. Er hatte zunächst eine Friedelehe mit Waltrada. Diese Form der Ehe ging auf die germanisch-rechtlichen Vorstellungen zurück und war von der katholischen Kirche nicht gern gesehen. Die Bezeichnung leitet sich vom germanischen friudiea ab, was sich mit ‚Geliebte‘ übersetzen lässt. In dieser Form der Ehe steht die Frau nicht unter der Vormundschaft des Mannes. Im Laufe der Zeit verlor die Friedelehe an Bedeutung und wurde durch die Muntehe ersetzt. Bei der Muntehe ist der Mann Vormund der Frau. Lothar II. hatte vier Kinder in der Friedelehe mit Waltrada. Dies war aber problematisch, da es den Kindern an Legitimität fehlte und die Herrschaftsfolge gefährdet war. Daher ließ Lothar II. sich scheiden und heiratete neu in einer Muntehe mit Teutberga. Diese Ehe blieb bis zu seinem Tod kinderlos. Zuletzt versuchte Lothar II. seine Kinder als legitime Erben von der katholischen Kirche anerkennen zu lassen. Der Anerkennungsprozess konnte aber nicht abgeschlossen werden. Davor starb Lothar II. im Jahre 569. Kinderlosigkeit oder das nicht Vorhandensein nicht legitimer Erben zeigt sich als mögliches gravierendes Problem am Beispiel Lothar II.23 Im Laufe der Zeit versuchten sowohl das Ostfränkische Reich als auch das Westfränkische Reich, sich voneinander abzugrenzen, nicht nur die Grenzen von Territorien, sondern auch die von Sprachen wurden gezogen. So entwickelte sich im Westfränkischen Reich die spätere französische Sprache und im Ostfränkischen Reich die spätere deutsche Sprache.24 Für das Ostfränkische Reich gab es aber auch noch ganz andere Nachbarn, so musste man sich gegen Slawen im Osten und plündernde heidnische Völker im Norden wehren.25


Abbildung 2:

Die Reichsteilung des Fränkischen Reichen im Jahr 843:

Das Westfränkisches Reich mit Karl den Kahlen, das Ostfränkische Reich mit Ludwig den Deutschen und das „Mittelreich“ bzw. Lotharingen mit Lothar I.

Mit dem Aussterben der Karolinger übernahm zunächst von 911-918 Konrad I ein Kompromisskandidat, später im Jahre 919 erlangte Heinrich I aus dem Geschlecht der Ottonen die Königswürde im Ostfränkischen Reich oder „das Reich der Deutschen“, wie es bereits genannt wurde, dehnte das Reich nach Osten aus, besiegte die Ungarn und konnte damit das Ostfränkische Reich etablieren.26 Erst seinem Sohn Otto I war es aber im Jahr 962 möglich, die Kaiserwürde zu erlangen und so das Römische Reich zu gründen. Der Name leitete sich vom Anspruch ab, die Traditionen des Römischen Reiches fortzusetzen sowie das Kaisertum mit Gottes Willen zu legitimieren.27 Otto I benütze darüber hinaus das Reichskirchensystem als Stütze der Königspolitik für die nächsten 120 Jahre, auch vollendete er den Prozess einer Schaffung von Reichsidentität ab dem Vertrag von Verdun. Er ließ sich von allen Stämmen als König wählen und vergab die wichtigsten Positionen und die Herzöge als Ämter.28 Otto I oder auch Otto der Große war ein wahrhaft bedeutender Herrscher, welcher im Jahr 955 einen wichtigen Sieg gegen die Ungarn errang. Was aber häufig nicht bekannt ist, ist, dass er im Jahr 957 schwer erkrankte, so stellte er jedes Jahr durchschnittlich zehn Diplome aus, dies war das vornehmste Geschäft des mittelalterlichen Herrschers. Ab dem 12. Dezember 956 bis zum Januar 958 begann aber eine Pause von gut 13 Monaten, wobei kein Diplom ausgestellt wurde. Seine Krankheit wurde verschwiegen und nur bei den Chronisten Widukund von Korvey findet man verdächtig beiläufig:29

„Um diese Zeit begann der Kaiser auch selbst zu erkranken, aber durch die Verdienste der Heiligen.vor allem durch den Schutz des berühmten Märtyrers Vitus – des Patrons von Korvey – wurde er von seiner Krankheit wieder gesund.“30

Kranksein war für mittelalterliche Könige gefährlich, nach innen, da Thronstreitigkeiten aufflammen konnten, und nach außen durch Nachbarn sowie Feinde, wenn eine Schwäche aufgrund einer Krankheit erkannt wurde. Ein Herrscher musste daher seine Stellung repräsentieren, an der Spitze seines Heeres reiten, sichtbar sein für Volk und Adel, also insgesamt „fest im Sattel sitzen.“ Daher kann man in den Chroniken auch fast nichts lesen, was auf eine Krankheit oder auf eine Beeinträchtigung hindeutet, da dieses durch Weihe und Gottesgnadentum für einen König ein Makel darstellte. Es war daher bereits eine Besonderheit, als der abgesetzte sowie verstümmelte byzantinische Herrscher Justinian II Anfang des 8. Jahrhunderts mit abgeschnittener Nase und nach zehn Jahren Exil den Kaiserthron von Konstantinopel bestieg.31


Abbildung 3:

Das Heilige Römische Reich um das Jahr 1000 mit den Grenzen von 972 unter Otto I. und 1032 unter Konrad II. Bereits um das Jahr 1000 war das heutige Deutschland im Gebiet des Römischen Reiches vertreten.

Die Nachfolger Otto I. waren Otto II. und Otto III. Otto II. herrschte in den Jahren 973 bis 983 und konnte sich, auch wenn sehr kurz, der Stabilisierung des Reiches nach außen und innen widmen. Otto II. starb im Alter von 28 Jahren anhand einer falsch behandelten Malariaerkrankung. Auf ihn folgte Otto III., der in den Jahren 983 bis 1002 herrschte. Seine Herrschaft wurde durch ein neues Konzept für Europa gekennzeichnet, darin wollte er ein supranationales Reich unter seiner Herrschaft erschaffen. Eine Renovatio Imperii Romanorum, das heißt ein Wiederbeleben des alten Römischen Reiches, unter dessen Herrschaft es keine verschiedenen Nationen gibt, sondern nur ein europäisches bzw. übereuropäisches Gesamtkonstrukt.32 Das deutsche Reich stellte unter den Ottonen wie auch später keinen einheitlichen oder zentralisierten Staat dar. So gab es keinen regelmäßigen Austausch von Informationen, Anweisungen, Rückfragen oder Vollzugsmeldungen zwischen dem König und seinen Grafen. Zusätzlich war die äußere Grenzziehung der Grafschaften nicht klar und die Grundherrschaft im Inneren nicht homogen.33 Auf die Ottonen folgte Heinrich II., dessen Vater ein Urenkel Heinrichs I. war. Heinrich II. hatte viel Arbeit, denn das Reich war von innen und außen bedroht. Trotz der großen Herausforderungen konnte er das Reich sichern, rückte dabei aber von der Renovatio Imperrii Romanorum ab. Stattdessen verfolgte er eine Renovatio Regni Francorum, das heißt eine Realpolitik der Erneuerung des Frankenreiches, da ihm auch die Möglichkeiten von Stabilität im Herrschaftsraum fehlten.34 Im Jahr 1022 marschierte Heinrich II. Papst Benedikt VIII. zu Hilfe. Heinrich II. musste den Feldzug wegen einer Malariaerkrankung abbrechen und starb zwei Jahre später. Seine Gattin Kunigunde überlebte ihn und starb im Jahr 1040. Ihre Ehe blieb kinderlos. Ihre Kinderlosigkeit wurde religiös begründet und war damit weitestgehend akzeptiert. Kunigunde selber war die Tochter des Grafen von Luxemburg. Dieser hatte eine so schwache Gesundheit, dass seine Fürsten ihn für nicht regierungsfähig hielten.35 Ab den Jahr 1024-1125 konnten die Salier sich zu den Herrschern des Römischen Reiches aufschwingen.36 Auf die Salier geht der Ausspruch ‚Hinz und Kunz‘ zurück. Häufig hatten sie die Vornamen Konrad und Heinrich. Später, im 12. Jahrhundert, fiel dann ein Wandel im königlichen Verständnis von Herrschen auf; so wurde das Reich vermehrt als zu gestaltender Herrschaftsraum betrachtet. In dieser Zeit versuchte auch der König, den vorstaatlichen Partikularismus zu unterbinden, indem Bestrebungen der Zentralisierung sowie der Ausweitung des Königsbesitz unternommen wurden. Diese Versuche hatten aber im 12. bis 13. Jahrhundert keinen großen Erfolg.37 Um sich aus der Abhängigkeit der partikulären Kräfte von Klerus und Adel zu bewegen, wurden Unfreie als sogenannte Ministerialen in dem königlichen Dienst eingesetzt, um königliche Interessen durchzusetzen, was langfristig zu einer Steigerung im Hinblick auf die soziale Mobilität führte.38 Im Fokus dieser Zeit standen auch besonders die großen Auseinandersetzungen zwischen Kaiser und Papst, wobei der Investiturstreit maßgebend war. Im Investiturstreit stritten sich beide Seiten darüber, wer den Klerus nach dem Eigenkirchenrecht in ein geistliches Amt einsetzen dürfe. Die Auseinandersetzung eskalierte unter Heinrich IV und Papst Gregor VII, welcher Heinrich IV exkommunizierte. Damit kam der Kaiser des Römischen Reiches in große politische Bedrängnis und musste sich schlussendlich im Jahr 1077 im sogenannten Gang von Canossa dem Papst unterwerfen. Dieser nahm ihn daraufhin wieder in die christliche Gemeinschaft auf, wodurch aber die Position des Kaisers gegenüber dem Papst zukünftig geschwächt war. Im Wormser Konkordat wurde der Investiturstreit im Jahr 1122 schließlich beigelegt.39 In dieser Zeit gab es nicht nur Konflikte zwischen Kaiser und Papst, sondern auch zwischen dem römisch-katholischen Papst und den orthodoxen Patriarchen. Aus diesen Konflikten zwischen römisch-katholischer wie auch orthodoxer Seite resultierte das morgenländische Schisma von 1054, wobei sich die orthodoxe sowie die römisch-katholische Kirche trennten. Nach dem Geschlecht der Salier folgte ein Streit zwischen Lothar III und Konrad III um die Herrschaft im Römischen Reich.40 Erst der Sohn Konrads III, Friedrich I Barbarossa, konnte seine Herrschaft festigen.41 Dass es zum Machtkampf kam, lag auch daran, dass Herzog Friedrich der Einäugige, Barbarossas Vater, auf Grund einer Kampfverletzung nur noch ein Auge hatte. Daneben spielte auch die nicht geheim zu haltende Malariaerkrankung von Konrad III eine Rolle. Barbarossa lernte aus den Folgen für einen beeinträchtigten Thronanwärter und schob frühzeitig seinen beeinträchtigten oder kränklichen Sohn Friedrich zugunsten seines zweiältesten Sohns in der Thronfolge zur Seite. In dieser Zeit setzte dennoch eine stärkere naturwissenschaftliche Beobachtung der Herrschenden ein, da eine längere Krankheit wie bei Raimund IV von Toulouse (1041-1105) oder mehrfache Krankheiten wie bei Richard Löwenherz (1157-1199) nicht geheimgehalten werden konnten.42 In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts kam es zu einer spürbaren Veränderung in der Möglichkeit von Herrschaft mit Beeinträchtigung; hierbei markiert der Sommer 1174 mit der Königskrönung eines 13-jährigen Knaben zum König von Jerusalem einen wichtigen Meilenstein. Dieser Knabe war Balduin IV oder, wie manche Franzosen ihn nannten, „le roi mesel“ – der Aussätzige. Balduin IV hatte Lepra, was auch vor seiner Krönung bekannt war. Dennoch setzte sich in seinem Fall das Erbprinzip entgegen des Idoneitätsprinzips durch. Die Lepra behinderte Balduin sehr, daher ist der Schritt der Königskrönung bemerkenswert. Später verschlimmerte sich sein gesundheitlicher Zustand und er musste im Jahr 1176 auf einer Sänfte von Askalon nach Jerusalem getragen werden, da er nicht mehr alleine reiten konnte, nachdem er einen Staatsbesuch in Askalon angetreten hatte. Seine Nachbarn warteten, ihn beerben zu können, so der Graf von Tripolis und der Fürst von Antiochia, welche bei einen schweren Schub Balduins IV im Jahre 1180 plötzlich erschienen. Hierbei liegt nahe, dass sie sich nach dem Tod Balduins Jerusalem bemächtigen wollten. Die Beeinträchtigung behinderte Balduin immer mehr, er konnte sich im Jahr 1182 kaum noch aufrechthalten, dennoch reiste er viel im Jahr an der Spitze des Heeres und zog Monate gegen Saladin, ein muslimischer Feldherr, in den Kampf. Hierbei brachte er Saladin seine einzige Niederlage bei. Im Jahr 1183 stand Balduin wieder an der Spitze des Heeres im Kampf gegen Saladin, dabei erlitt er einen erneuten Schub, welcher zur Erblindung Balduins führte und einer endgültigen Verfaulung seiner Extremitäten, sodass er Hände und Füße nicht mehr benutzen konnte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er strikt eine Niederlegung der Königswürde (dignitas) oder der Regierung (administratio) abgelehnt. Obwohl sein Körper ihn behinderte, konnte er mit seinem scharfen Verstand, wachen Geist und seiner königlichen Selbstdisziplin regieren. Nach dem Schub im Jahre 1183 war er aber so geschwächt, dass er das Regierungsgeschäft einem Reichsverweser übertrug, aber dennoch die Königswürde bis zu seinem Tod behielt. Balduin IV markiert damit auch den Wandel im Verständnis: die Trennung von Herrschaft und Regierung, Ausübung der Herrschaftsgewalt und Königswürde kraft eigenen Rechts sowie die erfolgte gesetzliche Konstituierung und nicht die facto-Regelung als Grundlage.43 Barbarossa ließ sich im Jahre 1152 wählen und im Jahr 1155 zum Kaiser krönen, womit die Zeit der Herrschaft unter den Staufern begann. Barbarossa, genannt nach der roten Farbe seines Bartes, musste zunächst die Grenzen des eigenen Landes sichern, bevor er sich um Italien kümmern konnte, was er auch 28 von 39 Herrschaftsjahren tat.44 So wurde Mieszko I Kreuzbein oder Mieszko I Schlenkerbein im Jahre 1163 als Herzog von Schlesien aufgrund der Intervention Friedrichs I nach dem Tod seines Vaters anstatt seines Vaters wiedereingesetzt. Aufgrund des Beinamens von Mieszko I erscheint eine Beeinträchtigung naheliegend, welche ihn aber nicht daran hinderte, in eine herrschende Stellung zu gelangen. So wurde Mieszko I später im Jahr 1210 zum Seniorherzog von Polen ernannt, hierbei nahm er den Namen Mieszko IV ein.45 Bei der Beeinträchtigung liegt eine Osteomalazie nahe, diese kann unter anderem durch einen Vitamin D Mangel entstehen, was beispielsweise häufig durch einen Mangel an Sonneneinstrahlung hervorgerufen werden kann. Die Sonneneinstrahlung wird bei der Vitamin D Produktion im Körper benötigt und führt bei Mangel dazu, dass die Knochendichte und damit die Stabilität abnehmen, da eine Mineralisierung des Knochens aufgrund des Fehlens an Vitamin D verringert ist. Oder einfach ausgedrückt, der Knochen wird weicher und kann sich durch das fehlende Sonnenlicht verformen. Der Mangel an Sonnenlicht kann zu einen sogenannten genus valgus beziehungsweise varus führen, also X- Beine oder O- Beine. Im Fall Mieszko I liegt ein genus valgus nahe, also eine Valgusstellung des Kniegelenks oder einfach ausgedrückt X-Beine.46 Damit wäre der Name Kreuzbein möglicherweise erklärt, daneben bleibt der Beiname Schlenkerbei offen. Eine häufige Folge der Osteomalazie ist die Myopathie, also eine Schwächung der Muskeln, welche sich in einem typischen kurzschrittigen Watschelgang zeigt.47 Diese physiologischen Betrachtungen sind mögliche Erklärungen für die Beinamen von Mieszko I, dennoch führte in seinem Fall die mögliche Beeinträchtigung nicht zu einem kategorialen Ausschluss von Herrschaft beziehungsweise dem Gewohnheitsrecht im Erbe seines Vaters. In der Zeit der Staufer fällt die Zeit mit der Expansion des Reiches in den Osten auch unter anderem durch den Deutschen Orden und die Etablierung von Ostsiedlungen als auch deren Ausweitung,48 daneben leitete die Doppelwahl im Jahre 1198 mit den Thronstreit zwischen Staufern sowie Welfen die Entwicklung des späteren Deutschlands zu einer Wahlmonarchie ein.49 Besonders ist dabei aber Friedrich II hervorzuheben, der im Jahre 1220 mit der „Confoederatio cum principibus ecclesiasticis“ eine bedeutende Rechtsquelle des Römische Reiches einführte, welche die Regalien sowie Befugnisse der Zentralmacht zugunsten der klerikalen Fürsten einschränkte, wobei dies bereits seit Jahrzenten Gewohnheitsrecht war. So wurde unter anderem die freie Verfügung über Kirchenlehen, das nicht Bauen von Burgen wie auch Städten auf kirchlichem Grund entgegen klerikalem Willen sowie das Verbot von Übergriffen von Vögten auf Kirchengut verfügt. In Anlehnung an die „Confoederatio cum principibus ecclesiasticis“ erlangten die Fürsten im Jahre 1231 mit dem „Stratum in favorem principum“ ähnliche Rechte wie der Klerus aus dem Jahr 1220. So durfte beispielsweise der König keine neuen Städte, Burgen und Münzstätten zum Schaden der Fürsten errichten. Zudem wurde unter anderem auch die fürstliche Gerichtsbarkeit bestätigt. Das „Stratum in favorem principum“ gilt als wichtiger Schritt zur Dominanz der Fürsten und zum späteren deutschen Föderalismus.50 Dagegen war Sizilien bis in das 19. Jahrhundert zentralstaatlich organisiert, entgegen dem „Stratum in favorem principum“ führte Friedrich II die Konstitutionen von Melfi im Jahre 1231 auf Sizilien ein, welche entgegen dem Föderalismus im Deutschen Reich den Zentralstaat auf Sizilien förderte, so galt die Konstitutionen von Melfi noch bis in das 19. Jahrhundert in Süditalien.51 52 Die Herrschaft der Staufer endete faktisch mit der Exkommunikation im Jahre 1245 oder nach dem Tod Friedrichs II im Jahre 1250 beziehungsweise spätestens nach dem Tod Konrads IV im Jahre 1254. Nach den Staufern begann eine Zeit des Machtvakuums, die Zeit des Interregnums. Dies war eine Zeit der Zwischenherrschaft, in welcher, auch wenn nicht formal, das Römische Reich herrscherlos war. Dies führte zu internen Auseinandersetzungen, Rechtsunsicherheit sowie darüber hinaus mancherorts zur Anwendung des Faustrechts und dem Erstarken der Territorialfürsten gegenüber der Zentralmacht des Königs.53 So wundert auch nicht die Entstehung des Rheinischen Bundes im Jahre 1254, obwohl dies gegen das Gesetz über das Einigungsverbot von 1231 verstieß. Aufgrund der Führungsschwache an der Spitze des Römischen Reiches schlossen sich freie Städte sowie adelige und klerikale Grundherren zusammen, um Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten. So beinhaltete beispielsweise der Rheinische Bund im Jahre 1256 bereits: 31 Erzbischöfe, Bischöfe, Grafen und Herren sowie 100 Städte, auch wenn nur für eine kurze Zeit, da ein Streit über die Neutralität bei der Königswahl entbrannte und der Rheinische Bund sich im Jahre 1256 auflöste.54 Das Interregnum endete mit der Wahl Rudolf I von Habsburg im Jahre 1273. Mit seiner sogenannten Revindikationspolitik erklärte Rudolf I alle erteilten Privilegien nach der Exkommunizierung von Friedrich II im Jahre 1254, außer diese wurden einstimmig von allen Kurfürsten beschlossen, für ungültig. In dieser Entscheidung von Rudolf I zeigt sich auch die Stärke der Kurfürsten und der Einfluss, welchen diese auf die Entscheidungen des Kaisers hatten. Da der König als Zentralmacht von den Adeligen als Partikularkräfte politisch umgeben war und seine Herrschaft auf der Gnade der Kurfürsten beruhte, waren Reformen besonders in Bezug auf adelige Rechte erschwert. Um die Revindikationspolitik effektiv umzusetzen, wurden Neuerungen in der Reichsverfassung eingearbeitet. So verbesserte Rudolf I die institutionelle Verwaltung durch den Zusammenschluss von Reichsgutkomplexen und die Unterteilung in klar abgrenzbare Landvogteibezirke, beispielsweise in Nieder- und Oberschwaben im Süden des Reiches. Im Norden nahm der Kaiser die benachbarten Fürsten des Reichsgut in die Pflicht. Ihnen wurde die Pflicht für die Rückforderung, Gerichtsbarkeit sowie Verwaltung des Reichsguts übertragen. Die königlichen Städte büßten ihre im Interregnum erworbenen Reichsrechte ein und zur Verwaltung setzte der Reichsschultheiß ein. Die Städte waren Rudolf I besonders wichtig, da sie konstante Einnahmequellen darstellten und sie, falls notwendig, zur Heeresfolge verpflichtet waren.55 Auf Rudolf I Habsburg folgte aus politisch taktischen Gründen die Ernennung Adolf I von Nassau, eines politisch unbedeutenden Grafen, im Jahre 1292. Deine Herrschaft dauerte bis zum Jahr 1298, bis Albrecht I von Habsburg von 1298-1308 die Königswürde übernahm. „Er war wenig beliebt was auch auf sein Äußeres zurückgeführt werden konnte. Denn im Jahr 1295 hatte er eine gefährliche Krankheit, die eventuell auf eine Vergiftung hindeutete, wie seine Ärzte vermuteten. Sie hängten ihn an den Füßen auf, um ihn zu entgiften. Dabei wurde der Druck auf einem Auge so groß, dass er seine Sehkraft auf diesem Auge verlor. In seinem entstellten Gesicht zeigte sich kein Lächeln, was viele Menschen erschreckte. Er wird von den Chronisten al furchtloser Mann geschildert, der mit großer Tatkraft und Härte in Krieg und Politik agierte.“56 Albrecht I von Habsburg baute die Verwaltung aus und vergrößerte den Einfluss des Reiches aber auch seine eigene Macht. So erlangte Albrecht I die böhmische Königswürde. Im Fall Albrecht I von Habsburg zeigt sich, dass Beeinträchtigung, in diesem Fall in Form einer Sehbehinderung auf einem Auge, nicht zwangsläufig zu einem Ausschluss von der Königswürde führte. Albrecht I wurde am 1. Mai 1308 von seinen Neffen Johann, genannt Parricida (Verwandtenmörder), ermordet. Das Motiv von Johann lag darin, dass Albrecht I Johann bei seinen Erbansprüchen immer wieder hingehalten hatte, sodass dieser mit der Unterstützung von drei schwäbisch- schweizerischen Adeligen, die ebenfalls unzufrieden waren, Albrecht I ermordete. Im folgenden Jahr wurde über Johann Parricida und seine Komplizen die Acht verhängt und ihre Vermögen eingezogen.57 Nach Albrecht I folgte Heinrich VII von Luxemburg in den Jahren 1308-1313. Dieser wird in der Forschungsliteratur als kleiner Graf gesehen, der große Pläne für Italien hatte, diese aber nicht umsetzen konnte. In seiner Herrschaftszeit lässt sich ein besonderes außerstaatliches Ereignis hervorheben, nämlich die Verlagerung der Papstresistenz von Rom in das französische Avignon bis in das Jahr 1378. Viel mehr als sein Verwandter Heinrich VII konnte Johann von Böhmen als Nationalheld von Luxemburg in die Geschichtsbücher einziehen. Nach seiner vollständigen Erblindung um das Jahr 1340 wurde Johann von Böhmen auch Johann der Blinde genannt. Er regierte als König von Böhmen von 1311-1346 sowie als Graf von Luxemburg und als Titularkönig von Polen von 1311-1335. Im Jahr 1340 erblindete Johann der Blinde aufgrund einer Operation eines Augenleidens. Trotz Erblindung zog er noch mehrfach mitunter erfolgreich in die Schlacht. Mit seinem Tod in der Schlacht beeindruckte Johann der Blinde mit seinen ritterlichen Tugenden tiefgreifend.58 59


Abbildung 4:

Bildnis von Johann von Böhmen / Johann der Blinde

Johann von Böhmen wurde wegen seiner Ritterlichkeit und seines Mutes ein Nationalheld.

Angebliches Zitat von Edward of Woodstock, Prince of Wales in der Schlacht von Crécy:

„There lies the Prince of Chivalry, but he does not die.“

Sein Leichnam wurde mit allen militärischen Ehren 1946 nach Notre Dame überführt.

Auf Heinrich VII von Luxemburg folgte Ludwig IV der Bayer in den Jahren 1314-1347, welcher besonders die Städte förderte, die Verwaltung ausbaute und eine Vereinheitlichung des Landrechts in Bayern durchsetzen konnte, was Vorbildfunktion für andere Regionen hatte. Auch deklarierte er im Jahre 1338 mit dem Gesetz „Licet iuris“ die Stellung des Kaisers und Königs. So erklärte er darin die Identität von königlichen wie auch kaiserlichen Rechten und die Bindung des Kaisertums an das Königtum, sodass die Kaiserwürde mit der Königswürde erworben wurde, ohne dass der Papst zustimmen musste. Dies und die Proklamation der Nichtigkeit der Exkommunikation von Ludwig IV bedeutete auch eine Unabhängigkeitserklärung gegenüber dem Papsttum. Zusätzlich reformierte Ludwig IV der Bayer die Königswahl mit der Einführung des Mehrheitsprinzips.60 Nach Ludwig IV der Bayer folgten weitere Herrscher aus den Häusern Wittelsbach und Luxemburg. Bis zur Königswahl von Albrecht II im Jahr 1438 ist besonders die goldene Bulle aus dem Jahr 1356 als eine Art Reichsgrundgesetz festzuhalten, was für 450 Jahre Bestand haben sollte. Dieses legte unter anderem das Mehrheitswahlprinzip bei der Königswahl wie auch die Unteilbarkeit von weltlichen Kurfürstentümern fest und übertrug den Kurfürsten kaiserliche Vorrechte wie Zoll- und Münzrecht für ihre Gebiete. Damit waren die Kurfürsten gestärkt und konnten eine längere Herrschaftsdynastie gelassener hinnehmen.61 Auch sind die Einführung des Lehenssystems im Jahre 1348 in Böhmen und damit die Ausbreitung des Lehenssystem nach Ostmitteleuropa besonders hervorzuheben.62 Aber nicht nur innerhalb des Reiches in der Zeit zwischen Ludwig IV und Albrecht II bewegte sich einiges, mit dem abendländischen Schisma von 1378-1417 gab es eine Zweiteilung der Katholischen Kirche in einen Papst in Rom sowie einen in Avignon. In die Zeit zwischen Ludwig IV und Albrecht II fällt auch die Herrschaft Karl IV Wenzel II und Karl VI. Diese drei Herrscher sind besonders durch ihre Beeinträchtigung hervorzuheben, dennoch sind sie nicht immer bekannt, da nicht zwangsläufig eine Behinderung resultierte. Der Sohn von Johann von Böhmen, Karl IV, regierte von 1346-1378. In Prag ist er nach wie vor unter anderem durch den Karlsplatz oder die Karlsbrücke präsent. Karl IV berichtete in seiner Selbstbiographie über einen Traum aus seiner Jugendzeit, hierbei traf er einen Engel, welcher ihn auf ein Schlachtfeld trug:63 „Und er hielt uns über der Schlachtreihe in den Lüften und sprach zu uns: „Blicke hin und schaue!“ Und siehe da, ein anderer Engel fuhr mit feurigem Schwert vom Himmel herab, durchstieß einen Mann in der Mitte der Schlachtreihe und verstümmelte sein Glied mit dem Schwerte; anscheinend zum Sterben verwundet, rang dieser auf dem Pferde sitzend mit dem Tode. Da sprach der Engel, der uns an den Haaren hielt: „Erkennst du jenen, der vom Engel durchbohrt und zu Tode verwundet worden ist?“ - „Herr, ich kenne ihn nicht,“ sprachen wir, „und auch den Ort erkenne ich nicht.“ Er sprach: „Wisse, dies ist der Dauphin von Vienne, welcher wegen der Sünde der Ausschweifung so schwer von Gott geschlagen worden ist. Jetzt also nehmet euch in acht, und auch Eurem Vater mögt Ihr sagen, daß er sich vor ähnlichen Sünden hüte, oder es wird euch noch Schlimmeres treffen.““ 64 Karls Cousin, der Dauphin von Vienne, starb kurze Zeit später, wusste Karl IV in seiner Autobiographie zu berichten. Beeinträchtigung wird von Karl IV in seinem beschriebenen Traum als göttliche Bestrafung von Sünden gesehen. Dies Drohung der möglichen Beeinträchtigung wird in dem Traum angewendet, um vor sündhaftem Verhalten zurückzuschrecken. Karl IV war ein vitaler, muskulöser und fröhlicher Herrscher, was sich aber im Alter von 34 Jahren im Jahr 1350 änderte. Im Oktober 1350 erkrankte Karl IV plötzlich, sein Zustand war ernst, so ernst, dass manche Fürsten und auch der Papst sich über eine mögliche Nachfolge Karl IV berieten. Ein zeitgenössischer Chronist Heinrichs Taube von Selbach beschrieb die Krankheit Karl IV als eine Lähmung aller vier Gliedmaßen. Diese Tetraparese dauerte zehn Monate bis im August 1351 und heilte dann aus: Im Jahr 1371 erkrankte Karl IV erneut mit gleichen Symptomen. Eine Autopsie aus dem Jahr 1978 zeigte, dass die Lähmungen auf ein traumatisches Ereignis zurückzuführen sind, so steht ein Trauma während eines Ritterturniers genauer ein gegen den Hals gezielter Lanzenstoß im Vordergrund des wissenschaftlichen Diskurses.65 Dabei erlitt Karl IV eine doppelte beidseitige Fraktur des Unterkiefers, Frakturen des 5. und 6. Halswirbels wie auch ein indirektes Trauma mit Gelenkdeformierungen beider Kiefergelenke. Auch stellte man bei der Skelettuntersuchung fest, dass eine Kyphosierung der Lendenwirbelsäule, Hyperlordose der Halswirbelsäule sowie eine Skoliose in mehreren Bereichen der Wirbelsäule vorhanden waren, welche wiederum auf ein Trauma hindeuten. Als mögliche Krankheit steht eine entzündliche Erkrankung der Rückenmarkswurzel gut begründet im Vordergrund.


Abbildung 5:

Statue Karl IV in Prag.

Karl IV zählt zu den bedeutendsten Kaisern des Spätmittelalters sowie den einflussreichsten europäischen Herrschern seiner Zeit.

Kaiser, König, Nationalheld und behindert?

Trotz der bleibenden Schäden und Beeinträchtigungen, welche Karl IV veränderten und beeinträchtigten, ließ er sich nicht von diesen behindern, sodass auch nicht zu Unrecht auf seinem Sarg „Vater des Vaterlandes“ steht. Neben seinem Vater Johann der Blinde, welcher Nationalheld in Luxemburg ist, wurde Karl IV in einer Umfrage 2005 der Nationalheld Karl IV zur wichtigsten Persönlichkeit der tschechischen Geschichte gewählt.66 Die Geschichte von Böhmen kennt aber nicht nur Nationalheilige, so schreibt Palacký in der Geschichte von Böhmen:

„Als kleines Kind war er König geworden; als Kind regierte er auch im höheren Alter, wohlmeinend und rechtliebend, solange keine unzähmbare Leidenschaft ihn irreleitete, aber unmännlich, launisch und eigensinnig wie alle Schwächlinge, die für stark gehalten werden wollen.“67

Die Rede ist von Wenzel IV, der Sohn von Karl IV und der Enkel von Johann dem Blinden. Er lebte in der Zeit des abendländischen Schismas und nach der Einführung des böhmischen Lehenssystem durch Karl IV. Er regierte von 1363-1419 als König von Böhmen und von 1376-1400 als König des Römischen Reiches. In seiner Zeit als König von Böhmen entfachte sich im Jahre 1415 ein Scheiterhaufen, aber nicht nur dieser Scheiterhaufen fing Feuer, sondern auch ganz Böhmen brannte bald. Der Scheiterhaufen verbrannte den tschechischen Bauernsohn, Priester und späteren Nationalhelden neben seinem Vater Karl IV, Jan Hus. Jan Hus wurde als Ketzer verbrannt, da er wie der Theologe Wyclif in England, die Realpräsenz Christi beim Abendmahl, das Primat des Papstes sowie unter anderem das Zölibat ablehnte. Seine religiösen Vorstellungen mischten sich auch mit einem tschechischen Nationalismus. Mit dem Tod von Jan Hus ging ein Aufschrei durch Böhmen und die sogenannten Hussitenkriege brachen von 1415-1434 los. Diese legten sich mit dem Angebot des Laienkelchs, also das Abendmahl in beiderlei Gestalt von Brot und Wein, sowie der Niederschlagung einer danach abgespaltenen radikaleren Fraktion.68 Bei der Verbrennung von Jan Hus, dessen Landesherr Wenzel IV war, bei den Hussitenkriegen, aber auch bei seiner Herrschaft insgesamt nahm Wenzel IV eine unrühmliche Rolle ein. Er verhielt sich im Laufe der Zeit immer gleichgültiger und aggressiver, dies brachte ihm auch den Beinamen Wenzel der Faule ein. Es wundert, wie ein Sohn Karls IV ein so schlechter Herrscher sein beziehungsweise werden konnte. Dies war aber nicht immer so, in seiner Anfangszeit ging beispielsweise die Legende in Böhmen umher, dass Wenzel IV sich verkleidete und in Prag umherging, um festzustellen, ob Bäcker oder Fleischer ihre Kunden betrügen.69 Aber auch der in der Chronik des Brabanter Diplomaten Edmund de Dynter, welche 1445-1447 verfasst wurde, konnte man über Wenzel IV lesen, dass er „ein nicht nur angenehm redender, sondern auch gebildeter Herrscher war.“70 Später besagt eine Legende, dass eine Person aus dem hohen Klerus an eine Wand schrieb Venceslaus, alter Nero (Wenzel, ein zweiter Nero). Wenzel soll hinzugefügt haben: Si non fui, adhuc ero (Sofern ich es nicht war, werde ich es ab heute sein), eine andere Legende berichtet über Wenzels Vorliebe für bissige Hunde, die er auf Menschen gehetzt haben soll. Es stellt sich nun aber die Frage nach der Ätiologie dieses Wandels vom scheinbar fähigen jungen Herrscher zum immer unfähigeren. Wenzel IV hatte kein leichtes Leben, seine Mutter starb, als er zwei Jahre alt war, auf dem väterlichen Hof bekam er wenig liebevolle Zuwendung und er wurde bereits im Alter von zwei Jahren im Jahr 1363 als König von Böhmen gekrönt. Später starb sein erste Frau Johanna im Alter von 24 Jahren in Folge eines Unfalls durch einen Angriff seiner Jagdhunde. Neben diesen Schicksalsschlägen kann Alkohol in seinem Leben als Konstante angeführt werden, so auch schon in frühen Jahren, hier liest man in der Chronik des Brabanter Diplomaten Edmund de Dynter aus dem Jahr 1445-1447:

„Hatte er übermäßig getrunken, wurde er wütend, und dann war er sehr verworfen und gefährlich.“71


Abbildung 6:

Wenzel IV mit seiner Frau Zofie. Bildnis aus der Bibel Martin Rotleves

Das Bildnis entstand in den älteren Jahren von Wenzel IV. Der Skriptor hielt dabei das rote, aufgedunsene und wirre Gesicht eines starken Alkoholikers fest.

Es erscheint das Bild von pathologischen Wutanfällen in Form von fehlender Affektkontrolle aufgrund chronischen Alkoholismus. Fehlende Hemmungen sowie ein momentaner Affekt sind die häufigsten Symptome von chronischem Alkoholismus. Im Jahre 1393 erkrankte Wenzel IV schwer, sodass man um sein Leben fürchten musste, weiteres ist aber nicht bekannt. Im Jahr 1398 löste er einen Skandal aus, da er im gleichen Jahr zu betrunken war, um an einem Bankett des französischen Königs Karl VI teilnehmen zu können. Im Jahre 1400 wurde Wenzel IV König vom Römischen Reich abgesetzt und regierte als Wenzel IV König von Böhmen weiter. Im Jahr 1408 erkranke er erneut stark, hierbei bildete er wie sein Vater eine Tetraplegie, also eine Lähmung aller vier Gliedmaßen aus. Ein Zeitzeuge beschreibt diese Beeinträchtigung sowie Behinderung folgend: „Er erlahmte so, daß er wieder die Beine noch die Arme bewegen konnte, man mußte ihn fahren oder tragen.“72 Diese Tetraplegie würde nach Lesný am ehesten zu einer alkoholischen Polyneuritis passen, eine Schädigung im Kampf oder im Turnier ist bei Wenzel IV auszuschließen. Auch waren im Laufe der Zeit vermehrt Symptome wie eine durch Alkohol verursachte Demenz, Antriebsschwäche aber auch ein aufgedunsenes Gesicht merklich erkennbar. Diese Erkrankung ging später zurück, sodass er wieder reiten und selbstständig gehen konnte. Abschließend kann auch sein Tod mit einem epileptischen Anfall, welcher durch chronischen Alkoholismus begünstigt wurde, gesehen werden.73 74 Nach einer Studie aus dem Jahr 1989 leiden 5 % bis 35 % der Alkoholiker, auch wenn meistens im Kontext von Alkoholentzug, an generalisierten epileptischen Anfällen.75 Es zeigt sich mit Wenzel IV ein König, welcher sich vermeintlich aufgrund seiner Trinksucht eine Schädigung des Nervensystems zuzog. Diese Beeinträchtigung behinderte ihn auch in vielerlei Hinsicht, nämlich in privater wie auch in beruflicher. Dennoch muss man festhalten, dass die Objektivität vieler Quellen aus seiner Zeit angezweifelt werden darf, da Wenzel IV sich durch seine Handlungen viele Feinde gemacht hatte.76 Insgesamt erscheint Wenzel IV trotzdem als unfähiger Herrscher mit einer unleidlichen Persönlichkeit. Die längere Herrschaftsdynastie, welche durch die goldene Bulle begünstigt wurde, begann mit der Kaiserkrönung von Albrecht II von Habsburg im Jahr 1438. Die Habsburger konnten daraufhin mit der Ausnahme der Jahre 1742-1745 bis zum Jahr 1806 als Kaiser im Römischen Reich beziehungsweise ab dem 12. Jahrhundert das sogenannte Heilige Römische Reich oder ab dem 15. Jahrhundert das sogenannte Heilige Römische Reich Deutscher Nation regieren. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation unterstand vielen Einflüssen, so auch denen von England. Hier regierte von 1482-1485 Richard III; diese Zeit war sehr dynamisch aufgrund des Konfliktes zwischen dem Hause Lancaster sowie York um die Königswürde. Richard III litt nach Lesný an einer durch die Geburt verursachte Schädigung des zentralen Nervensystems sowie eine Schädigung des Nervenwurzel des Halsbereiches litt.77 Dies führte unter anderem zu einer schlaffen Lähmung der linken Schulter- wie auch Oberarmmuskulatur, ein Hinken und zu psychiatrischen Problemen. Shakespeare schrieb später im Jahr 1497 das Drama „Die Tragödie von König Richard III“ und gibt damit Auskunft über die Wahrnehmung von Richard III gegen Ende des 15. Jahrhunderts.78


Abbildung 7:

Der englische König Richard III

Richard III wurde schon während seiner Zeit gehasst. Im Kampf um die Krone wurde er verunglimpft und im Jahr 1485 auf offener Feldschlacht getötet. Im Jahr 2012 fand man schließlich seine Leiche auf einem Parkplatz von Leicester. Sein Leichnam wies Erniedrigungspraktiken auf.

Das Ende des Mittelalters ist nach der Geschichtsschreibung auf circa das Jahr 1500 datiert. Knefelkamp beschäftigte sich eingehend mit der Zeit des Mittelalters und resümiert, dass das durchgehende Merkmal des Mittelalters die Monarchie war und dass das Königtum als politischer Motor diente. Der Zentralmacht des Königs standen Partikularkräfte mit den Adeligen entgegen, welche eigene individuelle Ziele verfolgten. Das Kaisertum seinerseits erhob einen Anspruch an die ideelle Universalherrschaft und konkurrierte damit mit dem Papsttum. Andere dynamische Elemente waren die Ethnogenese, die Staatenbildung wie auch die Vermischung der christlichen mit der europäischen Kultur. Kontinuierliche Herrschaftszentren fehlten und häufig wechselten die Herrschaftsdynastien, was eine Zentralisierung sowie eine Reform vom Zentrum erschwerte, da sich das Zentrum mit seiner Beschaffenheit selbst immer wieder veränderte. Auch bleibt festzustellen, dass Institutionen, Funktionen sowie Ämter mit ihren Verpflichtungen wichtiger waren als individuelle Personen, dennoch waren die Eigenschaften und Vorzüge der Herrscher maßgebend bei der Gestaltung ihrer Herrschaft.79 In der Zeit der Renaissance zeichnete sich wahrhaft eine Erneuerung beziehungsweise Weiterentwicklung von antiker Tradition ab. Mit Maximilian I von Habsburg und seiner Regierungszeit zwischen 1493-1519 wurde ein Zeitalter der Reichsreform von 1495-1648 eingeläutet. Maximilian I begriff, dass er die Beziehung zwischen Reich und Kaiser reformieren musste, dabei stand er weltlichen wie auch geistlichen Landesherren entgegen, welche seit dem 13. Jahrhundert erfolgreich ihren eigenen Landbesitz ausbauten, sodass sich seit dem Ende des 14. Jahrhunderts der König immer mehr in Hinblick auf seine Hausmachtgrundlagen wie auch bezüglich der Wahrnehmung seiner königlichen Rechte zurückzog. So gelang es den Königen sowie Kaisern in der Zeit des Hochmittelalters nicht, die Souveränitätsrechte wie Hochgerichtsbarkeit oder Befestigungsrecht in ihrer Zentralmacht zu vereinigen. Vielmehr wanderten die Regalien in Laufe der Zeit von der Zentralmacht an die Partikularkräfte der Reichsfürsten sowie Reichsstädte. So wundert auch nicht das Verständnis von der Formel „Kaiser und Reich“ in der Zeit um 1495, diese Formel wurde so verstanden, dass der Kaiser der Gesamtheit der Reichsstände gegenübertrat. Hierbei handelte es sich im Jahr 1495 um rund 350 weltliche sowie geistliche Reichsstände. Diese schuldeten dem König zwar Gehorsam beispielsweise bei den Lehnsverpflichtungen, da dem König aber keine wirksamen Zwangsmittel zur Verfügung standen, wurde dieser Gehorsam gegenüber dem Kaiser nur bedingt geleistet. Man kann das Verhältnis also als Dualismus sehen zwischen Reich und Kaiser, welcher ein Miteinanderverhandeln nötig machte, und die Handlungsfähigkeit, die nicht durchgehend bestand, musste kontinuierlich errungen werden.80 Maximilian I vereinheitlichte und zentralisierte zunächst die österreichische Verwaltung im Vorbild der burgundischen, dessen Herrscher ab 1494 sein Sohn Phillip war. Mit der Reichsreform ab 1495 ging Maximilian I schließlich Probleme im gesamten Reich an. So wurde die rechtliche Gewalt durch einen ewigen Landfrieden, die Einrichtung eines Reichskammergerichtet als höchstes sowie ortsfestes von Hof getrenntes Gericht eingerichtet, eine regelmäßige Reichssteuer in Form des gemeinsamen Pfennigs beschlossen, und territoriale Einheiten ab dem Jahr 1500 in Form von Reichskreisen geschaffen. Damit waren unter anderem erste Schritte in Richtung eines Reiches als Rechtsgemeinschaft als auch die Befähigung des Kaisers eine von den Landesfürsten finanziell unabhängige Politik zu verfolgen. Auch wurde die allgemeine Reichsverwaltung mit der Erschaffung von Reichskreisen gestärkt, da Zuständigkeiten damit besser geregelt waren.81 Die Reichskreise waren als lokale Einheit unter anderem auch für die Aufstellung und Unterhaltung von Reichstruppenkontingenten, die Aufsicht über das Münzwesen sowie die Vollstreckung von Urteilen des Reichskammergerichts zuständig. Die Organisation der Reichsstände in mehreren Kreisen machte es damit auch möglich, den Frieden zwischen den territorialen einzel- als auch den zentralen gesamtstaatlichen Interessen zu wahren.82 Die Steuer selbst scheiterte, da der Kaiser keine in den einzelnen Reichsgebieten lokale Steuerverwaltung besaß und die Territorialgewalt ihre Rechte der Steuereintreibung sowie Steuerverwendung in Gefahr sahen.83 Im Jahre 1519 übernahm Karl V die Herrschaft; in dieser Zeit teilte sich das Habsburger Geschlecht in eine spanische sowie in eine österreichische Herrschaftslinie. In seiner Herrschaft wurde die Reichsreform vorangetrieben, so wurde im Jahre 1521 auf dem Wormser Reichstag das Reichskammergericht bekräftigt als auch die Wormser Reichmatrikel beschlossen. Diese wurde eine beständige Verfassungseinrichtung, welche es erlaubte, die Zahl der Reichsstände festzustellen. Darauf beruhte auch später das Recht auf Sitz und Stimme im Reichstag. Auch enthielt die Matrikel die Zusage der Reichsstände gegenüber dem Kaiser, über Truppenhilfe, welche später im 16. Jahrhundert in ein Geldäquivalent umgewandelt wurde und den Unterhalt des Reichsregiment über eine Kriegssteuer. 84 Neben der Wormser Reichsmatrikel trat der Theologe Martin Luther aus. Luther machte in seiner Zeit für sich wichtige Erkenntnisse, so seine zentrale Erkenntnis, dass Glaube allein der Weg zu Gott ist. Damit stellte Luther aber den Papst infrage und unter anderem wurde der Ablasshandel obsolet. Die Bewegung von Martin Luther war aber keine Auseinandersetzung nur im Bereich der Religion, so wurde es auch eine Auseinandersetzung zwischen der Zentralmacht des Kaisers und den partikularen Kräften wie Kurfürst Friedrich der Weise, der durchsetzen konnte, dass Luther vor 1521 auf deutschem Boden vernommen wurde und freies Geleit zugestanden bekam. Die Gedanken um das freie Geleit von Luther waren auch mit Verweis auf Jan Hus nicht unbegründet. Mit seinen Ideen begründete Luther die Reformationsbewegung, welche die katholische Kirche reformieren wollte. Die Reformation innerhalb der Kirche scheiterte und Luther wurde 1521 auf den Wormser Reichstag als Ketzer exkommuniziert sowie weltlich geächtet. Dabei ist zu beachten, dass die weltliche Ächtung vom Kaiser aber nicht vom Reichserzkanzler gekennzeichnet ist. Auch verließen bereits vor dem Machtspruch zahlreiche Reichsstände Worms, was die Sympathien für Luther im Reich zeigten, aber auch, dass dem Kaiser keine uneingeschränkte Rechtsverfolgung im Falle Luther durch die Reichsstände geboten war. Entscheidend war aber auch, dass Karl V kurz nach seinem Machtspruch das Reich neun Jahre verließ, um sich der europäischen Politik zu widmen. Bei seiner Rückkehr war aus der Reformationsbewegung der Protestantismus erwachsen. Dieser war nicht allein auf Religion beschränkt, so wurde die klerikale Stellung unter anderem in Städten hinterfragt, schon in der vorreformatorischen Zeit drängten die Städte die klerikale Gerichtsbarkeit zurück, so wie die Städte bereits im Spätmittelalter den Einfluss des städtischen Vogtes ausschalteten.85 Friedrich der Weise nahm Martin Luther von 1521-1522 auf der Wartburg auf, hier übersetzte Luther die Bibel in das Deutsche und machte sie so einer breiteren Masse zugänglich. Davor gab es unter anderem Bibeln in der lateinischen Sprache. Friedrich der Weise Kurfürst von Sachsen rebellierte aber nicht offiziell gegen Karl V. Einerseits musste Karl V die weltliche Ächtung auf die Exkommunikation folgen lassen, um keinen Konflikt mit dem Papst zu provozieren, anderseits wollte Karl V keinen innerstaatlichen Konflikt, sodass Karl V mit Friedrich den Weisen vereinbarte, dass keine Verfügung über die weltliche Ächtung an das Territorium des Kurfürsten von Sachsen zugestellt wurde und daher auch keine Verfolgung bedurfte.86 Mit der Reformation ging auch der Bauernkrieg, welcher von 1524-1525 dauerte, einher. Ursachen für den Bauernkrieg werden einerseits in der wirtschaftlichen schwierigen Lage der Gemeinen, der Intensivierung der Lehnsherrschaft im Süden des Reiches, Autonomiebestreben nach gemeindlich- genossenschaftlicher Grundlage sowie religiöse Gründe gesehen. In Anlehnung an Martin Luther wurde der klerikale Stand sowie später auch der Grundherr als überflüssig erklärt. Die Bewegung begann im südlichen Schwarzwald und breitete sich im ganzen Reich aus mit Ausnahme mancher Gebiete in Ost-Preußen. Der Aufstand wurde schließlich im Jahr 1525 niedergeschlagen und kostete zwischen 70 000 und 75 000 Aufständischen das Leben. Auch wurden massive Strafgerichte und Vergeltungsaktionen von Seiten der wiedereingesetzten Obrigkeit erhoben.87 Im Verlauf gefährdete der Protestantismus die Reichseinheit, da der gemeinsame Glaube ein wichtiges Bindeglied für die Einheit des Reiches war. Im Jahr 1529 wurde ein gemeinsames Bekenntnis der Protestanten verfasst und im Jahr 1530 forderte Karl V auf dem Augsburger Reichstag die Protestanten zur Rückkehr zum römisch-katholischen Glauben auf. Dies fand nicht statt und die protestantischen Reichsstände organisierten sich in einem Verteidigungsbündnis, welches als Schmalkaldischer Bund von 1531-1546 Bestand hatte. Im Schmalkaldischen Krieg von 1546-1547 wurde dann die protestantische Seite von Karl V besiegt, der konfessionelle Konflikt konnte aber nicht durch den militärischen Sieg beendet werden.88 Später konnten der Bruder und Stellvertreter von Karl V, nämlich Ferdinand I, den konfessionellen Konflikt mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 zeitlich beenden. Hierbei vereinbarte man, dass die Konfession von den Grundherren geregelt wird.89 Neben der Reformation ist auch die Phase der Hexenverfolgung zu besprechen, welche im späten Mittelalter im Jahre 1487 durch zwei Dominikaner und ihr Werk „Hexenhammer“ begründet wurde. Die Hexen oder Zauberer wurden häufig als Sündenböcke für beispielsweise Krisen oder Hungersnöte herangezogen. Die Hexenverfolgung durch die Inquisition dauerte vom Ende des 15. Jahrhunderts bis in das 17. Jahrhundert. Alleine von 1616 bis 1618 wurden 300 Menschen in Bamberg aufgrund der Anschuldigung von Hexerei umgebracht.90 Die Inquisition traf aber insbesondere die Menschen mit Beeinträchtigung. So wurden Menschen mit Beeinträchtigung nicht selten im Rahmen der Inquisition als von Dämonen Besessene wahrgenommen, sodass angeblich im Jahre 1494 in Osnabrück 160 Menschen mit geistiger Behinderung verbrannt wurden.91 Im Verlauf der Habsburger Herrschaft entwickelte sich zunehmend eine Konfessionalisierung in der Gesellschaft, was dazu führte, dass sich die römisch- katholische und die protestantische Seite immer mehr voneinander abgrenzten und damit die Zusammenarbeit im Reich bald nicht mehr gewährleistet war. So war bereits Ende des 16. Jahrhunderts das Reichskammergericht nicht mehr handlungsfähig. In dieser dynamischen Zeit trat Rudolf II Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (1576-1612), König von Böhmen (1575-1611), König von Ungarn (1572-1608) und Erzherzog von Österreich (1576-1608) auf. Der Historiker R. J. W. Evans beschreibt Rudolf II als eine Person mit drei Gesichtern, zum einen den schwachen Herrscher, zweitens der große Förderer der Wissenschaft und Kunst sowie drittens eine Person, welche an okkulte Mächte glaubte und an Zwangsvorstellungen litt. Seine Zeitgenossen beschreiben Rudolf II als einen Einsiedler, intelligent, gebildet, depressiv, aber auch freundlich. Aufgrund seiner Erziehung war Rudolf II von Gottes Gnaden in sein königliches sowie kaiserliches Amt eingesetzt worden und war kaum zugänglich für Kritik oder Beratung. Die Zustände von Normalität und von Depression sowie Aggressivität waren wechselhaft und dauerten länger an. Auch hatte er eine Art Verfolgungswahn verbunden mit Größenwahn, auf dessen Zustände dann Wut- und Racheanfälle gegen seine vermeintlichen Gegner einsetzten; seinen Halt suchte er bei schönen Frauen. Seine Beeinträchtigung übermannte ihn aber nie völlig und ließ ihn nicht chronisch unfähig für seine Aufgaben werden.92 Die Beeinträchtigungen waren ein Prozess und anfängliche Symptome bildeten sich erst Ende 1580 aus; davor galt er aber bereits als Sonderling. Zwischen Ende 1580 und Anfang 1581 litt

Rudolf II unter einer infektiösen fieberhaften Krankheit, seitdem war Rudolf II verändert, auch wenn noch keine Aggression vorhanden sowie nur gelegentliche Phasen von Depression sowie Apathie existent waren. Heute weiß man, dass es sich bei der infektiösen Krankheit um Syphilis handelte, dies belegen syphilitische Knochenentzündungen unter anderem an den Ober- und Unterschenkelknochen am Skelett Rudolf II. Die Knochenentzündungen am Unterschenkelknochen verursachten Beschwerden beim Gehen. Schlimmer verläuft Syphilis chronisch und mündet in einer progressiven Paralyse, oder einfach ausgedrückt eine fortschreitende Beeinträchtigung, der Stirn- sowie Schläfenhirnrinde, diese äußerten sich in den paranoiden Zuständen gepaart mit Größenwahn welche sich mit den aggressiven Zuständen ereigneten.93


Abbildung 8:

Rudolf II

Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, König von Böhmen und Ungarn sowie Erzherzog von Österreich

Rudolf II war insgesamt ein schwacher Herrscher der in den letzten Jahren faktisch nicht mehr fähig war zu regieren. Daneben zeigte er sich als ein bedeutender Förderer von Wissenschaft und Kunst.

Daneben war Rudolf II großem Stress ausgesetzt, was zu starken Depressionen führte. So belastete ihn stark, dass mehrere versprochene Hochzeiten annulliert wurden. Zuletzt ist die familiäre Häufung von psychiatrischen Erkrankungen in seiner Familie anzuführen: Rudolf II Urgroßmutter war Johanna die Wahnsinnige, welche wohl schizophren war, Karl V Rudolfs Großvater hatte eine endogene Depression und sein Cousin Don Carlos litt entweder an einer Schizophrenie oder an einer epileptischen Demenz. Die Eltern von Rudolf II waren Cousin und Cousine,94 mit dem heutigen Stand der Wissenschaft hatten die Eltern eine Übereinstimmung der gemeinsamen Gene von 12,5 %, was als kritisch zu betrachten ist, da das Erkrankungsrisiko mit der Übereinstimmung von Erbinformationen aufgrund einer höheren Wahrscheinlichkeit der Vererbung seltener Gene steigt.95 Ein Sohn von Rudolf II mit Katherina Strad wurde als geisteskrank mit perversen sexuellen und gewalttätigen Neigungen beschrieben.96 Die Kombination zeigt sich als eine fortschreitende psychiatrische Beeinträchtigung, genauer als eine endogene zyklische Psychose, deren Vulnerabilität auf erblicher Grundlage bereits vorhanden war, durch die syphilitische Infektion mit progressiver Paralyse entstand als auch durch Stress verschlimmert wurde.97 Die Beeinträchtigungen von Rudolf II behinderten ihn in seiner Amtsführung als auch im privaten Bereich; er war nie verheiratet und isolierte sich durch sein eingeführtes Hofzeremoniell, aber auch bedingt durch seine Beeinträchtigungen weitgehend von der Außenwelt. Trotz Bemühungen und auch des Antriebs durch paranoide Zustände konnte Rudolf II die Konfessionalisierung der römisch- katholischen sowie protestantischen Seite nicht stoppen. Es bildeten sich zwei Bündnissysteme mit der Protestantischen Union im Jahr 1608 und der katholischen Liga im Jahr 1609, was dazu führte, dass eine Blockade der Institutionen des Reiches herrschte.98 Im Jahre 1618 ereignete sich der zweite Prager Fenstersturz, welcher den 30- Jährigen- Krieg einläutete und am Ende der Renaissance steht. Abschließend mit Rückschau auf Wenzel IV sieht der Historiker Palacký die Folgen der Herrschaft Wenzel IV bis in die frühe Neuzeit:

„Bekanntlich war das ganze Staats- und Kirchenleben der abendländischen Christen im Mittelalter ursprünglich auf das vorherrschende, wenngleich nicht unbeschränkte Walten des einigen römischen Kaisers und Papstes, und auf ihr gegenseitiges Verhältnis gegründet gewesen. […] Nach dem Ableben Gregors XI und Karls IV aber gerieten jene beide Gewalten, durch den Zwiespalt, sowie durch die Sitten- und Haltungslosigkeit ihrer höchsten Träger und Repräsentanten, zu gleicher Zeit in einen so tiefen und lang anhaltenden Verfall, daß einem Naturgesetz gemäß ihnen gegenüber im Volk endlich eine dritte Macht entstehen konnte und mußte, welche durch ihre gewaltiges Auftreten nach und nach das ganze Staats- und Kirchenleben der Christen umgestaltete, zuerst in Böhmen, später fast in allen Ländern Europas.“99

Eine Geschichte der Menschen mit Behinderung Dis/abled in 500-1620

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