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»DAHEIM IM GEBIRGE«[41]
ОглавлениеDie Geschichte hat nicht verzeichnet, was Franz Dietrich von Ahlens Familie über seinen Beschluss dachte, Hannover zu verlassen. Von Ahlen war ein ruheloser Individualist, der 18 Jahre nach seiner Geburt anno 1856 beschloss, in Hannover sei für ihn nicht genug los. Er packte seine Sachen und reiste nach New York. Seinen Namen ließ er zurück; stattdessen legte er sich den unauffälligen amerikanischen Namen »Frank Hibbing« zu. Nach einer Zeit als Farmarbeiter und Jurastudent wurde er Flößer, Schürfer und Holzfäller. 1885 hörte er, dass die Reichtümer an Wäldern und Bodenschätzen im nördlichen Minnesota die des nördlichen Michigan übertrafen, und ging als Grundstücksmakler nach Duluth. Er gewann und verlor ein Vermögen. Als 1890 in der östlichen Mesabi Range Eisenerz entdeckt wurde, das größte der drei Eisenerzvorkommen in Minnesota, beschloss Hibbing, wieder unter die Prospektoren zu gehen und führte an die 30 Männer von Duluth nach Westen in das Gebiet, das bald seinen angenommenen Namen tragen sollte.
In der Nähe des Punkts, der später die Stadtmitte sein würde, soll Hibbing eines Morgens im Januar 1893 den Kopf aus seinem Zelt gesteckt haben. Es war 40 Grad unter Null. Drei Fuß Schnee bedeckten einen gefrorenen Nadelwald. Hibbing, ein hagerer und entschlossener Mann mit breitem Schnurrbart, soll gesagt haben: »Ich glaube, hier unter mir ist Eisenerz. Meine Knochen fühlen sich rostig und kalt an.«
Seine Leute begannen zu graben und fanden bald Erz. Hibbing wirkte mit bei der Gründung der Lake Superior Iron Company, pachtete Boden- und Schürfrechte und wurde der erste Millionär der Ortschaft Hibbing.
Bevor zu Beginn des 20. Jahrhunderts das große Geld gemacht wurde, lieferte die Holzverarbeitung das nötige Kapital für den Bergbau und auch Holz für die notwendig gewordenen Gebäude. Die meisten der ersten 426 Anwohner waren Holzfäller, die 40 Dollar pro Monat verdienten und dazu alles an Schweinefleisch, Bohnen und Holzsplittern zusammenrafften, was sie nur kriegen konnten. Die erste Hauptstraße, Pine Street, verfügte über fast 60 Saloons, auch eine Methode, Zentralheizungsprobleme zu lösen. 1893 wurde ein zwei Quadratmeilen großes Stadtgelände konzipiert, zuerst »Superior« genannt, später in Hibbing umgetauft. Lehmstraßen, hölzerne Gehsteige, Saloonkrawalle, Unfälle bei der Holz- und Minenarbeit sowie Typhus machten Hibbing zu einer »Grenzstadt«[42]. Der Flüchtling aus Deutschland streckte Geld vor für den Bau einer Sägemühle, eines Wasserwerks, eines Stromgenerators, mehrerer Straßen, des ersten Hotels und einer Bank. Er starb 41-jährig 1897. In den nächsten zehn Jahren war Holzverarbeitung die wichtigste Industrie. Während die Entwicklung der Minen weiterging, wurde durch eine möglicherweise von den Großfinanziers absichtlich herbeigeführte Flaute die gesamte Mesabi Range zu Spottpreisen erhältlich. Durch John D. Rockefeller fasste die U.S. Steel Company Fuß in der Mesabi Range.
Hungrige mechanische Mäuler wurden erfunden, um das Erz aus dem Boden zu fressen. Die mit Holzverbrennung betriebenen Dampfschaufeln waren gefräßig wie Dinosaurier und fütterten die Waggons der Duluth-, Missabe- und Northern-Eisenbahnen. Das große Loch im Boden, das durch Dylans Erinnerung geistert, war ein »stripper«, eine Tagebaumine. 1964 bedeckte die Hull-Rust-Grube 1600 acres, maß 3½ mal 1 Meile und erreichte eine Tiefe von 535 Fuß.[43] Aus dieser schwärenden Wunde wurde fast eine Milliarde Tonnen Erdreich geholt - mehr Aushub als beim Bau des Panamakanals -, was etwa 450 Millionen Tonnen Eisenerz ergab. Große Reden wurden über Hibbings Mine geschwungen - Amerika hätte die beiden Weltkriege vielleicht nicht gewonnen ohne dieses hochwertige Erz, das fast ein Viertel des gesamten von der Nation verbrauchten Erzes ausmachte. Die Schaufeln fraßen auch die beste Ader unter dem ursprünglichen Ort. »Das razzle-dazzle-Dorf«[44] »die Eisenerzhauptstadt der Welt«, »das Zentrum des Schmelztiegels« und »das reichste Dorf der Welt« wurde zur »Stadt des Umzugs«.
Die Verpflanzung nahm 40 Jahre in Anspruch, sie begann 1918. Fast 200 Wohnhäuser von Bergleuten und 20 Geschäftsgebäude wurden auf Balken gehoben, auf Stahlräder montiert, an Dampfschlepper gehängt und zu neuen Ruheplätzen nach Alice verschoben, das zunächst South Hibbing hieß. Zahllose weitere Gebäude wurden zerstört. Für die Reise nach Alice brauchte das Colonia Hotel fast einen Monat. Das alte Sellers Hotel schaffte es nicht, es endete als Trümmerhaufen. Eigentümer begannen komplizierte Rechtsstreitigkeiten mit den Mineninteressenten, die immer noch damit rechneten, dass ihr Eisenerzlager mancherlei wert sei. Die Gerichte gaben meistens den Mineneignern Recht, und die Verschiebung von Hibbing ging stückchenweise weiter, bis in die späten 50er.
Dylan war Zeuge dieser merkwürdigen gesellschaftlichen Umwälzung, die bei ihm einen bleibenden Eindruck hinterließ. In seinem zweiten Epitaph beklagt er das verfallende Gerichtsgebäude und die Schule seiner Mutter, die man wie Kriegstrümmer verrotten ließ.