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bb) Rechtsschutzmöglichkeiten innerhalb der Verwaltung
(interne Überprüfung)
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Bei einer direkt an sie gerichteten Beschwerde hat die Verwaltung die Möglichkeit, ihre ursprüngliche Entscheidung aufzuheben und infolgedessen ein verwaltungsgerichtliches Verfahren abzuwenden. Robert Andersen und Pierre Nihoul zufolge geht es hierbei um „Eingaben an eine Behörde, die als Verwaltungsorgan durch eine Verwaltungsmaßnahme entscheidet, die einen Rechtsakt der Verwaltung infrage stellen – und zwar sowohl im Hinblick auf dessen Gesetzmäßigkeit als auch auf dessen Zweckmäßigkeit“[233].
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In einigen Fällen existieren rechtlich geregelte Widerspruchsverfahren, für die jeweils bestimmte Beschwerdestellen zuständig sind. Teilweise fehlt ein solch geregeltes Verfahren jedoch. Wendet sich der Betroffene im letztgenanntem Fall dennoch an die Behörde, nimmt er lediglich sein Petitionsrecht aus Art. 28 Belg. Verf. und Art. 41 des Sondergesetzes vom 8. August 1980 zur Institutionenreform wahr.[234] Grundsätzlich wird dadurch weder die Frist für eine Klageerhebung vor dem Staatsrat[235] noch für eine Eingabe in einem geregelten Widerspruchsverfahren gehemmt,[236] wobei diesbezüglich Ausnahmen existieren.[237] Die Verwaltung ist im Rahmen eines ungeregelten Widerspruchsverfahrens nicht verpflichtet, dem Bürger zu antworten.[238] Die ablehnende Entscheidung im Rahmen eines nicht geregelten Widerspruchsverfahrens gilt nicht als neue Verwaltungsmaßnahme, sondern lediglich als Bestätigungsschreiben.[239] Ein Bescheid, mit dem die Verwaltung über den Widerspruch befindet, muss jedoch auch im Rahmen des ungeregelten Widerspruchsverfahrens den vom Gesetz vom 29. Juli 1991 über die förmliche Begründung von Verwaltungsakten vorgesehenen Vorschriften entsprechen.
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Im Gegensatz hierzu ist die Behörde im Rahmen eines geregelten Widerspruchsverfahrens verpflichtet, eine Entscheidung über den Widerspruch zu treffen.[240] Ist ein Widerspruchsverfahren vorgesehen, so muss dieses vom Bürger beschritten und erschöpft werden, bevor er zulässigerweise den Staatsrat anrufen kann: „Einem Klagerecht, das dem Betroffenen offensteht, entspricht eine Handlungspflicht.“[241] Geregelte Widerspruchsverfahren sind daher einem Verwaltungsgerichtsprozess zwingend vorgeschaltet. Gesetzlich vorgesehen sind sowohl die Zulässigkeitsvoraussetzungen als auch die Fristen; auch wird die zuständige (Widerspruchs-)Behörde bezeichnet. Darüber hinaus ist das Verfahren allerdings nicht näher ausgestaltet.[242] Auch im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens bleibt die Maßnahme der Verwaltung – getreu der Regel „zuerst gehorchen, dann beschweren“[243] – grundsätzlich sofort vollziehbar.
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Es bestehen verschiedene Beschwerdearten: Widerspruch vor der die Verwaltungsmaßnahme erlassenden Behörde, Widerspruch vor der nächsthöheren Stelle oder Beschwerde bei einer besonderen, eigens dafür vorgesehenen Stelle. Letztgenannte Verfahrensart ist stets ein geregeltes Widerspruchsverfahren, die beiden erstgenannten können auch als ungeregeltes Widerspruchsverfahren stattfinden.
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Wird der Widerspruch unmittelbar bei der Behörde eingelegt, die die angegriffene Maßnahme erlassen hat, kann diese ihre Entscheidung abändern oder zurückziehen.[244]
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Da die bürokratische Verwaltung typischerweise auf einem hierarchischen Aufbau beruht, kann der Widerspruch auch bei der nächsthöheren Behörde erhoben werden. Diese kann die angegriffene Maßnahme (zumindest grundsätzlich) auf Gesetzes- und Zweckmäßigkeit überprüfen. Für eine solche verwaltungsinterne Überprüfung auf nächsthöherer Ebene existieren zwar keinerlei gesetzliche Regelungen oder Verfahrensvorschriften, gleichwohl betont der Staatsrat, dass „der Aufbau der Verwaltung gemäß dem Führungsprinzip eine für deren geregelte Arbeitsweise unverzichtbare grundsätzliche Regel“[245] sei. Somit stehen den Dienstvorgesetzten drei Arten von Befugnissen offen: Weisungen und Anordnungen, die Aufhebung der Maßnahme oder die Ersatzvornahme.[246] Alles in allem haben Widersprüche vor der nächsthöheren Ebene in Belgien aber nur ausgesprochen selten Erfolg.[247]
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Anrufungen besonderer, extra für derartige Zwecke eingerichteter Beschwerdestellen erfolgen stets auf der Grundlage eines geregelten Verfahrens und sind z.B. bei Disziplinarmaßnahmen gegen Bedienstete dezentralisierter Behörden oder Maßnahmen von Baubehörden vorgesehen.
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Bei Maßnahmen dezentralisierter Behörden besteht mit der Oberaufsicht eine weitere Möglichkeit verwaltungsinterner Kontrolle. Hierbei handelt es sich um eine Überwachung durch oder auf der Grundlage einer Vorschrift von Gesetzesrang, die einer dezentralisierten Behörde in einem bestimmten Bezirk oder einem bestimmten Sachbereich Vorgaben auferlegt. Gleichzeitig kann die Aufsichtsbehörde, unter Wahrung der Selbstständigkeit der dezentralisierten Behörde, deren Akte auf Vereinbarkeit mit dem Gesetz (im weiteren Sinne) und dem Allgemeininteresse hin überprüfen.[248] Jacques Dembour definiert die Oberaufsicht als die Gesamtheit aller begrenzten, den Behörden des Zentralstaats, einer Gemeinschaft oder einer Region per Gesetz, Dekret oder Gesetzerlass eingeräumten Befugnisse zur Sicherung der Befolgung des Rechts und zur Wahrung des Allgemeininteresses gegen abträgliche Untätigkeit, Übergriffe oder Überschreitungen ihrer Befugnisse durch dezentralisierte Behörden und deren Beamte.[249] Die Oberaufsicht kann in unterschiedlichen Formen auftreten: als Stellungnahme, Billigung, Genehmigung, Aussetzung, Aufhebung, Ersatzvornahme, von Amts wegen erlassene Maßnahme, Entsendung eines Sonderbeauftragten, ersatzweiser Erlass eines Bescheids oder Abänderung eines Bescheids nach einer Beschwerde. In diesem Rahmen ist die allgemeine Aufsicht, welche repressiv und fakultativ ist und jede Verwaltungsmaßnahme einer dezentralisierten Behörde aussetzen oder aufheben kann, von der nachträglichen, besonderen[250] bzw. der spezifischen Aufsicht[251] zu unterscheiden. Dabei kann die Einlegung eines Rechtsmittels durch die Aufsichtsbehörde die Klagefrist vor dem Staatsrat hemmen.[252]
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Im Rahmen dieser Kontrollmöglichkeiten können im Allgemeinen sowohl die Rechtmäßigkeit[253] als auch die Zweckmäßigkeit[254] der beanstandeten Maßnahme überprüft werden. Dabei dient das Eingreifen der Aufsichtsbehörde dem Schutz des Allgemeininteresses,[255] wohingegen Gerichtsverfahren den Zweck haben, über die Rechtmäßigkeit einer Verwaltungsmaßnahme zu entscheiden. Da der Gesetzgeber bei der Einrichtung einer Beschwerdemöglichkeit regelmäßig nicht präzisiert, ob es sich dabei um einen Klageweg zur Verwaltungsgerichtsbarkeit handelt, ist der entscheidende Unterschied oftmals allein die Rechtskraft der Entscheidung und des Verfahrensweges. Innerhalb des Verwaltungsapparats entscheidet die Verwaltung durch Verfügung und nicht durch Gerichtsentscheid.[256]