Читать книгу BLUT - Der Vampirkiller von Wisconsin - Robert W. Walker - Страница 7

Kapitel 3

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Jessica hatte die Hoffnung aufgegeben, die ausgefeilte Ausrüstung zum Sichern von Fingerabdrücken zu erhalten, die ihnen das Einsatzbüro in Milwaukee versprochen hatte. Sie hätte vielleicht einige Ergebnisse erzielen können mit einem ultravioletten Bildsystem, welches das Licht an einem Tatort 700.000 Mal verstärkte. Aber sie musste mit dem zurechtkommen, was sie hatte: Einem Stromgenerator und ein paar Scheinwerfern, die durch die Fenster und die Tür leuchteten. Sie versuchte, das Beste daraus zu machen. Außerdem standen die Chancen eher schlecht, an dem schon schwer beeinträchtigten Tatort einen Fingerabdruck des Killers zu finden. Sie hatte gesehen, dass jemand tatsächlich eines der Körperteile des toten Mädchens aufgehoben und zu ihr zurückgebracht hatte. Es lag unter ihr wie eine Opfergabe, und sehr wahrscheinlich war das nicht der Killer gewesen, sondern jemand, dem die grauenvolle Szene nahegegangen war.

Trotzdem war sie pro forma alles durchgegangen, hatte die beste Technologie eingesetzt, die ihr zur Verfügung stand, den MAGNA-Brush. Eine geniale Erfindung, klein genug, um ihn in der Brusttasche herumzutragen. Der MAGNA machte es möglich, von allen möglichen Materialien Fingerabdrücke zu nehmen, selbst wo es mit herkömmlichen Methoden nicht gelang. Die Leute vor Ort hatten ihre eigenen konventionellen Methoden, um Fingerabdrücke zu sichern, und die kamen ihr wie aus der Steinzeit vor.

Alles würde warten müssen, bis sie nach Quantico zurückkam, wo Flüssigkeiten und Flecken vom Tatort sowie Fasern identifiziert werden konnten und die DNA-Tests ihnen vielleicht weiterhalfen. Aber solche Tests dauerten ihre Zeit.

Die lokalen Gesetzeshüter wurden langsam unruhig und hätten gern den Leichnam abgenommen und die Pforten dieses Hauses des Todes verschlossen. Sie konnte es ihnen nicht vorwerfen. Es war einer dieser grundlegenden Instinkte, das Verlangen, das hilflose Opfer irgendwie wieder herzurichten, das Geschehene so weit wie möglich ungeschehen zu machen oder zumindest den hilflosen Körper des Opfers wieder in eine natürlichere Pose zu bringen; sie wollten, dass jemand ihre Wunden säuberte, nicht Maß nahm, hineinstach, Gewebeproben entnahm. Sie wollten diesen hässlichen Anblick beseitigen.

Mit dem Bedürfnis, sauber zu machen und alles aufzuräumen, ging die Illusion einher, es sei nicht nur hilfreich, sondern auch moralisch geboten.

Ihr Vater hatte ihr davon erzählt; er hatte es ungezählte Male selbst gesehen – und sie mittlerweile auch. Aber er hatte sie auch gelehrt, dass solche Bedürfnisse natürlich und gut waren, obwohl sie oft Schaden anrichteten, weil sie Beweise und die erwünschte Integrität eines Tatorts zerstörten. Diese menschlichen Bedürfnisse erfüllten für die Lebenden sicher einen Zweck; dienten dazu, die Szene »abzuschwächen«, aber glücklicherweise war Ottos Anweisung befolgt worden, vor ihrem Eintreffen die Leiche nicht anzufassen, so erstaunlich das auch schien. Wieder einmal hatte sie den Sheriff im Verdacht, einen Mann namens Stowell. Sie wusste, in den Augen dieser Männer wirkte sie hart, vielleicht sogar pervers, weil sie sie so lange davon abhielt, den Leichnam von seiner stillen Qual, seinen Fesseln und der unnatürlichen Position zu befreien. Ähnlich wie die gut gemeinte Absicht, die bei Flugzeugabstürzen so viele Probleme machte, wenn die Opfer einer brennenden Boeing 707 zu schnell aufgehoben und in ordentliche kleine Reihen gelegt wurden. Das war ein wahrer Albtraum für die medizinische Spurensicherung, wenn es um die Identifizierung der Leichen ging.

Sie war einmal zu einem solchen Fall hinzugezogen worden, bei dem schrecklichen Absturz des Pan-Am-Fluges 929. Ihr erster Fall mit einer solchen Menge an Toten, der große Anstrengungen erforderte. Verstümmelte und verbrannte Leichen zu identifizieren, abgerissene Gliedmaßen zuzuordnen, die über ein Trümmerfeld von etwa 150 Metern verteilt lagen, war an sich schon genug Herausforderung für jeden forensischen Spezialisten. Sie war damals medizinische Untersuchungsassistentin am Washington Memorial gewesen und hatte Bereitschaftsdienst, als die Nachricht von dem Absturz hereinkam. Solch eine Ankündigung ist wie die Einladung zu einer Studentenparty, und innerhalb einer Stunde waren alle Straßen, die zur Absturzstelle führten, verstopft gewesen mit Polizisten, die gerade keinen Dienst hatten, Reportern, Kamera-Crews, Voyeuren aller Art. Jeder, der auch nur die kleinste Ausrede dafür hatte, vor Ort sein zu müssen, hatte sich eingefunden, inklusive Politikern, die Interviews geben wollten.

Feuerwehrautos und Krankenwagen säumten den Weg, dazu mehr Cops als überhaupt nötig gewesen wären. Das furchtbare Geheimnis zwischen all dem Chaos und der Verwirrung war das Plündern, das normalerweise der örtlichen Bevölkerung angelastet wurde. Auf einem viel genutzten Flughafen wie Dulles International waren die Ersten vor Ort diejenigen, deren Job es war, die Überlebenden zu retten und die Leichen derer zu schützen, die gestorben waren. Beim Pan-Am-Crash waren die Ersten vor Ort die Port Authority Police gewesen, gefolgt vom WPD, den Feuerwehrmännern und den medizinischen Notfallteams, Krankenpflegern, Ärzten, Bestattern und dann den Menschen, die in der Nähe wohnten. Es wurde so viel geplündert, dass es schon nicht mehr feierlich war.

Die Verwandten der Getöteten waren in einer unmöglichen Position, kafkaesk in ihren albtraumhaften Ausmaßen. Sie wussten, die Polizei, die Feuerwehr und die Notarzt-Teams hatten so schnell wie möglich versucht, ihre geliebten Angehörigen zu retten oder zu identifizieren. Wie konnten sie da eine fehlende Brosche, einen verlorenen Diamanten oder eine verlorene Geldbörse hinterfragen? Ohne Aufzeichnungen gab es keine Möglichkeit, jemanden zu beschuldigen oder überhaupt zu beweisen, dass etwas gestohlen worden war.

Pan-Am 929 war ein »reicher« Flug gewesen. Er kam aus Buenos Aires und die Passagierliste las sich wie das Who-is-Who von Washington, D.C. Aber bis Jessica dort angekommen war, hatte es wie eine Flugzeugladung Obdachloser ausgesehen. Ein weiterer Grund, wieso man alle Leichen in eine Reihe legte, nahm sie an, damit man sie nach Ringen und anderen Dingen durchsuchen konnte – Dinge, die rasch die verbrannten und verstümmelten Überreste identifizieren konnten.

Sie hörte einen Polizisten zu einer völlig aufgelösten jungen Frau sagen: »Sie behaupten also, Ihre Mutter hat immer diesen Ring getragen? Aber können Sie beschwören, dass Sie ihn an ihrer Hand gesehen haben, als sie in Buenos Aires an Bord gegangen ist?«

Ein Erzbischof auf seinem Weg zurück nach Rom über D.C. war gefunden worden. Die Leiche war intakt, aber sein Ring aus Gold mit Amethysten und sein Kreuz waren zusammen mit seiner Rolex spurlos verschwunden. Ein Police Lieutenant hatte wütend befohlen, dass den Leichen alle Brieftaschen und Schmuckstücke unter den wachsamen Augen seiner Männer abgenommen und diese Gegenstände mit einer Nummer versehen wurden, die den Nummern entsprachen, die sie den Leichen gegeben hatten. Dann wurden sie in Plastiktüten verpackt und in die Asservatenkammer der Polizei überführt, damit nichts mehr gestohlen werden konnte. Zu diesem Zeitpunkt waren Jessica und andere Gerichtsmediziner am Ort des Geschehens eingetroffen, weil sie mit dem Verkehr in der Rushhour zu kämpfen gehabt hatten. Bis dahin war nicht mehr viel des persönlichen Eigentums der Opfer übrig, und den Leichen, alle ordentlich nummeriert, aufgereiht und mit einer grünen Plane bedeckt, waren alle Gegenstände abgenommen worden, anhand derer man sie hätte identifizieren können.

Als Gerichtsmedizinerin war es Jessicas Hauptaufgabe, unkenntliche Leichname zu identifizieren. Am einfachsten, schnellsten und schmerzlosesten geschah das mithilfe persönlicher Gegenstände und der Passagierliste mit den Platznummern für jeden Fluggast. An der unberührten »makellosen« Unfallstelle konnte die Gerichtsmedizinerin Verletzungsbilder zuordnen und bewerten, wie Körperteile verteilt waren. Damit konnte sie im Detail rekonstruieren, was passiert war und wieso der Kopf des einen Passagiers abgetrennt und ein anderer völlig intakt war.

Während sie sich mit den Leichen an der Unglücksstelle beschäftigte, war Jessica schmerzlich bewusst gewesen, dass einflussreiche Leute des FBI ein Auge auf sie hatten, während sie darauf wartete, für die Akademie zugelassen zu werden. Die Tragödie von Flug 929 war so etwas wie ihre Feuerprobe geworden. Zwei der Passagiere an Bord hatten für das Bureau gearbeitet. Sie hatte die Zulassung zur Akademie erhalten, aber behielt sich das Recht vor, ein wenig Groll auf alle zu hegen, die in der ein oder anderen Form von der Tragödie profitiert hatten, inklusive ihr selbst, egal wie hochtrabend ihre Ambitionen gewesen waren.

Jetzt in Wekosha, Wisconsin, mit nur einer einzigen Leiche, um die sie sich kümmern musste, erwartete man von ihr alle Antworten. Ohne die notwendige Zeit im Labor konnte sie aber nicht mehr tun als Stowell oder Lumley: spekulieren. Allerdings war zumindest eine Sache klar. Zweifellos hatte der Killer das tote Mädchen buchstäblich »gemolken« und ihr sämtliches Blut abgezapft. Sie stellte sich eine gewaltige Vampirfledermaus vor, die an der Kehle des Mädchens hing und ihr Leben mit einer ekelhaften Zunge und Reißzähnen aufleckte.

Otto kam von draußen zurück und sah wieder kontrolliert und gefasst aus. Er streckte die Hand aus, um ihr auf die Beine zu helfen, da sie vor dem Hals der Leiche gekniet hatte.

»Ich hab alles, was ich brauche«, sagte sie. »Wir können gehen.«

Lumley tropfte ein wenig Spucke und Tabak aus dem Mund, als er losplatzte: »Sie meinen, wir können sie jetzt losschneiden?« Er klang sarkastisch und spröde.

Sheriff Stowell warf ihm einen strengen Blick zu.

Jessica entgegnete nur: »Ja, aber seien Sie vorsichtig und behutsam. Wir wollen ja nicht, dass dabei Wunden entstehen, die hinterher zu Verwirrung führen.«

»Wir werden vorsichtig sein«, sagte einer der Cops aus Wekosha.

Jessica ging schnell hinaus, sie konnte es kaum erwarten, die klare, kühle Luft in der freien Natur Wisconsins zu atmen. Sie füllte ihre Lunge damit, während ihre Ausrüstung und Beweisstücke ins Auto geladen wurden.

Die Stille der Nacht schien fast undurchdringlich, kroch wie kaltes Blei in ihre Knochen. Die Dunkelheit des tiefen Waldes war komplex und geheimnisvoll. Es war ein isolierter Ort, sowohl friedlich als auch gefährlich. Sie musste an die unzähligen Jägercamps denken, die sie mit ihrem Vater bei der Jagd auf Rotwild besucht hatte. Das Endergebnis der Jagd war ein ausgeweideter Kadaver, und als sie das angestrengte Stöhnen und den Lärm der Männer im Innern hörte, die das tote Mädchen von ihren Fesseln losmachten, dachte sie an den Horror, den sie irgendwie für all diese Stunden zur Seite geschoben hatte. Sie konnte Männern wie Lumley kaum einen Vorwurf machen, dass sie sie ansahen, als wäre sie ein Ghul.

»Wir können los, Jess.« Otto brachte ihren Mantel vom Wagen und legte ihn über ihre Schultern. »Du zitterst«, sagte er.

»Danke. Hab gar nicht gemerkt, wie kalt es ist.«

Wenige Augenblicke später lehnte sie sich in die weichen, sauberen Polster hinten in Stowells Polizeiwagen. Stowell griff ins Handschuhfach und bot ihr einen Schluck aus einer Flasche Jack Daniel’s an. Sie nahm zögerlich einen, aber erst, nachdem Otto zustimmend genickt hatte.

Sheriff Stowell wendete den Wagen und wäre fast in einen Graben gefahren, bevor er auf den überwucherten Waldweg steuerte, der sie wieder zum Highway bringen würde. Otto nahm ihr den Whisky ab und trank selbst zwei Schlucke, bevor er ihn mit einem »Danke« an Stowell zurückgab.

»Sheriff Stowell hat zugesagt, die grausameren Aspekte des Verbrechens unter Verschluss zu halten, Jess«, sagte Otto, während sie eigentlich nur in sanftem Schlummer wegdösen wollte, jetzt wo der Wagen sacht über den Waldweg schaukelte.

»Gut«, brachte sie heraus.

»Aber ich hab ihm als Gegenleistung was versprochen.«

Sie blinzelte, ihre Neugier war geweckt: »Er bekommt einen ausführlichen Bericht, sobald ich …«

»Er will wissen, ob sie vor der Verstümmelung sexuell missbraucht wurde.«

Stowell selbst sagte: »Candy war kein schlechter Mensch. Sie hat es nicht verdient, so zu sterben.«

»Sie kannten sie?«

»Sie hatte Vorstrafen.«

»Prostitution?«

»Ja.«

»Kannten Sie sie daher?«

»Ich hab manchmal außerhalb der Arbeit Zeit mit ihr verbracht; ihr einen Job besorgt; sie dazu gebracht, ihr Leben in den Griff zu kriegen. Und jetzt das …«

Stowell schilderte ihr weitere Details von Annie »Candy« Copelands Leben. Als sie fast 19 war, hatte sie zwei Monate in einem Imbiss in Wekosha als Kellnerin gearbeitet. Davor hatte sie auf der Straße gearbeitet und mit ihrem Zuhälter gelebt. Noch früher, als idealistische Highschool-Schülerin, hatte sie ehrenamtlich im örtlichen Krankenhaus gearbeitet, als Candy Striper, wie die freiwilligen Helferinnen in einem Krankenhaus aufgrund ihrer rot-weiß-gestreiften Kleider genannt wurden. Daher hatte sie ihren Spitznamen Candy.

»Was ist mit ihrer Familie?«, fragte Jessica.

Stowell Stimme hatte den Klang eines Mannes, der in seinem Berufsleben schon einen Menge Leid gesehen hatte. »Man hat sie behandelt wie Dreck. Der Stiefvater hat sie missbraucht, die Mutter hat weggeschaut, und als sie versucht hat, sich zu wehren … da ist sie zu mir gekommen … und sie haben sie rausgeworfen. Sie landete auf der Straße. Das System hat für das Mädchen noch nicht mal ansatzweise funktioniert, also hab ich getan, was ich konnte, und das war nicht viel.«

»Stowell und ich werden mit dem Zuhälter reden«, sagte Boutine.

»Und dem Stiefvater.«

»Die sind Kollegen und arbeiten im Imbiss«, sagte Otto.

Sie kannte den Ablauf. Erst mal bei denen nachfragen, die sie gekannt hatten, die sie regelmäßig sahen; wer hatte sie zuletzt lebend gesehen, wann und wo und mit wem? Zuerst werden die Verwandten, Freunde und Kollegen verdächtigt, und dann kann man sich von da vorarbeiten. Alle werden befragt, und durch jede Antwort erhält man eine neue Einsicht und eine mögliche neue Spur oder einen Anhaltspunkt, wie sie ums Leben kam.

»Also willst du, dass ich dir heute Nacht noch sage, ob sie vergewaltigt wurde oder nicht?«

»Ein guter Tipp genügt, Dr. Coran«, sagte Otto.

»Für einen Tipp brauche ich erst eine Laboranalyse, Otto, das solltest du wohl am besten wissen.«

»Was ist deine Einschätzung?«, fragte Otto in seiner besten Kommandostimme und drückte ihre Hand, als wollte er sie von der Wichtigkeit seines Deals mit Stowell überzeugen.

Sie atmete tief ein und ließ einen einzigen Seufzer vernehmen. »Meine Einschätzung lautet – und es ist auch nicht mehr als das –, dass dieser Kerl kein sexuelles Interesse an ihr hatte, zumindest, was normale Sexualität betrifft.«

»Normale Sexualität?«, fragte Stowell, dessen Knöchel sich am Steuer weiß verfärbt hatten. Sie merkte, dass er mehr als ein väterliches Interesse an Annie Copeland hatte. Hatte er eine Affäre mit ihr gehabt?

»Geschlechtsverkehr.«

»Aber ich habe gesehen, wie sie eine Spermaprobe genommen haben.«

Sie wusste, worauf er hinauswollte. »Ja, ich hab Sperma gefunden, aber …«

»Sperma ist ein Beweis für …«

»… aber es ist nicht über den Muttermund hinaus eingedrungen …«

»Das können Sie nur vom Hinschauen sagen?«

»Es war kalt da drin, und das Sperma, das ich gefunden habe, war geliert, fast als ob …« Sie verstummte.

Otto drückte wieder ihre Hand und drängte sie, weiterzureden. »Als ob?«

»Wie das Blut an den Wunden, draufgeschmiert, nachdem das Mädchen tot war, als sollten wir es so finden.«

»Verdammtes Dreckschwein«, murmelte Otto.

Stowell schwieg einen Moment abwesend, bevor er sagte: »Wer auch immer das getan hat, wollte also nur das eine von ihr?«

»Das stimmt, Mr. Stowell«, sagte sie. »Er wollte nur ihr Blut.«

»Danke, Dr. Coran«, sagte er, bevor er sich wieder in Schweigen hüllte und die grüne Beleuchtung des Armaturenbretts sein zermartertes Gesicht beleuchtete.

Jessica sah zu Boutine, der neben ihr auf dem Rücksitz saß. Boutine biss sich auf die Oberlippe, bevor er sprach: »Stowell wird tun, was er kann, um den Vampiraspekt unter Verschluss zu halten. Keine Informationslecks – zumindest für 24 Stunden.«

Ihr wurde klar, Boutine hatte ihnen ein wenig Zeit verschafft. Sie wussten beide, der Fall zog so viel Aufmerksamkeit auf sich, dass die kleinstädtische Polizei, die Trooper und Stowells County Office innerhalb dieses Zeitrahmens davon überwältigt werden würden.

»Du siehst furchtbar aus, Otto«, flüsterte sie – kaum zu glauben, dass ihr der Gedanke über die Lippen gekommen war. »Es tut mir leid; ich wollte nicht so offen sein. Ich sehe sicher auch nicht besser aus.«

Er hatte weiter ihre Hand gehalten und nahm sie jetzt beide in seine, massierte sie.

»Du siehst gut aus, wie immer.«

»Meineid vor Zeugen, Otto?« Sie zog ihre Hände weg und sah kurz im Rückspiegel Stowell in die Augen.

Sie brauchten beide etwas Schlaf. Keiner von ihnen hatte sich seit über 24 Stunden ausruhen können. Sie lehnte sich wieder ins Polster des Sitzes, schloss die Augen und erinnerte sich an den Anruf, den sie zu Hause bekommen hatte und in dem sie aufgefordert worden war, sich bereitzuhalten. Gott, war das nicht erst gestern gewesen? Zu dem Zeitpunkt hatte Otto noch keine Ahnung gehabt, wohin sie fliegen würden, außer dass es wahrscheinlich irgendwo im Mittleren Wesen war. Er hatte ihr eine kleine motivierende Ansprache gehalten: Das Bureau wollte, dass sie im Einsatz Erfahrung sammelte, und er wollte sie in seinem Team. Er erklärte, er wollte sein Team mit einer Klinikärztin vervollständigen, jemandem, der die Pathologie wieder in einen psychologisch-pathologischen Bericht über einen Serienkiller einfügen konnte.

Also hatte er sie auf den Dienstplan gesetzt, und nachdem sie stundenlang in Bereitschaft gewesen war und dann wieder nicht, wurde sie zum Einsatz gerufen, als Boutine sie angerufen und geheimnisvoll gefragt hatte: »Warst du schon mal im Frühling in Wisconsin?«

»Nein, noch nie«, hatte sie erwidert.

»Viel Schlamm, bei dem Tauwetter.«

»Ist das so?«

»Hast du Stiefel?«

»Sicher hab ich Stiefel.«

»Hohe?«

»Hohe, flache. Alles, was nötig ist. Ist das ein Go

»Sei in einer halben Stunde beim Eingang der Akademie.«

Ein Jeep der Army wartete auf sie am Tor, und als sie einstieg, fuhr er raus auf das Rollfeld. Dort half ihr jemand, ihre Ausrüstung an Bord eines Learjets zu verladen, dessen dröhnende Triebwerke den stürmischen schwarzen Himmel und ihre Trommelfelle durchbohrten. Zwei Stunden später setzten sie auf einem abgelegenen Flugfeld neben dem Bohnenfeld einer Farm auf. Man sagte ihr, sie hätten den Stadtrand von Wekosha, Wisconsin, erreicht.

Während des Fluges hatte Otto ihr über den Fall erzählt, was er mitbekommen hatte. Wie sich jedoch herausstellte, hatte er wohl nicht alles mitbekommen, einfach, weil man ihm nicht alles darüber gesagt hatte. Er hatte es nur aus zweiter Hand, von einem Fax. Begierig darauf, seinen Vorgesetzten zu beweisen, wie sinnvoll es wäre, sein Team für psychologisches Profiling mit einem gut aufgestellten forensischen Team unter Jessicas Leitung zu kombinieren, hatte Otto leichtsinnigerweise – für ihn – nur auf einen Verdacht hin Jessica mitgenommen, damit sie sich den ›Ärger‹ in Wekosha ansah.

Als sie mit Otto im Flugzeug saß, hatte er ihr den Eindruck vermittelt, der Fall habe etwas mit Mord zu tun, aber man hatte ihr nicht gesagt, dass es um einen Foltermord Stufe neun ging – Ausbluten. Sie fragte sich, wie viel Otto gewusst und wie viel er ihr verheimlicht hatte, als plötzlich ein riesiges Schlagloch in einer Straße des Ortes sie wieder in die Gegenwart brachte.

Sie mussten zuerst in das Police Department der Stadt, wo all die Beweise unter Verschluss waren. Otto und Stowell kamen als Zeugen fürs Protokoll mit. Von dort ließ Stowell sie von einem Deputy ins Wekosha Inn fahren, wo Zimmer für sie reserviert waren. Sobald der Deputy weg war, eilte Jessica hinein, begierig nach einer Dusche und etwas wohlverdientem Schlaf, aber Otto hielt sie am Rezeptionstresen zurück. Gerade als sie ihren Zimmerschlüssel bekommen hatte, nahm er sie zur Seite.

»Du verschweigst mir doch was …«

Sie sah ihm in die Augen und fragte sich, wie er so gut darin geworden war, Gedanken zu lesen.

»Nichts, was ich bisher beweisen kann.«

»Nämlich?«

»Abgesehen davon, dass der Bastard sich mit dem Großteil ihres Blutes davongemacht hat?«, fragte sie.

»Davongemacht?«

»Stowell sagte, sie war seit zwei Tagen verschwunden. Vom Stadium der Totenstarre ausgehend, würde ich sagen, sie ist in der ersten Nacht nach ihrem Verschwinden gestorben. Der Typ könnte natürlich die ganze Nacht da rumgehangen haben, aber das glaube ich nicht. Und niemand kann in einer Sitzung so viel Blut trinken. Auch wenn er glaubt, er ist ein Vampir.«

»Also hat er das Blut mitgenommen?«

»Das meiste davon, ja.«

»Einige der örtlichen Trottel haben vorgeschlagen, das Copeland-Mädchen könnte ja auf Bondage gestanden haben oder irgendein auto-erotisches Spiel sei außer Kontrolle geraten.«

»Das ist Bullshit, das weißt du. Man hat sie an den Füßen an die Balken gehängt und ihr das Blut abgezapft. Wenn das als ein bisschen Folter-Vorspiel angefangen hätte, dann gäbe es Peitschenstriemen, Bissspuren, kleine Wunden und blaue Flecken, aber wie ich gesagt habe, das Sperma wurde in sie geschmiert, zusammen mit dem Blut. Sie hatten nichts mit ihrem Tod zu tun.«

»Höchstens damit, wie sie ihr Leben gelebt hat«, entgegnete er traurig.

Sie wusste, worauf er hinauswollte. Manche Opfer luden geradezu zu einem Angriff ein; manche Menschen waren die perfekten Opfer.

»Stowell sagt, sie haben einen Reifenabdruck. Keinen guten, aber …«

»Hast du sichergestellt, dass dieser Kerl Stadtler sie nicht einbalsamiert, bevor ich im Labor einen genaueren Blick auf alles geworfen habe?«

»Darum hab ich mich gekümmert, versprochen. In der Zwischenzeit will ich, dass du dich ordentlich ausruhst. Du hast es dir wirklich verdient.«

Sie ging mit einem »Gute Nacht« davon, blieb aber am Aufzug stehen: »Eins noch, Otto.«

»Ja?«

»Wer immer dieses Monster ist, er ist erstaunlich kontrolliert vorgegangen.«

»Erstaunlich kontrolliert?«

»Was den Blutstrom angeht. Angesichts der Position des Körpers hätte es enormen Druck auf die Arterien gegeben, die zum Kopf führen, besonders auf die Halsschlagader.«

»Die Art von Druck, der dafür gesorgt hätte, dass der ganze Tatort mit ihrem Blut vollgespritzt worden wäre.«

»Das hatte er auch gewusst … der hat sich Gedanken gemacht … eine Menge.«

»Hat darüber fantasiert oder es vielleicht tatsächlich schon mal getan«, schlug er vor.

»Und der Bastard hat sich was einfallen lassen, wie man den Blutfluss stoppt, ihn kontrolliert und das Blut auffängt.«

»Deutet vielleicht auf einen medizinischen Hintergrund.«

»Deutet auch auf einen organisierten Täter.«

Sie kannten beide die Literatur – wenn man es so nennen konnte – über den organisierten im Vergleich zum desorganisierten Mörder. Ein desorganisierter Killer hinterließ einen desorganisierten Tatort: Waffen, Fußabdrücke, Fingerabdrücke, persönliche Gegenstände und andere Hinweise für die Polizei, normalerweise deshalb, weil er schnell vor dem davonrennen wollte, was er getan hatte. Ein organisierter Killer hinterließ sorgsam gewählte Indizien; Beweise, die die Polizei finden sollte, oft um sie auf eine falsche Fährte zu bringen; andere Gründe reichten von Fetischen bis zu Fantasieritualen, die sich ein fiebriges Gehirn ausgedacht hatte, bis hin zum kranken Wunsch, einfach diejenigen zu provozieren, die seine schmutzige Arbeit wegräumen mussten.

Wenn Jessica recht hatte, dann würden sie keine Mordwaffe finden, und alle Verdächtigen, die die örtlichen Gesetzeshüter einbestellten, wären nur ein armseliger Ersatz für den wahren Täter. Die normale Antwort der Behörden vor Ort war, das Ganze dem Wirken völlig verrückter Antriebe zuzuschreiben. Darauf zählten sie sogar, und auch darauf, schnell jemanden für das Verbrechen einsperren zu können.

Aber sie beide wussten, auch wenn das zum Wohle der Gemeinde und für die gierigen Journalisten geschah, würde der wahre Killer einfach unsichtbar bleiben. Ein organisierter Killer wäre heimgegangen, hätte sich ins Bett gelegt, den Schlaf der Gerechten geschlafen, da er seinen nagenden Drang nach Blut befriedigt hatte, und wäre dann erfrischt wieder aufgewacht. Er würde sicher nicht verwirrt, desorientiert und mit einem bluttriefenden Mund in Stowells Büro auftauchen, um sich zu stellen, weil er sein aufgewühltes Gewissen beruhigen wollte, da er einem anderen Menschen das Leben ausgesaugt hatte. Wer immer dieser Täter war, er fühlte keine Reue, keinen Schmerz, kein Mitgefühl mit seinem Opfer. Stattdessen hatte er bestimmt einen Platz in der Garage für die Schneidwerkzeuge, die er bei Candy Copeland zum Einsatz gebracht hatte – er hatte wahrscheinlich jedes davon an einen eigenen Nagel gehängt oder auf ein eigenes Regalbrett gelegt, bevor er ins Bett gegangen war.

»Unser Mann ist ordentlich«, sagte Otto im schwach beleuchteten Flur, als habe er ihre Gedanken gelesen.

»Penibel was sich selbst und seine Sachen angeht«, stimmte sie zu, »und ich glaube nicht, dass er irgendwelches Blut auf seine Kleidung kriegen wollte. Wenn er versucht hätte, ihr Blut mit einem Eimer aufzufangen, dann wäre es trotzdem überall in der Hütte verteilt gewesen und er hätte auch was abgekriegt. Er hätte sich verschluckt und husten müssen, wenn er versucht hätte, alles auf einmal mit einem Schlauch oder etwas in der Art zu trinken. Nein, der hat das auf sehr saubere und ordentliche Weise gemacht.«

Ihre Gedanken waren von den Bildern des Monsters beherrscht, ein dunkler Schemen vor seinem Opfer, der über sie gebeugt penibel arbeitete, bevor er den toten Körper mit seinen Metzelwerkzeugen verunstaltete, beim Versuch, sein präzises Vorgehen zu kaschieren.

Dieses Mal wünschte keiner von ihnen gute Nacht. Beide wussten, dass der Schlaf, würde er denn kommen, nicht frei von verstörenden Bildern wäre.

BLUT - Der Vampirkiller von Wisconsin

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