Читать книгу Der Topophilia-Effekt - Roberta Rio - Страница 12
Gespaltene Welt der Wissenschaft
ОглавлениеSchenken wir dem Deutschen Bundesamt für Strahlschutz (BfS) Glauben, so ist der Fall klar. Auf der Homepage der Einrichtung ist Folgendes zu lesen:
Statische Magnetfelder üben Kräfte auf magnetisierbare Metalle sowie auf sich bewegende elektrisch geladene Teilchen aus. Der Mensch nutzt starke Magnetfelder beispielsweise für bildgebende medizinische Verfahren. Untersuchungen zeigen bisher keine direkten negativen biologischen und gesundheitlichen Wirkungen statischer Magnetfelder bis zu einer Magnetflussdichte von vier Tesla.
Dazu muss man wissen: Tesla ist nicht nur eine Elektroautomarke, sondern auch die Maßeinheit für die magnetische Flussdichte, benannt 1960 nach dem Erfinder, Physiker und Elektroingenieur Nikola Tesla. Und: Vier Tesla sind für irdische Verhältnisse eine ganze Menge.
Ein handelsüblicher Hufeisenmagnet hat etwa 0,1 Tesla. Ein Kernspintomograph, wie wir ihn von medizinischen Behandlungen mittels Magnet-Resonanz-Therapie (MRT) kennen, kommt auf etwa 0,35 Tesla. Ein Neodym-Eisen-Bor-Magnet (der zurzeit stärkste herstellbare Dauermagnet) hat 1,61 Tesla. Die supraleitenden Dipolmagnete des Teilchenbeschleunigers im unterirdischen Kernforschungsbunker von CERN bringen es auf 8,6 Tesla.
Für uns hier auf der Erde sind aber im Allgemeinen nur die eher niedrigen Werte von Belang. Das Magnetfeld der Erde, so heißt es, könnten Menschen gar nicht wahrnehmen, weil es so gering sei. In Deutschland beispielsweise beträgt es gerade einmal 0,00005 Tesla. Also fünf Mikrotesla. Am Äquator sind es sogar nur drei Mikrotesla, an den beiden Polen wiederum doppelt so viel. Sechs Mikrotesla also.
Höhere Dosierungen (im Vergleich zum natürlichen Erdmagnetfeld) kämen, so das BfS weiter, üblicherweise nur vor, wenn der Mensch sie künstlich erzeugt, wie zum Beispiel bei Kernspintomographen. Ob die relativ hohe magnetische Flussdichte die Gesundheit beeinflussen könne, sei unbekannt, weil die Technologie noch verhältnismäßig jung sei und Langzeitstudien Mangelware wären.
Müssen wir uns also in Anbetracht der recht geringen Strahlungsdosierungen von Magnetfeldern, mit denen wir es im Alltag zu tun haben, überhaupt noch Gedanken zu dem Thema machen? Nein, würde die vorherrschende Gelehrtenmeinung klar sagen, wäre da nicht eine noch ganz neue Forschungsarbeit, die das gründlich in Frage stellt.
Unter dem Titel »Wie magnetische Felder in menschlichen Zellen wirken« berichtete 2018 das deutsche Science Media Center, eine unabhängige und gemeinwohlorientierte Wissenschaftsredaktion und Plattform, auf der Wissenschaft und Journalismus aufeinandertreffen und sich austauschen können, über die Ergebnisse einer Studie, die zuvor im Fachmagazin PLOS Biology publiziert worden war.
Darin geht es um die so genannte »gepulste Magnetstimulation«, ein seit rund fünfzig Jahren angewandtes Verfahren, bei dem bestimmte Hirnregionen des Menschen mit kurzen magnetischen Impulsen stimuliert werden. Die längste Zeit wurde dieses Verfahren in der Therapie von ausgewählten Krankheiten eingesetzt, von Depressionen bis hin zu bestimmten Krebsarten. Die Universität Innsbruck berichtete von Versuchen, um damit Leiden, wie Tinnitus und Bulimie, zu lindern. Welche zellulären Wirkmechanismen die Magnetstimulation hat, war über all die Jahre jedoch unklar.
Bis zu der erwähnten Studie, die die Fachwelt seither spaltet, weil sie einen Magnetsinn von Tieren und womöglich auch von Menschen, der selbst auf so geringe Feldstärken, wie die des Erdmagnetfeldes, reagiert, wissenschaftlich plausibel macht.
Das Science Media Center stellte Stellungnahmen von Experten online, von denen einige die brisanten Ergebnisse der Studie offen anzweifeln oder ganz vernichten, während andere von »wichtigen neuen Ansätzen« sprechen. Letztere kommen aus allen Ecken der Wissenschaft, aus der Biologie, der Wissenschaftsethik, der Technik, der Medizin und auch der Physik, wie etwa von dem Briten Daniel R. Kattnig vom Department of Physics and Living Systems Stimulation an der Universität von Exeter.
Kattnig fasst das spannende Ergebnis der Studie in seinem Beitrag zusammen und spricht aus, was immer mehr seiner Forscherkollegen denken: »Die Autoren (der Studie, Anm.) geben erstmalig Einblicke in die mechanistischen Grundlagen des Magnetfeldeffektes«, schreibt er. »Im speziellen identifizieren sie das Protein Cryptochrom als essentiell. Dieses wird (…) als zentraler Baustein eines magnetischen Kompass-Sinns von einigen Tieren angesehen, wie zum Beispiel von Zugvögeln. Unter der Annahme, dass hier ähnliche physikalische Prinzipien zur Anwendung kommen, lässt uns das vermuten, dass die präsentierten Resultate weitaus breitere Gültigkeit haben. Es ist also durchaus plausibel, dass auch bei weitaus geringeren Feldstärken und anderen Frequenzen markante Magnetfeldeffekte (…) möglich sind.«
Magnetfelder scheinen sich also tatsächlich und wissenschaftlich nachweisbar positiv und negativ auswirken zu können, je nachdem, unter welchen Rahmenbedingungen sie auftreten und wirken. Und, was besonders wichtig ist: Dass »schwache« Magnetfelder, wie von weiten Teilen der Wissenschaft bisher postuliert, keinerlei zelluläre Wirkung bei Menschen, Tieren und Pflanzen hinterlassen, ist dank dieser neuen Erkenntnisse keineswegs in Stein gemeißelt. Im Gegenteil. Es sieht danach aus, als stünden wir einmal mehr erst am Anfang eines langen Weges der Forschung.
Konsequent weitergedacht würde das auch Fragen im Hinblick auf elektromagnetische Felder, die von Strommasten, Handymasten, Handys, Steckdosen, Elektroautos und so weiter ausgehen in den Raum stellen. Die Industrie, die mit diesen Dingen arbeitet und von ihnen wirtschaftlich abhängig ist, hat solche Fragen bisher gekonnt und konsequent ins Reich der Verschwörungstheorien verwiesen.
Ich maße mir als Geisteswissenschaftlerin nicht an, unabhängigen naturwissenschaftlichen Forschungen vorzugreifen, aber ich bin doch gespannt, zu welchem Ergebnis sie führen werden. Werden sie einmal mehr bestätigen, was viele Menschen schon immer gespürt haben, es sich aber nicht laut auszusprechen trauten, um nicht auch als Verschwörungstheoretiker zu gelten? Dass uns nämlich diese Felder auf die eine oder andere Weise nicht guttun?
Bereits 2012 wurden im Rahmen einer am Bayor College of Medicine in Houston durchgeführten Studie bei Tauben Magnetfeldrezeptoren im Gehirn gefunden. Mittlerweile weiß man, dass andere Lebewesen, wie Bienen, Lachse, Ratten, Wale, Katzen, Schildkröten und Hunde ebenfalls einen Magnetsinn besitzen. Letztere drehen sich bevorzugt nach Norden oder Süden, wenn sie ihr Geschäft verrichten und sie haben die stark ausgeprägte Begabung, Stabmagnete zu lokalisieren. Ein Experiment dazu zeigte, dass sie sogar besser darin sind, Magnete zu finden als Futter.
Aber was bedeutet das alles nun für uns Menschen? Verfügen wir auch über einen Magnetsinn? Das würde zum Beispiel die Tatsache erklären, dass die australischen Aborigines in der Lage sind, enorme Distanzen in der Wüste zu überwinden, ohne sich zu verirren. Mehrere Forscher untersuchten das Phänomen ihres genialen Orientierungssinns über die Jahre hinweg und wiesen nach, dass er nicht allein auf visuellen Effekten basieren kann.
1992 fand Joseph Kirschvink, Professor am California Institute of Technology in Pasadena heraus, dass Menschen magnetische Kristalle besitzen – ungefähr fünf Millionen kommen auf ein Gramm Hirngewebe. 2019 veröffentlichte Kirschvink eine Studie, in welcher er in einem Laborversuch nachwies, dass der Mensch, wenn auch unbewusst, Norden und Süden unterscheiden kann. Die Kristalle in unserem Kopf scheinen also wie eine Kompassnadel zu funktionieren.
Aber warum spüren wir heute nichts mehr von unserem inneren Kompasssystem? Haben wir die intuitive Orientierungsfähigkeit verloren? Vermutlich haben die Zivilisation und das Leben in der Stadt hier ihren Tribut gefordert. Das war auch bei den australischen Aborigines der Fall. In ihrem ursprünglichen Lebensumfeld in der Steppe konnten sie sich problemlos orientieren und sogar Wasser finden, einzig, indem sie sich auf ihre Sinne und ihre Intuition verließen. Als sie aber in zivilisierte Gebiete zogen, ging ihnen diese Fähigkeit verloren.
Die Forschung zur Wirkung von Magnetfeldern auf unser Gehirn rückt auch die Wirkung elektromagnetischer Felder des Mobilfunks, wie 5G in den Vordergrund. Was machen sie mit uns? Welche biologischen Auswirkungen haben sie auf unseren Organismus und auf unsere Hirnwellen?
Die Etrusker jedenfalls schienen sich der Wirkung ihrer magnetischen Hohlwege vollauf bewusst zu sein. Doch was es mit den geheimnisvollen Hohlwegen der Etrusker tatsächlich auf sich hat und ob sie dort neben medizinischen auch spirituelle Ziele verfolgten, wird wohl noch eine Weile rätselhaft bleiben. Wie so oft in der Geschichte der Menschheit liegt die Hoffnung auf Antworten auf diese Fragen bei den Forschergenerationen von morgen. Ich bin zuversichtlich, dass sie welche finden werden.