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2 11. September 2016

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- Lucca -

Ich wurde wach und musste mich erstmal orientieren.

Richtig – ich war gestern umgezogen.

Die drei Männer hatte ohne große Probleme all meine Dinge in mein „Übergangszimmer“ gebracht. Die Wohnung war okay, aber für mich nicht ideal. Ich würde mich intensiv nach einer anderen, eigenen Wohnung umschauen müssen. Ich hatte ziemlich genaue Vorstellungen, wie meine perfekte Wohnung aussehen müsste, damit sie für mich geeignet sein würde. Mit Max hatte ich schon Pläne für eine Küchengestaltung gemacht – die würde er mir einbauen. Ein guter Grund, warum er mich dann für einen längeren Zeitraum besuchen müsste. Vielleicht würde ich auch direkt etwas Geeignetes kaufen. So als Investition?

Heute stand für mich auf jeden Fall erstmal das Erkunden der näheren Umgebung an. Ich brauchte ein gutes Schwimmbad zum Trainieren, einen Buchladen zum Schmökern und ein nettes Café. Damit war ich zufriedenzustellen.

Zwar hatte Sue mir vorgeschlagen, ich könnte heute auch mit zu ihrer Freundin Ela und deren Familie zum Brunchen kommen, aber das wollte ich an meinem ersten Tag dann doch nicht direkt. Ich war in den letzten Jahren so viel allein gewesen, dass ich jetzt nicht gut damit klar kam, zu viel unter Menschen zu sein.

Man sollte meinen, ich würde mich nach Menschen, Freunden sehnen, aber eigentlich machten mir zu viele auf einem Haufen Angst. Seit meinem Aufenthalt im Krankenhaus und hinterher in der Reha waren die Kontakte zu meinen gleichaltrigen Freundinnen eingeschlafen. Zuerst waren sie noch bei mir aufgetaucht, aber der Gesprächsstoff ging uns schnell aus. Die Mädchen meiner Volleyballmannschaft erzählten von ihren Turnieren, den Erfolgen, den Jungs – nichts, womit ich noch viel zu tun hatte. Die Freundinnen aus der Schule lästerten über Lehrer, motzten über die Klausuren und schwärmten von Jungs. Auch damit hatte ich nichts zu tun. Tobi wurde nicht erwähnt, zumindest meistens. Ab und zu rutschte sein Name raus – kein Wunder, er war der beliebteste Junge in der angesagtesten Clique, jeder wollte da dazu gehören.

Im Nachhinein war mir klar geworden, dass ich wohl nicht aus großer Liebe, sondern eher wegen des Ruhmes und des Ansehens mit ihm zusammen gewesen war. Aber mein 17-jähriges verletztes, betrogenes und dann auch noch gelähmtes Ich (alles in mehrfacher Hinsicht) hatte das nicht wahrhaben wollen!

Es hatte gedauert, bis ich aus meinem selbstgebuddelten Loch wieder herausgekommen war. Definitiv nicht der Verdienst meines alten Umfelds. Einen großen Dank musste ich Max aussprechen, denn er hatte mit viel Zeit und Geduld einen Weg zu mir gefunden. Und dann in der Reha – zusammen mit ebenfalls Betroffenen und deren Familien, den Pflegern und Zivis. Das war wundervoll gewesen!

Am liebsten wäre ich dort nie weggegangen, aber nur in diesem Schonraum leben, das wäre auch nicht gegangen, dann wäre ich nicht da, wo ich jetzt war.

Während ich mir meinen Rollstuhl zurecht rückte, um einsteigen zu können, musste ich grinsen. Meine Gedanken an die Reha hatten auch die Erinnerung an einen bestimmten Zivi wieder geweckt. Er hatte mich in meiner letzten Reha betreut und mir gezeigt, dass mein Körper noch in allen Bereichen funktionierte. Er war weder mein erster Mann gewesen (das war – im Nachhinein leider - Tobi gewesen) aber auch nicht mein letzter. Aber er hatte mir den nötigen Schubs in die richtige Richtung gegeben. Wir waren bestimmt nicht ineinander verliebt gewesen. Aber heiß aufeinander, das konnte keiner leugnen.

Wir hatten auch heute noch Kontakt, ab und zu eine Nachricht, ein Treffen, ein Essen, viel Gelächter und Gespräche, mittlerweile war er neben Max einer meiner besten Freunde.

Durch ihn hatte ich das Gefühl für meinen Körper wiederbekommen, nicht nur, was meine Sexualität anging, nein, ich hatte auch meinen Stil entdeckt.

Ich saß im Rollstuhl – aber das hieß nicht, dass ich mich nicht schminken oder schicke Klamotten tragen konnte. Und es hieß auch nicht, dass ich nicht flirten oder Männer ansprechen konnte, wenn mir danach war.Das hatte mir auch geholfen, mit erhobenem Kopf durchs Leben zu gehen. Ich ließ mir nichts mehr gefallen, ich lernte zwischen Mitleid und Mitgefühl zu unterscheiden. Natürlich waren Menschen gehemmt, wenn sie mir das erste Mal gegenüber standen. Dafür hatte ich jedes Verständnis, aber danach musste mehr kommen. Was genau, das konnte ich nie so genau beschreiben – einfach mehr und danach suchte ich bei den Menschen.

Ich fuhr zum Schrank und betrachtete mich im Spiegel – meine kurzen Haare waren im Moment zweifarbig, mein natürliches mittelblond wurden von roten Strähnen durchzogen. Meine brauen Augen waren etwas zu groß und machten mein Gesicht interessant (oder wenn man es nicht gut mit mir meinte: falsch proportioniert). Würde ich stehen können, wäre ich 1,70 m groß. Aber das würde ich nie wieder schaffen.

Durch mein Training war meine ohnehin nie filigrane Figur noch sportlicher geworden – meine Arm- und Schultermuskeln waren besser definiert als bei so manchem Mann. Natürlich entsprach ich keinem Standardschönheitsideal, aber hässlich war ich auch nicht!

Nach meiner allmorgendlichen Bestandsaufnahme machte ich mich auf den Weg ins Badezimmer – einer der Hauptgründe, warum ich nicht lange hier bleiben konnte. Der Raum war zu klein, um für mich wirklich gut zu funktionieren. Aber für die nächsten Wochen würde es gehen.

Kaum war ich fertig, hörte ich Geräusche aus der Küche.

Dort stand ein ziemlich verschwitzter, halbnackter Nate und kochte Kaffee.

„Guten Morgen, Lucca – gut geschlafen? Magst du auch einen Kaffee? Sue braucht morgens immer direkt einen, bevor ihr Tag überhaupt starten kann!“

Ich beobachtete, wie dieser Mann eine Tasse mit rosa Aufdruck mit völliger Selbstverständlichkeit mit Kaffee, Süßstoff und Milch füllte und diese Tasse wort – aber nicht blicklos Sue in die Hand drückte, die gerade in die Küche schlurfte.

„Danke – schwarz ohne alles, wenn es geht.“

„Wow – eine Frau nach meinem Geschmack!“, lachte Nate, gab mir den Kaffee und seiner Frau einen dicken Kuss.

„Lucca, möchtest du wirklich nicht mit zu Ela und Sam kommen? Sie sind echt schon ganz gespannt darauf, dich kennen zu lernen …? Nates Eltern und seine Schwester werden auch da sein, die sind zu Besuch aus Atlanta da. Das sind wirklich nette Leute.“

Nate schüttelte lachend den Kopf. „Darling, just stop it! Sie hat doch schon gesagt, dass sie nicht mit möchte. Lass sie doch – nicht jeder steht so auf Gesellschaft wie du.“

„Schon gut, Nate. Glaub mir, Sue, ich freu mich auch darauf, eure Freunde kennenzulernen, aber nicht heute. Ich muss erstmal hier ankommen, mir die Gegend angucken. Nächstes Mal gerne, okay?“

Die beste Zeit ist genau jetzt

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