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4. Verwaltungsgerichtsbarkeit und neue Formen der Streitbeilegung
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Im Rahmen der Reform von 2014 legte der Gesetzgeber das Hauptaugenmerk auf das bereits bestehende Ombudsman-Verfahren.[181] Dabei präzisierte er dessen Verhältnis zu den Klagemöglichkeiten vor den Verwaltungsgerichten und zielte darauf ab, die verschiedenen Verfahren besser aufeinander abzustimmen.
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Zusätzlich zum klassischen Rechtsweg der Nichtigkeitsklage steht dem Rechtssuchenden die Möglichkeit offen, eine Beschwerde gegen eine Verwaltungsmaßnahme vor einer Ombudsstelle einzulegen. Diese Möglichkeit der Konfliktbeilegung ist vom erstmals im Jahr 1713 in Schweden eingeführten ombudsman inspiriert.[182] Bis 1950 blieb die Institution des ombudsman eine rein schwedische Erscheinung,[183] ehe sie sich erfolgreich ausbreitete – u.a. nach Belgien, wo heute der Médiateur (französisch) bzw. Ombudsman (niederländisch) besteht. Zwar sind Ombudsstellen eine weitere Rechtsschutzmöglichkeit zugunsten des Bürgers, sie gelten jedoch nicht als besonders effektiver Rechtsbehelf.
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Das Verfahren vor dem ombudsman ist größtenteils informell. In dessen Rahmen sollen Kompromisse bei konkreten Meinungsverschiedenheiten, aber auch allgemeinere Lösungen durch Berichte gefunden werden.
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Der erste belgische ombudsman wurde 1989 von der Stadt Antwerpen und der französischsprachigen Gemeinschaft in Form eines „Allgemeinen Beauftragten für Kinderrechte und Jugendhilfe“ eingesetzt.[184] Die hierdurch in Gang gesetzte Entwicklung[185] führte zur zunehmenden Einsetzung von ombudsmen auf Gemeindeebene[186] sowie von allgemeinen, für die gesamte Verwaltung zuständigen Ombudsstellen.[187] Zuletzt wurden durch Gesetz vom 22. März 1995[188] auch auf föderaler Ebene Bundes-Ombudsstellen geschaffen. Gemäß Art. 14 bestehen deren Hauptaufgaben darin, die im Zusammenhang mit der Tätigkeit von Bundesbehörden erhobenen Beschwerden zu prüfen, auf ein entsprechendes Ersuchen der Abgeordnetenkammer hin die Arbeitsweise der Bundesbehörden zu untersuchen, auf der Grundlage der im Rahmen dieser Aufgaben gewonnenen Erkenntnisse Empfehlungen zu erarbeiten und einen Bericht über die allgemeine Arbeitsweise der Verwaltung zu erstellen.[189] Die beiden Bundes-Ombudsstellen – einer französischsprachig, der andere niederländischsprachig – werden von der Abgeordnetenkammer für eine sechsjährige Amtszeit gewählt. Eine Wiederwahl ist zulässig.
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Zur Vermeidung unnötiger Anrufungen der Ombudsstellen muss der Bürger zunächst Widerspruch vor der Behörde einlegen, die die Verwaltungsmaßnahme erlassen hat. Damit ist „das Widerspruchsverfahren einer Anrufung einer Ombudsstelle zwingend vorgeschaltet“[190]. Bis 2014 bewirkte die Anrufung einer Ombudsstelle keine Hemmung oder Unterbrechung der Fristen für Widerspruchsverfahren und Klageerhebung vor den Verwaltungsgerichten; vielmehr wurde die durch die Ombudsstelle vorgenommene Prüfung der Beschwerde automatisch ausgesetzt, wenn ein Widerspruchsverfahren in Gang gesetzt oder eine Klage angestrengt wurde. Dies führte „zu dem paradoxen Ergebnis […], dass es faktisch unmöglich war, gleichzeitig mit Hilfe der Ombudsstelle nach einer gütlichen Einigung zu suchen und eine Nichtigkeitsklage vor dem Staatsrat zu erheben“[191]. Seit einem Gesetz vom 20. Januar 2014 sieht der neu geschaffene Art. 19 Abs. 3 KGSR eine Hemmung der Frist für Klagen vor dem Staatsrat vor. Die Hemmung endet entweder mit dem Zeitpunkt, in dem der Beschwerdeführer von der Entscheidung in Kenntnis gesetzt wird, seine Beschwerde nicht zu behandeln oder zurückzuweisen, oder mit Ablauf von vier Monaten nach Einlegung der Beschwerde.
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Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes vom 19. Mai 1998, durch welches die Vorschriften des Code judiciaire zu den Schiedsverfahren geändert wurden,[192] konnten staatliche Stellen im Allgemeinen nicht auf ein Schiedsverfahren zur Streitbeilegung zurückgreifen. In seiner heutigen Fassung bestimmt Art. 1676 §§ 2 und 3 Code judiciaire hingegen, dass „[e]ine Schiedsvereinbarung […] eingehen [kann], wer die Fähigkeit oder die Befugnis hat, einen Vergleich zu schließen. Unbeschadet gesetzlicher Sondervorschriften, dürfen juristische Personen des öffentlichen Rechts eine Schiedsvereinbarung nur dann eingehen, wenn diese Streitigkeiten über einen Vertrag beilegen soll. Für den Abschluss der Schiedsvereinbarung gelten dieselben Bedingungen wie für den Abschluss des Vertrages, der den Gegenstand des Schiedsverfahrens bildet. Darüber hinaus können juristische Personen des öffentlichen Rechts eine Schiedsvereinbarung auch in allen anderen durch Gesetz oder im Ministerrat beschlossenen königlichen Erlass festgelegten Fällen eingehen […].“
§ 128 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Belgien › III. Funktion und Aufgabe der Verwaltungsgerichtsbarkeit › 5. Selbstverständnis der Verwaltungsgerichtsbarkeit und Deutungsangebote der Rechtslehre